Ich will mein Europa zurück

Geeintes Europa? Freie Fahrt in Europa gab es schon in den 70ern. Jetzt ist es ein Kontinent ohne Konturen: Nationalstaaten? Gestrig. Nationale Eigenarten? Rechts. Selbst Frankreich hat seine Lebenskunst gegen Formulare und Pizzaautomaten eingetauscht.

picture-alliance / maxppp | Fabrice ANTERION

Wo war und wo ist der Vorteil des Verzichts auf innereuropäische Grenzen? Auch in den 70er Jahren war es kein Problem, nach Italien oder Großbritannien, nach Spanien oder Frankreich zu fahren. Das bisschen Erleichterung beim Grenzübergang hat eher die ungefilterte Einwanderung begünstigt. Und die Vorstellung, mit dem Fall der Grenzen seien auch die europäischen Nationalstaaten verschwunden, war eine Idee, die wohl ausschließlich in Deutschland begrüßt wurde.

Also verschwindet auch der je unterschiedliche „Nationalcharakter“? Als ich einmal diesen Begriff benutzte, wies mich ein linker Schriftsteller mit schreiender Empörung zurecht: „National“ durfte man nicht sagen, egal in welchem Kontext. Weil das geradewegs zum Nationalismus führe.

Dabei war man anderswo auf die nationalen Eigenarten durchaus stolz – jedenfalls in Italien. In Frankreich. In Großbritannien.

Beim Abschied von Frankreich aber fällt mir auf, dass manches nur noch ein Gerücht ist. Das Frankreich des laissez faire, laissez aller ist vorbei, man hat sich längst dem Diktat der EU-Kommission unterworfen. Die Bürokratie grinst fett. Die Kultur? Frankreich hat Michel Houellebecq, das wollen wir würdigen. Die französische Sprache? Gut, eine andere kennt man im Land ja nicht. Die französische Küche? Tja.

In Deutschland erntet man entrüsteten Unglauben, wenn man behauptet, die Großartigkeit der französischen Küche sei ein Gerücht. Vielleicht gibt es „Haute Cuisine“ in entsprechender Preisklasse noch in Paris, Lyon, Marseille. Aber nicht mehr die rustikale Küche, die man einst am Rande der Route Nationale finden konnte, in einem Routier, einer Fernfahrerkneipe, wo alle an einem Tisch sitzen, Wein und Wasser wird geteilt, und es wird gegessen, genau, was auf den Tisch kommt.

Und gewiss wird im privaten Rahmen gut gespeist, die Märkte bieten ja alles, was man dazu braucht. Wie sehr es alle nach Hause zieht, sieht man mittags um 12 und um 14 Uhr, dann gibt es Stau auf den Straßen. Naja, alles bieten die Märkte auch nicht: Pfirsiche oder Nektarinen sind bereits Anfang Oktober nicht mehr zu bekommen. Wo warst du, Weltmarkt?

Als Tourist wird man selten glücklich. Kneipen im deutschen Sinn oder gar wie ein Pub im Vereinigten Königreich? Fehlanzeige. Und was in einem äußerlich hübschen Bistro so serviert wird, ist das reine Grauen. Etwa die vorgefertigten Burgerplätzchen aus dem Supermarkt, knochentrocken durchgebraten. Durchgebraten auch die Fleischlappen, so dünn wie ein Scheuertuch, die nur verarbeiten kann, wer ein gutes Gebiss hat. Und die Salate! Alle gleich. Ein bisschen grün mit warmem Ziegenkäse oder mit Schinken oder mit Ei und mit einer Vinaigrette, die jeden Feinschmecker schlucken lässt.

Aber da gibt es ja noch etwas, das immer irgendwie passt und manchmal sogar gelingt. In der Provinz siegt die Pizza. Immer lange Schlangen vor dem Pizzawagen, der donnerstags auf dem Marktplatz hält. Unbedingt einen Platz reservieren im Restaurant mit dem Steinofen, in dem eine Pizza nach der nächsten gebacken wird. Und wem dieses Angebot noch nicht reicht: Leute, es gibt Pizza aus dem Automaten!

