Wieso alle Parteien links sind – und Sie ein Rechter

Warum die CDU nach links gerückt ist und sich mit der SPD, den Grünen und den linken Linken dort drängelt - lesen Sie die spieltheoretische Analyse vom Eiswagen. Sie wissen jetzt auch, warum Sie plötzlich ein Rechter sind.

Es gibt ein sehr altes spieltheoretisches Modell von zwei Eisverkäufern am Strand, das Vieles aus der derzeitigen politischen Landschaft erklärt. Stellen Sie sich dazu einen langen, sonnigen Strand vor, auf dem sich zahlreiche Menschen tummeln.

Betrachtungen aus der Mitte des Lebens

Sie sitzen auf einer Bank an der Strandpromenade, etwa in der Mitte des Strandes, und sehen sich das Schauspiel von oben an. Bei genauerer Betrachtung bemerken Sie zwei Eiswagen, einen auf der linken Seite des Strandes und einen auf der rechten. Offenbar teilen sich die beiden den Strand auf und jeder bedient eine Hälfte. Da jeder Strandbesucher möglichst zu dem ihm naheliegendsten Eisverkäufer geht, machen auch beide etwa den gleichen Umsatz, wie Sie an den gleichlangen Schlangen vor den beiden Ständen unschwer erkennen können. Das erscheint auch irgendwie logisch.

An den nächsten Tagen kommen Sie wieder zu Ihrer Lieblingsbank auf der Strandpromenade und sehen sich immer wieder das Schauspiel an. Nach ein paar Tagen bemerken Sie etwas Seltsames: Die Schlange am rechten Eiswagen scheint dauerhaft länger zu sein als bei seinem Konkurrenten auf der linken Strandseite. Es kommen offensichtlich mehr Kunden zu ihm als zu dem anderen. Woran liegt das? Verkauft er auf einmal besseres Eis?

Der Eiswagen ist links

Sie sehen sich die Sache genauer an. Das Eis ist das gleiche wie an den Tagen zuvor. Aber Sie entdecken Spuren im Sand und bemerken, dass sich etwas anderes geändert hat: Der rechte Eisverkäufer hat seinen Eiswagen jeden Tag fast unmerklich ein bisschen weiter nach links geschoben. Damit wildert er sozusagen im Gebiet des anderen. Denn die Besucher ganz rechts auf dem Strand gehen nicht weiter als bis zu ihm, aber er hat nun ein wenig das Einzugsgebiet des linken Eisverkäufers verkleinert und sich etwas von dessen Kuchen abgeschnitten.

Das geht einige Zeit gut, aber irgendwann merkt natürlich auch der linke Verkäufer, was gespielt wird. Seine Gegenmaßnahme ist einfach: Er rückt nach rechts. Dann sind die Dämme gebrochen, und der rechte rückt noch weiter nach links, der linke noch weiter nach rechts – und ehe Sie sich versehen, stehen beide in der Mitte, nur noch durch wenige Anstands-Schritte voneinander getrennt. Die beiden Verkäufer haben sich in der Mitte des Strandes angenähert und stehen nun etwa dort, wo Sie auch auf Ihrer Bank sitzen.

Das ärgert natürlich die Strandbesucher. Denn die müssen ja jetzt im Durchschnitt weiter gehen, bis sie ein Eis bekommen. Einige sind dadurch ein wenig eisverdrossen und kaufen eben keines mehr. Die Eisverkäufer stört das freilich nicht sehr, denn die Kunden haben ja keine andere Wahl. Entweder sie müssen sich ein wenig strecken oder bekommen eben kein Eis.

Aber eines Tages passiert, was passieren muss, und ein neuer Eisverkäufer schiebt seinen knallgrünen Wagen in den nun freigewordenen Raum auf der linken Seite des Strandes. Das ärgert den linken Eisverkäufer jetzt doch sehr und er zetert laut über die mangelnde Qualität des neuen Eisverkäufers, schickt ihm gelegentlich die Gewerbeaufsicht auf den Hals, aber es hilft nichts. Die Kunden ganz links gehen trotzdem zu dem Neuen und bleiben dort, selbst als der Alte seinen Eiswagen wieder weiter nach links rückt.

Der Trick mit den Klippen des Todes

Der ehemals rechte Eisverkäufer bemerkt natürlich den freigewordenen Raum links von sich und überlegt, ein wenig nachzurücken. Die Versuchung ist groß, aber er sieht das Problem, dass sich ja dann erst recht auch rechts von ihm ein neuer Anbieter ansiedeln könnte. Was tun?

