Wie die Kirche gewohnheitsmäßig nach der Bewegung Fridays for future greift

„Kreativ wie der Schöpfergott, geistreich wie der heilige Geist und hellwach wie Jesus Christus.“

imago/ZUMA Press
Das muss man begreifen wollen, wenn der Katholizismus seinem eigentlichen Kerngeschäft nachgeht und selbsternannte konservative Katholiken darin nun ein intellektuell wie spirituelles Abwirtschaften erkennen wollen. Was für ein Missverständnis!

Gemeint ist hier dieser Popanz von Aufregung, der sich grundsätzlich entzündet an der schieren Existenz dieses sozialistischen Papstes Franziskus und der im speziellen befeuert wird von Kirchenleuten wie dem Hildesheimer Bischoff Heiner Wilmer, der gerade über die Klimaschützer rund um Greta Thunberg sagte, sie seien:

„Kreativ wie der Schöpfergott, geistreich wie der heilige Geist und hellwach wie Jesus Christus.“

Selbstverständlich dürfen aufgeklärte Menschen das heute neben der Spur finden, wenn beim Gegenüber dieses unangenehme Quantum zuviel Pathos und eine Grundhysterie erkennbar werden, die Fremdscham auslösen oder mindestens dafür sorgen, dass man sich peinlich berührt abwendet von so beseelten Christenmenschen. Von Mitbürgern, die, was an Nächstenliebe und Humanität heute selbstverständlich gelebt werden sollte, nur unter einem maroden Kirchendach entwickeln können.

Der Glaube ist eben in aufgeklärten Gesellschaften nicht ohne Grund Privatsache. Die Verwerfungen des Islam im 21. Jahrhundert machen im Übrigen noch einmal deutlicher, warum Religionen ganz und gar nicht als Mittler taugen zwischen der Welt von gestern und der von morgen.

So betrachtet allerdings ist, was der Bischof da macht, klassisches Geschäft der katholischen Kirche. Wenn sie nämlich über die Jahrhunderte etwas perfektioniert hat, dann ist es die Fähigkeit, mächtige Bewegungen zu assimilieren oder Macht da an sich zu binden, wo man sie nicht restlos zerschlagen kann.

Nicht weit entfernt vom Amtssitz Heiner Wilmer steht der Dom zu Königslutter. Ortsansässige Schüler werden da seit Generation vorbeigeführt und bekommen hoch oben an der Außenwand eine eingemauerte grob in Stein gehauene Figur gezeigt. Hier haben die christlichen Eroberer eine der wenigen steinernen Götter der so genannten Heiden nicht etwa im nächsten Weiher versenkt, sondern gut sichtbar in ihre überragende Kirchenarchitektur übernommen. Geschickt vor allem deshalb, weil so auch bei den ungebildeten einfachen Leuten des Frühmittelalters die Anbetung des alten fließend übergehen konnte in die des neuen Glaubens.

Es gibt tatsächlich unendliche solcher Beispiele, wenn beispielsweise kaum ein europäischer Kirchenbau der ersten christlichen Jahrhunderte nicht auf einer geschändeten Weihestätte des Urreligionen ruht.

Wenn das Christentum, wenn die Kirche über Jahrhunderte von der Renaissance bis zur Aufklärung unter großen Blutopfern eingehegt werden musste, dann war das eine Verdienst des gesunden Menschenverstandes. Kirchenarchitektur, Musik und Literatur: diese herausragende Leistungen, diese kulturelle Explosion: alles nicht wegen, sondern trotz der Kirche erblüht. Das ist ja die besondere Leistung Europas.

Theologen bemühen sich bis heute, sogar noch der Aufklärung einen christlichen Ursprung zu unterlegen, sie schrecken nicht einmal davor zurück, beispielsweise in die Hexenverfolgung die Keimzelle eines modernen Rechtssystems hinein zu deuten. Die Theologie selbst ist dabei die Lehre von der Umdeutung der Welt, wie sie ist.

Aber zurück in die Gegenwart, zu Greta Thunberg und dieser neuen Kinder- und Jugendbewegtheit: Kirchenleute wie Bischof Heiner Wilmer sind hier die wahren konservativen Kräfte im Katholizismus, weil sie entlang dieser tausendjährigen Tradition einflussreichen Bewegungen schon in ihrer Wiege nachspüren und diesen sogleich ihre christlichen Brandzeichen aufzudrücken versuchen. So geschehen übrigens aktuell auch, wenn Kardinal Marx die vermeintlichen Schäfchen von morgen einfängt, wenn er Boote von Nichtregierungsorganisation vor der libyschen Küste co-finanziert und eben jetzt durch Wilmer, wenn der kurzerhand die Klimabewegung zu christianisieren versucht: „Kreativ wie der Schöpfergott, geistreich wie der heilige Geist und hellwach wie Jesus Christus.“

So eine Figur wie Greta und eine Bewegung wie Fridays for future sind ganz besonders attraktiv für die katholische Kirche. Bischof Heiner Wilmer hat das sofort erkannt und entsprechend reagiert. Das Christentum ist insbesondere deshalb so ein Erfolgsmodell geworden, weil es, was nicht mehr mit dem Schwert, dann eben mit süßen Worten der Vereinnahmung zunächst gefügig gemacht und dann einverleibt werden kann.

Nun ist Fridays for future weit davon entfernt, eine Bewegung unter dem Mantel der Kirche zu werden, aber es reicht heute schon, wenn die Kirche diesen Mantel nur ausbreitet, wenn die Geste medial aufgenommen wird, wenn sie sich gemein macht und sich auf diese Weise modernisiert.

Allerdings: Ein Chamäleon bleibt auch nach tausend Jahren ein Chamäleon, unabhängig davon, wie oft es seine Farbe der Umgebung anpasst.

Wenn also vermeintlich reformferne oder konservative Katholiken ob solcher bischöflichen Peinlichkeiten in Geschrei über die Verlotterung ihrer Kirche ausbrechen und den Untergang des Katholizismus beschreien, dann mögen sie sich bitte vergegenwärtigen, wie so lange überleben konnte, was sie unverdrossen anbeten.

Dann nämlich wäre einer wie Bischof Heiner Wilmer der Konservativste von allen. Auch dann übrigens noch, wenn er über diese Etikettierung am meisten erschrecken dürfte.

 

— Dr. Alexander Will (@AF_Will) April 20, 2019

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