Da sieht man mal, wie weltläufig Frankreich ist.

Nun, wir glauben ja zu wissen, wer die Franzosen einst zur guten Küche verführt hat: Katharina von Medici hat sie anlässlich ihrer Heirat mit dem späteren Heinrich II im Jahr 1547 an den französischen Hof gebracht. Man kann das bezweifeln. Aber sollte es so gewesen sein: in Hunderten von Jahren geht halt vieles verloren.

Nun, wenigstens gibt es französischen Wein! Oder soll auch daran wieder gemäkelt werden? Klar gibt es Spitzengewächse, wie etwa einen Puligny Montrachet aus dem Burgund, und der hat seinen Preis. Aber jeder gute französische Winzer weiß, wie großartig die deutschen und österreichischen Weine sind, nicht nur in der Spitzenklasse. Es hatte schon etwas sehr Deutsches, der Minderwertigkeitskomplex, der zur Zeit der Regierung Schröder/Fischer dazu führte, dass auch bei formellen Anlässen italienischer Wein serviert wurde.

Und jetzt, endlich, kommt das Positive! Es muss doch etwas Gutes zu sagen geben über Frankreich! Ja, doch, es gibt Ecken, wo man den französischen Nationalcharakter noch spüren kann. Wo? Das wird aus Gründen nicht verraten. Und wer davon noch etwas bewahren will, muss als erstes die Regulierungswut des europäischen Wasserkopfs abstellen. Und als nächstes die nationalen Besonderheiten unter Artenschutz stellen. Deutsche Landgasthöfe. Britische Pubs.

Ein Verbot von Pizzaautomaten dürfte auch dort Applaus finden, wo man von Verboten nichts hält.


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Kommentare ( 42 )

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42 Comments
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taliscas
11 Tage her

Erinnert mich an „Geier Sturzflug“: besuchen sie Europa solange es noch steht. Bald zu spät.

bfwied
11 Tage her

Die Teenager und Twens führen immer die freie Fahrt über die Grenzen an für tolle EU-Erungenschaft. Also, wenn das alles sein soll …!!!! Kennen die eigentlich nicht die Kilometer an bürokratischen Vorschriften, z. B. 10 Seiten Vorschriften für Pizza-Zubereitung!!! Nein, kennen sie nicht, und alles andere auch nicht, aber keine Grenzen mehr für freie Fahrt! Nur können die bald gar nicht mehr fahren, wenn die EU so weitermacht mit der Deindustrialisierung und CO2-Besteuerung! Den Ausweis in der Hand halten, kurz stoppen, dann weiterfahren können, was soll da schlimm sein? Ach ja, wahrscheinlich, wenn man bekifft ist!!!

Deutscher
11 Tage her

„„National“ durfte man nicht sagen, egal in welchem Kontext. Weil das geradewegs zum Nationalismus führe.“ Nationalismus ist kein Problem, Nationalsozialismus allerdings schon. Nationalismus ist die Überzeugung, dass das Prinzip Nationalstaat die stabilste Grundlage für ein funktionierendes Staatswesen, einen soliden Rechtsstaat und eine prosperierende Bevölkerung ist. Das Prinzip ist für alle Nationen gleichermaßen gültig und respektiert alle Nationalstaaten. Ich bezeichne mich selbst als Nationalisten, seit Merkel gesagt hat, dass man Patriot sein dürfe, Nationalist aber nicht. Ich fragte mich, warum sie das sagte. Sie sagte es, weil Patriotismus im Unterschied zu Nationalismus eher unpolitisch ist und daher keine Gefahr für ihre… Mehr

Last edited 11 Tage her by Deutscher
bfwied
11 Tage her
Antworten an  Deutscher

Das lässt sich doch sehr unterschiedlich interpretieren, z. B., dass man primär auf deutsche Interessen achtet. „Deutschl. wird am Hindukush verteidigt“, war von A bis Z strunzdumme Behauptung und lag sicher nicht im Interesse Deutschlands.

