Die CDU hat endlich einen Chef-Ideologen

Die CDU macht sich zunehmend überflüssig. Sie hat sich, wie ihr Grundsatzkonvent zeigt, von allen intellektuellen Haltetauen befreit. Dafür hat die CDU endlich einen Chef-Ideologen, und der heißt Ralf Fücks. Vorwärts nimmer, rückwärts immer.

Screenprint: via Twitter
Die CDU befindet sich praktisch im Zustand der Auflösung. Sie weiß es nur noch nicht, weil sie nie ein Interesse an einem intellektuellen Frühwarnsystem gehabt hat. Man hatte der CDU vorgeworfen, dass sie anders als die Grünen über keine Think-Tanks verfügt, dass sie Intellektuelle nicht fördert, und wenn, dann nur die, deren Förderung sie auch von den Grünen genehmigt bekommt. So jedenfalls der Eindruck, wenn man die Verachtung oder das Desinteresse der Partei für die ihnen nahestehenden Intellektuellen anschaut. Daran ändert auch ein netter Verein wie R21 nichts.

Nun hat die CDU sich zu einem Grundsatzkonvent versammelt, um eines Tages ein neues Grundsatzprogramm verabschieden zu können. Am Tag zuvor hatte der NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst auf einem „kleinen Parteitag“ im Konrad-Adenauer-Haus mit einer Rede sich als Kanzlerkandidat für die Union ins Gespräch gebracht.

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Man muss dazu wissen, dass Wüst der CDU-Mann ist, der als Regierungschef in NRW die Bildung und Finanzierung von Meldestellen ermöglicht hat, die seine grüne Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration, Josefine Paul, in einem Tweet so ankündigte: „Mit seinem bundesweit einzigartigen System von Meldestellen wollen wir insbesondere auch Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze registrieren, die nicht in den Polizeistatistiken erfasst werden.“

Auf der Seite ihres Ministeriums wird die Ministerin im Kabinett des CDU-Politikers Wüst präziser: Die Meldestellen „nehmen folgende Themen in den Blick: 1. Queerfeindlichkeit, 2. antimuslimischer Rassismus, 3. Antiziganismus sowie 4. anti-Schwarzer, antiasiatischer und weitere Formen von Rassismus“. Die Formulierung „weitere Formen von Rassismus“ ist entlarvend, denn die Ministerin nebst ihrer Mitstreiter müssen ihr Leben in einer Welt voller Rassismen fristen, die in ihrer stets sich vermehrenden Diversität einzig und allein von den weißen Deutschen ausgehen, von heterosexuellen Deutschen ohne Migrationshintergrund, jenem reaktionären Teil der Bevölkerung, der das einzige und große Problem des zu transformierenden Deutschlands darstellt, und einen erschreckenden Umerziehungsbedarf anmeldet.

Die Landesregierung gibt für den Aufbau der vier Meldestellen jeweils 140.000 Euro aus. Wenn die Meldestellen, deren Konzeption unter anderem „durch das Queere Netzwerk NRW e.V. in Kooperation mit rubicon e.V., dem Lesben- und Schwulenverband NRW (LSVD NRW e.V.), der Landesarbeitsgemeinschaft Lesben in Nordrhein-Westfalen e.V. (LAG Lesben in NRW e.V.) sowie dem Verein Geschlechtliche Vielfalt Trans* NRW e.V. (NGVT*)“ entsteht, in „einem engen Austausch mit den jeweiligen Gemeinden und Communities“ arbeiten, werden sie zu Machtmitteln dieser Gemeinden und Communities und tragen zur Desintegration der Gesellschaft bei, weil dadurch die Mehrheitsgesellschaft selbst zum Verdachts- und Beobachtungsfall wird, der Diskriminierung und Rassismus aus Gründen des Alters, des Geschlechts, der Herkunft und der sexuellen Identität unterstellt werden – und die am Ende, wie es sich ankündigt, aus Gründen des Alters, des Geschlechts, der Herkunft und der sexuellen Identität diskriminiert wird.

Auch wenn die Idee von Wüsts Meldestellen durchaus von Erich Mielke hätte stammen können, sieht sich Hendrik Wüst, der sich anschickt, gerne Bundeskanzler werden zu wollen, in einem Meinungsbeitrag für die FAZ in der Mitte der Gesellschaft, so wie seine Lehrmeisterin Angela Merkel, deren Erbe er bewahren möchte. Vielleicht hat er nur etwas verwechselt, dass er nämlich die Mitte der Gesellschaft ausspäht, anstatt in ihrer Mitte zu sein. Jedenfalls bewegt er sich auf den grünen Rand zu.

Doch nicht, dass der CDU-Politiker Carsten Linnemann zum Grundsatzkonvent den Meldestellen-Ministerpräsident Wüst außergewöhnlich herzlich begrüßte, zeigt, wie es um die CDU bestellt ist, sondern dass der ehemalige Chef der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, eingeladen wurde, um dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz einfach mal klar zu machen, welches Grundsatzprogramm die CDU zu beschließen hat, wenn sie künftig unter den Grünen die Bundesregierung bilden will.

