Tichys Einblick
Die illegale Migration über die Balkanroute

Österreich schenkt Migranten Fahrkarte nach Deutschland, Ungarn sucht „Grenzkämpfer“

Während Ungarn seinen Grenzschutz ausbaut, gibt die Wiener Regierung die Registrierung von Asylbewerbern an der österreichisch-ungarischen Grenze auf. Stattdessen gibt es eine Fahrkarte zur Weiterreise nach Deutschland.

Schild an einem Grenzübergang von Ungarn nach Österreich, Burgenland

IMAGO / imagebroker
In Ungarn ist die Rekrutierung neuer „Grenzkämpfer“, so Ungarn heute, im vollen Gange. Insgesamt 2.200 von ihnen sollen bald im Dienst stehen. Laut der ungarischen Polizei werden derzeit physische sowie psychologische Eignungstests dazu durchgeführt. Da das Land seinen Grenzschutz offenbar in zunehmendem Maße als Abwehrkampf betrachtet, erstaunt nicht, dass diese Einheiten tauglich für den Grenzschutz sein müssen.

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Bewerbungen gehen angeblich aus allen Regionen des Landes ein. Der Chefberater des Premierministers für innere Sicherheit, György Bakondi, wies erneut darauf hin, dass „sich täglich bewaffnete Gruppen von Migranten der südlichen Grenze nähern“. Auch ein trilaterales Treffen mit österreichischen und serbischen Vertretern ist geplant. Gemeinsam will man effektiver gegen bewaffnete und kriminelle Gruppen vorgehen. Österreich unterstütze Ungarn seit 2015 bei der Eindämmung der illegalen Migration.

Die Rede von mehr Effizienz gegen die „bewaffneten kriminellen Gruppen“ zeigt, dass Ungarn für die Balkanroute den Beginn einer neuen Migrationswelle von vielleicht ungekannter Intensität, teils auch mit neuen Methoden diagnostiziert. Bisher, noch unter Sebastian Kurz und seinem nun zum Bundeskanzler gewordenen einstigen Innenminister Karl Nehammer, hörte man aus Wien ganz ähnliche Töne. Kaum etwas ließ der Ex-Kanzler unversucht, um die Balkanroute zu schließen, um das eigene Land und auch irgendwie den nördlichen Nachbarn Deutschland vor den von dorther kommenden Migrationsströmen zu schützen.

Eine Praxis wird legitimiert, die längst Usus ist

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Doch nun scheint die österreichische Polizei die Segel zu streichen. Die Beamten sind überlastet, vor allem an der östlichen Landesgrenze. Nun sollen die Grenzpolizisten nicht mehr zu einer Registrierung der Migranten als Asylbewerber an der Landesgrenze verpflichtet sein. Das kann zum Beispiel auch in anderen Bundesländern stattfinden, wie die Tageszeitung Die Presse berichtete und nun das Wiener Innenministerium bestätigte. Identitätsfeststellung und erkennungsdienstliche Behandlung sollen demnach ausreichen. Die Migranten bekommen sogar eine Zugfahrkarte, um sich frei weiter zu bewegen – zum Beispiel auch in andere Länder, wenn sie vorhaben, ihren Asylantrag dort zu stellen.

So soll Abhilfe gegen den Andrang auf das Burgenland geschaffen werden, jenes Bundesland, das die gesamte österreichisch-ungarische Grenze abdeckt. Ein sogenanntes „Erstaufnahmegespräch“ an dieser Grenze wird demnach nicht mehr nötig sein. Dieses Gespräch begründet normalerweise den Eintritt des Migranten ins Asylverfahren. Es kann nun an verschiedenen Landespolizeidirektionen geführt werden, und zwar auch noch nach Verstreichen der bisher dafür vorgesehenen 48-Stunden-Frist. Oder gleich in Deutschland, nach Feststellung durch die Bundespolizei. Zielland ist ohnehin Deutschland. Zwar wird an Bayerns Grenze kontrolliert – aber im Asylfall die Einreise nicht verweigert.  Asylantrag kann gestellt werden, danach folgt die Duldung. Ziel erreicht.

Nach sieben Jahren Migrationskrise wird damit eine Praxis legitimiert und legalisiert, die, ob gewollt oder nicht, längst Usus war. Anders wären die Migrationsströme an der deutschen Grenze nicht zu erklären. Migranten entzogen sich bisher Feststellungsmaßnahmen oder zogen nach geführtem Grenzgespräch weiter an die nächste Grenze.

Westbalkan wichtigste Route der illegalen Migration in die EU

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Im ersten Halbjahr hat die illegale Migration gerade über die Balkanroute stark zugenommen. Der Westbalkan bildet inzwischen die wichtigste Migrationsroute in die EU. Im ersten Halbjahr 2022 gab es laut Frontex alles in allem 114.720 illegale „Einreisen“ in die EU, das entspricht bei einem Plus von 84 Prozent fast einer Verdoppelung. Auf dem Westbalkan haben sich die Zahlen aber beinahe verdreifacht (plus 191 Prozent): Mehr als 55.000 illegale Zuwanderer gelangten dort von Januar bis Juni in die EU, das ist die Hälfte aller illegalen EU-Zuwanderer.

Zurückgeführt wird das auf Grenzüberquerungen durch Migranten, die sich schon länger auf dem westlichen Balkan aufhalten, aber ob das die ganze Dynamik erklären kann, bleibt fraglich. Auch Griechenland berichtet von verstärktem Druck auf seine Grenzen, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß. Die bergige Grenzregion im Norden des Landes bietet vermutlich noch immer die Möglichkeit klandestiner Durchreise. Auch werden immer wieder Schlepper zwischen Evros und dem Westen des Landes ergriffen. So wäre auch Ermutigung für den griechischen Grenzschutz eigentlich nötig, um das Problem an der Balkanroute zu lösen.

Die letzten Transitstaaten sind für gewöhnlich Serbien und Bosnien-Herzegowina. Die EU-Eintrittsländer müssten Kroatien und Ungarn sein – eigentlich zwei Staaten mit strikter Grenzpolitik, die deshalb immer wieder in die Kritik geraten. Allein dieses Faktum zeigt die Heftigkeit und Gewalt der Vorgänge. Selbst die EU-Grenzschützer, die allenthalben in der Kritik stehen, werden der illegalen Zuwanderung nicht mehr Herr.

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