Bad stuff. Oder: Die Moral von der Kashoggi-Geschichte

Die „westliche“ Demokratie ist schon lange nicht mehr das große Vorbild, nach dem die ganze Welt sich sehnt. Unsere Demokratien geraten wirtschaftlich und politisch in Abhängigkeit. Deshalb halten wir lieber den Mund. So auch im unappetitlichen Fall Kashoggi.

Noch sind uns die genauen Umstände nicht bekannt. Auf die Details des Horrors – ob der saudische Journalist Kashoggi von einem Killerkommando im Konsulat seines Landes in Istanbul zerstückelt und getötet oder getötet und zerstückelt wurde – kommt es politisch nicht an. Auch nicht darauf, ob der Kronprinz persönlich den Befehl dazu gab. Sein Regime hat gemordet, es kann sich nicht herausreden. Aber was bedeutet das?

I.

Am Anfang steht eine große Hoffnung. Saudi-Arabien, ein immer noch reiches, doch finsteres Land, scheint den Anschluss an die Welt gefunden zu haben. Man muss wissen, dass das saudische Königshaus seine Macht zwar einem Teufelspakt verdankt – mit der abartigsten Spielart des Islam, dem Wahhabismus – aber mit den geistlichen Kräften seine Macht teilen muss. Vom Westen wurde lange übersehen, dass längst ein Machtkampf im Gange war zwischen Klerikalen und Säkularen, das Königshaus dabei selbst durchaus nicht einig. Der neue Kronprinz gilt als Mann der Säkularisierung. Frauen, die Autos steuern dürfen, sind kein Durchbruch, aber durchaus mehr als ein Symbol für das, was in Bewegung gerät.

II.

Dazu kommt die Rolle Saudi-Arabiens als stabilisierender Faktor in der Region. Israel setzt auf die Saudis aus Furcht vor den Ayatollahs im Iran. Die USA ebenfalls. Und dazu kommt die Hoffnung, die Saudis könnten im Kampf gegen den islamischen Terror den entscheidenden Fortschritt bringen.

III.

Machen wir uns aber doch bitte nicht schon wieder Illusionen wie beim sogenannten arabischen Frühling! Würde von heute auf morgen Saudi-Arabien in eine lupenreine Demokratie verwandelt, käme das gleiche böse Erwachen wie in Ägypten nach dem Sturz Mubaraks 2011. Die Islamisten würden in freier und geheimer Wahl die Herrschaft übernehmen, mit allen Konsequenzen für die „freie“ Welt. Es ist noch immer ein fundamentaler Irrtum des „Westens“, zu glauben, man könne die ganze Weltgemeinschaft nach seinen Vorstellungen veredeln. Demokratie sei gleichbedeutend mit Menschenrechten. Dieser Irrtum hat bereits Millionen Menschen im Nahen Osten das Leben gekostet. Der Krieg der USA im Irak hat Saddam Hussein beseitigt und damit die Macht, die den Islam noch am besten unter Kontrolle hatte. Nicht anders später in Libyen.

IV.

Der saudische Kronprinz als Waffe gegen den fundamentalistischen Islam? Gewiss. Aber alles kostet seinen Preis. Und nun steht er auf der Rechnung. Der bärtige junge Mann ist zwar kein Islamist, aber wirklich kein Demokrat, sondern nur ein westlich gebildeter Tyrann, dem nicht die offene Gesellschaft am Herzen liegt, sondern die Herrschaft seines Clans. Und jeder, der das kritisiert, ist in seinen Augen ein Kashoggi.

V.

Kein Zufall, dass interessierte Kreise nun versuchen, Kashoggi als Anhänger der Muslimbrüder zu denunzieren – als könne dies das Verbrechen relativieren. Aber dieser Mord gilt nicht dem Kampf gegen das islamistische Mittelalter, sondern der Meinungsfreiheit. In dieser Hinsicht allerdings steht der Kronprinz und sein Land nicht allein. China hat gerade seinen Vizepolizeiminister und Interpol-Chef verschwinden lassen. Erdogan bringt seine Gegner womöglich nicht um, aber zieht sie aus dem Verkehr. Unrechtsstaaten wohin man blickt.

VI.

