Ungarn ist ein kleines Land, und doch könnte sich dort die Zukunft der EU entscheiden. Denn Viktor Orbán stemmt sich gegen die weitere Zentralisierung in Brüssel. Gewinnt er, wird Brüssel geschwächt – verliert er, brechen die Dämme zu Gunsten der Brüsseler Machthaber.
picture alliance / dts-Agentur | -
Die nächste Parlaments-Wahl in Ungarn wird voraussichtlich erst im April 2026 abgehalten. Doch schon jetzt rüsten die Kontrahenten, befindet sich das Land im Dauerwahlkampf. Tatsächlich geht es nicht um Ungarn, sondern um die Gestalt der künftigen EU. Und daher hat die Wahl Auswirkungen auch auf Deutschland – den Verbleib der Reste seiner Souveränität sowie die künftige Gestaltung von Wirtschaft und Wohlstand.
Jedes Jahr findet im ungarischen Ort Kötcse ein „Picknik” der „Stiftung für ein Bürgerliches Ungarn” statt. Das ist die Parteistiftung der ungarischen Regierungspartei Fidesz, ähnlich der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Deutschland. Hier versammeln sich – nur auf persönliche Einladung – all jene, die in Fidesz die Stimme des bürgerlichen Ungarn sehen, und in jenen wiederum Fidesz relevante bürgerliche Stimmen erkennt. Es sind also „Multiplikatoren“, Personen des öffentlichen Lebens, aus Kultur, Wirtschaft und Politik.
Jedes Jahr hält Orbán eine Rede darüber, wie er sich das nächste Jahr vorstellt, auf der Grundlage einer umfassenden Analyse der Gesamtlage und der politischen Dynamik im Land, in der EU, und in der Welt. Darüber wird dann diskutiert. Das alles intern. Wer etwas ausplaudert, oder gar aufnimmt und veröffentlicht, dem droht die harte Strafe, nächstes Jahr nicht mehr eingeladen zu werden. Nie hat jemand gegen die Regel verstoßen.
Aber dieses Jahr war alles anders, denn Orbáns Herausforderer bei den anstehenden Wahlen 2026, Péter Magyar, hatte eine Parallel-Veranstaltung angekündigt. Auch er kam nach Kötcse, mit einigen Hundert Anhängern, am Ende waren es vielleicht gar um die 1500, und hielt selbst eine Rede, ein paar Straßen entfernt.
Er hat sich das zur Gewohnheit gemacht: Alles, was Orbán macht, macht er nach. Orbán hält seine jährliche Sommer-Rede im siebenbürgischen Tusványfürdő (Baile Tusnád)? Péter Magyar hält am selben Tag eine ähnlich strukturierte Rede in Székesfehérvár. Und nun also auch eine Orbán-Imitation von Magyar in Kötcse. Sogar die Semantik seiner Rede („ein starkes und reiches Ungarn“) war teilweise buchstäblich wortgleich mit Orbáns Formulierungen.
Magyars Schattenspiel bewegte Orbán, diesmal auch seinen Vortrag öffentlich zu halten, es wurde gestreamt.
Vorweg: Ich bin zwar sonst immer dabei in Kötcse, war diesmal aber anderweitig in der Pflicht, ich hielt eine Lesung in Siebenbürgen. Orbáns Reden snd immer witzig, locker und anhand einiger handschriftlicher Stichworte souverän improvisiert. Diesmal sagte er selbst, da es öffentlich sei, werde er vorsichtiger sprechen. Tatsächlich war die gestreamte Rede – ich verfolgte sie nur online – zwar gehaltvoll und selbstbewusst wie immer, aber etwas weniger unterhaltsam als sonst.
In zweierlei Hinsicht war das Veranstaltung-Duell das zentrale politische Ereignis des (bisherigen) Jahres in Ungarn. Zum einen war es ein Blick in die Zukunft von Wahlkämpfen, wie das Orbán-krtitische Nachrichtenportal Telex treffend schrieb: maximale Mediatisierung im Online-Raum. Alles passiert online, und wird digital verstärkt von den jeweiligen Teams und Anhängern der beiden Kontrahenten. Ein pausenloses Content-Bombardement. (Telex nannte das Duell vom Ergebnis her ein Unentschieden).
Wichtiger: Erstmals war Magyar gezwungen, etwas Inhaltliches zu seinen politischen Vorstellungen zu sagen.
