Manchmal sind Notlügen das Problem. Manchmal sind aber die verdorbenen äußeren Umstände das Problem, die Notlügen beinahe unausweichlich machen.

Ein erwachsener Sohn besucht aus der Ferne seine Eltern. Die Beziehung zwischen ihnen ist distanziert, aber man ist noch im Kontakt und trifft sich an Feiertagen. Jetzt spricht der Sohn ein heißes Eisen an: Er mache sich Sorgen, dass seine Eltern politisch verloren seien und die AfD wählen würden. Das wäre für ihn unerträglich und nicht auszuhalten. Ein Kontaktabbruch steht im Raum.
Die beiden Eltern, die seit einigen Jahren aus Überzeugung die AfD wählen, die aber auf keinen Fall ihren Sohn verlieren wollen, wiegeln ab und lügen sich heraus: Sie fänden ja nicht alles schlecht, was die AfD anspricht, aber da gäbe es auch ein paar schlimme Dinge und deshalb hätten sie „Bündnis Deutschland“ oder „die Basis“ gewählt.
Der Sohn gibt sich damit einigermaßen zufrieden. Es reicht für ein Weiter-so in der Familie. Darüber sind die Eltern erst einmal froh. Die Ideale eines intensiven und ehrlichen Familienzusammenhalts haben sie sich in den letzten Jahren abgeschminkt. Heute sind sie bereits bei „Millimeter-Erfolgen“ erleichtert.
In einer moralistischen Gesellschaft werden die Menschen „gesichert“ in Schwarz und Weiß aufgeteilt, in Gut und Böse, in Demokraten und Extremisten, in Haram (= unrein) und Halal (= rein). Bei solcher Hypermoral wird es zwangsläufig zu Dilemma-Situationen kommen, in denen die Notlüge attraktiv erscheint. Ein Zuviel an Moral (= „Hypermoral“) zerstört eine Gesellschaft genauso wie ein Zuwenig an Moral.
Da ist der katholische Kollege und Priester, der mit einer Frau zusammenlebt. Natürlich ist es nur seine „Haushälterin“. Aber jeder, der nicht Tomaten auf den Augen hat, weiß Bescheid. Heuchelei und Tricksereien schienen früher hauptsächlich ein Problem der katholischen Kirche mit ihrem rigiden Zölibat zu sein. Heute ist es gesellschaftlicher Alltag.
Was wurde auf den Fußball-Bundesliga-Trainer Markus Anfang geschimpft. Er war ungeimpft und hatte sich widerrechtlich einen Impfausweis organisiert. Als das rauskam, schlug die Stunde der Moralisten: „Lüge, Urkundenfälschung, Betrug, Versager, katastrophales Vorbild.“ Aber haben sich die Moralisten auch einmal selbstkritisch hinterfragt, ob es nicht gesellschaftszersetzend war, gegen eine überdramatisierte Krankheit einen experimentellen Impfstoff mit umstrittenem Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil unbedingt allen Menschen aufzwingen zu wollen und damit ein verlogenes Klima im Land herbeizuführen? Denn auch das kann man als Notlüge bezeichnen, wenn viele Menschen sich nur haben impfen lassen, um wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können, obwohl sie die Impfung für sich eigentlich unnötig fanden oder gar abgelehnt hatten.
Im Internet treten viele Menschen unter Pseudonym auf. Auch eine Art Notlüge. Wenn man erlebt hat, wie der Chef einen wegen irgendeines lächerlichen Tweets zum Verhör einbestellen ließ, dann darf man sich nicht wundern, wenn verantwortliche Menschen zum Mittel der Anonymität greifen. Hartmut Steeb, ehemaliger Generalsekretär der Evangelischen Allianz, der sich für das Recht auf Leben einsetzt, hatte jetzt sein Haus besprüht mit den riesigen Lettern „Steeb = Frauenhasser“; sein Briefkasten voll mit Dämmschaum. Ein hoher Preis für seinen Glauben, seine Aufrichtigkeit und seine demokratische Meinungsäußerung. „AyaVelazquez“, die die RKI-Files zugespielt bekam und diese dann sogleich transparent veröffentlicht hatte, schreibt, dass sie anonym unterwegs sei, allein schon um ihre Familie zu schützen.
