Kernkraftwerke wieder anschalten? – Aufwendig, aber möglich

Der Kernenergetiker Manfred Haferburg räumt mit einer Propagandalüge auf: Angeblich seien die Kernkraftwerke durch Säure unbrauchbar gemacht worden. Im TE-Interview erklärt er, warum man die Kraftwerke wieder hochfahren kann und welchen Aufwand das bedeutet.

IMAGO / Wolfgang Maria Weber
Eine Wiederinbetriebnahme der in den vergangenen beiden Jahren abgeschalteten Kernkraftwerke ist möglich. Dies sagt einer der renommiertesten Kernkraftwerk-Experten Deutschlands, Manfred Haferburg, im Gespräch mit der Sonntagsausgabe von Tichys Einblick. In dem ging es um die Frage, ob die Kernkraftwerke in Deutschland wieder angeschaltet werden könnten. Denn mit jedem Tag wird das Desaster »Energieversorgung« deutlicher.

Klimafreundliche Energiepolitik
Schweden baut Atomkraft stärker aus
Haferburg wurde 1948 im ostdeutschen Querfurt geboren, studierte an der TU Dresden Kernenergie und machte eine Blitzkarriere im damals größten Kernkraftwerk in Greifswald in der DDR. Wegen des frechen Absingens von Biermann-Liedern sowie einiger unbedachter Äußerungen beim Karneval, so schreibt Haferburg, wurde er zum „feindlich-negativen Element“ in der DDR ernannt und verbrachte einige Zeit unter der Obhut der Stasi in Hohenschönhausen.

Für eine internationale Organisation kümmert sich Haferburg nach der Wende um die Sicherheitskultur von Atomkraftwerken weltweit. Er hat so viele Kernkraftwerke von innen gesehen wie wohl kaum ein anderer. Zu viel wurde es ihm in Deutschland, als die ehemalige SED in Form der Linken in den Bundestag einzog. Er selbst zog nach Paris und schrieb in seinem Roman „Wohn-Haft“ seine Erlebnisse auf.

Im TE-Gespräch schätzt er, dass es zwei bis drei Jahre bei den Kraftwerken dauern würde, die jetzt im April abgeschaltet worden sind, und etwas länger bei denen, bei denen das Aus im vergangenen Jahr kam.

Fake-News sind das, was vor einiger Zeit das niedersächsische Umweltministerium sagte: Die Betreiber hätten ihr Kraftwerk durch Säure unbrauchbar gemacht und die seien nicht mehr anfahrbar. Dies betraf die am 31. Dezember 2021 abgeschalteten Kraftwerke Grohnde, Brokdorf und Gundremmingen C. Bei diesen Kraftwerken wurde deren Primärkreislauf bereits dekontaminiert, so Haferburg: „Die am 15. April 2023 abgeschalteten Kernkraftwerke Isar II, Emsland und Neckarwestheim befinden sich in der Vorbereitung dieser Primärkreislauf-Volldekontamination und werden sie bis zum Frühjahr 2024 abschließen. Danach können sie mit dem zerstörenden Rückbau beginnen.“

Fake-Nuss
Netzagentur bestätigt Stromlücke nach Atomausstieg – ARD behauptet das Gegenteil
„Eine Volldekontamination eines Kernkraftwerks macht man, weil sich auf den Innenseiten der Rohrleitungen und Behälter eine Art Schicht von Ablagerungen ansammelt, weil auch der rostfreie Stahl Korrosionsprodukte auf seiner Oberfläche hat“, erklärt der Kernenergetiker. „Diese Schicht wird durch den Kernkraftwerksbetrieb aktiviert und strahlt.“

Durch das Einfüllen von aggressiven Medien wie Zitronensäure und das Aufheizen und Umwälzen werde diese Schicht angegriffen, ausgewachsen und ausgespült. „Das haben alle deutschen Kernkraftwerke meines Wissens nach im Laufe ihrer Betriebszeit schon ein- oder zweimal gemacht – erfolgreich – und sind dann weiterbetrieben worden“, führt Haferburg aus. „Wenn man nun ein Kraftwerk vor dem Rückbau dekontaminiert, da geht man natürlich ein bisschen schärfer ran.“

