Auch nach dem Afghanistan-Debakel: Der Elefant im politischen Raum bleibt unbeachtet

Die deutsche Politik reagiert auch auf die Ereignisse in Afghanistan mit der eingeübten Verweigerungshaltung vor den harten Fragen der Wirklichkeit. Über Krieg und Militärisches spricht man gar nicht oder nur höchst moralisch. Und über Einwanderung nur im Tenor der Maximallösung.

IMAGO / photothek

Und noch ein Elefant im politischen Raum, der zu den bereits Backe an Backe harrenden Dickhäutern drängt. Doch unsere Politiker stehen, Haltung annehmend, lieber mit dem Rücken zum Porzellanladen. 

Nach allen Pleiten, Pech und Pannen seit Angela Merkels Amtsantritt nun auch noch das: Afghanistan. Hatten wir doch eigentlich längst vergessen, schließlich wurde stets darauf geachtet, dass möglichst niemand die sonnen- und sandgegerbten Veteranen bei der Rückkehr nach Deutschland zu Gesicht bekam. Der Flughafen Leipzig hatte extra einen Hinterausgang für sie bereit. Same procedure auch kürzlich, nachdem die letzten von einem zwanzig Jahre währenden Desaster zurückkamen: Corona sei Dank, dass man ihnen keinen großen Bahnhof bereiten musste.

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Soldaten und Militär mag man bei uns nicht. Und wenn’s dann doch mal sein muss, möchten wir bitte nicht ins Detail gehen. Etwa, dass die 59 in Afghanistan ums Leben gekommenen deutschen Soldaten nicht beim Brunnenbauen oder der Begleitung von Mädchen in die Schule gestorben sind – im Dresdner Militärhistorischen Museum konnte man ein von Schüssen durchlöchertes Fahrzeug besichtigen. Und Krieg? Das böse K-Wort kommt uns nicht über die Lippen – dabei ist eine „militärische Aktion“ keineswegs harmloser, im Gegenteil: Im erklärten Krieg gelten wenigstens Regeln. 

Außenpolitik ist in unserem kleinen Paradies so unterentwickelt wie strategisch-militärisches Denken. Lieber hält man an der romantischen Vorstellung einer „Friedensarmee“ fest, in der auch Frauen im Schwangerschaftsanzug im Panzer ihren gewaltfreien Dienst tun. Der Unernst, mit dem Menschen behandelt werden, denen man im Fall des Falles zumuten muss, ihr Leben zu riskieren, ist atemberaubend. 

So urteilte Marcel Bohnert, der als Oberstleutnant im Generalstabsdienst der Bundeswehr dient, in einer Studie bereits 2017 über den Einsatz in Afghanistan: Zur Erreichung dieser Ziele habe es „nie eine umfassende und kohärente politische Strategie“ gegeben. Unzulängliche politische Vorgaben hätten es nicht erlaubt, eine schlüssige militärische Strategie zu definieren. Angesichts der unterlassenen geistig-strategischen Vorbereitung und mangels einer realistischen Beurteilung der Lage habe der Einsatz einem „naiven Abenteuer“ geglichen.

Auch im Auswärtigen Amt hat man das Denken über Militärisches und harte Sicherheitsfragen verlernt. Doch selbst jetzt wird die Debatte nicht geführt werden über Sinn und Zweck der Bundeswehr, die unter ständigem Verdacht (rechts!) steht und eine „Parlamentsarmee“ ist. Letzteres bedeutet nichts anderes, als dass sie von Dilettanten in Einsätze geschickt wird, deren Sinn und Zweck unter Moralgewolke versteckt wird, schon, weil man weder das eine noch das andere durchdacht hat. 

Denn gottlob steht jetzt wieder das Menschliche an vorderster Stelle, damit kennen wir uns besser aus – mitsamt der moralischen Erpressung, die bis eben noch hieß „Ja, sollen wir sie denn ertrinken lassen“?

Die Taliban waren schneller, als man annahm – und die milliardenschwer ausgebildete afghanische Armee lieferte sich und sämtliches militärisches Gerät den Sandalen- und Mopedkriegern friedlich-freundlich aus. Warum auch nicht? Offenbar haben sie an das moralisch hochstehende Kriegsziel gar nicht erst geglaubt: Dass man Demokratie und Rechtsstaat einführen bzw. deren noch nicht einmal rudimentär vorhandene Elemente verteidigen müsse. Die „selbstbewusste afghanische Zivilgesellschaft“ (Heiko Maas) jedenfalls ließ sich beim Vormarsch der Taliban nicht blicken.

