Mein gefährlicher Freund, das Lastenfahrrad!

Sie sind chic und – relativ – öko. Lastenfahrräder sind die Wiedergänger des Autos - die haben auch mal so leicht angefangen, und die Fahrräder sind heute schon Mini-PKWs.

IMAGO / Sven Simon
UPS Paketbote unterwegs mit einem Rytle Cargo Bike

Kürzlich bin ich nur knapp dem Tod entronnen. Ich wollte eine Einbahnstraße überqueren, schaute brav nach rechts, woher die Autos und mit ihnen der drohende Tod daher rollen sollte. Aber da war nichts.

Ich trat auf die Straße … und um ein Haar hätte mich ein Lastenfahrrad überrollt. Es kam von links, gemäß einer Ausnahmeregel der Straßenverkehrsordnung selbstverständlich gegen die Einbahnstraßenrichtung. Denn es ist ein Fahrrad, die dürfen das und zwar gerne. Aber tatsächlich war ein schweres Gefährt des Logistik-Dienstleisters  mit einem kastenförmigen Aufbau mit hohen Ladevolumen, 500 kg sollen es sein; plus Fahrer mit kräftigen Muskeln. 930 kg wiegt ein VW up; mit viel Sicherheitstechnik. Beide fahren  in der Stadt ähnlich schnell. Denn natürlich hat das Lastenfahrrad  einen elektrischen Antrieb, aber keinerlei Sicherheitstechnik. Es sah gefährlich aus; denn abstehende Stangen für Rückspiegel, der Lenker und anderen zerklüftete Bauteile hätten mit nach der Kollision aufspießen können.

Das Lastenfahrrad ist damit wohl gefährlicher als ein Up! Autos müssen so gebaut sein, dass bei einem Aufprall der Fußgänger über die Karosserie rollt; Kanten abgerundet, hervorstehende Teile verboten. Natürlich hatte das Fahrzeug kein Nummernschild. Fahrerflucht leicht gemacht!

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Es ist ein seltsamer Vorgang: Während sich das Fahrrad immer mehr dem Auto annähert, an Geschwindigkeit, Gewicht, Wucht und Größe, gelten die Vorschriften zum Schutz von Fußgängern und Fahrern nicht für die neuen Mini-PKWs. Vermutlich haben sie bald Heizung in der ohnehin schon geschlossenen Fahrer- und Passagierkabine. Die Motoren werden stärker. Bald werden sie wegen der Stabilität vier Räder besitzen. Der Übergang zum Kleinfahrzeug ist längst geschafft.

Einfachere, sehr schicke Modelle für grün-bewegte Eltern sind besonders ökologisch gestaltet – der Lastenkorb ist aus Holz. Beim Aufprall splittert Holz; die Erfahrung zeigt: Holzspieße können lebensgefährlich sein. Eine Knautschzone, beim Auto vorgeschrieben, fehlt. Sicherheitsgurte? Lachhaft. Statt in einem aufprallgeschützten Kindersitz liegen die Kleinen einfach so in der gefährlichen Kiste bei rasendem Tempo. Während sie im PKW mit allen Möglichkeiten geschützt werden – jetzt schleudert es sie durch die Luft, wenn es zum Unfall kommt.

Dumm gelaufen. Nicht nur die letzten Fußgänger wie ich, auch die lieben Kleinen auf dem Weg von oder in die Kita leben also gefährlich. Natürlich braucht der Fahrer oder die Fahrerin keinerlei Ausbildung oder Führerschein, was zu besonders leichtsinnigen bis irrsinnigen Fahrmanövern führt. Es gibt keinen TÜV, der die Bremsen prüft, oder sonstige Sicherheitsvorkehrungen. Während also Lastenräder den Autos immer ähnlicher werden – die Sicherheitsvorkehrungen sind es nicht.

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Nun weiß ich auch, dass die Dinger Spaß machen. Da niemand die Emission der dahinter stehenden Elektrizität misst, scheinen sie auch konkurrenzlos öko. Sie genießen Vorrechte im Straßenverkehr, denn der Autofahrer gilt als übermächtig und trägt daher einen übergroßen Anteil an Verantwortung und Schuld im Falle eines Falles; der Fußgänger ist eine aussterbende Spezies, den nach E-Rollern auch gefährliche Gefährte auf dem Bürgersteig jagen dürfen. Denn der zählt ganz selbstverständlich zur Straße im Sinne des Lastenfahrrads, das dort auch selbstverständlich geparkt werden und Zugänge versperren darf.

