Glanz oder Gemurkse

Es wird einem fast schwindelig, wenn man den schnellen Absturz in Ansehen und Vertrauen beobachtet, den der 44. US-Präsident Barack Obama erleidet: Es mag ihm nichts gelingen.

Das Folterlager Guantanamo weiter in Betrieb, die Staatsfinanzen zerrüttet, die Wirtschaft lahm, die Kriege im Irak und Afghanistan immer blutiger. Die erste Nachwahl verloren, die Gesundheitsreform stockt, seine Friedensinitiativen stoßen auf die kalte Ignoranz in Moskau und Teheran.

Hoffentlich geht es wenigstens Bo gut, dem „First Dog“ der Kinder im Weißen Haus. Wie glanzvoll war doch Obamas Sieg, wie herrlich der Auftritt des schönen Paares, wie vielversprechend der Anfang, damals, vor einem Jahr.

Wie grau und vermurkst erscheint dagegen nach nur 100 Tagen Amtszeit der schwarz-gelben Koalition der Regierungsstil von Angela Merkel. Ein zusammengestoppelter Koalitionsvertrag voll schwammiger Formulierungen und leerer Versprechen; lieblos abgelesene Reden; ein Horizont, der von der Mindestsicherungsleistung nach Hartz IV bis zur Landtagswahl im Mai in Nordrhein-Westfalen reicht. Die Rettung der Weltwirtschaft wird über Mehrwertsteuersenkungen für Hoteliers versucht. Kein Projekt, keine Fantasie, nur hölzerner Pathos aus der verbeamteten Schreibstube.

Unterschiedlicher können Politikstile nicht sein – in den USA die jubelnden Massen, in Deutschland frustrierte Kommentatoren, weil die in zähen Verhandlungen ausgehandelten faulen Kompromissen die klare Trennlinie zwischen Gut und Böse verwischen.

Und doch: Irgendwie funktioniert das System Merkel deutlich effizienter und erfolgreicher als der Glanz und strahlende Schein Obamas, der zu einem flackernden Irrlicht verkommt.

Stilfragen in der Politik werden an dem berüchtigten Spruch Helmut Kohls gemessen: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt“. Da ist die inhaltliche Prognose eine andere als der Anschein – Angela Merkel wird die Macht lange behalten und Erfolge erzielen. Die nächste Steuerreform kommt, etwas kleiner, etwas später und mit mehr Stufen – aber sie wird kommen. Und wenn die Entlastung zu bescheiden ist, hat die FDP ein Problem, aber nicht Angela Merkel.

Die Staatsschulden in Deutschland sind zu hoch – aber deutlich niedriger als in vergleichbaren Ländern. Und gemessen an den USA, wirkt Deutschland als das Land eiserner Finanzdisziplin. Das “Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ entkam nur knapp der Peinlichkeit, zum Unwort des Jahres gebrandmarkt zu werden – aber die Wirtschaft wächst so einigermaßen.

Während Obama seine Visionen vom Teleprompter abliest, lässt Merkel alle anderen reden und wartet geduldig, bis sie sich totgeredet haben. Im Zustand der allgemeinen Ermattung nach einer totgelaufenen Debatte setzt sie dann ihre Vorhaben durch. Während Obama die große Weltbühne liebt, aber Nachfragen aus dem Weg gehen muss, weil er sich wohl ohne Formulierungshilfe verplappern würde, kann Merkel jedes Detail des Reformgehackten referieren, das außer Fachleuten schon keiner mehr hören will.

Merkel ist die Technokratin der Macht und ihrer Instrumentalisierung, Obama ist der Meister des Anscheins. Beide sind auch die Kinder der unterschiedlichen politischen Systeme und wären totale Fehlbesetzungen im jeweils anderen. Aber für beide gilt Max Webers Einsicht, schon 1919 formuliert, dass Politik die Kunst ist, dicke Bretter zu bohren. So ähnelt Angela Merkel zunehmend Helmut Kohl. Wie hat er uns gequält mit pfälzischem Saumagen, der blauen Strickjacke, den Pantoffeln der Macht. Aber er wurde ein großer Kanzler.

Angela Merkel steht erst am Anfang – Obama vielleicht schon am Ende.

(Erschienen am 23.01.2010 auf Wiwo.de)

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