Krieg, Migration
Zwanzig Jahre lang haben die Interventionsstreitkräfte den einen im Land Hoffnung gemacht – den anderen waren sie ein Dorn im Auge. Zurück bleiben enttäuschte Hoffnungen und gefährdete Leben. Und nun? Um die sogenannten „Ortskräfte“, die Afghanen, die als Dolmetscher, Chauffeure, Köche usw. gearbeitet haben, hat man sich nicht rechtzeitig gekümmert. Und jetzt, im Chaos am Flughafen Kabul, weiß man erst recht nicht, wer legitimerweise Asyl in Deutschland erwarten darf und wer nicht. Eines jedenfalls lässt sich denken: Auch die bei uns straffällig gewordene Afghanen, so gar Islamisten, werden nun nicht mehr abgeschoben. Robert Habeck hat es schon ganz offen gefordert.

Derweil traut sich Laschet zu rufen: „2015 darf sich nicht wiederholen“. Also keine chaotische und unkontrollierte Einwanderung von Menschen, die sich mit dem Wort „Ortskraft“ ihre Eintrittskarte erworben haben – so wie man einst nur „Syrer“ sagen musste? Alle dürfen kommen, auch ohne Visum? Das ist schnell versprochen. Doch womöglich muss man das Versprechen gar nicht halten: Das dürften schon die Taliban selbst verhindern, die womöglich nicht daran interessiert sind, allein im Land zurückzubleiben… 

Doch die Deutschen, die noch nicht einmal enge Mitarbeiter evakuieren können, diskutieren bereits wieder über Maximallösungen: Am besten, wir retten alle. Wie passend, dass die US-Amerikaner ihre Afghanen erst mal in ihren deutschen Stützpunkt Ramstein ausfliegen.

Achja, das Menschliche – von allem anderen verstehen wir nichts, weshalb auch weder Außenminister noch Verteidigungsministerin ihren Hut nehmen müssen. Doch auch das Menschliche schafft dieses kaputtregierte Land nicht – Verantwortung zu übernehmen, ohne die Kontrolle zu verlieren. 


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Kommentare ( 69 )

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Riffelblech
2 Jahre her

Immer wieder bin ich verwundert warum der wahre Grund des Afghanischen Krieges der USA nicht angesprochen wird. Es war von Anbeginn des 9/11 Vorfalles klar das die Entführung der Flugzeuge ein bislang ungeklärtes Ereignis darstellten . Bin Laden konnte nie die Machtfülle und Komplexität eines solche Auftrage erfüllen .Er wurde dessen zwar bezichtigt ,einen Beweis allerdings erbrachten amerikanische Politiker nie. Sofort ,also unmittelbar nach dem Ereignis wurde er als der Drahtzieher erkannt . . Amerika führt Kriege um Ressourcen ,um Machtanspruch und Einflüsse. Bodenschätze hat Afghanistan genug um interessant zu sein . Allerdings ist auch die strategische Lage zu Russland… Mehr

Wolf Koebele
2 Jahre her

Durch endlose Wiederholung wird nichts wahrer, außer man folgt Goebbels. Daß „Ortskräfte“ per se gefährdet seien, ist Wunschdenken der Bessermenschen. Aber man darf auch mal nachdenken über die schiere Zahl dieser „Ortskröfte“. Hatte jeder Bundeswehrsoldat seinen eigenen Koch, seinen eigenen Chauffeur, seinen eigenen Dolmetscher … seinen eigenen Topfuntersetzer? bWie sonst kommt man auf 50.000? Vorschlag: Eine realistische Zahl möglicher „Ortskräfte“ wird festgelegt, jeder, der „Ortskraft“ ruft, kommt rein – solange, bis die festgesetzte Zahl erreicht ist. Vielleicht ungerecht? Na und? Jetzt sind sie halt da!

Ralf Poehling
2 Jahre her

Zitat:“Auch im Auswärtigen Amt hat man das Denken über Militärisches und harte Sicherheitsfragen verlernt. Doch selbst jetzt wird die Debatte nicht geführt werden über Sinn und Zweck der Bundeswehr, die unter ständigem Verdacht (rechts!) steht und eine „Parlamentsarmee“ ist. Letzteres bedeutet nichts anderes, als dass sie von Dilettanten in Einsätze geschickt wird, deren Sinn und Zweck unter Moralgewolke versteckt wird, schon, weil man weder das eine noch das andere durchdacht hat.“

So, jetzt schulde ich auch ihnen einen Kaffee, Frau Stephan.
Danke.