Haferburg vergleicht die Dekontamination mit der Entkalkung einer Kaffeemaschine, bei der man in den Behälter Reinigungsmittel kippt. „Meistens ist es irgendeine Zitronensäure. Dann erhitzen Sie das, fahren das ein- oder zweimal im Kreis, dann spülen Sie die Kaffeemaschine und dann ist sie wie neu. So funktioniert es mit dem Dekontaminieren eines Kraftwerks auch – nur ein bisschen komplizierter“, erklärt er in der Sendung. „Man braucht für die Dekontamination eine Vorbereitungszeit von ungefähr einem Jahr. Meistens wird das durch Fremdfirmen wie Areva oder ähnliche gemacht.“

„Auch die Volldekontaminationen vor dem Rückbau werden natürlich so gemacht, dass das Kraftwerk nicht kaputtgeht. Besonders die empfindlichen Dichtungen der Hauptkühlmittelpumpen müssen geschont werden. Ein Kernkraftwerk, das diese Dekontamination durchgemacht hat, ist durchaus wieder anfahrfähig. Man hat einen erhöhten Aufwand an Inspektionen und Genehmigungen. Aber das ist kein Todesurteil“, so Haferburg.

Kanada
Ontarios Regierung kündigt Unterstützung für den Ausbau der Kernenergie an
Die Darstellung in den Medien und vonseiten der Politik sei daher irreführend. Man versuche es mit „dieser Propagandalüge, die Kraftwerke sind jetzt kaputt, man kann es ähnlich wieder anfahren. Man will den Rückweg dadurch versperren, dass man sagt: ‚Ja, es hat ja alles eh keinen Zweck‘.“ Haferburg spricht von einer „Taktik der verbrannten Erde“.

Das eigentliche Problem sieht Haferburg in der mangelnden Bereitschaft der Energieversorger, sich noch einmal den politischen Imponderabilien der Kernkraft auszusetzen. „Versetzen Sie sich mal in die Situation eines Managers von E.ON, also von Preußen und Elektra oder von RWE Kernkraft“, sagt Haferburg. „Was diese Leute in den letzten Jahren hinter sich gebracht haben: Ich glaube, da liegt das eigentliche Hindernis für die Inbetriebnahme der Kernkraftwerke, in der Müdigkeit der großen Energieversorger. Die Manager der EVUs haben die Nase gestrichen voll von der ‚rein und raus aus den Kartoffeln‘-Kernkraftpolitik der deutschen Regierungen der letzten 15 Jahre.“

Verständlich nach den vergangenen Auseinandersetzungen. Haferburg erinnert daran, wie die Merkelregierung eine Laufzeitverlängerung von zehn Jahren erteilte. Die Energieversorger haben sich die mit riesigen Investitionen in Sachen Sicherheit erkauft. „Danach erfolgte die gesetzwidrige Abschaltung per Kanzlerin-Anruf von acht Kernkraftwerken und dann die fachkenntnisfreie Ausstiegskommission, dann die Debatte um den Brennstoff. Dann kam die Debatte um Laufzeitverlängerung, wo Friedrich Merz und Lindner halbherzig Laufzeitverlängerungen machten, und dann eine wirkliche Laufzeitverlängerung per Kanzler-Machtwörtchen von vierzehn Wochen.“

Breite Mehrheit im Parlament
Frankreich baut sechs neue Kernkraftwerke
„Die Kernkraftwerke und ihr Personal bereiten sich aber seit fünf Jahren auf die von der Politik verlangte Stilllegung vor. Hunderte von Personalverträgen sind unterschrieben und gültig. Und man müsste jetzt technisch das Kernkraftwerk wieder auf Vordermann bringen. Man müsste die Sicherheitsprüfungen neu machen, man müsste sich die behördlichen Genehmigungen wieder erteilen lassen.“ Das sei ein Prozess von sicher ein bis zwei Jahren, wenn es denn schnell geht.

