Die Inflation wird zum Bumerang für die „grüne“ Energiewende

Was Kritiker prophezeiten, ist jetzt globale Realität: Das Volk begehrt gegen die Explosion der Energiekosten auf. Manche reden von „grüner Inflation“. Die könnte noch zur Achillesferse der Berliner Ampel-Regierung werden.

IMAGO / Panthermedia

Auch wenn die Volksseele nur zu kochen scheint, wenn es um die Impfpflicht und Corona-Freiheitsbeschränkungen geht: Soziale Sprengkraft entwickelt vor allem die galoppierende Preisentwicklung bei den Energiekosten. Im politisch gespaltenen Amerika sind sich republikanische wie demokratische Wähler in einem Punkt einig: Sie klagen über die hohen Spritpreise. Die Zustimmungswerte für Präsident Joe Biden sind so dramatisch gefallen, wie das Tanken teurer wurde. Die Klimawende übrigens, die der Präsident zum Amtsantritt verkündete, ist längst zum Lippenbekenntnis geworden, weil er die Erdöl- und Gasförderung hochgefahren hat und die Exploration neuer Lagerstätten in einem lange nicht gekannten Ausmaß genehmigt hat.

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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der im April um seine Wiederwahl kämpft, versucht mit Sozialleistungen die Energie-Preisfolgen für die Franzosen zu dämpfen. Und er stritt erfolgreich für die klimaneutrale Kernkraft, die in der EU-Taxonomie jetzt als nachhaltig gilt, weil er die preistreibende Wirkung der deutschen Energiewende – Doppelausstieg aus der klimaneutralen Kernkraft und der „schmutzigen“ Kohle – nicht kopieren will. In Deutschland werden rund 700.000 Wohngeldempfänger-Haushalte in den nächsten Monaten einen Heizkostenzuschuss erhalten.

Damit reagiert die Berliner Ampel-Koalition erstmals auf die wachsende Preissensibilität bei besonders bedürftigen Haushalten. Denn bereits im Vorwahlkampf der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen (dort wird im Mai gewählt) zeigt sich, dass die Energiepreisentwicklung zur Achillesferse für Sozialdemokraten, Grüne und Liberale werden könnte. Mit einiger Resonanz attackiert derzeit CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst geschickt diese offene Flanke der Bundesregierung.

Das Klima-Mantra wird von der sozialen Frage abgelöst

Der Wahlkampfschlachtruf der deutschen Grünen – „Klima, Klima über alles“ – droht schneller von der sozialen Frage konterkariert zu werden als von den objektiven Problemen, die eine von den Grünen gewünschte Energieversorgung auf Basis von Wind und Sonne ohnehin aufwirft. Mag Robert Habeck, der grüne Bundeswirtschaftsminister, in den letzten Tagen als Klimaschutzminister die Nachrichtensendungen und Titelseiten beherrscht haben: Die Umsetzung seiner Windkraft-Offensive wird nicht nur von den unzähligen Bürgerwiderständen – oft mit grüner lokaler Politikunterstützung – ausgebremst, sondern auch wegen der Kostenexplosion der speziellen deutschen Energiewende massiven Gegenwind erfahren.

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Vor der Bundespressekonferenz konnte er an diesem Dienstag in Berlin die Verantwortung für den Klimaschutz-Rückstand Deutschlands noch an die Vorgängerregierung delegieren. Dass die SPD, die heute den Kanzler stellt, damals mitregierte, unterschlug der Grüne. Kein Wort auch darüber, dass seine Partei in vielen Ländern in der Regierung sitzt und nicht selten zusammen mit lokalen Bürgerinitiativen den Leitungs- und Speicherbau behindert. Für die teure Fehlkonstruktion des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) mit seinem Einspeisevorrang ins Netz zeichneten die Grünen noch in alten rot-grünen Bundesregierungszeiten verantwortlich. Dass dieser ökonomische Fehlanreiz spätestens nach der Tsunami-Havarie des Kernkraftwerks im japanischen Fukushima zum politischen Mainstream in Deutschland wurde – inklusive Angela Merkels Volte bei der Kernenergie –, zählt für mich zu den größten ökonomischen Sündenfällen des Landes.

Die Notenbanken haben die Inflation zu lange als „temporär“ angesehen

Bis vor wenigen Monaten negierten die großen Notenbanken der Welt die Kostenexplosion der Energie als „temporär“. Die US-Notenbank Fed und ihr Chef Jerome Powell drehen inzwischen fast im Wochenrhythmus bei, weil sie die sozialen Kosten der Inflation für die Kaufkraft der Bürger zunehmend zur Kenntnis nehmen. Bis zu vier Zinserhöhungsschritte in diesem Jahr traut man der Fed inzwischen zu. Auch die Anleihekäufe werden schneller zurückgefahren als noch im Dezember angekündigt. Selbst eine signifikante Reduktion der Fed-Bilanz ist nicht unwahrscheinlich. Dass die Energiepreis-Explosion in den USA weniger auf politischen Vorgaben wie etwa in Europa beruht, sondern mehr den Marktverwerfungen in Corona-Zeiten geschuldet ist, darf in diesem Zusammenhang nicht unterschlagen werden.

