Richter warnen vor der Abschaffung des Rechtsstaats in Spanien

Die spanische Linke liebäugelt mit dem venezolanischen Weg: Richter und Staatsanwälte warnen, dass ein neues Gesetz das Ende der Unabhängigkeit der Justiz in Spanien bedeuten würde. Es sei "Ausdruck des reinsten Chávismus". Und die Katalanen fordern Zugeständnisse. Von Thomas Punzmann

IMAGO / ABACAPRESS
Spanische Demonstranten protestieren gegen das Amnestiegesetz in der Nacht vom 12. auf den 13. November.
Vor einigen Tagen, noch vor Veröffentlichung des genauen Wortlautes des „Gesetzes zur Amnestie“, warnte die Präsidentin des Landes Madrid, Isabel Díaz Ayuso, vor der Errichtung einer sozialistischen Diktatur durch die Hintertür. Nur einige Tage später, so der Radiosender Ondacero, schlossen sich nun, da der Wortlaut des Gesetzes veröffentlicht wurde, die vier wichtigsten Verbände von Richtern und Staatsanwälten, darunter die Asociación Profesional de la Magistratura (APM) und die Asociación Profesional e Independiente de Fiscales (APIF), dieser Ansicht an.

Die Vereinigungen von Richtern und Staatsanwälten warnen, laut der Zeitung El Mundo, „dass das Gesetz Ausdruck des reinsten Chávismus sei (nach Hugo Chávez, der Venezuela in eine sozialistische Militärdiktatur verwandelte) und das Ende der Unabhängigkeit der Justiz in Spanien bedeuten würde“.

In ihrem Kommuniqué schreiben die Vertreter der APM: „Seit geraumer Zeit weisen wir auf den gravierenden Verfall der Institutionen und der Rechtsstaatlichkeit hin. Mit großer Sorge beobachten wir das andauernde Bemühen, die Justiz zu diskreditieren und sie in ihrer Funktion zu behindern. Außerdem registrieren wir permanente Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz und Versuche, die Gewaltenteilung auszuhebeln“.

In diesem Gesetz, das rückwirkend gelten soll, wurde auf Drängen von Carles Puigdemont, dem Führer von Junts, der umstrittene Begriff „lawfare“ aufgenommen. Der Begriff ist von „warfare“ abgeleitet und soll das frühere Handeln der spanischen Justiz als schmutzigen und illegalen Justizkrieg gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung diskreditieren.

Auch der Generalrat der Justiz (Consejo General del Poder Judicial, kurz CGPJ), so die Zeitung La Voz de Galicia, lehnt die im Regierungsabkommen enthaltenen Verweise auf den Justizkrieg als „sowohl semantisch als auch inhaltlich unzulässig“ ab und warnte, dass er „auf dem gesetzlich vorgesehenen Weg“ handeln werde, falls parlamentarische Kommissionen zur Untersuchung von Gerichtsverfahren eingesetzt würden.

„Der Text des Gesetzes“, so der CGPJ, „würde die Amnestie auf verurteilte Straftäter ausdehnen und zu Opfern eines angeblichen Justizkrieges machen“. Weiter sähe das Gesetz „Verantwortungsmaßnahmen“ gegen damals beteiligte Richter und Staatsanwälte vor.

Die Zeitung El Mundo weist in einem Artikel auf mögliche Folgen des „Ley de Amnistía“ hin: In bewusster Mehrdeutigkeit, der unterzeichnenden Parteien PSOE und Junts, deutet alles darauf hin, dass dies der Weg sein soll, um Fälle wie den des Anwalts von Puigdemont, Gonzalo Boye, der wegen Geldwäsche von Drogengeldern angeklagt ist, auf die lange Bank zu schieben. Ähnliches könnte mit einem weiteren Fall geschehen, der für Junts zwar relevant ist, aber offensichtlich nichts mit der Procès-Guerilla-Bewegung (Unabhängigkeitsbewegung) zu tun hat.

