Im Schatten des Migrationsgipfels: Marrakesch als Sehnsuchtsort für Weltverbesserer

Darf man den Widerspruch zwischen Tausend und einer Nacht, zwischen feierlicher UN-Veranstaltung und hektisch-heimlicher Flucht aus diesem Land eine bigotte Unzumutbarkeit nennen, noch dazu, wenn über zwei Millionen im Ausland lebende Marokkaner jeden Sommer in Marokko Urlaub machen?

Fadel Senna/AFP/Getty Images

„Der Besuch der Königsstadt Marrakesch gleicht einem orientalischen Märchen, bei dem die Grenzen zwischen Realität und Traumwelt verschwimmen.“, schrieb Karolina Golab für Reisen Exklusiv. Und wer würde bei diesen Worten nicht an Angela Merkel und ihre Rede denken, die sie vor den Vertretern von mehr als 150 Nationen gehalten hat, anlässlich der UN-Konferenz in Marokko, wo gestern der umstrittene UN-Migrationspakt angenommen wurde.

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Marrakesch/Marokko, ein Ort wie Tausend und eine Nacht? Wohl weniger, wenn Union und SPD jüngst festgelegt haben, dass das Königreich nicht zu den sicheren Herkunftsländern zählen soll, weil in Deutschland mehr als fünf Prozent der Asylanträge von Marokkanern Aussicht auf Erfolg haben. Das stört die UN, ihre Vertreter und Angela Merkel allerdings wenig. Das gleiche gilt übrigens auch für Algerien und das beliebte Billig-All-Inklusive-Urlaubsland Tunesien. Darf man diesen Widerspruch zwischen Tausend und einer Nacht, zwischen feierlicher UN-Veranstaltung und hektisch-heimlicher Flucht aus diesem Land am heutigen Tage eine bigotte Unzumutbarkeit nennen, noch dazu, wenn über zwei Millionen im Ausland lebende Marokkaner jeden Sommer in Marokko Urlaub machen?

Der Focus schreibt gerade, die deutsche Bundeskanzlerin setze ein Zeichen mit ihrem Besuch in Marrakesch: „Die Regierungschefin setzt ein Zeichen – auch gegen Propaganda von Populisten in Deutschland.“ Asymmetrische Kriegsführung um die Gunst der Leute also auch in den Medien, wenn Focus und Welt zwar schon mal kritisch über Zuwanderungs- und Migrationspakt berichten, dann aber, wenn es darauf ankommt, willig die Linie der Bundesregierung bewerben wie in diesem Fall.

Der Focus war es auch, der vor über zehn Jahren über einen deutschen Erfolgsmann und seine Frau berichtete, die sich in Marrakesch einen architektonischen Traum erfüllt haben. Die Rede war vom ehemaligen Telekom-Vorstand Bernd Kolb, der damals in der marokkanischen Stadt ein Zentrum für Kreative plante, heute allerdings auf der Suche nach sich selbst immer öfter in Asien unterwegs ist.

Der Autor hier hatte selbst Gelegenheit, vor wenigen Jahren über Familie Kolb und ihre Marrakesch-Aktivitäten zu berichten, von einem Fünfsterne-Palast, den sich das Paar mitten in der Altstadt aufgebaut hat und welcher heute von Andrea Kolb betrieben wird.

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Bernd Kolbs Ambitionen waren damals riesig, als er kundtat, eine Art Think Thank für die Welt und ihre Entscheider zu planen, den er „Club of Marrakesh“ nannte. Die Idee war es, eines der einflussreichsten Netzwerke der Welt zu schaffen. Heute ist davon wenig mehr übergeblieben als der Palast und ein ambitioniertes Hilfsprojekt von Frau Kolb für marokkanische Frauen, mit dem sie immerhin Einzug gehalten hat in eine Publikation mit dem Titel: „Gesichter der Nachhaltigkeit“. Die deutschstämmigen Kolbs in Marokko. Die europäische High Society hat das Land allerdings schon seit Jahrzehnten und zu zehntausenden für sich entdeckt, beispielsweise der französische Schauspieler Alain Delon oder Yves Saint-Laurent sind oder waren hier ebenfalls zu Hause.