Vermutlich denken Sie jetzt, dass ich eine Spaßbremse bin. Dabei habe ich doch als Wirtschaftsliberaler immer gegen neue Vorschriften und Regulierungen gekämpft! Und jetzt dieser Text! Bändigt das Lastenfahrrad!

Vielleicht ist es diese unumgängliche Evolution: Alles wird schneller, luxuriöser, schwerer – das Lastenfahrrad ist auf dem Weg zum PKW und Kleinlaster. Oder man kann es auch so lesen: Während die Grünen das Auto verbieten, kommt es von hinten zurück – als Lastenfahrrad. Erinnern Sie sich noch an die Dreirad-Transporter von Piaggio oder Hanomag? Jetzt sind sie wieder da. Nur der Motor knattert nicht, sondern summt. Auch die Materialwahl stimmt. „Ein bisserl Holz, ein bisserl Lack, und fertig ist der Hanomag“, sagte man früher. Der kleine Lloyd wurde liebevoll „Leukoplast-Bomber“ genannt, weil er Plastikteile trug wie sonst nur der Trabi, der deswegen allerdings als lebensgefährlich galt. Die Öko-Bewegung lässt die 50er wieder aufleben. Das „Goggo“ von der Firma Glas aus Dingolfing konnte man ohne Wagenheber anheben. Sein Gewicht entsprach dem der neuen Lastenfahrräder – und es hatte ein Dach! Das kommt bald wieder, weil die juvenilen Fahrradfahrer im Winter den Husten kennenlernen werden, der mit der Feuchtigkeit auch unter den Goretex-Anorak schlüpft. Allerdings schafft es Arbeitsplätze. Für die, die nicht sehr viel mehr zu bieten haben als halbwegs kräftige Beinmuskeln. Deutschland tut etwas für seine neue Unterschicht; erhöht den Mindestlohn für Rikscha-Piloten. Den Mindestlohn jedenfalls haben wir Indien voraus.

Nur ich bin zurückgeblieben, wie in den Gesetzen Darwins: Nur die Fittesten überleben. Ich muss wohl schneller springen lernen, wenn das Lastenfahrrad droht.

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Kommentare ( 155 )

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zweisteinke
2 Jahre her

Dank Herr Tichy für den sinnigen Artikel. Erinnert sich noch jemand an Bilder aus Vietnam, China u. s. w. auf denen das totale Chaos mit und durch unzählige Fahrräder dokumentiert ist? Jedweden Verkehr kam regelmäßig zum erliegen. UND SOWAS SOLLEN WIR AUCH WOLLEN? Dann stehe ich bei Regen, Wind und Schnee nicht mehr mit dem warmen Skoda sondern mit dem ungeschützten Lastenfahrrad im Stau. Dann gibt es endlich auch wieder eine anständige Grippe, die jetzt ja in „Corona“ umbenannt wurde.

Thorsten
2 Jahre her

Gestern wurde ich von 2 solchen Lastenrädern mit lautem Klingeln vom Gehweg gescheucht und mein Appell die Strasse zu benutzen wurde auf „Papperlapapp – wir dürfen das“ Niveau abgewiesen.
Ich habe das Gefühl, dass sowas auch mal anders ausgehen kann. Auch für die Radfahrer, die können nämlich mit ihrem schönen Gefährt auch umfallen, wenn sie nicht 3 Räder haben.

Olaf W1
2 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Ja, sowas kenne ich aus München, der Stadt, wo Fahrradfahrer Narrenfreiheit haben – und sich genauso verhalten. Auf der Fü***** Straße meinte ein solcher Radler mit seinem Gefährt eine auf dem Radweg fahrende Gruppe von Tretern ohne E-Antrieb über den Fußweg überholen zu müssen und klingelte die Fußgänger aus dem Weg. Ich stand günstig und bin etwas kräftiger gebaut, womit der Herr, der schnurstracks auf meine Kinder draufhielt einen gesunden Schubs bekam (reiner Reflex, kein Vorsatz!) und mit seinem Rad im Grünstreifen landete. Die anschließende Diskussion wurde von einigen herbeieilenden Passanten unterstützt, die alle dem Herrn „behilflich“ sein und ihm… Mehr

Amerikaner
2 Jahre her

Das kann man konsequent weiterdenken. Anstatt von Traktoren, womöglich sogar mit Diesel betrieben, könnte man auch wieder Ochsen vor den Pflug spannen.

