Keine Angst vor der AfD

Wohin die AfD-Reise gehen soll, wissen die meisten Parteifunktionäre ebenso wenig wie ihre Wähler. Die Partei ist dagegen. Und das macht sie für viele sexy. Sie wollen den Arrivierten einen Schuss vor den Bug verpassen. Die etablierten Parteien sollten dies sehr ernst nehmen.

Wer hat Angst vor dem großen bösen Wolf? Fast alle. Denn Isegrim könnte hungrig sein. Unter seinem Fell könnte gar Onkel Wolf lauern – das größte Untier aller Zeiten. Vor ihm hat jeder Angst. Doch vor bellenden Hunden fürchtet sich so gut wie niemand – denn diese beißen bekanntlich nicht. Zumindest wird das behauptet.

Diese Parabel erläutert die vermeintlich unerklärlichen Erfolge der AfD. So lange die extreme Rechte als NPD mehr oder minder offen ihre Nähe zu den Nazis zur Schau trug – und dies weiter tut – hatten die Menschen Angst vor dieser Partei. Den Alt- und Neonazis möchte man nicht zur Macht verhelfen. Aus unzähligen Dokumentarfilmen und dem Geschichtsunterricht weiß man, dass die Nazis viel Böses angerichtet haben: die Juden ermordet, fast ganz Europa mit Krieg überzogen und als dessen Ergebnis auch Deutschlands Großstädte weitgehend zerstört. Diese albernen Uniformen damals und heute Glatzköpfe, Bomberjacken, aggressive Schläger. Aus den genannten Gründen hatte die NPD bei den Wählern wenig Erfolg. Ausreißer nach oben gab es nur, wenn sich die Neonazis volksnah gaben. Wenn sie sich um die Belange der Menschen kümmerten.

Ganz anders, zumindest zunächst, die AfD. Sie war eine Gründung von Bildungsbürgern. Bernd Lucke, ein deutscher Hochschullehrer, der sich Sorgen um unsere Volkswirtschaft macht. Unterdessen haben Lucke, seine Vertrauten und Gesinnungsgenossen die AfD verlassen müssen. Sie sind abgestoßen von fremdenfeindlichen und völkischen Tendenzen. Doch auch nach Lucke Weggang fährt die AfD fort, sich bürgerlich zu geben. Für diesen Markenkern steht vor allem Alexander Gauland. Ein bekannter, altbackener Journalist. Gaulands größtes Plus für die AfD ist sein Alter. Er hat bereits 75 Jahre auf dem Buckel– da ist man nicht mehr radikal. Und trägt statt Bomberjacke eine wohlanständige Krawatte. Doch Gauland möchte weiterhin provozieren. Das ist die politische Existenzgrundlage der AfD. Sie repräsentiert die Unzufriedenheit und die Ängste vieler Bürger mit dem bestehenden System in unserem Land.

Objektiv ging es den Deutschen nie besser. Es herrscht Vollbeschäftigung, die Wirtschaft boomt. Deutschland ist eine anerkannte Friedensmacht, wir leisten Entwicklungshilfe. Und zuletzt haben wir gar mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Gerade dies aber weckt bei vielen Befürchtungen. Werden diese Menschen bei uns bleiben? Die meisten Flüchtlinge haben bereits politisches Asyl bei uns beantragt – dies steht laut unserem Grundgesetz politisch Verfolgten zu. Unterdessen sucht die deutsche Wirtschaft dringend Arbeitskräfte. Doch anders als uns manche Politiker, progressive Journalisten und Gutmenschen weiß machen, besteht das Groß der hierher Geflohenen nicht aus Ärzten, Ingenieuren, Akademikern und Facharbeitern.

Die deutschen Dax-Unternehmen, die sich vor Jahresfrist begeistert über die Einwanderungswelle äußerten, haben unterdessen ganze 58 Personen aus diesem Kreis eingestellt. Denn ein Großteil der Hierhergekommenen sind keine Akademiker oder Facharbeiter. Bei den nach Deutschland Immigrierten handelt es sich überwiegend um junge Männer ohne Berufsausbildung oder einer, die deutschen Maßstäben nicht genügt.