Die „westliche“ Demokratie ist schon lange nicht mehr das große Vorbild, nach dem die ganze Welt sich sehnt. China steigert den Wohlstand, steigt auf zum mächtigsten Staat der Erde. Sein Kapitalismus funktioniert ohne Demokratie, aber als Überwachungsstaat. Und unsere Demokratien geraten wirtschaftlich und politisch in Abhängigkeit. Deshalb halten wir lieber den Mund. So ist das auch im unappetitlichen Fall Kashoggi zu beobachten. Trump beklagt „bad stuff“, aber unternimmt nichts gegen die Saudis. Ist das noch Realpolitik oder schon Unterwerfung? Auch die Bundeskanzlerin schweigt. Ein Bündnispartner gegen den Islam, die finsterste Macht des gegenwärtigen Mittelalters, hat sich selbst als ziemlich mittelalterlich entlarvt. Wir werden es zwar nicht vergessen, aber hinnehmen werden wir es schon. Und auch weiter Waffen liefern. Denn die Saudis sind noch immer eine Hoffnung. Das ist die Moral von der Geschichte, eine andere gibt es nicht.


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Kommentare ( 77 )

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giesemann
5 Jahre her

Die Saud und Konsorten sind viel abhängiger von uns als wir von denen, ökonomisch gesprochen. Wenn nicht die westlichen Demokratien das Vorbild sind, nach dem gestrebt wird, was ist es dann? Die islamischen Staaten, Russland, China? Und warum kommen sie dann alle zu uns? Keiner aus der Ummah will nach Russland oder China. Und keiner von uns will zu denen, in die Ummah. Die Einbahnstraße der Migration hat eine klare Richtung, nicht wahr? Warum wollen sie UNS demographisch einsacken und nicht wir sie? Nach Vorbild der Eroberung der beiden Amerikas durch die Europäer mit ihren damals riesigen Geburtenüberschüssen – nicht… Mehr

giesemann
5 Jahre her

Die Saud als Hoffnung – schlimmer geht’s nimmer. Es geht in der Tat darum, den Islam in Schach zu halten, die Geißel der Menschheit. Das können z.Zt. am besten die Ägypter mit Asisi, mit Baschar Hafiz in Syrien und auch beispielsweise mit dem marokkanischen Königshaus. Tunesien, Algerien? Scheint gerade Ruhe zu sein dort. Paradoxerweise ist Iran zusammen mit den Russen auf Seiten von Hafiz („al Assad“, der Löwe). Sunniten Schiiten, Alawiten, was weiß ich wer noch – halten wir sie draußen, machen unsere Geschäfte mit denen und fertig. **

Nicholas van Rijn
5 Jahre her

„Nicht jeden Freitag wird geköpft.“ Claudia Bandion-Ortner, ehem. Justizministerin in Österreich. Diese Aussage war anläßlich einer Bilanzpressekonferenz nach 2 Jahren als Generalsekretärin des saudi-arabischen „König-Abdullah-Dialog-Zentrums“ (derstandard.at/2000007004349/Bandion-Ortner-ueber-Saudi-Arabien-Nicht-jeden-Freitag-wird-gekoepft). Über das Tragen der Abaya sagte sie: „Aber ich muss sagen: Die ist praktisch. Ein angenehmes Kleidungsstück. Sie hat mich ein bisschen an den Talar erinnert.“
Das war 2014.
http://www.dumont-buchverlag.de/buch/houellebecq-unterwerfung-9783832197957/

humerd
5 Jahre her

Der Postillion fasst das sehr gut zusammen: „“Folter und Enthauptung waren doch bis jetzt auch kein Problem“: Saudis ratlos, was sie beim Khashoggi-Mord falsch gemacht haben“ https://www.der-postillon.com/2018/10/khashoggi-bin-salman.html „Rüstungsexporte. Regierung genehmigt neue Waffendeals mit Saudi-Arabien Im Koalitionsvertrag hat sich die Regierung festgelegt, keine Waffen mehr an die Parteien im Jemen-Krieg zu liefern. Nach SPIEGEL-Informationen wurden trotzdem Deals mit Saudi-Arabien, den Emiraten und Jordanien genehmigt.“ http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ruestung-bundesregierung-genehmigt-neue-waffen-deals-mit-saudi-arabien-a-1229003.html Wenn heute Heiko Maas plötzlich den Moralisten gibt, dann denke ich, offensichtlich ist das Leben eines Journalisten mehr wert, als die vielen Menschenleben im Jemen. Unsere Regierung erhebt sich immer als die Moralinstanz der Welt und… Mehr

giesemann
5 Jahre her
Antworten an  humerd

Menschenleben sind generell nichts oder besser nicht viel wert, weil sehr billig zu haben, begreifen wir es doch endlich. Im Gegenteil, die gesamte Debatte um die Migrationseinbahnstraße zeigt, Menschen sind derart lästig, dass man sie sich vom Leibe halten will – und muss, zum Selbstschutz und aus Kostengründen, horribile dictu, hart aber wahr. Zumal bei historisch völlig irrrwitzigen 7,4 Milliarden, mit der Tendenz nach 10 Mill. bis Mitte des Jhdts. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Was etwas wert sein kann, ist die Rolle, politisch, ökonomisch, moralisch, die eine Person spielt und verkörpert. That’s it. Und das ist keine Satire,… Mehr