Hier geht es um die Vergabe öffentlicher Aufträge an enge Freunde. Ein solcher Fall war der von Laura Borrás, der Vorsitzenden von Junts, die zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Denkbar ist auch, daß die Gesetzesrevisionen darauf abzielen, Terrorismusvorwürfe gegen Carles Puigdemont und Marta Rovira in einer weiteren Anklage fallen zu lassen. Möglich wäre zudem die rückwirkende Anwendung des Gesetzes auf den wegen Bestechlichkeit vor Jahren verurteilten früheren Präsidenten Kataloniens Jordi Pujols.

El Mundo berichtet weiter von besonders pikanten Aussagen von Carles Puigdemont, bei einer von ihm einberufenen Pressekonferenz in Brüssel, wo es Journalisten nicht erlaubt war, Fragen zu stellen. Der Vorsitzende von Junts betonte die Position der Stärke seiner Partei und sagte, dass ihre Vertreter „weder Delikte eingestehen noch um Vergebung bitten würden“. Weiter erklärte er, dass das vereinbarte Gesetz „den gemeinsamen Willen von Junts und PSOE unterstreiche, niemanden, der in irgendeiner Weise verfolgt wurde, auszugrenzen“. „Nur weil diese Personen den Prozess der Unabhängigkeit unterstützt hätten“, so Puigdemont, „sollen sie weder strafrechtlich noch administrativ oder wirtschaftlich verfolgt werden“.

Und weiter sagte Puigdemont, vor Genugtuung schier platzend: „Anders als in der letzten Legislaturperiode, in der die Regierung von Pedro Sánchez genügend Stimmen hatte, muss sich die Regierung die Zustimmung von Junts in dieser Legislaturperiode Tag für Tag, Vereinbarung für Vereinbarung, verdienen“. Und: „Ohne unsere Zustimmung hat Pedro Sánchez diesmal keine Chance. Gibt er unseren Forderungen nicht nach, wird er auf dem Müllhaufen der Geschichte landen“.


Thomas Punzmann ist Galerist in Frankfurt am Main.

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Kommentare ( 30 )

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BeFrank700
6 Monate her

Ich kann diesem Bericht nur heftig widersprechen.
Die katalanischen frei gewählten Politiker haben sich in einer freien demokratischen parlamentarischen Abstimmung für die Durchführung des Referendums entschieden.
Die Verfolgung dieser Politiker durch die spanische Justiz kann man von Rechtsbeugung bis Staatsterrorismus benennen.
Zu Recht hat der europäische Gerichtshof für Menschenrechte, die Urteile der spanischen Justiz in dieser Sache gerügt. Jedoch hat die spanische Justiz dieses nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Auch Richter sind vor Populismus nicht gefeit.
Es ist höchste Zeit diese politischen Häftlinge in Spanien freizulassen und Amnestie zu gewähren.

Vladimir
6 Monate her

Warum soll es in Spanien anders sein, als bei uns?

Niklot
6 Monate her

Wo ist eigentlich die Brüsseler Blase, wenn die Axt an die spanische Justiz gelegt wird? Aber Spanien ist nicht Polen. Spanien wird durch Nichtbeachtung dafür belohnt, dass es wenigstens ein paar Migranten aufnimmt und auch eine linke Regierung hat bzw. bekommt.

Marc Greiner
6 Monate her

In Brasilien ist es auch so. Nur wegen einem Richter kam Lula frei und konnte unbehelligt President werden, da seinen Gegner richterlich verboten wurde im Wahlkampf zu erwähnen, dass Lula vorbestraft sei (und noch anderes auch). Die Justiz wird immer mehr zum Spielball der Politik. Einmal verbogen ist es sehr schwer es rückgängig zu machen. Siehe Israel. In Israel wurde genau dies von der Regierung versucht rückgängig zu machen und die linken Antidemokraten haben auf der Strasse monatelang blockiert. Siehe Polen, wo es noch immer fast unmöglich ist, Dank der Justiz, die Kommunisten zu belangen. In den USA ist es… Mehr

Brauer
6 Monate her
Antworten an  Marc Greiner

Brasilien geht sogar soweit, dass wenn Eltern ihre Kinder nicht gegen Corona impfen, Gefahr laufen, dass ihnen die Kinder weggenommen werden!

