Spanien droht das politische Chaos

Der versuchte Mordanschlag auf den Vox-Politiker Alejo Vidal-Quadras, eine linke Regierungsbildung um den Preis des Auseinananderbrechens des Zentralstaates sowie Massenproteste demonstrieren die tiefsitzende Krise Spaniens. Von Thomas Punzmann

IMAGO / ABACAPRESS

Die Wahl im Juli hat Spanien in eine Lage gebracht, die eigentlich nicht lösbar ist. Die konservative Partei errang zwar am meisten Sitze, verfügt jedoch über keine Mehrheit im Parlament. Sozialisten und Kommunisten scheinen jetzt eine Vereinbarung mit jeweils zwei – unterschiedlich radikalen und untereinander verfeindeten – linken Unabhängigkeitsparteien aus Katalonien und dem Baskenland getroffen zu haben, die ihnen zunächst die Wahl von Pedro Sánchez zum Ministerpräsidenten und später eine Minderheitsregierung ermöglichen sollen.

Die baskische EH Bildu, laut Miguel Folguera vom Verband der Opfer des Terrorismus (AVT) (Bericht von TeleMadrid), der politische Arm der Terrororganisation ETA, wird von Arnaldo Otegi geleitet. Otegi war wegen der Entführung des baskischen Unternehmers Luis Abaitua zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Jüngst wurde er von früheren ETA-Kampfgefährten beschuldigt, weitere Entführungen geplant und durchgeführt zu haben.

EH Bildu hat schon in der letzten Legislaturperiode die jetzt noch geschäftsführende sozialistisch-kommunistische Regierung unterstützt und dafür weitgehende Zugeständnisse bekommen.

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Spanien: Unwürdiges Geschacher um die Macht
Ein weiteres, vielleicht noch größeres Problem scheinen aber die Verhandlungen mit der katalanischen JUNTS zu sein. Sie fordert eigentlich mit der „Amnestie“ und der Anerkennung Kataloniens als eigenständigen Staat (ebenso wie die baskischen Parteien) nichts anderes als die Abschaffung des spanischen Staates in seiner jetzigen Form. Die Führer von verschiedenen Separatistenparteien Kataloniens, die das Ziel der Unabhängigkeit Kataloniens verfolgten, waren nach einem vom Obersten Gericht Spaniens als illegal eingestuften Referendums über die Unabhängigkeit zum Teil zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden.

Carles Puigdemont, der ehemalige Führer von JUNTS PEL SI, war vorher nach Belgien geflohen, um einer Verurteilung zu entgehen. Als Abgeordneter des Europaparlaments genoss er Immunität, die das EU-Parlament aber aufhob. Vor wenigen Wochen entschied der EUGH endgültig, dass diese Aufhebung rechtens war und die spanische Zeitung El País berichtete, dass die Staatsanwaltschaft einen neuen Haftbefehl beim Richter des obersten spanischen Gerichtes, Pablo Llarena, beantragen würde. 2022 wurde dann aus den vielen einzelnen nach der Unabhängigkeit strebenden Parteien das Bündnis JUNTS gegründet.

Die Personalie Puigdemont ist aus vielen Gründen heikel. Dass er und die Seinen jetzt aktiv, und nicht nur passiv durch Stimmenthaltung, die sozialistisch-kommunistische Regierung unterstützen müssen, erhöht den Preis, der dafür von PSOE und SUMAR zu bezahlen sein wird, deutlich.

Der Kampf der Mehrheit der spanischen Gesellschaft gegen die „Amnestie“ und die Gewährung der Unabhängigkeit des Baskenlandes und Kataloniens von Spanien, die von vielen Beobachtern, selbst aus der sozialistischen PSOE, als Selbstauflösung des spanischen Staates gesehen wird, wird an unterschiedlichen Fronten geführt. Der CGPJ (Consejo General del Poder Judicial) erklärte eine geplante „Amnestie“ kürzlich für nicht rechtmäßig. Auch die EU fordert jetzt, sehr spät, Aufklärung über diese geplanten Gesetze. Denn für die EU könnte aus der Auflösung des spanischen Staates ein Problem entstehen, das bisherige Krisen als harmlos erscheinen lässt.

Möglich wurde diese Situation im Parlament durch immer weitreichendere Privilegien für kleine, nationalistische Parteien, die mit vergleichsweise wenigen Wählerstimmen viele Sitze und damit unverhältnismäßigen Einfluss besitzen. Jetzt, wie in der Vergangenheit, setzen diese kleinen, nationalistischen Parteien diese Macht rücksichtslos zum Erreichen ihrer Ziele ein.

Gleichzeitig gibt es in Madrid seit Tagen Kundgebungen und Demonstrationen mit mehr als 100.000 Teilnehmern gegen die geplante „Amnestie“ und die neue mögliche Minderheitsregierung aus Sozialisten und Kommunisten durch Tolerierung von Parteien, die in ihren Reihen verurteilte beziehungsweise vor der Justiz geflohene Straftäter dulden.

