Moloch Staat: regeln statt fördern

Eine Regulierung auszusetzen oder gar ersatzlos abzuschaffen, haben die Regierenden nicht auf dem Schirm. Deregulierung bedeutet in ihrem verschrobenen Verständnis die Schwächung des Staates. Wo Regulieren zum eigentlichen Zweck des Regierens wird, ist Überregulierung unvermeidlich.

Regulator ist keine bayerische Starkbiersorte, sondern ein anderes Wort für Regierungsmitglied. Denn Regierungshandeln bedeutet in Deutschland in erster Linie Reglementierung. Von was auch immer. Regulieren ist die übliche Methode, eine Gesellschaft zu lenken. Der Regulator sitzt selbst nachts aufrecht im Bett und lauscht dem Schrei nach dem Gesetzgeber. Immer ist irgendwo einer zu hören.

I.

Die Regierenden und die sie tragenden Parteien messen ihren Erfolg ganz und gar am Ausstoß neuer Gesetze, Richtlinien und Vorschriften. Nur in Ausnahmefällen ist die Regierung bereit, vorhandene Regeln durch andere Regeln zu ersetzen. Eine Regulierung auszusetzen oder gar ersatzlos abzuschaffen, haben die Regierenden nicht auf dem Schirm. Deregulierung bedeutet in ihrem verschrobenen Verständnis die Schwächung des Staates. Wo Regulieren zum eigentlichen Zweck des Regierens wird, ist Überregulierung unvermeidlich. Da jede Regel Lücken aufweist, schreit jede Regel nach neuen Regeln. Viele Gesetze sind hierzulande wie aus Stein gemeißelt. Und noch jeder Kanzler hat sich in seinen feuchten Träumen für Moses gehalten.

II.

Dass der Staat stark zu sein habe, ist der einzige Grundsatz, in dem sich Regierende und Opposition einig sind. Dabei verwechseln sie jedoch einen starken Staat mit einem (über)regulierten Staat. In Wahrheit ist der notwendigerweise bürokratische Monsterstaat schwach. Er lenkt davon ab, dass er die wenigen Kernaufgaben, für die man ihn wirklich braucht – innere und äußere Sicherheit, Vorsorge, Infrastruktur – vernachlässigt. Der wirklich starke Staat setzt nur den großen Rahmen, die Ordnung, die alle Staatsbürger in größtmöglicher Freiheit nutzen sollten. Ordnungspolitik wurde jedoch abgelöst von der Praxis des Gouvernantenstaats. Dauernd ermahnt er den Bürger und haut ihm auf die Finger.

III.

Ein großes Missverständnis besteht in der allgemein akzeptierten Auffassung, nur Bürger (und ihre Vereinigungen) könnten gegen Gesetze verstoßen. Der Staat aber verstößt dauernd gegen die eigenen Regeln – und die Grundwerte – ohne dafür haftbar gemacht zu werden. Oft wird die Regel zu Willkür. Die Beispiele reichen von den Coronamaßnahmen (nicht zu reden von deren Missbrauch durch Spahn & Co.) bis zu den systematischen Einengungen der Meinungsfreiheit („Hass & Hetze“, Delegitimierung des Staates). Es sind keine Ausnahmen, der Staat vergreift sich systematisch am Bürger (den der Steuerstaat fortwährend enteignet). Die Verfassung sollte alle Bürger vor der Übergriffigkeit des Staates schützen. In Wahrheit schützen die meisten Gesetze die Regierenden vor den Bürgern. Wo reguliert wird, muss überwacht werden. Der Staat unterhält eine gigantische Überwachungsbürokratie.

IV.

Zu den Standardphrasen der politischen Rede, nicht bloß sonntags, gehört in Deutschland, dass Freiheit nur in Grenzen zulässig sei. Der sogenannte freiheitlich-demokratische Rechtsstaat ist stolz auf das Dogma, wonach Freiheit nur im Rahmen eines engen Regelwerks möglich sei. Das Ziel ist die Gleichschaltung der Bürger. Deshalb ist das Bekenntnis, Leistung müsse sich lohnen, verlogen. Wer die Leistungsbereitschaft fördern will, muss auf Reglementierung verzichten. Der Staat setzt dem Leistungsbereiten unentwegt neue Pflichten und Auflagen in den Weg. Er behauptet, Gleichheit und Gerechtigkeit schaffen zu wollen. Am Ende erscheint das, was an Freiheit übrig bleibt, als Privileg – also als etwas, was wegreguliert werden muss. Regulatoren hassen Privilegien, es sei denn, es handelt sich um die eigenen.