Neuer Brennstoff müsste gekauft werden, die Personalverträge müssten rückgängig gemacht werden und neues Personal eingestellt und ausgebildet werden. Es wäre ein gigantischer Aufwand, so Haferburg: „Es ist einfach, etwas zu zerstören. Es ist sehr, sehr schwierig, etwas aufzubauen und das ist, glaube ich, das entscheidende Hindernis für die Wiederinbetriebnahme der erst kürzlich abgeschalteten Blöcke. Wobei man natürlich auf die Solidarität der Kernkraft-Mannschaften setzen könnte und sagen könnte okay, dann macht das eben, wir bezahlen euch ordentlich und dann macht ihr eben noch mal fünf Jahre dran.“ Dann könnte man eine Überbrückungszeit schaffen.

Haferburg fasst in dem TE-Gespräch zusammen, was getan werden müsste, um die Kernkraftwerke wieder ans Laufen zu bringen: „Erstens: Eine Wiederinbetriebnahme ist möglich. Zweitens würde es zwei bis drei Jahre dauern für die Kraftwerke, die jetzt gerade abgeschaltet worden sind, und etwas länger für die, die im vorigen Jahr abgeschaltet worden sind. Und drittens müssten Garantien von der Regierung gegeben werden, und es müsste auch allerhand Geld fließen, weil das ist ja alles nicht umsonst zu haben. Ein Kernkraftwerk, was steht, kostet am Tag eine Million.“

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 51 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

51 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Niklot
8 Monate her

Ein Faktor fehlt in Haferburgs Analyse: der Mensch, der Beschäftigte. Sind noch alle Beschäftigten da, ist alles gut. Sind sie weg, dann ist es vorbei. Menschen kann man nicht wie Figuren auf dem Spielbrett beliebig hin- und herschieben. Dort arbeiteten alles Fachleute. Wenn die sich nach dem Kernkraftaus woanders eine neue berufliche Existenz und für ihre Familie eine neue Heimstatt aufgebaut haben, kommen die nicht für so eine Hickhack-Politik zurück. So eine frühere eingespielte Belegschaft kann man nicht mal soeben ersetzen, erst recht keine von hochspezialisierten Fachleuten. Selbst niedriger qualifizierte Belegschaften lassen sich nach einer von der Politik verordneten Zäsur… Mehr

Innere Unruhe
8 Monate her

Richtig, es wird oft so getan als hätten Menschen keine eigenen Einstellungen und Geld wäre ihre einzige Motivation.

Innere Unruhe
8 Monate her

Ich frage mich, was dazu führt, dass wir kein halbes Jahr später uns über den Wiederbetrieb von AKWs unterhalten.

Felix Dingo
8 Monate her

Genau so ist es. Auf die Frage, wo ich denn früher gearbeitet hätte, gab ich zu Beginn eine korrekte Antwort: In der Nuklearindustrie. Was dann folgte, waren dumme Kommentare.
Nach einiger Zeit erdachte ich mir diesbezüglich eine neue „Vita“, was dann nicht mehr zu blöden Bemerkungen führte. Ich hatte endlich meine Ruhe.

Johann Thiel
8 Monate her

Es ist völlig egal ob die AKW‘s wieder angefahren werden können oder nicht. Wenn wir AKW‘s wollen, dann bauen wir welche. Wenn wir unsere Grenzen schützen wollen, dann schützen wir diese. Wenn wir keine illegalen Einwanderer wollen, schmeißen wir sie raus. Wenn wir keine Antifa-Schläger wollen, sperren wir sie ein. Wenn wir keine linksgrünwoken Spinner an der Regierung wollen, wählen wir sie ab. Aber da die meisten Deutschen nicht einmal verstanden haben, dass dieses Land, in dem sie leben, Deutschland heißt, weil es ihnen gehört, deswegen wollen sie gar nichts und lassen andere für sich entscheiden. Atomkraftwerke wieder anfahren –… Mehr

bfwied
8 Monate her
Antworten an  Johann Thiel

In der Tat, traurig und wahr. Alle paar Jahrzehnte wieder, dann ist das Zerstörungswerk vollbracht und es muss wieder der Schutt weggeräumt werden. Man muss dafür sorgen, dass Entgrünisierung effektiver verläuft als die Entnazifizierung.