Zum Glück fällt ihm ein, dass vor ein paar Jahren mal eine Gruppe Kinder auf der rechten Seite des Strandes beim Picknicken von den dortigen Klippen gefallen und ertrunken ist, weil man damals in den Schulen noch nicht schwimmen gelernt hatte. Außerdem sitzt sein Cousin im Gewerbeamt. Daher fällt es nicht schwer, bei der Stadt durchzusetzen, dass rechts am Strand kein Eis mehr verkauft werden darf. „Vorsicht! Gefährliche Klippen! Lebensgefahr! Eisverkaufen verboten!“ steht da jetzt dick auf einem Schild. Und um der Sache Nachdruck zu verleihen, verbreiten die alten Eisverkäufer immer wieder Nachrichten von Ungeziefer dort rechts. Manche Kunden meinen, den Anflug eines Grinsens auf dem Gesicht des rechten Eisverkäufers bemerkt zu haben, als er in den Tagen danach seinen Wagen immer weiter nach links schob, während ihm die linken Eisverkäufer halfen, den Raum rechts von sich konkurrenzfrei zu halten. Seitdem stehen alle drei etablierten Verkäufer links eng nebeneinander, und der rechte feixt, weil er den meisten freien Raum neben sich hat.

Dann und wann kommt mal jemand mit einem Bauchladen und versucht Eis im gesperrten Gebiet zu verkaufen, aber meist wird er gleich mit einer Geldstrafe belegt. Die Strandbesucher bekommen auch Angst vor diesem steinigen Gebiet und meiden es zunehmend, zumal man dort kein Eis bekommt, was an einem langen Strandtag ärgerlich sein kann. Es entsteht eine Art Niemandsland mit wilder FKK-Zone, die alle möglichen seltsamen Gestalten anzieht.

„Faulpelze, Kriminelle und Eisverdrossene“, so hört man die Eisverkäufer im linken Strandteil verbreiten, die ihre Position jetzt als die Mitte bezeichnen. Und die Leute dort rechts, im steinigen Gebiet, sind tatsächlich anders als die links: Sie haben mehr Macken, Mut und Muskeln, denn nur die trauen sich in das Gebiet, in dem man von den Klippen fallen kann und in dem es das gefährliche Ungeziefer gibt. Es ist die Art von Personen, die ein neues Land besiedeln und Wüsten bewohnbar machen.

Und siehe da: Plötzlich sind Sie rechts von der Mitte!

Sie beginnen zu fragen, wieso man dort kein Eis kaufen darf, wo doch die Sache mit dem Picknick wohl eher ein einmaliger Unfall vor vielen Jahren war. Und sie beginnen zu fragen, wieso dort links dieses Verbot nicht gilt, wo doch auch dort zahlreiche Menschen von gefährlichen Strömungen mitgerissen wurden und ertrunken sind (woran dummerweise der linke Eisverkäufer nicht rechtzeitig gedacht hatte, als sich der ehemals neue Eisstand links neben ihm etablierte; er hatte es zwar später noch hochgebracht, als nach einiger Zeit sogar noch ein zweiter Neuling links auftauchte, aber da war es zu spät). Und der Leiter des Gewerbeamts reagiert immer gleich: Es vergrößert die gesperrte Zone lieber noch ein bisschen, denn irgendein Unfall auf den Klippen, das will er einfach nicht riskieren, wie er immer wieder kundtut.

So sitzen Sie nun auf Ihrer Bank und sehen zu, wie sich am Strand alle Eisverkäufer links drängeln, während rechts alles frei ist. Die Position Ihrer Bank ist natürlich immer noch in der Mitte des Strandes, aber auf einmal sitzen sie rechts von fast allen Strandbesuchern, obwohl sich Ihre Position nicht verändert hat. Und Sie wundern sich, wieso es in dieser Strandmitte so gefährlich sein soll, wo noch vor kurzem der Eisverkäufer der rechten Strandseite genau dort mit seinem ehemals schwarzen  Wagen Eis an vergnügte Kinder und fröhliche Urlauber verkauft hat.

Seltsam bleibt es. Aber wenigstens wissen wir jetzt, wieso es so ist. Aber denken Sie leise darüber nach. Denn Ihre Bank ist nicht mehr in der Mitte. Sie sind jetzt ein gefährlicher Rechter.

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Kommentare ( 1 )

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Gastbeitrag – Quo vadis AfD? (1) - konflikt
3 Jahre her

[…] In der Frage des Radikalen oder des zu Radikalen ist nicht der Inhalt, sondern die Eingriffsschwere der Maßnahme das Entscheidende. Eine inhaltliche Positionierung hingegen erscheint primär deswegen als radikal oder extrem, weil sich der Wahrnehmungsrahmen verschoben hat. Tichys Einblick müsste das eigentlich besser wissen, denn dieser Mechanismus wurde seinerzeit in einem Artikel von Christian Riek, erschienen eben bei Tichy selbst, beschrieben: “Wieso alle Parteien links sind – und Sie ein Rechter“. […]