„Legal, illegal, scheißegal“: Was man nicht einsieht, umgeht man eben

Aus einst rechtsstaatstreuen Bürgern werden allmählich heimliche Regelbrecher. Denn wieso sollten ausgerechnet sie sich an staatliche Vorgaben derer halten, die selbst gegen Recht und Gesetz verstoßen.

picture alliance / SULUPRESS.DE | Vladimir Menck

Ich gestehe: In mir streitet sich die glühende Verteidigerin des Rechtsstaats mit einer unfrisierten, krakeelenden Antiautoritären. Doch jetzt ist es passiert. Die beiden haben sich verbündet. Wer den Rechtsstaat schätzt, möchte ihn vor seiner Aushöhlung schützen. Eben, sagt die antiautoritäre Seite, Grundrechte sind unveräußerlich, also bitte nicht so zurückhaltend! Widerstand! Gegen eine staatliche Anmaßung, wie wir sie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nicht erlebt haben. Wer nichts unternimmt, stimmt zu.

Ich glaube, so rumort es mittlerweile auch hier und da und dort – überall, wo man es nicht sofort sieht. Fragen Sie mal Ihre Nachbarn. 

Sicher, sie gehen nicht auf die Straße und demonstrieren, die Ungehaltenen. Zum einen ist das nicht ihre Art. Zum anderen spricht das Wetter dagegen. Und schließlich hat man gesehen, was einem widerfährt, wenn man reinen Herzens protestieren geht, um gegen eine sinn- und nutzlose Politik zu opponieren: Man wird stigmatisiert, weil irgendein woker Journalist in der Masse der Menschen den faulen Apfel gesucht und gefunden hat. Besser also, der Protest geht in den Untergrund. Ehemalige Bürger der DDR wissen, wie das geht. Doch auch die Westdeutschen lernen dazu.

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Wer glaubt, der deutsche Michel ließe alles mit sich machen, irrt. Doch, ja, seit Monaten erduldet er Ausgangssperren, Kontaktbeschränkungen und Versammlungsverbote, verödete Innenstädte ohne Shopping und Kneipenbesuche, eingesperrte Kinder, jeden Tag neue Verordnungen von „Maßnahmen“, sodass man kaum noch mitbekommt, was gestern noch galt und heute nicht mehr. Verunsicherung als Methode. Doch längst ist den Angstmachern die Munition ausgegangen – vulgo: jene Zahlen, die beweisen sollen, dass millionenfaches Sterben droht, hält der Untertan sich nicht an dieses oder jenes obrigkeitlich Verordnete.

Die tödliche Pandemie von nationaler Reichweite ist auf einen heftigen Grippesturm geschrumpft – und wenn man Covid-19 nicht ertestet hätte, würde man sich dazu wohl ebenso gelassen verhalten wie zur massiven Grippewelle 2017/18. Doch nach dem Motto „Man muss was tun!“ werden fröhlich eigentlich unveräußerliche Grundrechte eingeschränkt – per ordre de Mutti. 

Wieso sollte ausgerechnet den rechtsstaatstreuen Bürgern einleuchten, dass sie sich an etwas halten sollen, das selbst gegen Recht und Gesetz verstößt? Die in der Verfassung nicht vorgesehene Kungelrunde der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin erledigt mittlerweile, was in die Verantwortung des Bundestags gehört. FDP-Vize Wolfgang Kubicki nennt das „offenen Rechtsbruch“. „Wir haben die schärfsten Grundrechtseingriffe in der Bundesrepublik, und zugleich sind normale Bürger gehandicapt, sie zu rügen“, meint auch der Staatsrechtler Oliver Lepsius. 

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Doch die meisten der „normalen Bürger“ kommen gar nicht auf die Idee, dass es helfen könnte, etwas zu rügen. Sie reagieren nach einem einfachen Muster: Was man nicht einsieht, muss man umgehen. Übersetzt: Wer politische Entscheidungen mit willkürlich gesetzten Werten begründet, wie jener ominösen „Inzidenz“, die sich täglich ändern lässt; wer von den Bürgern fordert, was er selbst nicht einzuhalten in der Lage ist; wer – etwa, was Kontaktverbote betrifft – Unmögliches fordert, um Unmögliches zu erreichen – der riskiert das Vertrauen darin, dass der Staat Maßnahmen verordnet, die auch „geeignet, erforderlich und verhältnismäßig“ sind. 