Aber zurück zu Bernd Kolb, den ich für das Magazin einer Premium-Automobilmarke interviewte und mit dem ich über seinen kleinen Palast in Marrakesch und seinen ambitionierten „ Club of Marrakesh“ sprach. Damals war Kolb in Deutschland unterwegs mit seiner Vortragsreihe „Perspektive 2020“ für nachhaltiges Wirtschaften und einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen. Damals sprach ich mit einem glattrasierten Geschäftsmann, heute trägt Kolb einen wilden Vollbart und hat sich auf spirituelle Suche nach Asien begeben: Nach wie vor spricht er über sich selbst als „Vordenker“.

Als er seinen neuen Lebensmittelpunkt noch in Marrakesch hatte und mit dem Aufbau seines weltumspannenden Think Tanks verbrachte, antwortete er auf die Frage, wie es sich denn so als Visionär in Marokko leben würde, dass viele in ihm „eine Gabe erkennen, sich die Zukunft entlang der aktuellen Entwicklungen in Szenarien“ vorstellen zu können, die er selbst bildhaft beschreiben könnte. Und Bernd Kolb schwärmte gegenüber dem Luxus-Automagazin von seinem Palast in der Altstadt von Marrakesch:

»Von unserer Dachterrasse aus sieht man auf eine fast schon archaisch anmutende orientalische Stadt, ein komplexes Geflecht aus ihren Bewohnern, den förmlich aneinander klebenden Häusern, die sich gegenseitig Schutz bieten, hört Trommeln, den Muezzin, Gelächter, kreischende Kinder, die mit zusammengeknoteten „Bällen“ aus Plastikfetzen Fußball spielen und man versteht das „Miteinander“ dieser Community, eine große Solidargemeinschaft, deren Teil wir mit unserem Projekt sind. So muss die erste Form von Urbanität wohl ausgesehen haben. Und davon können unsere Städteplaner viel lernen, um neben der Hochglanz-Architektur auch über das soziale Miteinander nachzudenken, um der Anonymität und Leblosigkeit unserer Großstädte zu begegnen.«

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Antwortete damals der Ex-Telekom-Vorstand Bernd Kolb. Und wir wollen ihm diese Visionen nicht vermiesen, wenn wir etwa nachfragten, was denn heute so viele Marokkaner aus dem sozialen Miteinander bloß in diese leblosen deutschen Großstädte lockt. Ob es nur daran liegt, dass diese Menschen ihren Kindern mal einen echten Fußball schenken wollen, damit die nicht immer nur weiter mit diesem romantisierten Ball aus Plastikfetzen spielen müssen?

Damals war für Bernd Kolb sein Palästchen aber kein Luxus-Ressort. Er bestand sogar darauf, dass sein „Ana Yela“ ein Projekt sei, dass es seinen Gästen und Freunden ermöglichen würde, »eine wahrhaft authentische Erfahrung zu machen, nämlich „Fremdes“ als etwas Spannendes, Positives und vor allem Inspirierendes zu erfahren.«

Sätze, die man nicht mehr interpretieren muss, die für sich alleine sprechen. Noch mehr, wenn Kolb damals weiter ablieferte, als er im Verlauf des Gesprächs berichtete, sein Haus in Marrakesch sei „der Beweis dafür, dass die Bewahrung kultureller Identität etwas mit Reichtum und Vielfalt zu tun hat.“ Der Gegenentwurf dazu, so Kolb weiter, sei für ihn Dubai, wo sich ein künstlich aufgeblasener Moloch entwickelt hat, westliche Vorbilder kopierend, ohne Rücksicht auf die eigene Identität.

Ohne Rücksicht auf die eigene Identität – Sätze, die heute, ein paar Jahre später, ganz anders einschlagen, wenn man sie mit der Frage verbindet, was eigentlich die Identität eines Bernd Kolb ausmacht. Ein Weltenbummler? Ist vielleicht auch Angela Merkel heute schon ganz Bernd Kolb? Der Autor hier hat Bernd Kolb damals noch gefragt, was er entgegnen würde, wenn wir ihm vorhielten, er wolle sich als Weltretter unsterblich machen. Seine Antwort damals:

„Gegen solch absurde Kommentare ist man resistent, wenn man sein ganzes Leben lang Thesen vertreten hat, die erst Jahre später von der Allgemeinheit übernommen werden, dieser rote Faden zieh sich durch mein ganzes Leben und ich lebe sehr gut damit.“ Na, dann ist es ja gut.

