Liberal in Deutschland. Anmerkungen zum kleinsten Übel

Lindner zeigt keine Haltung, sondern sucht nur noch zwanghaft nach Halt irgendwo in der Mitte, während die Liberalität rettungslos versinkt. Das Deutschland, das er schön malt, gibt es nur in seiner Phantasie. Es ist nichts als Selbstbetrug, wenn er verkündet, Freiheit sei „Richtschnur“ seiner Partei.

Die FDP hält an diesem Wochenende ihren Parteitag in Berlin ab. Das Motto ist eine Stilblüte: „Machen wir, was wichtig wird.“ Die Partei mit dem liberalen Label kommt vielleicht wahltaktisch auf einen grünen Zweig. Liberale Politik aber steckt in Deutschland in einem dreifachen Dilemma.

I.

Das erste Dilemma betrifft die FDP selbst. Sie versucht, der links-grünen Ampel-Koalition anzugehören und gleichzeitig gegen sie zu opponieren. Das Unmögliche muss scheitern. Was hat sie in diese paradoxe Lage gebracht? Nach starken Verlusten bei der Bundestagswahl 2017 konnte Angela Merkel ihren Traum von einem schwarz-grünen Bündnis nicht realisieren. Sie war gezwungen, die FDP mit ins Boot zu holen. Aber ihr unstillbares Verlangen, den Grünen, sagen wir es stubenrein: alle Wünsche von den Lippen abzulesen, konnte der FDP nicht entgehen. So machtversessen, sich mit Ämtern den liberalen Geist abkaufen zu lassen, war die Partei Christian Lindners damals nicht. Es fiel bereits nach den Sondierungsgesprächen der Groschen: „Lieber nicht regieren als schlecht regieren.“ Die Jamaica-Koalition scheiterte zwar daran, dass die Sozialistin Merkel mit Liberalismus nichts anzufangen weiß und für ihn nur Verachtung übrig hat, doch Union und Mainstream-Medien schoben die „Schuld“ allein der FDP zu.

II.

Um diesem moralischen Urteil zu entgehen, rauschte die FDP 2021 ins Verderben. Noch einmal wagte sie es nicht, die vielen schönen Posten auszuschlagen. Lieber schlecht regieren als gar nicht. Zumal der Kanzler diesmal Scholz heißt, der praktisch nicht regiert, obwohl er an der Regierung ist. Das Ergebnis ist, dass allein die Grünen die Richtlinien der Politik bestimmen. Erkenntnisgewinn für die FDP: Man kann auch in der Regierung zum Nichtregieren gezwungen werden. Es erfordert allerdings höchste Anstrengungen, diesen Eindruck zu vertuschen. Deshalb spielt die FDP sich als konfliktbereiter Widersacher der Wohlstandszerstörer auf. Das Ergebnis – ein von grüner Ideologie deformierter Zwangsstaat – lässt sie allerdings unglaubwürdig erscheinen.

Die FDP zieht gegen zwei größere, kollektivistische Linksparteien naturgemäß den Kürzeren. Da nützt es nichts, den Heizungsterror als „Atombombe“ für die Gesellschaft zu bezeichnen, beim Abwurf aber mit an Bord zu sein. Wie auch beim Kardinalfehler, dem Ausstieg aus der Kernkraft. Finanzminister Lindner hat nun im doppelten Sinn die Zeche zu zahlen: für den Niedergang der Berliner Republik wie für den Niedergang des Liberalismus in seiner Partei. Die FDP fürchtet zu recht ein Ende der Koalition. Wieder würde allein ihr die Schuld am Scheitern zugeschoben werden. Die Selbstachtung der FDP konkurriert gegen den Selbsterhaltungstrieb – und unterliegt. Die Behauptung der FDP, das Schlimmste zu verhindern, ist nichts wert, wenn sie das Schlimmste nicht verhindern kann. Sie könnte es nur, wenn den grünen Radikalen freie Radikale Paroli bieten würden. Dann befände sich Scholz im Dilemma.

III.