Felix Dingo
8 Monate her

In Pilippsburg (BW) lies Herr Kretschmann (Ministerpräsident) die Kühltürme des AKW sprengen.
Herr Kretschmann war in den 1970ern Maoist. Maoisten hielten die große Kulturrevolution für eine fortschrittliche Sache, denn dort wurde die Diktatur des Proletariats erstmals effektiv durchgeführt. Dabei starben ca. 1,8 Millionen Menschen und etwa 1,8 Millionen Menschen wurden schwerst verletzt.
Außerdem war den Maoisten in der BRD der abgrundtiefe Hass gegen die damalige Sovietunion quasi von ihren Führern eingetrichtert worden.
Ob Herr Kretschmann die Thesen der Maoisten unterstützt, entzieht mich einer Kenntnis.

Mikmi
8 Monate her
Antworten an  Felix Dingo

Leider erkennen Leute wie er nicht, dass es Zeit ist, in Rente zu gehen.
Andere aus dieser Partei wollen es nicht wahr haben, das sie der Aufgabe nicht gewachsen sind und wollen nicht zurücktreten, ganz im Gegenteil, sie meinen auch noch es super zu machen und was interessiert mich, was die deutsche Bevölkerung über mich sagt.

Grumpler
8 Monate her

Joh, dann macht ma‘ hin! Und wenn wir schon dabei sind, kippt die Abstandsregeln für Windräder in Bayern. Damit wäre die Diskussion um das „Ausbremsen der Windkraft“ auch beendet. Es reicht eben hinten und vorne nicht. Außerdem sollten wir die Photovoltaikpanele abmontieren und nach Spanien, Südfrankreich und Italien schicken — dorthin WO DIE SONNE SCHEINT!!! Die US-Amerikaner entwickeln Nukleartriebwerke für die neuen Raumschiffe und wir killen absichtlich ein Technologiefeld nach dem anderen, den „Hyperloop“ ausgenommen. Aber das ist ja auch nur ein Transrapid in ’ner Röhre. Wie das wohl enden wird. In 10 Minuten aus der Münchner Innenstadt zum Flughafen,… Mehr

MartinL.
8 Monate her

Dank an Herrn Tichy und Herrn Haferburg für diesen Beitrag. Informationen sind die Grundlage zu einer Meinungsbildung, warum finden wir diese nicht in der Presse und in den von uns zwangsfinanzierten ÖR? … Möchte die Diskussion noch ein Stück erweitern. Wie kann man bei einem relativ stabil arbeitendem System, wie verrückt an allen Stellgrößen gleichzeitig herumstellen und erwarten ,daß dieses System weiterhin zuverlässig funktioniert? Zuerst der Atomausstieg von Rot/Grün. Dann dessen Rückgängigmachen durch Schwarz/Rot, anschließend die panische Ausstiegsankündigung nach Fukushima. Und nun, trotz geänderter Rahmenbedingungen der rücksichtslose Ausstieg durch Rot/Grün. Ist das nicht so ein starker Eingriff, daß es viel… Mehr

Thomas
8 Monate her

Die Grünen müssen für immer weg von jeglicher Macht.
Ihre Ideologie muss vollständig und nachhaltig auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt und begraben werden.
Erst wenn sichergestellt ist, daß die Grünen keine Gefahr mehr darstellen, kann man an den Wiederaufbau denken ohne befürchten zu müssen, daß die Grünen irgendwann wiederkommen um das Aufgebaute wieder einzureissen.
Ich denke mit entsprechenden Anreizen und Garantien findet man auch deutsche Fachkräfte für den Bereich.

Last edited 8 Monate her by Thomas
Kuestensegler
8 Monate her

Volle Zustimmung – aber: mich hätte nach meiner vorzeitigen Pensionierung kein Mensch für viel Geld und noch mehr gute Worte zurück an den Arbeitsplatz holen können. Bei Spitzensteuersatz und Sozialabgaben an der Beitragsbemessungsgrenze. Und die KfW-Spezialisten sollen ja auch schon tolle Jobs im Ausland haben.