Bislang war er als One-Man-Show erfolgreich, mit teilweise brutal aggressiven Angriffen gegen den politischen Gegner, und teilweise menschelnden, öligen Phrasen, das alles auf Facebook. Auch diesmal menschelte es sehr. Er stellte „neue Gesichter” vor (einen Wirtschaftsexperten, der mal eine westliche Bank-Tochter in Ungarn leitete und davor auch einige Monate lang Staatssekretär war in der zweiten Orbán-Regierung, ohne nennenswerte Spuren zu hinterlassen) und eine bei den Kommunalwahlen 2024 gescheiterte Kommunalpolitikerin, die sich nun für Magyars Tisza-Partei mit dem Thema Tourismus beschäftigen soll. Beide sagten fast wortgleich auf, was offenbar die Kommunikationsexperten ihnen vorgegeben hatten: Sie wollten eine „Politik für die Menschen“, denn bei ihnen stehe „der Mensch im Vordergrund“. Was immer das heißen mag.
Aber Magyar selbst war inhaltlich in der Defensive und musste konkrete Dinge sagen – denn kurz zuvor waren unglückliche Bemerkungen zweier führender Tisza-Politiker im Internet bekannt geworden, MEP Tarr Zoltan und Wirtschaftsstratege Áron Dálnoki. Dálnoki hatte von „progressiven Steuern“ gesprochen (In Ungarn gibt es eine Flatrate-Einkommensteuer von 15 Prozent) und Tarr hatte peinlicherweise gesagt: „Es gibt viele Dinge, über die wir nicht sprechen können, weil wir sonst die Wahlen verlieren.“ Fidesz machte daraus sofort eine wirkungsvolle Kampagne, wonach Tisza Steuererhöhungen plane.
Das zwang die Partei erstmals, Inhaltliches zu sagen über ihre Wirtschaftspläne. Demnach will man mit Steuergutschriften die Einkommensteuer für niedrige Einkommen senken, ansonsten bleibt es – angeblich – bei den 15 Prozent, und dazu soll es eine „Vermögenssteuer” geben von 1 Prozent auf Vermögen über 2,5 Millionen Euro (bestehend aus Geld, Wohneigentum, Autos, Einrichtungsgegenständen, wobei für alle Familienangehörige zusammengerechnet wird). Dazu ging Magyar ins Detail: In der Familienpolitik will er, statt wie Fidesz Steuerermäßigungen für Familien, lieber eine Verdoppelung des Kindergeldes (populär bei ärmeren Bevölkerungsschichten, die mit Steuervorteilen wenig anfangen können, weil sie wenig oder gar kein Geld verdienen).
Im Klartext bedeutet das: Fidesz will die bürgerliche Mittelschicht stärken, Magyar hingegen – in klassischer sozialistischer Manier – die Armen. Das wird manchen ärmeren Roma gefallen, die viele Kinder haben, aber wenig Einkommen.
Das Haupthema aber war am Sonntag auf beiden Seiten die EU. Bisher hatte man von Tisza dazu wenig mehr gehört als den Slogan „Wir bringen die EU-Gelder nach Hause“, wofür freilich nötig wäre, all die EU-Forderungen zu erfüllen, die Orbán nicht erfüllt – etwa in der Migrationspolitik. Jetzt aber kam ein wahres Glaubensbekenntns, wie in der Kirche: „Wir bekennen uns dazu und sprechen es aus: Unser Platz ist im Verbund der EU und der Nato.“ Magyar benutzte das ungarische Wort „kötelék“, was mehr bedeutet als nur „Mitgliedschaft“ – es verweist auf ein Treueverhältnis, anders als bei Orbán, der die EU eher als Interessengemeinschaft sehen möchte. Magyar kündigte an, Ungarn werde „wieder ein aktives und glaubwürdiges Mitglied der EU und der Nato“ sein, und sich nicht mehr „an Diktatoren anbiedern“. Sprechchöre, ob orchestriert oder nicht, verlangten die Einführung des Euro.
Jedenfalls versprach Magyar de facto, mit der EU- und Nato-Strategie einer neuen westlichen Blockbildung zu folgen, während Orbán „Konnektivität“ will – gute Wirtschaftsbeziehungen mit jedem Land, auch mit Russland und China.
Orbán zeichnete in seiner Rede das genaue Gegenteil: Er nannte die EU zunehmend bedeutungslos, weil sie eine Reihe falscher strategischer Entscheidungen getroffen habe. Er prophezeite ihren Zerfall, falls sie sich nicht reformiere – schon der nächste EU-Haushalt könne der letzte sein, wenn man sich überhaupt auf diesen letzten einigen könne (die aktuellen Haushaltspläne drehen sich um eine massive Unterstützung der Ukraine zu Lasten aller anderen EU-Mitglieder).
Er nannte die EU-Politik blind, „undemokratisch“, und kontrastierte den rüchgängigen EU-Anteil an der Weltwirtschaft in den letzten Jahren (minus 8 Prozent, ihm zufolge) mit einem wachsenden Weltmarktanteil der USA (plus vier Prozent).