Es gibt nur einen Weg zu mehr Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit: weniger Moralvergiftung. Solange Bundespräsident, Verfassungsschutz, Wirtschaft, Kirchen, Kunst und ÖRR-Böhmermann im Stechschritt die Moralschraube mit aller Macht anziehen, bleibt der gesellschaftliche Diskurs vergiftet.
Als Pfarrer respektiere ich menschlich-allzumenschliche Notlügen und Notlösungen im Umgang mit der Moralfalle. Sie sind nur die Metastasen einer tieferliegenden Krankheit. Wir brauchen mehr Weite in unseren Familien, Kirchen, auf der Arbeit und im politischen Diskurs. Wir brauchen mehr Offenheit, mehr Zwischentöne, mehr Abwägung, mehr Freiheit, mehr geistige Vielfalt. „Leben und leben lassen“.
Notlügen mögen ein Verstoß gegen die Zehn Gebote sein; aber das eigentliche Problem ist die verlogene Gutmenschlichkeit, die so etwas wie Notlügen notwendig macht.
„Wehe euch, ihr Pharisäer,
die ihr die Becher und Schüsseln von außen reinigt,
aber innen sind sie voller Einverleibung und Gier.
Du blinder Pharisäer,
reinige zuerst das Innere des Bechers,
dann wird auch das Äußere rein“
(Jesus Christus in Matthäus 23,25-26).
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Wer seine Mitmenschen bewusst darüber im unklaren lässt, was er wirklich denkt, tut weder ihnen noch sich selbst einen Gefallen. Statt dessen leistet er einen Beitrag zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Missstände, die er im stillen Kämmerlein bejammert.
Im übrigen ist der Seitenhieb auf katholische Priester in diesem Text eine konfessionalistische Peinlichkeit. Auf das Menschenbild des Autors wirft sein vorurteilsbeladenes „Bescheidwissen“ über Pfarrhaushälterinnen ein sehr schiefes Licht.
Aber Herr Zorn. Ihr Ernst? Da hätten wir zunächst mal den Ursprung der systematischen Lüge, die Taqiyya: Zulassung von Lügen im Islam, ja die Verpflichtung zu solchen, wenn sie der islamischen Sache nützlich sind. Im Besonderen bezeichnet „taqiyya“ seit den Anfängen des Islam die bewusste Täuschung von Andersgläubigen durch Lüge und Verstellung, sämtliche weichgespülten Beschönigungen von einschlägiger Seite sind nur Sand, der einem in die Augen gestreut wird. Sie dient besonders zum unaufrichtigen Anfreunden an die Nicht-Muslime (Sure 3:27). Mit ihnen abgeschlossene Vereinbarungen und Verträge brauchen nicht eingehalten zu werden: „Dies ist eine Lossprechung von jeglicher Verpflichtung seitens Allahs und… Mehr
Um das Beispiel mit den Kindern, die mit der politischen Orientierung der Eltern nicht einverstanden sind, aufzugreifen: Meine Kinder hätten gelernt, dass es eine grobe Anmaßung und Verfehlung ist, einen anderen Menschen derart unter Druck zu setzen, dass er um des lieben Friedens willen zur Notlüge greifen muss. Ein anständiger Mensch macht so etwas einfach nicht. Und schon gar nicht mit nahestehenden Personen. Eine andere politische Gesinnung kann diskutieren, und, wenn man die Beweggründe kennt, auch tolerieren. Einen solchen charakterlichen Defekt aber nicht. Bevor ich zur Lüge greife, würde ich den lieben Nachwuchs nicht daran hindern zu gehen und darauf… Mehr
Volle Zustimmung und ich für meinen Teil würde mich zusätzlich darum kümmern, dass es definitiv nicht zu einem Erbfall kommt (oder im Klartext formuliert, „einfach alles verprassen damit für solcherlei Nachkommenschaft ja nichts mehr übrig bleibt „) 😉.