Die Antiautoritären gehen in den Untergrund. Das ist nicht das neue, das ist das alte Normal. Insbesondere auf dem Land ist das noch heute üblich – man hilft sich selbst und einander, wenn es irgendwo brennt. Irgendeiner kennt immer irgendeinen, der jemanden kennt. Das Prinzip ist bekannt – wenn nicht aus der DDR, dann doch aus der Geschichte. Verbote sind dazu da, umgangen zu werden. Man denke an die Prohibition in den USA: Damals traf man sich zum Saufen in den vielen Speakeasys oder brannte sich den Schnaps gleich selbst. Insofern: Wer weiß, wieviele illegale Friseurparties es mittlerweile in Deutschland gibt! Der Nebeneffekt: Die Umsätze, die eine Friseurin dabei erzielt, gehen am Finanzamt vorbei. 

Dürfen sie womöglich deshalb bald wieder aufmachen, die Friseursalons? 


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Kommentare ( 45 )

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Sonny
3 Jahre her

Habe ich schon mal geschrieben.
Schwarzarbeit ist reine Notwehr.
Ich habe kürzlich ein kleines Filmchen gesehen, in dem eine Friseurin gefragt wurde, was sie macht, wenn der Bußgeldbescheid eintrifft, weil sie sich kurz vor ihrem absoluten Ruin nicht mehr an das Berufsverbot gehalten hat.
Sie sagte:
„Dann lege ich die Rechnung zu dem Riesenstapel anderer, unbezahlter Rechnungen, die ich auch nicht bezahlen kann.“

Ralf Poehling
3 Jahre her

Wunderbar beschrieben, Frau Stephan. Der Vergleich mit der Prohibition sitzt. Wenn der Staat die Schraube zu sehr anzieht, hält sich früher oder später keiner mehr an Gesetze. Und zwar auch an solche Gesetze nicht mehr, die gar nicht verschärft worden sind. Denn die organisierte Kriminalität wird dann zu einer für das vom Staat geknechtete Volk überaus interessanten Alternative. Sie wird so zu einem Staat im Staate, dem das Volk eher geneigt ist zu folgen, als dem Staat selbst. Scharfe Gesetze ergeben für den Staat nur dann überhaupt einen Sinn, wenn er sie auch wirklich durchsetzen kann. Und das ist in… Mehr

Mampfred
3 Jahre her

Wir müssen eben „den Griechen ins uns“ entdecken. Und wenn es uns noch so schwer fällt. „Der Vater Staat“ unserer Vorväter ist nicht mehr. Übrig geblieben ist nur der nimmersatte Moloch und seine Mandarine.

euroduck
3 Jahre her

Tststs. Am Finanzamt vorbei? Sowas macht man aber nicht. Pfui. Wie aber schon richtig angemerkt ist es auf den Land halt anders. Hier besucht der eine Friseur, natürlich im Namen der „Nachbarschaftshilfe“, die Dorfbewohner zu Hause und der andere hat mal, vor Jahren, als Hobby, einen Salon der 50er in seinem Keller gebaut. Dort trifft man auch den Bürgermeister sowie den Ortspolizisten. Klönschnack (norddeutsch für Unterhaltung) gibt es dort und wer mehr davon braucht geht nach dem Haarschnitt ein paar Häuser weiter in den Dorfkrug. Der ist zwar auch geschlossen aber in der Kellerbar sieht es ja keiner. Der Schuhladen… Mehr