V.

Reglementierung ist Machtausübung – und damit Teil einer großen Täuschung. Dem Regulierten wird vorgegaukelt, das Gesetz schütze ihn. Jede vermeidbare Regel aber bedeutet Freiheitsentzug. Der Bürger, der nicht frei handeln darf, kann letztlich auch nicht frei denken. Der Bürger soll nicht begreifen, sondern folgen. Vielleicht ist auch deshalb das Bildungssystem in der Krise. Der regulierende Staat braucht keine verantwortungsvollen, also notwendigerweise gebildeten Bürger. Er braucht Untertanen. Es reicht, wenn er Vor-Schriften lesen kann. Vor „Sozialuntertanen“ warnte einst Ludwig Erhard. Der Staat hat sie längst geschaffen. Man muss das im Zusammenhang sehen: Das ständige Bekenntnis zur Entbürokratisierung ist ebenso unglaubwürdig wie die Forderung nach Bildungsreform. Bürokratie und Volksverblödung sind zwei Seiten derselben Medaille.


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Kommentare ( 37 )

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37 Comments
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Salvian
19 Tage her

Alles richtig, was Sie schreiben, Herr Herles. Das Problem ist nur: Die meisten Bürger wollen genau diesen „starken Staat“. Deshalb sind sie mehrheitlich zufrieden mit der Arbeit von Herrn Merz, Herrn Wüst oder Herrn Söder. Seit 2020/21 bin ich davon überzeugt, dass an der These vom deutschen Nationalcharakter doch etwas dran sein muss. Bekanntlich hat Madame de Staël 1810 ein Buch darüber geschrieben, das berühmt geworden ist. Darin heißt es: „Die Liebe zur Freiheit ist bei den Deutschen nicht entwickelt“, denn „sie möchten, dass Ihnen in Bezug auf ihr Verhalten jeder einzelne Punkt vorgeschrieben werde … Und je weniger man… Mehr

Freigeistiger
19 Tage her

Der Staat (Parteien, Regierung, Bürokratie) sollte eigentlich den Bürgern dienen, aber das hat sich längst umgekehrt. Dieser Staat wächst in Deutschland wie eine Wespenpopulation im Sommer, nur daß letztere nach Erfüllung ihres natürlichen Zwecks verschwindet. Der heutige deutsche Staat hingegen kennt keine solche Beschränkung, er bläht sich immer weiter auf. Dieses Prinzip gilt für Berlin und Brüssel gleichermassen, sie sind aus dem gleichen wuchernden Holz. Immer mehr Regeln und Vorschriften bedeuten immer mehr Bürokraten und umgekehrt. Große gesellschaftliche Organisationen sind bestrebt, ihre Macht und Privilegien unentwegt auszubauen, auf Kosten der finanzierenden Bürger bzw. Untertanen. Nichts Neues in der Geschichte. Abhilfe… Mehr

Reimund Gretz
19 Tage her

Wer sich wie obrigkeitshörige Untertanen behandeln lässt und nicht als Gesellschaft wie der Souverän auftritt und Widerstand leistet ist den Regulatoren ausgeliefert.
Die Herrschaft der #Parteien kann nur beendet werden, wenn die #Bürger aufhören zu kriechen!

Sperrdifferential
19 Tage her

Die „Standardphrasen der politischen Rede“ werden über die zwangsfinanzierten öffentlich rechtlichen Medien in die Wohnzimmer gekübelt. Da Frösche aber nicht gerne ihren eigenen Sumpf trockenlegen, sieht man als ZDF-Pensionär großzügig darüber hinweg und schreibt Moralaufsätze in liberal-konservativen Meinungsmagazinen.

CaTo23
19 Tage her

Sie haben Recht Herr Herles, und man kann das alles beklagen. Fakt ist jedoch das der Deutsche gern Sozialuntertan ist und sich vom Staat vorschreiben lässt was er zu tun und zu lassen hat. Das sieht man schon allein daran, dass es eine liberale Partei wie die FDP so schwer hat. Liberale sind gegen einen allmächtigen Staat und für mehr individuelle Freiheit des Einzelnen. Aber das will offensichtlich die Mehrheit in diesem Land nicht, oder hat es nicht verstanden. Der Rechtsstaat ist dafür da den Bürger vor dem Staat zu schützen. Aber inzwischen ist es leider umgekehrt.