Und Angela Merkel ist tatsächlich Bernd Kolb. Und beide, der Ex-Telekomvorstand und die Noch-Bundeskanzlerin sind möglicherweise exemplarisch dafür, was so entsetzlich schief gelaufen ist in diesem Deutschland.


Mehr zum Thema:

Roland Tichy (Herausgeber), Der UN-Migrationspakt und seine Auswirkungen.
Mit Beiträgen von Norbert Häring, Krisztina Koenen, Tomas Spahn, Christopher Walter und Alexander Wendt

Soeben erschienen und EXKLUSIV im Tichys Einblick Shop >>>

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Kommentare ( 64 )

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64 Comments
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Ralf Poehling
6 Jahre her

Ich kenne mehrere Marokkaner persönlich, die in Deutschland arbeiten und regelmäßig in ihrer Heimat Urlaub machen.
Die fahren nicht in ihre Heimat, um dort Krieg zu führen, denn dort herrscht kein Krieg. Und dort ist es auch nicht so heiß, dass sie von dort als „Klimaflüchtling“ nach Deutschland hätten flüchten müssen.
Im Gegenteil: Sie fahren regelmäßig nach Marokko in Urlaub, weil es hier zu kalt ist.

Die dummdreiste Dauerlügerei unserer Politiker ist nicht mehr zu ertragen…

Timur Andre
6 Jahre her

Marrekesh in Marokko, da wohin abgelehnte Asylanten nicht zurückgeführt werden dürfen!

Lassen wir es mal so stehen, das Land ist repressive, nur wieso hält man dann dort eine Internationale Konferenz ab?

Wolfgang Schuckmann
6 Jahre her
Antworten an  Timur Andre

Weil sich dort Hamburg im umgekehrten Sinn nicht wiederholen kann.

jaguar
6 Jahre her
Antworten an  Wolfgang Schuckmann

Ihr Kommentar…Das ist doch eines der Länder, die von den deutschen Grünen/innen nicht als geeignet für Rückführungen angesehen werden….ich lach mich kaputt….

Hartholz
6 Jahre her
Antworten an  Timur Andre

Warum? Weil die UNO ständig in Fettnäpfchen tritt.

Wuidara
6 Jahre her

Hallo Herr Wallasch,
…Darf man den Widerspruch… Ja man darf, man muss sogar diesen Widerspruch benennen so wie Sie es tun!
Ich würde es nur noch treffender und kürzer als „Unwürdiges Kasperltheater“ bezeichnen.

Enrico Stiller
6 Jahre her

Es gibt heute eine Spezies von Zeitgenossen, die einer mehr oder weniger im Luxus lebenden Gesellschaftsklasse angehört und keine Normalität des Lebens mehr kennt. Sie können sich unter dem Motto der französischen Gelbwesten „Andere fürchten das Ende der Welt, wir fürchten das Ende des Monats“ (s. ‚Bayernkurier‘, 10.12.18) nichts vorstellen. Früher hätte man dafür den heute verpönten Ausdruck „dekadent“ gebraucht. Für diese Leute ist ihr Umfeld – Deutschland – viel zu klein. Sie sind überzeugt, die Welt brauche sie dringend. Darunter geht es nicht. Wenn man ökonomisch saturiert ist und in einem sicheren Viertel lebt, dann breitet sich schon mal… Mehr

Th. Radl
6 Jahre her

Widerspruch nur in zwei Punkten: 1. „Und beide, der Ex-Telekomvorstand und die Noch-Bundeskanzlerin sind möglicherweise exemplarisch dafür, was so entsetzlich schief gelaufen ist in diesem Deutschland.“ Das ist nicht schief gelaufen, sondern das wurde grundsätzlich auf die falsche Schiene gesetzt und läuft DAUERHAFT falsch. Und je weiter man sich vom angestrebten Ziel entfernt, desto mehr bemüht man sich, die Anstrengungen in dieselbe Richtung zu vergrößern. 2. In postfaktischen Zeiten sind die Erkenntnisse von wirklich intelligenten Menschen wie z.B. Albert Einstein nichts mehr wert, der (angeblich) festgestellt hat, dass die Definition von Wahnsinn sei, immer wieder das Gleiche zu tun und… Mehr

Alexander Wildenhoff
6 Jahre her
Antworten an  Th. Radl

Yes Sir.
Eigentlich kein Widerspruch zu Wallasch, sondern Präzisierung.
100% Zustimmung. Wir haben es mit absichtlich implementierter, dauerhafter Geistesverwirrung zu tun. Man kann es ** nennen.