Askold Morgenschein
3 Jahre her

Rechtsstaat heißt nur, dass Gesetze für alle gleich gelten. Es hat nichts mit dem Verhalten individueller Bürger zu tun. An blindem Gesetz- und Regelbefolgen gibt es absolut nichts positives. Vor allem müssen Deutsche endlich aufhören, den Staat als Quelle ihrer Existenz und Basis ihres Lebens anzusehen, dem es grundsätzlich zu vertrauen und zu folgen gilt. Familienwerte zum Beispiel sind unendlich viel wichtiger als jegliches Gesetz. Man muss nicht jeden Schwachsinn mitmachen, weil es „Recht und Gesetz“ ist, sondern sollte staatliche Regeln nur dann befolgen, wenn sie a) universell Sinn machen (zB nicht stehlen) und/oder b) das Nichtbefolgen garantiert unmittelbare Konsequenzen… Mehr

Heiner Mueller
3 Jahre her

In Niedersachsen dürfen lt. §9,2 Sitzungen von Vereinen, Parteien, Initiativen und ehrenamtlichen Zusammnschlüssen stattfinden, wenn die Mindestabstände gewahrt bleiben. Wenn es religiöse Versammlungen sind, müssen die Teilnehmer Masken tragen – Viren sind lt. Verordnung für religiöse Menschen besonders gefährlich! (Welch ein Schwachsinn!) Aber: Dann ist eine Familienfeier halt eine ehrenamtliche Sitzung! Oder eine politische Versammlung oder was auch immer!! Lasst euch etwas einfallen!

Andreas aus E.
3 Jahre her

Alles zustimmungsfähig – aber was mich anwidert ist dieses „Techno auf Eis“. Können die nichts mehr ohne Krach und Lärmgewummer?
Da sollte dann tatsächlich der Hubschrauber kommen, besser noch Wasserwerfer, volles Rohr drauf.

Leopold Karl
3 Jahre her

Mir sind Frisöre bekannt, die Gefallen gefunden haben, am Heimfrisieren. DernLaden gekündigt, den Kunden gefällts…..dem Finanzamt eher nicht.

Jasmin
3 Jahre her
Antworten an  Leopold Karl

Richtig! Ich habe mir einen Kleingarten zugelegt. Zaun, Pfosten, Gartengeräte, Einschlaghülsen, Küchenschränke, Mobiliar… Alles per Online geordert. Alles günstiger, und wird geliefert! Katzenfutter und -streu auch! Find ich super! Wird für mich so weiter gehen.
Meine Tattowiererin durfte ich auch regelmäßig besuchen, und meine Fensterputzer haben auch mal auf nen Kaffee vorbei geguckt! ? Subversive Politiker fordern subversive Bürger heraus! Und wenn die Bürger sich endlich klar werden, dass sie die Masse sind, die Gesetze nur gelten, wenn sie sich dran halten, dann können die Politiker und ihre Sturmtruppler einpacken!

horrex
3 Jahre her

Vor Jahren schon prognostizierte ich (im Kreis enger Freunde) was wir erleben: „Beliebigkeit“! Die Beliebigkeit bzw. Nicht-Systematik der Gesetzgebung (angefangen in Brüssel, endend in Kleinkleckersdorf, der mehr möglichen Verfolgung von Übertretungen und letztlich die Beliebigkeit jeglichen Tuns. Hauptsache man lässt sich nicht erwischen. Kurzfassung: Das Chaos, schmeichelnder formuliert, die Erosion der Rechtsstaates von „sinkenden Kopfe her“. – So beginnen – ganz grundsätzlich – Diktaturen. Die Gelegenheit die „Vorlage“ (namens Corona) zum Torschuss ohne Torwart ist sie dabei ins Tor zu legen. – Eine in Sachen Diktatur von Jugend an geschulte Person steht ja schon länger zur Verfügung. Ist vermutlich erpicht darauf… Mehr

H. Priess
3 Jahre her

Ich denke, in diesem Staat ist Schwarzarbeit, darf man das noch so schreiben, die nackte Notwehr. Ich müßte auch dringend zum Friseur hörte aber gerade, daß die 10m² Regel gilt, also pro 10 m² ein Kunde. Das gibt Warteschlangen wie in der DDR also nichts Neues für viele.
Die Aufgabe eines Politikers ist, den Staat arm und die Bürger reich zu machen. Ich glaube, A. Lincoln