Überall im Leben gibt es Notlügen wobei man sich fragen muß ob die Lüge nicht das einzig Beständige im Leben ist. Ich empfehle dazu: Dieter Hildebrandt und Roger Willelmsen- Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort – Die Weltgeschichte der Lüge (2007) https://www.youtube.com/watch?v=IlFEscA8L9oSchönen Sonntag!
Solange nicht der Zwang, etwas freiwillig zu tun vom Aspekt des Zwangs befreit ist und das Gegenüber genötigt wird, sich zwischen genau zwei Möglichkeiten nur für eine vorgegebene folgenlos zu entscheiden werden die einzigen zwei möglichen Antworten darauf Unterwerfung oder Notlüge sein. Da man die Wahl hat, entscheidet man sich eben für die Antwort, die der Repressor hören will. Wenn es eine Notlüge ist, umso besser.
Notlügen könnten aber auch Teil des Problems werden, falls man sich aus Gründen der Bequemlichkeit auf sie zurückzieht.
Es ist immer wieder schön in die ungläubigen bis entsetzten Gesichter von Kollegen zu blicken, wenn ich ihnen sage wen ich wähle und wie ich ticke.
Dem anfänglichem (gespieltem) Entsetzen folgt meist ganz schnell Neugier und echtes Interesse.
Jetzt ist die Zeit Sand ins Getriebe zu streuen und offensiv die Lügen zu bekämpfen.
Häufig zerstört die Wahrheit leider mehr, als die Lüge.
Und hinterher fragt man sich trotzdem, wer/was schlimmer war. Der die Wahrheit Sagende, oder der Belogene.
Wie ich schon schrieb. Es gehört viel Mut dazu, die Wahrheit zu sagen. Und manchmal noch mehr Mut, sie zu ertragen!
Es fällt mit schwer, diesen Text mit jenem Deutschland in Verbindung zu bringen, das ich vor über zwanzig Jahren berufsbedingt verließ. Meine Eltern stammen aus politisch unterschiedlich positionierten Familien, was nie ein wirkliches Problem war. Diskutiert wurden vielmehr die alltäglichen Angelegenheiten, in aller Liebe und Respekt. Und die beiden Großväter, der SPD und der CSU nahestehend, setzten sich freundschaftlich bei Familienfesten auf die gleiche Bank.
Ja. Wir hatten es vor Merkel und in ihrer Anfangszeit mal viel besser.
Es war mal in Deutschland so schön – wie konnten wir das, was er hier in einem Clip zusammenfasst, nur so rasch verlieren? https://twitter.com/ElliotStabler92/status/1559660689534361603
Ja, die Maßnahmen zur Vereinzelung greifen. Und Vereinzelung bedeutet weniger Macht für die Konkurrenz.
“ Aber haben sich die Moralisten auch einmal selbstkritisch hinterfragt …“ Sie werden bezahlt. Die Zwangsgebühren und das Geld für die Presse ist dazu da, „sie zu binden, ins Dunkel zu stürzen und ewig zu knechten“.
Das ist ein integraler Teil der Regierungsarbeit. Die Bilder werden genutzt. Sie sind Auftragsarbeiten.
Ich schätze A. Zorns Beiträge. Aber ehrlich: Welcher erwachsene Mensch weiß nicht, dass ohne Lügen keine menschlichen Gesellschaft Bestand hätte? „Weiße Lüge“ heißt das im Englischen, was darauf hindeutet, dass es nicht einer Notlage bedarf, sondern „Beschönigen“ (also Lügen) im gesellschaftlichen Umgang Normalfall ist.
Und im Familienkreis? Der Tante sagen, wie hässlich sie heute aussieht? Dem Sohn sagen, wie sehr man seine neue Freundin missbilligt? Immer steht das 8. Gebot unter Vorbehalt, nämlich dass damit nicht mehr zerstört als gerettet wird. Wokeness bringt da im Prinzip nichts Neues. Ich brauche da keinen pastoralen Dispens.
