Zurück zu Europa

Wir lieben Griechenland als Wiege der europäischen Kultur – aber müssen wir deshalb Athens ungeheuerliche Schlamper-Schulden bezahlen? Wie lange ertragen wir Trittbrettfahrer, die allerdings nicht draußen am Zug hängen, sondern im Führerstand fummeln. Wie lange überlassen wir Europa denen, die sich aus den tiefen Taschen bedienen und wie Rumänien und Bulgarien damit doch nur die Korruption befeuern? Wieso gewähren wir Großbritannien Jahr für Jahr fünf Milliarden Euro Beitragsrabatt und nehmen hin, dass London jede Vertiefung der Vereinigung torpediert, weil sein Ziel nur eine kontinentaleuropäische Freihandelszone ist, die für die Raubzüge seiner Boni-Banker offenstehen soll.

Glauben wir wirklich, dass Europa stärker wird, wenn wir – wie versprochen – Kroatien und Mazedonien aufnehmen als Vorstufe für den Beitritt von Bosnien/Herzegowina, des Kosovo, Montenegro und Albanien? Und wenn die angesichts des faktischen Beitrittsautomatismus drin sind – wie sollen dann die Türkei, die Ukraine und Georgien draußen gehalten werden? Das vereinte Europa ist eine Jahrtausendidee, die diesem geschundenen Kontinent nach erbitterter Selbstzerfleischung Frieden und Wohlstand beschert hat. Aber wir verspielen dies durch eine Erweiterungspolitik, die die europäische Idee inflationiert und damit entwertet, ihre Kraft verwässert und den frisch ernannten Präsidenten als Herr-haste-nix-zu-sagen der Lächerlichkeit preisgibt.

Wie verfahren die Lage ist, zeigt der Vertrag von Lissabon. Da wurde jahrelang um ein besseres Funktionieren und eine straffere Organisation gerungen. Jetzt ist der Vertrag da – und das europäische Chaos absurder Entscheidungsfindung geht munter weiter. Das Europa der 27 Mitglieder wird mit jedem neuen Mitglied nur weiter geschwächt statt gestärkt. Lustvoll addieren Euro-Funktionäre Bevölkerungszahlen und Brutto‧sozialprodukte zu einem vermeintlichen Machtgewinn und vergessen, dass sie nur einen Scheinriesen kostümieren.

Die Hoffnung auf eine stärkere Rolle Europas im multipolaren Powerplay entweicht und hinterlässt ein Machtvakuum. Als handlungsfähige Akteure kehren im verflachenden Riesenreich die Nationalstaaten zurück – wobei es doch das Ziel der Vereinigung war, ihre im globalen Maßstab zu geringen Kräfte zu bündeln. Und so versucht jeder dieser Nationalstaaten aus dem europäischen Mantel sich ein möglichst großes Stück herauszufetzen. Das erinnert an den Verwesungsgeruch, der von dem jahrhundertelangen Siechtum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ausging – ehe es ganz vom mörderischen Wirken der Nationalstaaten abgelöst wurde.

Zurück zum KernEuropa

Wer Europa liebt oder auch nur von seiner Notwendigkeit überzeugt ist, muss den Weg zurück zu einem Kerneuropa finden. Die wirtschaftliche Integration braucht das Dach der politischen Einigung. Für die Vertiefung der politischen Integration sind statt gemeinschaftlicher Vorschriften über den Wassergehalt der Weißwurst aber gemeinsame Grundüberzeugungen notwendig, wie eine gute Regierung und eine moderne Gesellschaft zu organisieren seien.

Das kostet Anstrengung, Beistand für schwächere Mitglieder und Verzicht auf nationale Vorteilsnahme und Souveränität. Solche Grundüberzeugungen und Bereitschaften waren bei den sechs Gründungsmitgliedern gegeben, und dem haben sich kleinere Länder angeschlossen wie Irland, Österreich und die baltischen Staaten. Aber anstatt noch mehr Nicht-Zusammenpassendes zusammenzubringen oder Nicht-Dazupassendes anzuhängen, sollten die klügsten Köpfe Europas jetzt überlegen, wie dieses Zurück zum Kerngedanken organisiert werden kann.

Die Jahrtausendidee des vereinten Europas ist es wert.

(Erschienen am 12.12.2009 auf Wiwo.de)

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