Die als einzige die Freiheit im Namen führende Partei ist kein Hort der Freiheitsliebe. Erstens, weil es eine stinknormale Partei ist. Das ist keine Überraschung. Parteien sind generell keine Organisationen voller Freiheitsliebe. Sie lieben Ämter und Privilegien; das verstehen sie vor allem unter dem „Möglichkeitsraum der Macht“. Es bleibt ein Möglichkeits-Traum. Doch gerade eine liberale Partei sollte an der Spitze derer stehen, die die deformierte Demokratie erneuern und vitalisieren wollen. Das zweite Dilemma betrifft deshalb die Sympathisanten und Wähler der FDP. Sie spüren es sehr wohl. Was hätte ein liberaler oder gar libertärer Bürger für eine Alternative?

Sicher keine Alternative für Deutschland. Dieser Parteiname bekommt einen doppelten Sinn: Freiheitsliebende Bürger, die es hier nicht mehr aushalten und es sich leisten können, sehen sich im Ausland um nach einer Alternative für Deutschland. Bei der Wahl bieten sich auch die Unionsparteien nicht ernsthaft als Alternative an, die schon lange nicht mehr wissen, wie liberal überhaupt geschrieben wird. Also doch mit geschlossenen Augen das kleinste Übel wählen? Auch als kleinstes Übel ist die FDP noch zu groß. Im Grunde besitzt die liberale Weltanschauung in Deutschland keinen parlamentarischen Arm mehr. Das ist das dritte Dilemma – oder besser: eine Katastrophe.

IV.

Von den herrschenden Ideologen des woken Staatsdirigismus wird liberales, also individualistisches Denken als egoistisch und neoliberal verunglimpft. Das Liberale hatte es in Deutschland anders als in der angelsächsischen Welt von jeher schwer, aber unter demokratischen Vorzeichen noch nie so schwer wie heute. Woran das liegt, ist auch aus Christian Lindners Parteitagsrede herauszuhören. Er hat gerade erklärt: „Es ist nur der Staat, der begründen kann, wenn er in die Freiheit der Bürger eingreift.“ Wie wahr. Zur Zeit macht der Staat mit Lindners Zustimmung allerdings nichts anderes. Der unumstrittene FDP-Anführer zeigt keine Haltung, sondern sucht nur noch zwanghaft nach Halt irgendwo in der Mitte, während die Liberalität rettungslos versinkt. Das Deutschland, das er schön malt, gibt es nur noch in seiner Phantasie. Es ist nichts als Selbstbetrug, wenn er verkündet, Freiheit sei „Richtschnur“ seiner Partei.


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Kommentare ( 111 )

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RMPetersen
11 Monate her

Die FDP glaubt nicht mehr an den für sich selbst verantwortlichen Menschen, sondern an den bevormundenden Staat.
Und viele Menschen sin derartig verängstigt (worden), mit Terrorismuspanik, Klimapanik, Virenpanik etc., daß sie Schutz von oben erwarten. Da es keinen GOtt für sie mehr gibt, ist das der Obrigkeits-Staat.

Monostatos
11 Monate her

Dieser Satz ist grundfalsch: „Im Grunde besitzt die liberale Weltanschauung in Deutschland keinen parlamentarischen Arm mehr.“
Niemand ist so blind wie jemand, der partout nicht sehen will: Natürlich gibt es diese Partei, sofern man sich nicht selbst das Tabu auferlegt, diese zu erwähnen. Genau diese Ausschließeritis dient den linksextremen Demokratieverächtern, welche vorgeben, wie gedacht werden darf.

Deutscher
11 Monate her

„Also doch mit geschlossenen Augen das kleinste Übel wählen? Auch als kleinstes Übel ist die FDP noch zu groß.“

Es gibt eine Alternative zu allen Übeln, den großen wie den kleinen. Ihr einziges Handycap ist die Verzagtheit derer, die Verbesserung ohne Veränderung wollen und die Feigheit derer, die sich zu zu ihren eigenen Überzeugungen nicht politisch bekennen, aus Angst um ihre weiße Weste.