— Friedrich Merz (@_FriedrichMerz) June 17, 2023

Man muss schon viel Mitleid mit dem intellektuellen Zustand der CDU aufbringen und vor allem mit Carsten Linnemann, der Fücks als einen „Intellektuellen dieses Landes“ begrüßte. Fücks fiel weniger durch intellektuelle Leistungen als durch die beeindruckende Fähigkeit auf, sein Zentrum liberale Moderne, das nicht sonderlich liberal ist, zu finanzieren. Das beherrschen die Grünen besonders gut, mit öffentlichen Mitteln oder mit Spenden, gern auch aus den USA, ihre 1001 NGOs, Think-Tanks und Stiftungen zu unterhalten.

Es stellt schon eine gehörige Portion Defätismus dar, dass nicht der vielleicht brillanteste Politikwissenschaftler des Landes, Werner J. Patzelt, zum Grundsatzkonvent eingeladen wurde, statt seiner aber der Grüne Ralf Fücks. Patzelt hatte seine Mitarbeit sogar angeboten, doch die Linnemanns der CDU hatten kein Interesse daran. Fücks wurde unter dem Vorsitz von Roland Koch 2022 als Mitglied in die Ludwig-Erhard-Stiftung aufgenommen, in der übrigens auch Linnemann Mitglied ist – die grüne Hochzeit wird also an allen Ecken und Enden vorbereitet.

Doch für die CDU wird es noch peinlicher; noch deutlicher wird, dass die Grünen kein Problem mehr damit haben, die Führungsgarde der CDU aus Disziplinierungsgründen am Nasenring durch die politische Manege zu führen.

Die Bundespolizistin Claudia Pechstein hat eine Rede gehalten, die in der Tat aus der Mitte der Gesellschaft kam. So führte sie mit Sachkenntnis aus: „Wenn Menschen zu uns kommen und Asyl beantragen, und ein Richter nach Prüfung aller Fakten zu dem Schluss kommt, dass der Antragsteller kein Recht hat, hier zu leben, dann versteht niemand, dass solche Menschen einfach hier bleiben dürfen.“ Für Pechstein – und da hat sie recht – ist das ein grundsätzliches Problem, ein Problem übrigens der Auflösung des Rechtsstaates. Sie sprach an, was sich Tag für Tag in Deutschland immer stärker zeigt, dass die innere Sicherheit immer weniger gewährleistet werden kann.

Claudia Pechstein verdeutlichte das am Beispiel des öffentlichen Nahverkehrs, den man doch benutzen können sollte „ohne ängstliche Blicke nach links und rechts werfen zu müssen“. Diese Aufgabe anzugehen, sei doch „grundsätzlich hundertmal wichtiger …, als darüber nachzudenken, ob wir ein Gendersternchen setzen, ob ein Konzert noch deutscher Liederabend heißen darf oder ob es noch erlaubt ist, ein Zigeunerschnitzel zu bestellen.“ Zur Gender-Politik führte sie aus: „Die Kinder hierzulande wollen nicht nur einen guten Job, eine heile Familie, eine traditionelle Familie, sie wollen Mama und Papa.“

Kaum hatte Claudia Pechstein in Uniform gesprochen, setzte sich der grüne Denunziationszug in Bewegung. Renate Künast forderte von der Bundespolizei eine Untersuchung, weil Pechstein in Uniform gesprochen hat. Hat man von Renate Künast eigentlich mal etwas darüber gehört, dass ihr Parteifreund Habeck die Polizei assoziativ in die Nähe der Schlägerbanden der Nationalsozialisten rückte?

Ein Verfahren wurde eingeleitet, nicht gegen Robert Habeck, nicht wegen seiner Affären, nicht wegen seiner Herabwürdigung der Polizei und der Justiz, sondern gegen Claudia Pechstein. Die Bundespolizistin ist Polizeihauptmeisterin und hat für Deutschland fünf Olympiasiege 1994, 1998, 2002 und 2006 geholt.

Brav war die CDU aus Sicht des grünen Hegemons, als sie sich zu Füßen von Ralf Fücks setzte – und fiel dann doch wieder aus dem Rahmen, als sie Claudia Pechstein reden ließ.

Die Angriffe, der geglückte Versuch, Pechstein ein Verfahren anzuhängen, sagt alles über die Grünen – und er ist menschlich und politisch unanständig. Aber: Was sollen die Grünen auch tun, wenn es ihnen doch erkennbar an Argumenten mangelt?

Null Opposition
Die hilflose Merz-CDU traut sich nicht, der Ampel zu widersprechen
Steht die CDU wirklich hinter Pechstein? Oder versammelt sie sich in Blockpartei-Nostalgie hinter den Grünen? Friedrich Merz verteidigte Pechstein im Nachgang ihrer Rede. Noch. Wie man hier schon oft erlebt hat, muss der Druck nur etwas ansteigen, damit sich hier wieder eine Kehrtwende vollzieht.

Es scheint, dass es einen harten Wettstreit in der CDU geben wird um den nächsten Kanzlerkandidaten, möglicherweise zwischen Daniel Günther und Hendrik Wüst, zwischen grün und grüner, zwischen dunkelrotgrün und tiefgrün.

Die CDU hat sich zunehmend überflüssig gemacht. Sie hat sich, wie der Grundsatzkonvent zeigt, von allen intellektuellen Haltetauen befreit. Dafür hat die CDU endlich einen Chef-Ideologen, und der heißt Ralf Fücks. Vorwärts nimmer, rückwärts immer.

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