Rob Roy
2 Jahre her

Die Amerikaner wollten in Afghanistan vor allem eines: Rache für den 11. September. Diese haben sie mit der Elimierung von Osama Bin Laden 2011 auch bekommen. Die zehn Jahre danach waren eine sinnlose Vergeudung von Zeit, Geld und Ressource. Und die Bundeswehr hat den Hilfsherif für die Amerikaner gespielt.

chino15
2 Jahre her

Herr Maas sorgt mit unseren Steuergeldern (100 Millionen Euro – für den Anfang) schon dafür, dass die Taliban auch weiterhin Afghanen in großer Zahl nach Deutschland reisen lassen. Geld kann man immer gebrauchen, Menschen gibt es in Afghanistan genug und die Geburtenrate von 4,5 pro Frau sorgt auch für stetigen Nachschub.

chez Fonfon
2 Jahre her

Heute morgen meldete der DLF, die Taliban wollten keine qualifizierten „Afghaninnen“ ausreisen lassen. Immerhin! Und dann folgte das obligatorische moralische Mantra, dass die Bundesregierung die „Ortskräfte“ im Stich ließe, die sich für die westlichen Armeen aufgeopfert hätten. Ich gehe mal davon aus, dass in afghanischen Clans keine freie Berufswahl herrscht. Und wer für die „Besatzungsmacht“ gearbeitet hat, hat dies erstmal für Geld getan. Ein Job bei der Bundeswehr wurde doch wohl nur im Einvernehmen mit dem Clanoberhaupt angenommen, das ist doch klar. Und ein Teil des Geldes musste von den „Ortskräften“ natürlich zu Hause abgegeben werden. Vermutlich floss es sogar… Mehr

Frank v Broeckel
2 Jahre her

Der Elefant im Raum!?

Bitte sehr!
Deu Fehl 9,960 Millionen, Ungarn IST 2,3 Millionen, Polen IST 10,8 Millionen

Aufgrund eines versehentliches Konstruktionsfehler gehen die Visegrad Staaten leider bedauerlicherweise dauerhaft unter, wenn KEINE Migrationswelle rein zufälligerweise zu Besuch kommt!

Warum man das Ganze versehentlich übersehen hat?

Weil es ansonsten überhaupt keine Rettung für die Visegrad Staaten gegeben hätte!

Weil die Sowjetunion und der Warschauer Pakt KEINE Migrationswelle Richtung Mitteleuropa einleiten konnte, sind diese genau aus diesem Grund auch dauerhaft untergegangen!

Peter Silie
2 Jahre her

2015 wiederholt sich ja längst. Und so bekommt jeder das, was er verdient. Die Afghanen bekommen das, was sie verdienen, gemäß ihrer Kultur, die offenbar nur zu genau diesem fähig ist. Und die Deutschen bekommen das, was sie verdienen, aktuell bekommen die Taliban hier eine Stadtführung, umringt von einer Traube sehr guter Menschen. Und so ist jeder zufrieden – bis auf die Nazis.

josefine
2 Jahre her
Antworten an  Peter Silie

Die Gutmenschen freuen sich und halten ihre Versuche, Afghanen zu Mitgliedern unserer Gemeinschaft zu machen, für erfüllt, wenn sie den „Neuen“ unsere mittelalterlichen Kirchen zeigen.

Rob Roy
2 Jahre her

Die nächste Koalition könnte eine schwarz-rot-grüne werden. Das sind ganz zufällig auch die Farben der Nationalflagge von Afghanistan. Passt doch.

Boris G
2 Jahre her

Das Schicksal einer Nation hängt sehr davon ab, wie sie ihr Spitzenpersonal ausgewählt. Im politisch-medialen Komplex der Bundesrepublik ist es um diese Auswahlmechanismen nicht gut bestellt. Zu viele treulose Halodris schaffen es in Spitzenpositionen, für die es ihnen eindeutig an Denkkraft und Charakter mangelt. Sie wechseln die Frauen wie ihre Überzeugungen oder lassen sich gar von der Polizei vor Stricherlokalen mit dem Stoff für Chemsex in der Tasche erwischen.