Inflation ist staatlich gewollt
EZB-Direktorin Schnabel bestätigt "Greenflation" wegen staatlich überhöhter Energiepreise
Die Europäische Zentralbank (EZB) dagegen und ihre Präsidentin Christine Lagarde machen noch kaum Schritte in Richtung einer Abkehr von der Nullzinspolitik und dem Ausstieg aus den Anleihekäufen von Staatspapieren. Dabei treibt in Europa und vor allem in Deutschland die Politik zusätzlich zu den globalen Marktbedingungen die Energiepreise. Denn die Kombination aus dem EU-Emissionshandelssystem, einem marktwirtschaftlich richtigen und effizienten System, treiben zusätzliche nationale CO2-Steuern, die Jahr für Jahr geplant steigen, auf viele Jahre die Preise für Energie.

Angesichts dieser politisch gewollten Lenkungsabsicht, mit der fossile Energieträger systematisch verteuert werden, von „temporärer“ Inflation zu sprechen, lässt an der intellektuellen Urteilsfähigkeit der EZB-Mehrheit zweifeln. Doch Christine Lagarde hat sich und der EZB eine neue Spielart der Geldpolitik verordnet: Sie will „grüne“ Investments präferieren, womöglich ein Etikett, mit dem auch langfristig Anleihekäufe grün vermarktet werden. Dass es dabei aber eher darum geht, die Refinanzierungsbedingungen für Euro-Schuldnerstaaten günstig zu halten, als um Klimaschutz, versteht sich angesichts der EZB-Praxis der vergangenen zehn Jahre fast von selbst.

Statt „Klima, Klima über alles“ werden sich nicht nur Grüne schneller als ihnen lieb ist, von diesem Mantra verabschieden müssen. Denn die Themen Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit werden die Menschen bei der Energie mehr umtreiben als der Klimaschutz, der erst in langen Zyklen und nicht im deutschen Alleingang positive Folgen zeitigt. Ebenso die Frage, wie so drängende Themen wie die Alterssicherung, die Gesundheitsversorgung und die Pflege bezahlbar bleiben, wenn die jungen Kohorten immer kleiner und die alten Kohorten immer stärker werden. Die soziale Frage wird in Zeiten des demographischen Wandels mit aller Macht auf der Tagesordnung ganz nach oben rücken.

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Kommentare ( 102 )

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smd
2 Jahre her

Der Beitrag von Herrn Metzger kommt nicht zu spät und ist keineswegs überflüssig nur weil das Thema schon länger hier diskutiert wird. Das Problem ist ja nicht behoben! Die Lawine an Teuerungen kommt erst noch in Gang und wird -engegen den Äußerungen der EZB u. a. – natürlich nicht nur kurzfristig andauern. Leider lesen diejenigen, die es am meisten betrifft, vermutlich seine Kolumne nicht.

bfwied
2 Jahre her

Die werden alles verscherbeln, Firmen, die zugrundebesteuert werden, Privatbürger, die ihre Häuser nicht mehr bezahlen können. Alles wird für wenig Geld hergegeben, ganz wie Schäuble zynisch sagte, dass Deutschl.s Bürger etwa 5 Billionen an Werten besäßen, mit denen man die Schulden etc. bezahlen könne! Erst wenn keiner mehr etwas sein Eigen nennen kann, erst dann sind die Grünen bankrott, sie ziehen sich wie ihre Vorgänger nach Südamerika zurück!

IJ
2 Jahre her

Sorry, lieber Herr Metzger, aber hier bei Tichyseinblick wurde genau diese asoziale Konsequenz der grünen Energiewende seit Monaten wenn nicht seit Jahren ausgiebigst von allen Seiten beleuchtet und diskutiert. So sehr ich Ihnen inhaltlich zustimme: Ihr Artikel kommt etwas sehr spät hier an und erinnert daher nolens volens an die Vorgehensweise von Angela Merkel, das Offensichtlichste und Banalste stets noch mal in obsoleter Weise zusammenzufassen, um die allgemeine Zustimmung (zur eigenen Person) zu maximieren. Diese tautologischen und nervenden Polittechniken sollten wir jetzt bitte gemeinsam mit Angela Merkel zu den Akten legen.