Th. Radl
2 Jahre her

Nicht nur der Trabi gat als lebensgefährlich! Es hieß nicht umsonst: Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd! Die Älteren unter uns erinnern sich noch, Herr Tichy! 😉

Emmanuel Precht
2 Jahre her

Also, hier im Norden Duisburgs, rund um die Wundermoschee, wird das E-Mobil noch einige Schwierigkeiten auf dem Weg zum Allgemeingut haben. Die hier herrschende Bevölkerung trainiert die Muskeln lieber dort, wo es der Rest der Großfamilie auch sehen kann. Im Fitness-Studio. Ansonsten sind aufgemotzte Mittelklassewagen die erste Wahl. Wenn da einer mit dem E-Fahrrad um die Häuser zieht, lacht das ganze Viertel über den Schwachkopf. Wohlan…

Endlich Frei
2 Jahre her

Ein Blick nach Amsterdam reicht, wo die erwünschten Zustände bereits herrschen. Als Fußgänger lebt man dort extrem gefährlich – immer wieder kommt es zu Kollisionen mit Fahrradfahrern, die in hohem Tempo um die Fußgänger manövrieren. Mit fatalen Folgen wie schwere Kopfverletzungen (keine Helmpflicht für Fußgänger, kommt aber sicher noch….), Prellungen, Brüchen. Wie oft habe ich das erlebt und wie oft fährt die Ambulanz in diesen Radfahrzonen vor. Da kommt was auf uns zu, was so gar nicht dem vermittelten Bullerbü-Bild der Grünbunten entspricht….

ExternerBlick
2 Jahre her

Solche Fahrräder sieht man jenseits unserer Grenze, in Freiburg, verstärkt bei Familien, die ihre Kinder im Lastenfahrrad transportieren. Interessant an Ihrem Beitrag: Dass es auch XXL-Lastenfahräder gibt – also auch im Bereich Wirtschaft, jenseits von grün eingestellten Familien. In der Mopo Hamburg war unlängst zu lesen: „Dieses XXL-Lastenrad kann 7,5 Tonner in der City ersetzen“ Der Artikel kam zu folgendem Fazit: „Auf lange Sicht könnten diese Fahrräder durchaus eines Tages die Diesel-Lkw größtenteils aus der Innenstadt verdrängen.“ Realisten meinen aber, dass das Lastenfahrad weiter hauptsächlich zum Kindertransport eingesetzt werden wird. Auch um den Kindern im täglichen Alltag zu zeigen, wie… Mehr

ExternerBlick
2 Jahre her

In der Zeitschrift „Quarterly“ gab es unlängst einen Beitrag: „Warum sind Lastenradfahrer so verhasst?“

  1. fühlen sich moralisch überlegen
  2. das sind jene Eltern, die ihre vermeintlich hochbegabten Kinder im Lastenfahrad zum Kinderturnen bringen
FerritKappe
2 Jahre her

Bei dem Titel dachte ich erst in die andere Richtung. Bei Begegnung mit einem SUV wird ein Lastenfahrrad eher den kürzeren ziehen.
Deswegen, freuen Sie sich schon mal auf autofreien Städte.

RoyBush
2 Jahre her
Antworten an  FerritKappe

Bei der Begegnung mit einer E-klasse allerdings auch ?

HGV
2 Jahre her

Herr Tichy, sie sind eine Spaßbremse. Warten sie es doch mal ab, bis die großen Experimente in Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt und allen anderen Städten, die sich für groß halten, so richtig los gehen. Dann platzen die Straßen aus ihren Nähten und Parkplätze für die Gefährte gibt es nicht in jedem Hausflur. Und friedlich wird die Mutti mit ihrer Brut in der Holzkiste vom Ökofreak auf seinem E-Bike gerammt. Kinderaus der Kiste mit dem Köpfchen auf den Asphalt, der Freak an der Laterne und Totalschaden an den Gefährten. Schon heute bewundere ich die Generation Ü50 (open End), die nach 20… Mehr