Deutschland geht es so gut wie nie zuvor. Das ist der ideale Zeitpunkt für echte Reformen. Leider fehlen Führung und Reformwille.
Auch ohne den letzten Fußballerfolg: Deutschland erlebt ein Sommermärchen. Die Arbeitslosigkeit auf Tiefststand, die Beschäftigung spiegelbildlich ganz oben. Auch wenn es SPD und Gewerkschaften bestreiten: Die Zahl der prekären Beschäftigungen schrumpft, es sind neue Normalarbeitsverhältnisse, die entstehen. Löhne und Gehälter steigen. Selbst der gefürchtete Blackout durch die Energiewende ist bisher ausgeblieben. Die Deutschen treten gerne kosmopolitisch auf, lieben Europa, die Demokratie, ihr Land und ihr Wohlergehen. Es ist, als ob sie die Schatten der Vergangenheit abgestreift und sich ein Volk neu erfunden hätte – lebensfroh und friedliebend, der Welt zugewandt. Laisser-faire, und doch fahren die Züge pünktlich; hedonistisch, und doch stagniert die Staatsverschuldung. Erfolge soll man feiern, die guten Tage genießen und nicht durch Bedenken kleinreden: Let the good times roll; Denglisch ist ein Teil der neuen globalen Leitkultur dieses Landes.
Aber in Wirtschaft und Politik wird heute die Zukunft organisiert. Jetzt wären die Zeit, die Kraft und die Mittel da, um Langfristthemen anzupacken – da gäbe es ja einiges zu tun für eine tatkräftige Regierung mit satter Mehrheit im Bundestag.
Man könnte das wirklich weltbeste Schul- und Ausbildungssystem entwickeln und sich nicht fröhlich damit abfinden, wenn im internationalen Pisa-Vergleich ein paar Tabellenpunkte gewonnen wurden. Denn das Niveau der Universitäten nimmt in der Breite bedenklich ab und die Spitze ist nicht Weltspitze, Schulklassen sind überfüllt und die Pädagogik taumelt nur von einer Verschlimmbesserung zur nächsten.
Die Verkehrsinfrastruktur ist brückenweise verrottet. Straßen und Bahn werden vom Verkehr überrollt, der dem wirtschaftlichen Erfolg vorausfährt.
Die Verschuldung des Bundes schmilzt wegen der Null-Zins-Politik, aber viele Bundesländer und Kommunen kriegen trotzdem die Kurve nicht. Wer aber in den besten aller Zeiten die schwarze Null nicht schafft, der schafft sie nimmermehr. Die Sozialpolitik schüttet ihr Füllhorn über diejenigen aus, die in den vergangenen Jahrzehnten großen Wohlstands Ansprüche erworben haben. Die Rente mit 60 ist das nächste Ziel der Linken; im satten Wohlbefinden werden die Parteiprogramme aus den Siebzigern umgesetzt, die bereits im kommenden Jahrzehnt unfinanzierbar sind. Dabei gibt es die beklagte Altersarmut beim heutigen Rentner kaum – bei den heutigen Beitragszahlern wird sie pandemisch. Sozialabgaben und Lohnkosten steigen, Investitionen sinken. Bei allem Wohlstand wächst das materielle und kulturelle Elend: Als Konsequenz einer ungesteuerten Zuwanderung und mangelnder Integration entstehen Räume der Rechtlosigkeit, die die Polizei nicht mehr betritt und in der Clans und seltsame Abarten des Islamismus die Menschen manipulieren. Ludwig Erhards „Wohlstand für alle“ ist verwirklicht, aber die Ränder fransen aus. Rezepte? Keine.
Deutschland hat sich in einer einmaligen Komfortzone der Geschichte wohlig eingerichtet. Noch sind wenig Alte zu versorgen, das sind die Spätfolgen des Krieges. Wir haben wenige Kinder, da finanziert sich die Fernreise der Doppelverdiener von alleine. Eine neue Betroffenheitskultur erregt sich über Dinge, die weit weg oder nebensächlich sind. Veganismus und Bürgerrechte für Katz und Hund sind das Sommerthema im Feuilleton. Aber diese Pseudo-Erregung bleibt folgenlos. Eine ständig älter werdende Gesellschaft verbindet ihre individuelle Zügellosigkeit mit einem strukturellen Konservatismus: Es ist gut, wie es ist, und so soll es auch bleiben.
Aber es muss sich bekanntlich alles ändern, damit es so nett bleibt, wie es ist. Die gesellschaftlichen Eliten schweigen, die Wirtschaft genießt den Dax-Höchststand. Die Politik will nicht verstören. Ihr Ziel ist der schiere Machterhalt. Alternativen werden ausgeschlossen, denn sie würden das Sommermärchen nur stören. Dabei müssen die Quellen des Wohlstands neu erfunden werden.
(Erschienen auf Wiwo.de am 05.07.2014)
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