Last edited 11 Monate her by Deutscher
Mindreloaded
11 Monate her

Also man soll keine AfD wählen, die Union auch nicht. Die FDP vertritt auch nicht mehr den Liberalismus. Aber was soll man dann wählen? Grüne oder SPD, die unseren Wohlstand gerade vernichten und uns in der Welt zur Lachnummer degradieren? Sorry Herr Herles, die Zeiten für politische „Abgrenzungen“ sind vorbei, wenn uns dieses Land nicht bald um die Ohren fliegen soll. Es hilft nur ein Bündnis aus Union, FDP und AfD, die mit Verstand und nicht ideologiegetrieben diesen Wahnsinn zu stoppen. Ansonsten braucht das Volk diese Politkasperl nicht mehr! …vielleicht einen König oder Kaiser, ich stelle mich mal zur Verfügung… Mehr

Fritz Goergen
11 Monate her
Antworten an  Mindreloaded

Glauben Sie ernsthaft, die AfD könnte in einer Koalition mit CDSU und FDP aus diesen beiden etwas anderes machen, als die zwei sind – grünschwarz und grüngelb?

Mindreloaded
11 Monate her
Antworten an  Fritz Goergen

Morgen Herr Goergen, den grünen Anstrich haben diese beiden Parteien doch nur weil es dem Zeitgeist entspricht und nicht aus tiefster Überzeugung. Sollte dieses Konstrukt allerdings tatsächlich so im grünen Sinne weiterregieren dann lautet mein Kommentar: „Rette sich wer kann!“

Lotus
11 Monate her
Antworten an  Fritz Goergen

Wer die AfD nicht will, dem bleibt nur Auswanderung oder Resignation. Das ist leider so, dafür haben die Blockparteien gesorgt.

Zur Koalitionsfrage, die momentan eh rein hypothetisch ist: Für Union/FDP/AfD müssten sich Union und FDP deutlich bewegen. Nicht nach rechts, wie das Narrativ lautet, sondern zunächst mal wieder Richtung Mitte. Und ja, dann wäre eine andere, vernunftorientierte Politik natürlich möglich. Union und FDP sind doch deshalb so grün unterwegs, weil es ihnen derzeit die einzige Machtoption eröffnet. Opportunismus statt Überzeugung.

Deutscher
11 Monate her
Antworten an  Lotus

So lange man nicht begreift, dass an „Rechts“ nichts Verwerfliches ist, sondern sich weiterhin von linksgrünen Hetzern und ihren konditionierten Nachplapperern beeindrucken und einschüchtern lässt, wird sich sowieso gar nichts bewegen.

Wenzel Dashington
11 Monate her
Antworten an  Fritz Goergen

Herr Georgen, wenn sie keine klare Stellung beziehen, konterkarieren sie ihre eigene Arbeit und bleiben in einer Sackgasse stecken. Beide Parteien CDU/FDP sind Opportunisten vor dem Herrn und würden schneller mit einer starken AfD koalieren, als man glaubt.

Deutscher
11 Monate her
Antworten an  Fritz Goergen

Herr Georgen, in Zeiten, da alle realistischen Regierungsoptionen nichts taugen, kann man nur die Opposition stärken. Die Opposition ist derzeit allein die AfD. Entweder man nimmt die Lage an, wie sie ist oder man wartet weiterhin darauf, dass man eine Wunschpartei auf den Leib geschneidert bekommt.

hansgunther
11 Monate her
Antworten an  Fritz Goergen

Ja wenn die alternativen Medien mal vom hohen Ross absteigen würden und die „Alternative“ auch als Alternative benennen würden, statt permanent über die „gelbe Gefahr -FDP“ zu schwadronieren. Vergebene Liebesmühe, Verrat allenthalben vom Rest der Blockparteien ganz zu schweigen!
Stellen Sie doch einfach mal das Programm der AfD vor und wägen Sie ab wo die Unterschiede zu den „Blockflöten“ für den Bürger erkennbaren Mehrgewinn bringen könnten.
Eine offene Diskussion wäre sehr erwünscht, ohne parteipolitische Scheuklappen!

ilmstromer
11 Monate her

Es war immer schon das Dilemma: Liberale Grundsätze und Marktwirtschaft sind für den einzelnen Freiberufler und Handwerker schlecht, für die ganze Gesellschaft gut. 1807 und 1871 haben Junker die Marktwirtschaft eingeführt, weil es gerade Mainstream war, nur 1949 war es ein bürgerlicher Politiker, der auch nicht in der FDP war. Man muß die langen Linien sehen.