Das alles war deswegen fasznierend, weil Orbáns Wahlkampf ausdrücklich darauf zielt, Magyar als „Diener der EU“ darzustellen, sich selbst hingegen als Verteidger der „Souveränität“. Erstmals nun bekennt sich Magyar vollkommen zu dieser Rolle eines Musterschülers der EU. Als Analyst müsste man sagen: Er spielt Orbán in die Hand.
Aber das stimmt nur, wenn Orbáns Analyse stimmt und eine relative Mehrheit der Bürger die EU eher skeptisch sieht. Magyars leidenschaftliche Umarmung der EU kann eigentlich nur bedeuten, dass in seiner Analyse die Mehrheit der Ungarn mehr EU wünscht, nicht weniger. Und Orbáns EU-Skepsis kann nur bedeuten, dass in seiner Anayse die Mehrheit eher weniger als mehr EU wünscht. Nur einer kann Recht haben.
Der Ausgang der Wahl wird also davon abhängen, wer die Stimmung im Volk besser verstanden hat.
Die Wahl wird deswegen auch einen Impakt haben auf die Zukunft der EU: Fällt Orbán, so fällt der letzte Rebell gegen die Zentralisierungspläne der EU. Es wird leichter fallen, die Ukraine wider alle „Kopenhagener Kriterien“ schnell aufzunehmen, und unter diesem Vorwand die institutionellen Strukturen der EU weiter zu zentralisieren. Gewinnt Orbán, so wird es schwerer fallen, die gegenwärtige Strategie der EU beizubehalten, die darin besteht, geopolitisches Schwergewicht in der Welt zu werden – wozu interner Widerstand wie jener Orbáns gebrochen werden muss.

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Gibt es denn in Ungarn eine geeinte Mehrheit der Opposition oder eint die Opposition nur, daß sie gegen Orbán sind, was nach einem Sieg der Opposition dann zu Grabenkämpfen führen würde ohne solide Regierung, was dann problemlos vom Ausland (insbesondere der EU) genutzt werden würde? Ein analoges Problem besteht ja in Polen schon.
Viktor Orbán kann nicht ewig regieren und das wissen auch die Gegner in Ungarn und in der EU. Gibt es denn einen sinnvollen Aufbau von Nachfolgern in Ungarn, welche auch mehrheitsfähig sein werden? Ein Regierungschef, welcher sehr lange an der Macht ist, verbraucht sich politisch schon allein durch die lange Zeit mit der gleichen Person.
Ich drücke Orban die Daumen. Leider hat er der Opposition einiges an Munition geliefert, weil Fidesz die jahrelang ungeteilte Macht leider zu Vetternwirtschaft und Korruption verführt hat. Supergut läuft die ungarische Wirtschaft auch nicht, die für breite Wählerschichten sehr unangenehme Inflation verharrt um die 4%.
Ich komme gerade aus Budapest und wenn man etwas zur politischen EInschätzung über UNgarns politische Eliten hören will, gibt es keine bessere Adresse als Taxifahrer. Das Leben ist sehr teuer geworden sagte mir ein Vater von 2 Kindern. Er arbeitet annährend 70 h in der Woche, um seine Wohnung und den Lebensstandard halten zu können, aber: ein anderer als Orban kann er sich nicht vorstellen. Keine Kriminalität, saubere Städte, verlässliches Gesundheitssystem dank Orban und so soll es bleiben- so sein Fazit- Die EU betrachtet er als Arbeitseinkommen, weil viele Touristen kommen- aber die v.d. Leyen gehört mit den anderen Brüsseleliten… Mehr
Schlechter als das ungarische Gesundheitssystem geht in Europa kaum.
Kennen Sie schon das deutsche Gesundheitssystem?
Versuchen Sie mal, hierzulande einen Facharzt-Termin zu bekommen, insbesondere als Neupatient.
Viel Glück dabei.
Sehe ich auch so, das deutsche Gesundheitssystem haben die letzten und aktuellen Regierenden massiv heruntergewirtschaftet! Ob es besser als das Ungarische ist, vermag ich nicht zu beurteilen!
Die Lebenserwartung ist in Deutschland um 5 Jahre höher als in Ungarn.
Das würde mich jetzt mal genauer interessieren, bringen sie doch mal Beispiele.
In Buntschland bekomme ich nicht mal als Selbstzahler einen Termin bei bestimmten Fachärzten. In Ungarn immer.
Viele, besonders die Jüngeren und davon wiederum die Arrivierten, also die , die ihren gesellschaftlichen und materiellen Aufstieg gerade einem Orbàn zu verdanken haben, wollen statt eines grundlegenden Polikwechsel , eher nur ein anderes Gesicht, einen anderen und neuen Stil und Habitus im Karmeliterkloster, also im ungarischen Kanzleramt. Das soll nun Peter Magyar liefern, alles was es dazu braucht, vereint er in seiner Person und ist darin fast eine Wiederkehr des Vikor Orbán von 1989. Ein Haudegen nach dem Geschmack vieler Magyaren. Jung, gutaussehend, lautstark, provokativ gibt er auf den Markplätzen des Landes den Volkstribun, wie weiland ein Viktor Orbán… Mehr
Es braucht viele mehr, die denken wie Orban.
