Bedingt abwehrbereit

Russland will sich die Krim schnappen. Das spaltet Europa: Wir machen mit Putin gute Geschäfte. Andere müssen sich fürchten.

Russlands Präsident Wladimir Putin nutzt das Chaos in der Ukraine und will wohl die Krim annektieren. Vielleicht reißt er auch noch das Donezbecken an sich; dann wäre die Grenze zwischen Ost und West wieder da, wo sie jahrhundertelang verlief: Östlich davon herrschte Russland, westlich liegen die fernsten Provinzen des Habsburgerreichs. Die Krim ist weit weg, für die meisten Deutschen gehört sie ohnehin zu Russland. Selbst Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erkennt Russlands Interessen dort an. Die Wirtschaft wünscht sich, dass der Konflikt nicht heiß eskaliert, sondern tiefgekühlt wird – zu wichtig ist Russland als Handelspartner, Gaslieferant und Investitionsstandort. Pragmatismus wird siegen. Nach schrillen Protestnoten und einem verpatzten G8-Gipfel wird man wieder an dem Tisch sitzen, an dem gute Geschäfte gemacht werden. „Der Russe kommt“, in Deutschland hat das als Motiv der Politik ausgedient; in den letzten Jahren des Kalten Krieges höhnten Kabarettisten: „Der Russ’ kommt, ob er aber über Oberammergau oder aber über Unterammergau kommt, das weiß man nicht!“

Andere Länder haben da ein längeres historisches Gedächtnis und einen anderen Blick auf die Geschichte. Polens Premier Donald Tusk steinmeiert nicht windelweich herum, sondern spricht von der Not, militärisch aufzurüsten und bei der Energieversorgung von Russland autark zu werden. Tschechien kramt wieder alte Pläne für ein Atomkraftwerk hervor, das sich nicht rechnet – es sei denn, man kalkuliert die politischen Kosten der Abhängigkeit vom russischen Gas mit ein. In den baltischen Staaten ist die Reaktion ähnlich aufgeregt. Auch dort gibt es wie auf der Krim eine starke russische Bevölkerungsgruppe, die schnell als Argument herhalten kann, warum Russland sie mal wieder befreien muss, wie schon 1940. Der Zweite Weltkrieg endete für sie nicht mit dem 8. Mai 1945, dem Tag der deutschen Kapitulation – sondern erst mit dem Zerfall der Sowjetunion, unter deren Knute sie mit dem Siegeszug der Roten Armee geraten waren. Jetzt fürchten sie wieder das Russland vor und das wankelmütige Deutschland hinter sich.

Ist Putin ein „lupenreiner Demokrat“, wie einst Gerhard Schröder für ihn geworben hat, oder doch ein brutaler Stalin im modernen Designeranzug? Jedenfalls ist Russland weder ein Rechtsstaat noch eine Demokratie. Und damit ist der deutsche Versuch gescheitert, Russland durch politische und wirtschaftliche Verflechtungen einzubinden. Denn Putin scheren Regeln des Völkerrechts einen Dreck. Deshalb ist auch das Gerede von Wirtschaftssanktionen kindisch: Putin wird einen wirtschaftlichen Rückschlag durch ein Kappen der Handelsbeziehungen leichter wegstecken als eine nur auf ständig wachsenden Sozialausgaben aufgebaute Konsum-Demokratie wie Deutschland. Putin hält deutsche Direktinvestitionen und profitable Absatzmärkte deutscher Unternehmen in Geiselhaft. Ein Wirtschaftskrieg würde Deutschland viel kälter erwischen als das leidgewohnte und gedemütigte Russland, das früherer Größe nachtrauert. Autokraten kalkulieren anders als Demokratien – Wohlstandsverluste wiegen leichter bei Diktatoren, dafür sind ihre Großmachtgelüste entschieden ausgeprägter. Wenn Politiker die Paralympics boykottieren, wird das Putin wenig beeindrucken – was für eine lächerliche Idee.

Europa zeigt sich uneinig und nur bedingt abwehrbereit. Deutschland hat seine Verteidigungsanteile am Bundesetat seit dem Kalten Krieg halbiert. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wollte kurz mal global Flagge zeigen – aber nur mit 200 Mann ihrer geschrumpften Kinderkrippen-Armee. In der echten Krise ist sie schnell abgetaucht. Die Schutzmacht USA ist endgültig Richtung Pazifik abgezogen.

Putin kalkuliert kühl – und gewinnt. Und das Raubtier bekommt beim Fressen Appetit, fürchtet Polens Premier Tusk. Der eisige Wind der Machtpolitik weht durch Europa.

(Erschienen auf Wiwo.de am 08.03.2014)

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