Ich habe festgestellt, daß die meisten meiner kleinen Lügen eigentlich ein Produkt sind. Es ist nämlich häufig das Produkt der Nachlässigkeit meiner Mitmenschen. Man könnte daher auch sagen, daß nicht wenige Leute schlicht belogen werden wollen. Z.B. Ihre Tante. Wenn sie nur heute häßlich aussieht, dann hat sie womöglich einen schlechten Tag. Wenn sie Ihnen aber immer als häßlich vorkommt, ist es entweder ihr eigener Stil, mit dem Sie nicht umgehen können, oder sie ignoriert absichtlich Ihr Gefühl für Ästhetik. Und noch etwas spielt eine große Rolle. Es ist der Mut, den man auf zu bringen hat, wenn man seiner… Mehr
Man kann sich auch angewöhnen, stille zu sein.
Und wenn es dann noch gelingt, das, was die Tante schön macht (denn irgend etwas Schönes ist jedem Menschen inne) zu finden und Qualitäten in der neuen Freundin des Sohnes zu entdecken – und das auch noch auszusprechen, macht die Welt und sein eigenes Leben um einiges reicher.
In meinen Text geht es um die Frage, ob man weiterhin in der günstigen Wohnung der hässlichen Tante als Familie wohnen bleiben darf, nur wenn alle Kinder bei Ihrem Geburtstag ein Gedicht über die Schönheit der Tante aufsagen und ihr dabei zujubeln müssen.
Pastorale Dispense helfen nie weiter. Ethik ist zu verschachtelt und ambivalent, um sie mit (amtskirchlichen) Dispensen von oben lösen zu können.
Da geht es ja um die Frage, ob man nur wegen des eigenen Vorteils lügt, ob man beschönigt, um den anderen zu schonen, oder ob man beschönigt/lügt, um das Zusammenleben zu retten, das wie alle brauchen. Vielleicht muss man lügen, weil die Alternative der Wohnung der Tante eine Umgebung wäre, die die Kinder gefährdet? Mit dem apodiktischen Ton der 10 Gebote kommt man da jedenfalls nicht weiter.
Nebenbei: Was mich an menschlicher Gesellschaft oft so anödet, sind nicht die Lügen, sondern die nicht endend wollenden Belanglosigkeiten – noch so ein gesellschaftlicher Kitt.
Sorry, aber das ist an mir vorbeigegangen bei dem Beispiel von Sohn und Eltern. Die Frage lautet also, ob die Eltern den Kontakt zu ihrem Sohn abbrechen sollen, indem sie die Wahrheit sagen? Politik ist doch nur ein Aspekt von Familie. Wenn bestimmte Themen Streit oder gar einen Bruch herbeiführen, sollten die Parteien sich vielleicht darauf einigen, dieses Thema zu meiden. Für diesen Vorschlag müssten die Eltern auch nicht lügen. Die Tante mit dem Wohnen ist wieder anders. Da verlangt die Tante eine Tat. Und dieser Forderung der Tante lässt sich nicht mit einer Notlüge begegnen. Wenn die Familie sonst… Mehr
Unaufgefordert etwas zur Hässlichkeit der Tante oder zur Freundin des Sohnes zu sagen, ist in meinen Augen keine Notlüge. Eine Notlüge ist es, in einer Notlage mit einer Lüge zu antworten. Wenn also die Tante fragt, ob ihr das Kleid steht, dann findet ein höflicher Mensch vielleicht ja einen Weg vorbei an der brutalen, direkten Wahrheit ohne eine Notlüge auszusprechen: Das Kleid (Schnitt, Farbe) von letzter Woche stand Dir viel besser. Und sie wird Sie sicher nicht fragen, ob Sie sie grundsätzlich hübsch oder hässlich finden. Und zum Sohn: Ich denke, der spürt auch ohne Worte, ob seine Familie die… Mehr
Tachless , mein zweiter Nick-Name und es juckt mich nicht die Bohne , meine Söhne haben damit zu leben gelernt , und ich bin mir sicher es stärkt Ihre Toleranzfähigkeit und ihre Kritikfähigkeit .