Manfred Gimmler
5 Jahre her

Ein solch dickes Faß macht keiner im Westen auf. Bevor dort die Menschen auch nur auf einen Teil ihres Wohlstandes verzichten, geben sie lieber etwas von ihrer Freiheit ab. So befinden sich die westlichen Demokratien (mit Deutschland unter Merkel an der Spitze) stetig auf dem Rückzug und werden von den „gelenkten Demokratien“ nicht mehr ernst genommen – ob von Chinesen, Russen, der islamischen Welt oder anderen, die die demokratisch organisierten Gesellschaften mit auf Menschenrechten basierenden Rechtsstandards als überholt und nur bedingt überlebensfähig betrachten. Komplizierte Entscheidungsprozesse, mangelnde Skrupellosigkeit, fehlende Leidensfähigkeit und anderes sehen sie als Gründe dafür. Das langsame Siechtum der… Mehr

Kassandra
5 Jahre her

„Und Gott schuf die Angst: Ein Psychogramm der arabischen Seele“ von Burkhard Hofmann. Wenn man sich den Inhalt und die ersten Rezensionen bei einem Internet Buchhändler anschaut, wird man für die Zukunft Erschreckendes erahnen.
Da gibt es nichts, was zueinander passt und dementsprechend auch nicht passend gemacht werden kann.
Scheint nur eine kurze Zukunft zu werden, dafür hat Merkel in „Vergangenheit“ gut gesorgt.

cm hoover
5 Jahre her

Die Saudis? So what?

Und wieder einmal muss man feststellen: es sind nicht die Moslems die Bösen. Die tun ja nur was Moslems am liebsten tun: nämlich andere Moslems weil nicht des „richtigen“ Islams „kashoggieren“.

Wir können das nicht ändern, wenn wir es versuchen geht es in die Hose (z.B. Irak, Libyen), und eigentlich fahren wir am besten, wenn wir nur zuschauen.

Was wir aber sschon ändern könnten und sollten, sind unsere eigenen moralisch hochbegabten „Eliten“ dorthin schicken, von wo sie sich ihre mit Affenliebe herangekarrten Migranten herholen.

Thomas
5 Jahre her
Antworten an  cm hoover

Abschotten und zuschauen.

Manfred Gimmler
5 Jahre her
Antworten an  Thomas

Richtig – genau so und nicht anders!

Wolkendimmer
5 Jahre her
Antworten an  Thomas

…. und zusehen das die Abhängigkeit von dem Drecksöl kleiner wird.

giesemann
5 Jahre her
Antworten an  cm hoover

Hier ging es nie um Glauben/Islam, sondern um den Macherhalt der ca 40.000 Prinzen gegenüber den ca 21 Mio. Saud – und um deren Privilegien, materiell und machtmäßig. Das hat Kashoggi etwas angekratzt, da verstehen die Prinzen keinen Spass. Immerhin kommen auf einen Prinzen so ungefähr 500 Untertanen – da wäre ein Aufstand schnell erledigt, und das wissen die alle, sind ja nicht blöd. Islam dient lediglich der Unterwerfung der Masse der Saudbevölkerung, am besten mit dem leicht s… en Wahabismus, klar. Wehe, die haben kein Geld mehr oder nicht genug, um diese schnell wachsenden Bevölkerung zu alimentieren und dadurch… Mehr

Jedediah
5 Jahre her

Aha, bei den Demokratiegläubigen scheint sich etwas zu bewegen. Vielleicht doch nicht die beste aller Welten? Offene Gesellschaft vielleicht doch eher geisteswissenschaftliche Heißluft, die eher die Ausbreitung von Gemeinheit und Idiotismus ermöglicht?

Farbauti
5 Jahre her

Saudi Arabien baut 560 Moscheen in Bangladesch. Vielleicht ist das mit arabischem Frühling gemeint?

Schwabenwilli
5 Jahre her

Einzig wegen der finanziellen Macht und Einfluss die die Saudis schon im Westen haben wird in einem Jahr kein Schw…. mehr darüber lamentieren. Nur wenn die Saudis, generell die Golfstaaten u.a. reiche islamische Länder durch eine Wirtschaftskrise o.ä. Krisen ihr, jetzt dummerweise, angelegtes Geld im Westen verlieren wird sich einiges ändern können.