Last edited 2 Jahre her by IJ
Peter Gramm
2 Jahre her

alles was da so in den Talkshows herumgeschwurbelt wird kann man vergessen. Auch diese Täfelchen welche der Herr Klimaminister in die Kameras hielt sagen gar nichts aus. Sie sollen lediglich Eindruck erwecken und seine Argumente untermauern.Über die Wirksamkeit und dem Zeitpunkt seiner angedachten Maßnahmen keinerlei Aussage. Vergleichbar dem PCR Test. Auch nur eine mathematisch modellierte Häufung von Genbruchstücken ohne jede Aussagekraft über eine Infektion und ganz klarer Widerspruch zu den Formulierungen im Infektionsschutzgesetz. Wen aber interessieren bei uns noch Gesetze.

Dozoern
2 Jahre her

It’s the economy, stupid! Der Spruch der Wahlkampfberater von Clinton gilt immer noch. Die Menschen tolerieren viel Dummes Zeug, das Politiker in Berlin und Brüssel von sich geben. Wenn die Auswirkungen im Portemonnaie spürbar werden, ist Schluss mit Lustig. Schade, dass Corona jetzt ausläuft und das Virus keine schärfere Mutation als Omikron im Gepäck hatte, sonst hätte die Politik noch ein wenig länger die Pandemie als Entschuldigung für alles nehmen können: Arbeitslosigkeit, Inflation, Nullzinsen und Nullwachstum. Nur die Nullen in Berlin & Brüssel trift keinerlei Schuld…

Delegro
2 Jahre her

Er würde sogar wieder die Atommeiler anschmeißen. Damit würde er dann riesige Windmaschinen betreiben, die seine, die Landschaft verschandelnden „Windspargel“ bei Windflaute zum rotieren bringen. Grüner Strom. Also alles gut!

P.Reinike
2 Jahre her

Irgendeinen Sündenbock für das absehbare Scheitern des Energieabenteuers werden die herrschenden Milieus schon finden: Widerstand in den Kommunen, Naturschützer, Abstandsregeln in den Ländern, männlich dominierte Physik, zu wenige Buntheit im Netzmanagement, Energiewendeleugner und andere einfältige Agitation, sekundiert von linienstrammen ÖRR Medienkadern. Hört sich nach Mittelalter an, ist Mittelalter.

bfwied
2 Jahre her

Der Klimahype beruht ALLEIN auf Modellen, von denen die übelsten verbreitet werden, eine Maßgabe, die öffentlich geworden ist und die Furcht verbreiten soll. CO2 ist nicht der Treiber, es kann es physikalisch-mathematisch nicht sein, es beeinflusst, aber äußerst marginal, ein wissenschaftlicher Nachweis existiert nicht, auch wenn das viele glauben. CO2-Konzentration ist häufiger Nachläufer als Vorläufer, hinter der Temperatur, und das gleich um durchschnittlich mehrere hundert J.! Das sieht man nicht in Diagrammen, die 1 oder viele Mio. J. darstellen, auch nicht in den generös geglätteten, die etwa 500.000 J. umfassen! Diese Modelle werden ständig verändert, sie können die Vergangenheit nicht… Mehr

GP
2 Jahre her

Auch Herr Metzger unterliegt dem grundsätzlichen Irrtum dass CO2 „klimaschädlich“ sei. Es gibt keine physikalisch plausible Begründung für eine Klimaerwärmung durch CO2, von daher sind alle wirtschaftlichen Maßnahmen zur CO2 Vermeidung nur verbranntes Geld. Schluss mit der „Klimapolitik“ und zurück auf Null – und dann Nutzung der Energieträger nach ihren Grenzkosten. Alles andere ist ökonomischer Irrsinn…..

Fortazz
2 Jahre her

Wenn ich die Grünen immer zu diesem „Bloss keine Kernkraft“ höre. Mal davon abgesehen, dass Kernkraft Unmengen an Ernergie bereitstellen kann und dies hinsichtlich CO2 – sehr effizient, dann sollte man mal darüber nachdenken (wir lassen die Frage, inwiefern CO2 als Bezugsgröße überhaupt sinnvoll ist, außen vor). Und dann muss man den Menschen mal folgendes vor Augen führen: Deutschland ist 10 Jahre aus der Weiterentwicklung der Kernernergienutzung raus. Inzwischen gibt es Dual-Fluid-Konzepte, die die Gefahren der älteren Kernkraftwerks-Generationen völlig neu angehen und neutralisieren. Dieses Konzept kann auch den ABFALL früherer KKW-Generationennutzen, also verstrahlte Rückstände, die für 10.000 und mehr Jahre… Mehr

Markus Schueller
2 Jahre her
Antworten an  Fortazz

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer, dass solche logischen und vernünftigen Entscheidungen mit diesen Politikern und dem Wahlvolk nicht zu machen sind.