Hueckfried69
19 Tage her

Der „Regulator“ ist – insbesondere wenn er ein Grüner ist- immer auch ein „Schikanöres“, wie der Rheinländer sagen würde. Nichts macht mehr Spaß, als dem Pöbel zu zeigen, wo es lang geht- am besten gegen dessen Willen.

hert
19 Tage her

Die exorbitante Regulierungswut und die Bürokratisierung im Gleichschritt mit bevormundenden Massenmedien haben dem unkritischen Bürger das Denken abgenommen und halten den kritischen Bürger im Würgegriff. Dass die linken Parteien sich an dieser Entwicklung erfreuen, liegt in ihrer Natur, denn sie misstrauen der Freiheit des Bürgers und sind Feinde der Subsidiarität. Und dass diese Union sich seit Merkel diesen fatalen freiheitsfeindlichen Tendenzen willig angeschlossen hat, widerspricht dem C und ihrem Grundsatzprogramm ebenso wie der Politik ihre großen früheren Kanzler. Übrigens, die braven Unionswähler scheinen noch immer von Merkels Sedativa gelähmt! Aber all das erklärt natürlich auch den skandalösen Umgang mit „falschen“… Mehr

verblichene Rose
19 Tage her
Antworten an  hert

Klare und unmissverständliche Antwort:
NEIN!

Evero
19 Tage her

Ich frage mich jeden Morgen, wer wohl für den Schwachsinn, den Flaschendeckel am Flaschenhals der Plastikflaschen zu befestigen, verantwortlich ist, wenn die Tropfen der Milch oder des Trinkjoghurt vom Deckel danebentropfen. Musste das sein?

Dieter Rose
19 Tage her
Antworten an  Evero

Und jetzt noch die Problematisierung des Altautoverkaufs? Welchen Vettern wird da jetzt ein Geschäftsfeld eröffnet?

Michael M.
19 Tage her
Antworten an  Evero

Ich schneide die Milchtüte seitdem wieder an der Ecke auf, so wie es vor Jahrzehnten auch gemacht wurde (da gab es die depperten Deckel noch gar nicht und niemand hat etwas vermisst 😉) . Beim Trinkjoghurt geht das ja vielleicht auch.

Last edited 19 Tage her by Michael M.
verblichene Rose
19 Tage her
Antworten an  Evero

Ja, denn vermutlich gab es Menschen, die den Deckel immer gesondert in der Natur entsorgt haben, bevor sie den Behälter dem Müll zuführten.
So stelle ich mir das jedenfalls vor, bzw. fällt mir gerade nichts noch schwachsinnigeres als Grund für dieses atemberaubende Gesetz ein 😉

Fulbert
19 Tage her

„Der Staat aber verstößt dauernd gegen die eigenen Regeln – und die Grundwerte – ohne dafür haftbar gemacht zu werden. Oft wird die Regel zu Willkür. …. der Staat vergreift sich systematisch am Bürger“. Man kann es nicht oft genug wiederholen: „Der Staat“ vergreift sich an gar niemanden. Wer sich vergreift, sind Politiker und Beamte, die (von Ausnahmen abgesehen) untertänig und unkritisch das umsetzen, was ihnen die jeweils Regierenden vorgegeben. Ganz im Sinne des obrigkeitshörigen Verständnisses, das in Deutschland unter dem abplatzenden Furnier von 80 bzw 35 Jahren Freiheit wieder emporkriecht. Wer Staat und Herrschende gleichsetzt, der folgt genau dem… Mehr

Last edited 19 Tage her by Fulbert
Heiner Mueller
19 Tage her

Wolfgang Leonhard bezeichnete einst die DDR 1.0 als eine „bürokratische Diktatur“. Die DDR 2.0, in der wir jetzt leben, ist genau dasselbe. Und sie wird genauso scheitern wie die DDR 1.0, nämlich an der Arroganz, Anmaßung und Unfähigkeit der durch die Korruption an die Macht gekommenen Grünlinken