Gunter Zimmermann
11 Monate her

Die Politik und die Lage der FDP sind wiederum gut beschrieben. Was mich ber die Maßen stört, ist die stets unreflektierte und starrsinnige Ablehnung der AfD. de im Unterschied zur FDP allein unter den deutschen Partei die Gedanken von Liberalität und Freiheit hochhält. Es müsste doch inzwischen auch dem Begriffsstutzigsten in Deutschland klar geworden wein, dass eine bürgerlich-liberale Politik ohne die AfD nicht zu haben ist.

Bea McL
11 Monate her

Ich glaube mittlerweile, dass es vollkommen egal gewesen wäre was gewählt wurde und wer letztendlich regiert. Es wäre in jedem Fall so gekomnen, wie es gekommen ist. Diese ganze Scheiße ist exakt so geplant gewesen und wird durchgezogen bis die EU (final Europa) gleichgestellt oder pleite ist. Das war Merkels Plan und sie hat dies ja auch offen kundgetan. Alle gleich wohlhabend machen geht nicht, alle gleich arm machen geht! Aus dieser Nummer kommen wir nicht mehr raus. Zusätzlich werden wir noch durchmischt, ausgenommen und attackiert von Menschen, die hier her gehören, wie der Eisbär nach Spanien. Das sozialmarktwirtschaftliche Spiel… Mehr

Farbauti
11 Monate her

Darf ich jetzt schlußfolgern, das Herr Herles in Zukunft zu den Nichtwählern gehört?

Axel Fachtan
11 Monate her

Hermann Ploppa Die Macher hinter den Kulissen Wie transatlantische Netzwerke heimlich die Demokratie unterwandern. (4. Auflage 2015) S.14 „Der Knoten für marktradikale Privatisierer und USA-Lobbyisten platzte erst so richtig mit dem Fall der Mauer. Durch die Privatisierungsgewinne aus der Abwicklung der DDR entstand eine neue Kaste von Glücksrittern. Die Verspeisung des ‚DDR-Volksvermögens machte Lust auf mehr: nämlich auf das Volksvermögen der gesamten Bundesrepublik.“ Mit Ukrainekrieg, Nordstreamsprengung, Energiewende und Inflation Reduction Act ist jetzt Zahltag für Deutschland. Wie verhindert die FDP diesen Zahltag ? Wann und wie klären deren Abgeordnete die Nordstreamsprengung auf ? Wer wird wann kassenwirksam für die Schäden… Mehr

Freigeistiger
11 Monate her

Jede Partei, die sich dem falschen Paradigma vom menschengemachten Klimawandel und der angeblichen Schädlichkeit von CO2 unterwirft, wird zwangsläufig zum Totengräber bürgerlicher und unternehmerischer Freiheit, weil letztlich nur ein autoritärer Zwangsstaat das vermeintliche Klima-Problem lösen kann. Freiheit wird dann zur Einsicht in die Notwendigkeit im Sinne von Hegel und Engels, sie wird auf selbstgewählte bzw. staalich verordnete und durchgesetzte Unfreiheit reduziert. Die einzige etablierte Partei, die sich dem verhängnisvollen Klima-Narrativ widersetzt, ist die AfD und deswegen ist sie die Alternative für freiheitsliebende Bürger. Hinzu kommt, daß diese Partei eine Massenzuwanderung beenden will, die den Sozialstaat, den inneren Frieden, den Wohnungsmarkt… Mehr