Bei diesen Demonstrationen kam es verschiedentlich zu gewalttätigen Ausschreitungen. Die linke Seite macht dafür „rechte Gewalttäter und Neonazis“ verantwortlich und sagt, dass Gewalt und Aufrufe zur Gewalt nicht geduldet werden könnten. Bei Pro-Palästina-Demonstrationen der letzten Zeit sah man das auf linker Seite jedoch nicht so streng. Hier durften die übelsten Aufrufe zur Vernichtung Israels und aller Juden ungehindert und ohne irgendwelche Folgen für die meist linken Täter geschrien werden.

Die Präsidentin des Landes Madrid, Isabel Díaz Ayuso, verurteilte die Gewalt bei den Demonstrationen und verlangt, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Sie verweist aber zu Recht auf historische Parallelen, bei denen sozialistische Diktaturen durch die Hintertür errichtet wurden. Unbegründet ist diese Angst nicht. Die Aussetzung des Rechts – denn die „Amnestie“ für rechtskräftig verurteilte Straftäter wird als der zu zahlende Preis für die Zustimmung zur Wahl des Sozialisten Sánchez als Ministerpräsidenten gesehen – könnte der erste Schritt zu dieser Entwicklung sein.

Das Attentat am 9. November auf den früheren Präsidenten der PP und Gründer von VOX, Alejo Vidal-Quadras, zeigt jedoch, dass das tatsächliche Gewaltproblem, wie schon früher von ETA und GRAPO (Grupos de Resistencia Antifascista Primero de Octubre), die für zahlreiche Morde, Bombenanschläge und Terrorakte verantwortlich waren, ein in der jüngeren spanischen Geschichte hauptsächlich dem linken Spektrum zuzuordnendes Phänomen ist. Man kann nur hoffen, dass dieser Terrorakt nicht der Auftakt zu einer neuen Gewaltspirale ist. Die Tatsache, dass Sozialisten und Kommunisten zu allem bereit sind, um an der Macht zu bleiben, gibt allerdings zu wenig Hoffnung Anlass.

Ein weiteres Problem Spaniens ist aber auch die massenhafte illegale Einwanderung aus hauptsächlich islamischen Ländern. Anders als in Deutschland gibt es in Spanien ein weit zurückreichendes Geschichtsbewusstsein. Die endgültige Befreiung des Landes von der islamischen Zwangsherrschaft, die Reconquista, vor etwas mehr als 500 Jahren, ist noch lebhaft im kollektiven spanischen Gedächtnis verankert. Auch deshalb riefen die Demonstranten der letzten Tage: Spanien ist christlich.


Thomas Punzmann ist Galerist in Frankfurt am Main.

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Kommentare ( 21 )

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BeVo
5 Monate her

Ich denke, dass es ein Ziel von dem Klaus-Verrückter-Schwab und den im Ungeiste Seinen ist, dass überall politisches Chaos geschaffen werde und geschaffen wird. Die nächste Stufe ist Bürgerkrieg in jedem der EU-Länder; bei Spanien ist der offensichtlich heute ausgebrochen.
In dem gesamten Chaos wird dann der große Schwabsche und fianzielle Umbruch ausgerufen, weltweit.
Das ganze Neo-Umbruch-grottenschlecht-inszenierte-„Theater“ erinnert mich an das Chaos in der DDR seit 1989.

Metric
5 Monate her

Und was findet der Autor jetzt so schlecht am baskischen und katalanischen Separatismus? Warum ist der jetzt schlechter als bspw. der slowenische oder ukrainische in den 90ern?

chris
5 Monate her
Antworten an  Metric

die Frage ist meiner Meinung nach die, in wieweit diese separatistischen Bestrebungen eine erhebliche Mehrheit der betroffenen Benschen repräsentieren und (wichtig!) darüber hinaus die Grundrechte der verbleibenden Minderheiten nicht in Frage stellen. Wenn ich z.b. richtig informiert bin, dann stellt die russischsprachige und russisch orientierte Bevölkerung in der Ostukraine eine sehr deutlich Mehrheit dar, die zudem durch die ukrainische Zentralregierung in der Ausübung ihrer Grundrechte (eigene Sprache) bedroht war. In so einem Fall ist die Abspaltung m.E. vollkommen legitim. Wenn aber eine Gruppe durchgeknallter Fanatiker die Macht über einen Landesteil usurpieren will und die ansässige Bevölkerung, soweit sie nicht mit… Mehr

Last edited 5 Monate her by chris
Ralf Poehling
5 Monate her

Extrem schwierige Lage. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, wie kritisch Anschläge auf politische Personen von Rang und Namen sind, weil sie in verfahrenen bzw. politisch stark verhärteten Situationen zu einer derart massiven Radikalisierung führen können, dass ein politischer Disput in einen direkten Bürgerkrieg ausarten kann. Das darf hier keinesfalls passieren. Insofern ist der Anschlag auf den Vox Chef eine Zäsur, die hoffentlich nicht etwas auslöst, was wir gerade wegen der angespannten Lage beim Thema Zuwanderung nicht auch noch extra bewältigen müssen. Da muss eigentlich die Sicherheit so hochgefahren werden, dass Attentate auf Politiker unmöglich werden. Und zwar egal auf… Mehr