Für viele Deutsche problematisch ist die Religion der Herkommenden, sie sind Moslems. Nicht wenige von ihnen orthodox. Diese Menschen kommen aus einem anderen Kulturkreis, in dem Frauen wenige bis keine Rechte genießen. Und viele junge Flüchtlinge waren selbst an den Bürgerkriegen in Afghanistan oder Syrien beteiligt. Sie sind mit Gewalt aufgewachsen und haben diese vielfach auch ausgeübt. Dies musste nach der anfänglichen Euphorie über die gute Tat des Beistands in der Not auch Ängste bei manchen Deutschen hervorrufen. Diese wurden durch die optimistische Formel der Bundeskanzlerin: „Wir schaffen das!“ kaum gemindert. Eher verstärkt. Ein Hypochonder fühlt sich durch den Ausspruch eines Arztes: „Sie schaffen das!“ allein gelassen. Ähnlich empfanden es zahlreiche Menschen. Vor allem jene, die über wenig Einkommen verfügen und nicht herausragend gebildet sind.

Die ansteigende Zuwanderung bedeutete für die durch innere Zwistigkeiten paralysierte AfD eine unverhoffte Reanimation. Nach dem Abgang von Lucke und Co. hatte die Restpartei ihr Thema in der vermeintlichen Bedrohung Deutschlands durch die Flüchtlinge gefunden. Die Attacken gegen Frauen in der Silvesternacht in Köln, Terroranschläge in Ansbach und Würzburg und zuletzt die bekanntgewordene Tatsache, dass der Islamische Staat IS unter den Flüchtlingen potenzielle Attentäter nach Deutschland schleust, steigerte bei vielen Deutschen Befürchtungen zur Panik. Selbst gestandene Politiker etablierter Parteien, ja sogar die Linke Fraktionschefin Sahra Wagenknecht begann sich zum Sprachrohr der Befürchtung vor den Zuwanderern zu machen. Manche spekulierten offen über eine Einschränkung des Asylrechts und eine Begrenzung der Immigration. Frei nach den Beispielen Österreichs und Schwedens, wo die anfängliche Euphorie über die Zuwanderer längst in eine kategorische Begrenzung der Immigration umschlug.

Zu spät! Die etablierten Parteien, einschließlich der CSU, mögen noch so laut über eine Reduzierung der Zuwanderung diskutieren – es wird ihnen wenig geglaubt. Denn es gibt das Original, die AfD. Diese fordert ein kategorisches Ende der Immigration. Um ihre Glaubwürdigkeit als Alternative zu unterstreichen, spekuliert die Parteivorsitzende Petry zudem über eine Renaissance des Völkischen. Ein Begriff, der durch die Nazis und deren „Völkischen Beobachter“ in Deutschland diskreditiert ist. Frauke Petry und ihr Einpeitscher Björn Höcke mögen noch so viel provozieren, es wird ihnen nicht schaden. Auch nicht, dass die meisten ihrer Vorschläge der Realität nicht standhalten. Einerlei! Für die meisten ihrer Wähler ist entscheidend, dass sie mit ihrem Votum die vermeintliche Selbstgefälligkeit der vorherrschenden demokratischen Parteien erschüttern.

Wohin die AfD-Reise gehen soll, wissen die meisten Parteifunktionäre ebenso wenig wie ihre Wähler. Die Partei ist dagegen. Und das macht sie für viele sexy. Sie wollen den Arrivierten einen Schuss vor den Bug verpassen. Die etablierten Parteien sollten dies sehr ernst nehmen. Nicht allein aus augenblicklichen machttaktischen Erwägungen. Es gilt viel mehr, die Bevölkerung durch eine bürgernahe Politik und ständige Ansprache für die Parteien und ihr Tun mitzunehmen. Gelingt dies nicht, flüchten sich die angestammten demokratischen Parteien in Koalitionen, die gerade noch über die Mehrheit verfügen, dann wird die von der AfD repräsentierte Stimmung der Unzufriedenheit anschwellen.

Noch ist es Zeit. Doch höchste Eisenbahn! Die Demokraten müssen sich aus ihren Sesseln herabbequemen, zu den Bürgern gehen und deren Sprache sprechen. Sonst werden andere ihren Platz einnehmen.

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