Iso
11 Tage her

Mir würde es schon reichen, wenn ich mein Deutschland zurückbekommen würde, weil das nun mal meine einzige Heimat ist, in der ich lebe.

Kassandra
11 Tage her
Antworten an  Iso

Zu spät. Leider.
Nur Ungarn scheint im Zustand von 2015 „eingefroren“ wenn auch wirtschaftlich besser dastehend als zu diesem Zeitpunkt.

Mausi
11 Tage her

Die EU richtet sich am zentralistischen Frankreich aus. Sie treibt diesen Zentralismus auf die Spitze und ist daher auch der Versuch, Weltsozialismus im Kleinen, EU weit aufzubauen.

Dazu gehört nicht Stärkung von Kultur, sondern deren Vernichtung. Einheitsbrei gegen Vielfalt.

Last edited 11 Tage her by Mausi
Deutscher
11 Tage her
Antworten an  Mausi

Richtig! Wenn Europa die EU nicht abschafft, wird die EU Europa abschaffen. Sie hat ihr Ziel schon halb erreicht.

Bronstein
12 Tage her

Bin gerade Frankreich und eigentlich gibt es genug Cafés und Bistrots. Sie sind allerdings häufiger in der Peripherie der Städte als im Zentrum. wo man nicht hinkommt. Die meist angebrannte Holzofenpizza schmeckt mir nicht. Auch die Halbfettmilch ist ziemlich einzigartig und unappetitlich. Frische Vollmilch ist ausgelistet. Die Fruchtjoghurts haben, anders als früher, wo sie nur aus Farbstoff bestanden, wirklich Früchte. Die Entwicklung geht in die andere Richtung als in Deutschland. Es gibt viele Polizeikontrollen, auch das Internet wird besser kontrolliert. Willkürliche Verhaftungen gibt es wohl nicht viele. Auf Landstraßen gilt nur Tempo 80 und ein Blitzer folgt dem nächsten. Die… Mehr

Laurenz
12 Tage her

Das gibt natürlich unschöne Bilder, wenn man Mio. Afrikaner vor der 3-Meilen-Zone Afrikas in Schlauchboten aussetzt. Ich melde mich allerdings freiwillig für den Job. Aber man muß halt wissen, was man will. Das ist in etwa so, wie wenn man den Ukrainekrieg durch Waffenlieferungen verlängern will, aber nicht dort an die Front geht.

Haba Orwell
12 Tage her

> Das bisschen Erleichterung beim Grenzübergang hat eher die ungefilterte Einwanderung begünstigt.

Es reicht, an den Schengen-Aussengrenzen zu filtern wie auch in Sozialämtern, wer alimentiert wird – oder besser gar nicht.

Walter81
12 Tage her

Als die Araber kürzlich mal wieder einen gewaltsamen Aufstand in Frankreich probten, entschied sich MACRON dazu, denen noch mehr Geld zu geben.

So kommt es, wenn abnormale Leute zum König gemacht werden. Früher hatte der König von Frankreich 13 Kinder von drei oder mehr Frauen. Heute ist er kinderlos und mit einer Oma zusammen, die seine Mutter sein könnte.

Zebra
12 Tage her

Zu den 70ern: In den Siebzigern fuhr ich durch Holland, Belgien, Frankreich und England – mit Personalausweis – Grenzkontrollen waren sporadisch – meist wurde man durchgewinkt. Heute brauche ich nach Großbritannien einen Paß. Überhaupt waren die 70er im Vergleich zu heute entspannter bis auf die Ölkrise – war aber nur das Sonntagsfahrverbot. Der Liter Sprit bei 50 Pfennig. Keine CO2-Scheißsteuer dafür aber Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld. Selbst als Student konnte ich mir vieles leisten. In den 50ern war ich noch klein aber die 60er, 70er und 80er haben echt Spaß gemacht … in den 90er ging es noch, wurde aber schon… Mehr

Philokteta
11 Tage her
Antworten an  Zebra

Ganz genau! Auch die D-Mark war begehrt und das Freiheitsgefühl herrlich. Es war jedoch nicht nur ein Gefühl, wir waren tatsächlich frei.