H.Arno
5 Monate her

Die Wähler Spaniens haben das gleiche Problem, wie die deutschen Wähler! Sie sehen die Folgen der verheerenden Linken Politik, indem ihr Land von der Islamischen Massen-Invasion aus Afrika überrollt – wird, was die Linke Regierung in ihrem Hass gegem die Katholische Kirche klammheimlich erfreut! Sie erleben auch die persönliche Entrechtung durch die Linke Macht-Drangsalierung und lassen es geschehen. Der Gipfel war zuletzt der Terror mit Corona-Zwängen, die nur der Linken staatlichen Unterdrückung und Entrechtung dienten! Doch die Wähler wollen die entrechtenden Folgen der Linken Politik nicht erken-nen – und ermöglichen durch ihre erneute Wahl der Linken Drangsalierer – ihre weitere… Mehr

Johann Thiel
5 Monate her

In Europa ist es egal ob man Lupe oder Fernglas benutzt, sieht man hindurch, ist überall nur das Gleiche zu sehen – Sozialismus. Mit den Spaniern ist genauso wenig anzufangen wie mit nahezu allen anderen Europäern auch. Bei Namen wie Frankreich, Italien, Griechenland, Niederlande, Schweden, Belgien etc. fallen einem längst nicht mehr landestypische Eigenschaften ein, sondern als erstes, die Art der Missstände die dort herrschen. Fast wie ein Wettbewerb bei dem die Teilnehmer derart engagiert sind, das es kaum möglich ist zu sagen, wer gerade vorne liegt. Vielleicht weil das neue Sozialisten-Motto „absaufen ohne unterzugehen“ heißt, oder umgekehrt – man… Mehr

StefanB
5 Monate her

Spanien könnte jetzt das Experiment machen, keine Regierung zu haben. Schlechter wirds damit garantiert nicht. Die Verwaltung kann ja trotzdem regulär ihres Amtes walten.

Rob Roy
5 Monate her
Antworten an  StefanB

Nach der Bundestagswahl 2017 hatten wir sechs Monate keine Regierung, weil sich CDU und SPD nicht einigen konnten.
Tatsächlich hat sich in der Zeit die Erde weitergedreht, sogar in Deutschland lief wegen der (damals noch) funktionierenden Bürokratie alles weiter, ohne, dass allzu viel Schaden angerichtet wurde.

hoho
5 Monate her

Und wieso ist Unabhängigkeit oder mehr Autonomie eine schlimme Sache?
Das Problem ist politische Gewalt und Unterdrückung der anderen. Wieso müssen die Leute die damals Referendum organisierten im Knast? Wieso sind die Linken dermaßen verblendet und wollen die Grenzen offen halten?

Edwin
5 Monate her
Antworten an  hoho

Sollen sie doch die Katalanen und Basken in die Unabhängigkeit entlassen, wenn es dort so die Mehrheit will (Voraussetzung hierfür wären von der EU oder sonstigen neutralen Dritten überwachte Referenden – das vorherige Referendum war in keinster Weise legal, weil die spanische Zentralregierung die Wahllokale besetzt hielt und die Katalanen sicherlich die Wahl ebenfalls zu ihren Gunsten beeinflusst haben).

Auch nach Entlassung in die Unabhängigkeit wird sich dort sehr schnell Nüchternheit und ein wirtschaftlicher Pragmatismus einstellen, was letztlich bedeutet, dass die Katalanen und Basken mit den anderen Spaniern zusammenleben und sich zusammenraufen müssen.

Monika
5 Monate her

Spanien hat immer noch dieselben Probleme wie vor 100 Jahren. Zitat Wikipedia zum Spanischen Bürgerkrieg: „Ursachen für den Ausbruch des Krieges sind in den extremen sozialpolitischen und kulturellen Verwerfungen in der spanischen Gesellschaft sowie in regionalen Autonomiebestrebungen zu finden, etwa im Baskenland und in Katalonien.“ Irgendwie scheint es mir, daß Grundprobleme durch Demokratie und Wohlstand vielleicht eine Weile unterdrückt werden können. Sie schwelen aber immer weiter und brechen wieder auf. Ob es dafür eine Lösung gibt, wage ich zu bezweifeln. Größere Einheiten mit Zentralismus sind aber offenbar nicht wirklich hilfreich und von Dauer. Die EU hat somit ein Ablaufdatum schon eingebaut, nur wann… Mehr

Roland Mueller
5 Monate her

Erneute Weimarer Verhältnisse nicht nur in Deutschland, sondern auch in Spanien. So langsam beschleicht mich der Gedanke, dass es nicht mehr schlechter werden kann. Dagegen steht allerdings die Erkenntnis, dass man immer noch ein bisschen tiefer sinken kann, wenn man glaubt, dass man auf dem Grund angelangt ist.

Robert Tiel
5 Monate her

Sehr gute Hintergrundsinformationen.
Aber was ist eigentlich passiert?