Marc Greiner
6 Monate her
Antworten an  Brauer

Stimmt nicht ganz. Die Auszahlung der Sozialhilfe wird davon abhängig gemacht. Solange man keine Sozialhilfe bezieht spielt es keine Rolle.
Es ist aber schon eine Erpressung von Seiten des Staates, welches man jederzeit ausdehnen könnte.

Cubus
6 Monate her

„Seit geraumer Zeit weisen wir auf den gravierenden Verfall der Institutionen und der Rechtsstaatlichkeit hin. Mit großer Sorge beobachten wir das andauernde Bemühen, die Justiz zu diskreditieren und sie in ihrer Funktion zu behindern. Außerdem registrieren wir permanente Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz und Versuche, die Gewaltenteilung auszuhebeln“.
Sprechen wir über Deutschland?

Nibelung
6 Monate her

Sehr einseitig, diese Warnung, wenn man selbst in einem grenzwertigen Unrechtsstaat lebt, wo das Recht mit Füßen getreten wird, was sogar Laien erkennen können. wenn sie aufmerksam durchs Leben gehen, wobei man als strammer Linker nichts zu berfürchten hat, im Gegenteil, da werden sogar Straftaten toleriert, die bei einem Rechten gnadenlos verfolgt würden. Wir unterscheiden uns nur noch von früheren Systemen darin, daß wir noch keine Umerziehungslager und keine andere Eliminierung gegnerischer Kräfte haben, was aber noch kommen kann, denn bei vielen Despoten hat es auch mal klein angefangen, bis sie am Ende über sich hinausgewachsen sind und das kann… Mehr

rainer erich
6 Monate her

Na sowas. Eine „Ueberraschung“ jagt die andere, in bestimmten, nicht zufaelligen Teilen Europas. Von Frankreich, GBR und Schland wissen wir, wohin die Reise geht. Insbesondere kennen wir die Taetergruppen und eine davon ist aktuell besonders ruehrig. Spanien waehnte ich, was die Bedrohung durch den Islam betrifft, weniger gefährdet. Dafuer ist hier der ( natuerlich totalitaere) Sozialismus offenbar sehr aktiv und, wie hier dabei,“ laestige“ Stoerungen durch das Recht und die Justiz zu beseitigen. Man kann wieder einmal fuer die Spanier nur hoffen, dass sie sich im Unterschied zu Sch’land, wo die Mission weitgehend, mit einer kleinen Gegenbewegung der Aufrechten, bereits… Mehr

Roland Mueller
6 Monate her

Auf die Idee, Staatsauflöser an der Regierungsbildung zu beteiligen, muss man erst einmal kommen. Das ist aber verständlich. Schließlich droht so mancher Karriere im Altparteiensumpf, die als intriganter Sesselfurzer im Parteibüro gestartet wurde, das abrupte Ende, wenn es mit dem Machterhalt nicht mehr klappt.

tobilinooo
6 Monate her

Es sind bereits Menschenmassen auf den Straßen, jeden Tag. Für Spanien mache ich mir keine Sorgen, zumal dort offenbar die Justiz noch funktioniert.

Sagen was ist
6 Monate her

Wie jetzt?

Nur in Spanien?

In der EU nicht?

„Richter warnen vor der Abschaffung des Rechtsstaats in Spanien“

Siggi
6 Monate her
Antworten an  Sagen was ist

Hier ist der Rechtsstaat bereits in Händen der Regierung. Die Abschaffung ist vollzogen. Dafür hat aber noch Merkel gesorgt. Die Ampel nutzt das nur schamlos aus.