So kriegsgeil wie die EU ist und so scharf darauf das Hochkorruptionsland Ukraine“ in die EU aufzunehmen“(zahlen, zahlen, zahlen und massive Provokation Russlands), wird ein Großteil der Ungarn, vor allem weil sie als erste von einem Kriegerischen Konflikt mit Russland betroffen wären (ohne vernünftigen Grund, nur weil die EUler durchdrehen), sich das 10 mal überlegen ob sie sich für einen „Teller Linsen“ an die EU verkaufen.
Alle Länder in Europa sollten sich das überlegen ob dieses pseudo-demokratische gierige Bürokratiemonster wirklich zu UNSEREM VORTEIL IST.
Es kommt wohl auf die Quellen drauf an, aber obwohl man eher bis zu 5% Rückgang erkennt, hat Orban trotzdem Recht.
Orban verkörpert das kleine Gallien (Asterix und Obelix) in Europa.
Eine Wahlniederlage wäre ein echter Verlust für die EU. EU ohne Flüchtlinge wäre ein echter Gewinn❗
Natürlich wird sich der Niedergang der EU im Detail anders vollziehen, mit oder ohne Orban in Ungarn, aber komplexe gesellschaftliche Prozesse kann niemand aufhalten oder auch nur steuern. die EU erlebt eine multiple Krise. Ungarns Grenzöffnung 1989 zum Beispiel war ein wichtiger Impuls, aber der eiserne Vorhang wäre so oder so gefallen. Es gab einfach fast nichts mehr, was die kommunistischen Regime zusammenhielt und v.a.: die Kommunisten glaubten selbst nicht mehr. So ist es heute in der EU. VdL etc. wissen, dass der Laden am Ende ist, versuchen aber das Ende und damit den Verlust ihrer Macht hinauszuzögern. Vielleicht gelingt… Mehr
Wo sehen Sie denn exak ein Aufbegehren gegen die Brüsseler EU? Ich kann leider nur leises Grummeln feststellen. Auch der EU-Haushalt, den die meisten Länder eigentlich gar nicht bezahlen können, wird doch nur mit ein paar zuvor sowieso schon einkalkulierten Kompromissen verabschiedet werden.
Ich sehe eigentlich eine Fluchtbewegung hin zur EU, weil die immer Hilfe verspricht, egal, was es kosten sollte. Tut D. z. B. etwas gegen die ausufernden Target 2-Forderungen, die niemals eingefordert werden können? Tut irgendjemand etwas gegen die 10 DIN-A-4-Seiten lange Anweisung, wie ein Pizza hergestellt werden muss? Etc.!
Die EU kann aber nicht mehr helfen, die Migrationsfolgen belasten das Leben aller immer mehr. Das Wohlstandsversprechen ist immer weniger glaubwürdig. Kommen die Kürzungen, geht der Verteilungskampf in die heiße Phase. Ich sage ja nicht, daß es dann besser wird, nur daß die EU am Ende ist.
Natürlich haben Sie damit recht – „am Ende“, eigentlich! Aber es geht den Leuten noch lange nicht schlecht genug, um gegen die EU u. Berliner aufzustehen. Und die meisten wissen doch gar nicht, was warum so abläuft, im ÖRR kommt nur Lobhudelei und Frameing, sehr selten Kritisches. Wir hätten das Ende der derzeitigen EU gerne, wir wünschen es, aber es ist halt immer noch nur ein Wunsch.
Man bedenke, Diktaturen können sich sehr lange halten: Die Su ca 80 Jahre, die SED ca 50 Jahre und Nordkorea über 70 Jahre.
Die Sowjetunion war natürlich eine Diktatur, aber vor allem eben auch ein Wohlstands- und Gleichheitsversprechen mit tatsächlichen Erfolgen bis in die 60er Jahre, wenn auch auf dem Rücken von Millionen. Auch in der DDR gab es diese Phase. Statt 80 waren es aber eher 70 und statt 50 eher 40 Jahre, nwbenbri gesagt. Nordkorea ist ein Sonderfall. Es lebt, weil China es nicht fallen lässt und es zur Beschäftigung der USA gebrauchen kann. Die EU ist keine Diktatur. Im übrigen sind die Jahre der westlichen Freiheit und des Wohlstandes der historische Sonderfall als Folge zweier Weltkriege und der Herausforderung durch… Mehr