Deliberare
6 Jahre her

Desto mehr ich mich mit Bernd Kolb und seinem „elitären Think-Tank“ Club of Marrakesh auseinandersetze, desto mehr entsteht bei mir der Eindruck eines Wichtigtuers mit einem großen Geldbeutel. Diese Resorts wie das Ana Yela sind nichts anderes als kleine Hotels in dieser Stadt. Meine Frau und ich waren schon in Marokko (die Beschreibung über den ersten Kulturschock dort stimmt übrigens, ich fand es sehr treffend). In Marrakech haben wir auch in so einem ähnlichen Refugium aus 1001 Nacht übernachtet (meiner Erinnerung nach wesentlich schöner und friedvoller als dieses Ana Yela aus den Bildern heraus und wurde von einem sehr intelligenten… Mehr

daniel.jungblut
6 Jahre her

Mein Eindruck, als ich dort war: Gemengelage aus der üblich nordafrikanischen Touri-Abzocke incl. der ebenso penetrant wie üblichen Anmache von Frauen, gemischt mit Althippies, ausgelutschten pseudo-romantischen Locations (incl. Abzocke), die immergleichen Sukhs (incl. Abzocke), stinkende Slums, Koran“schulen“, und über allem die als Monarchie verkleidete Diktatur. Also kaum von allen anderen grösseren Nordafrikanischen Städten zu unterscheiden. Blärh. Einmal reicht fürs Leben. Die „Faszination des Orients“ ist nichts als ein romantisiertes überbleibsel von Napoleons Propaganda nach dem Ägyptenfeldzug.

Wilhelm Cuno
6 Jahre her

Man muss Herrn Kolb zu Gute halten, dass er wenigstens mit eigenem Geld und Umzug ausschließlich mit der Familie ins Risiko gegangen ist, seine Ideale zu pflegen. Angela Merkel verdonnert ohne Bürgerentscheid ihr ganzes Volk zu dieser Erfahrung. Und das auch noch mit Steuergeldern. Insofern steht Herr Kolb für mich moralisch höher, auch wenn ich nicht seiner Meinung bin. Frau Merkel ist für mich einfach nur jemand, der sich unautorisiert über die Grenzen des eigenen Amtseides hinaus bewegt hat und bewegt.

KorneliaJuliaKoehler
6 Jahre her

Auf welcher Wolke leben diese Menschen? Die Landschaft und herausgeputzten Baudenkmäler in Touristenzentren mögen ja sehr schön sein. Aber wie kann man sich in islamischen Ländern, abseits der Luxus Resorts, als westlich sozialisierter Mensch wirklich wohl fühlen? Man kann den Äußerungen des Herrn Kolb nur entnehmen, dass er sich eher weniger dort aufhält, wo und unter welchen Umständen der normale Durchschnittsmann, geschweige denn die Durchschnittsfrau, in Marokko leben muss. Was soll daran irgendwie romantisch oder erstrebenswert sein? Wie bekifft muss man sein, um so ein dummes Zeug zu reden? Diese westlichen Naivlinge in Marrakesch glauben tatsächlich, dieses „Walt Disney World… Mehr

Alexander Wildenhoff
6 Jahre her

Warum sollen der „Ex-Telekomvorstand und die Noch-Bundeskanzlerin“ in Bezug auf das, „was so entsetzlich schief gelaufen ist in diesem Deutschland“ identisch sein? Was soll das sein? Ist es der Bezug auf das Ideal der Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt? Die versuchten aus den Bewohnern der deutschen Mini-Duodezfürstentümern „Weltbürger“ zu formen? Was nur teilweise geklappt hat und vor allem zu dem massiven Kollateralschaden „Weltverbesserer“ geführt hat. Denn schon vor der Reichseinigung unter Bismarck hat Emanuel Geibel 1861 gedichtet: „Am deutschen Wesen mag (!) die Welt genesen“. Die nationalen Sozialisten haben vor WK II aus dem „mag“ ein „soll“ gemacht. Erst… Mehr