Coronavirus: Die Angst der Regierenden vor der Angst der Regierten

Ein regierungsnaher Ökonom hält die Angst vor dem Virus für schlimmer als das Virus. Die Infizierten werden anderer Ansicht sein. Angeblich gibt es keinen Grund für Panik, doch beruhigende Argumente hört man von der Bundesregierung nicht.

Emmanuele Contini/NurPhoto via Getty Images
Gesundheitsminister Jens Spahn (m.), Robert-Koch-Institut-Präsident Lothar Wieler (3R), Virologie-Abteilungsdirektor der Charité Christian Drosten (2L) in der Bundespressekonferenz in Berlin am 2. März 2020

Eine der wichtigsten Börsen-Weisheiten lautet: „Never catch a falling knife – Fang nie ein fallendes Messer“. Sich allein einer ausgewiesenen Panik entgegenzustellen, hält diese nicht nur nicht auf, sondern ist für den, der es versucht, schmerzhaft. An Märkten und in der Wirtschaft generell ist Heldenmut nicht angebracht. 

Was soll man nun davon halten, wenn ausgerechnet ein prominenter Ökonom, nämlich DIW-Präsident Marcel Fratzscher angesichts der bevorstehenden Corona-Epidemie über „Herdenverhalten“ von Unternehmen und Konsumenten klagt? Er spricht davon, dass dieses eine „Abwärtsspirale“ auslösen könnte, „bei der anfänglich übertriebene Narrative sich verhärten und zu selbst erfüllenden Erwartungen führen.“ Indem Fratzscher die Tiermetapher verwendet, will er ganz offensichtlich seinem Publikum sagen: Seid keine Schafe. 

— Marcel Fratzscher (@MFratzscher) March 1, 2020

Wie meist, wenn sich Fratzscher zu Wort meldet, ist dies kaum als neutrale Mitteilung einer wissenschaftlichen Erkenntnis zu werten, sondern als absichtsvoller Versuch, Einfluss auf das politisch-wirtschaftliche Geschehen zu nehmen. Fratzscher weiß, wie man Stimmung macht, nämlich mit Begriffen wie „Teufelsspirale“ und solchen Sätzen: „Ein Abwärtsstrudel ist möglich. Die größte Gefahr wäre Panik.“ Er will offensichtlich einer Panik entgegenwirken, indem er Angst vor der Angst macht. 

Und dann twittert der Alpha-Ökonom Fratzscher etwas später: „Viel ansteckender und viel schädlicher als der Coronavirus ist die Angst vor dem Virus. Die Ansteckung durch die Angst entsteht nicht durch den Coronavirus, sondern durch solche Medienberichterstattungen.“ Da will einer offenbar als besonders besonnen erscheinen. Und lässt sich – ein Wissenschaftler wohlgemerkt – dadurch zu Sätzen hinreißen, die nicht nur unsinnig sind, sondern in den Ohren derer, die schon infiziert sind, nicht zu sprechen von denen, die um das Leben ihrer infizierten Angehörigen bangen oder demnächst wohl auch Verstorbene zu betrauern haben werden, wie Zynismus klingen müssen

Die Angst vor dem Virus und die Berichte der Bild-Zeitung sollen gefährlicher sein als das Virus? Da sind dem Ökonomen offenbar die Kategorien – Gefahr ökonomischer Einbußen und Gefahr von Krankheit oder gar Tod – etwas durcheinander geraten.

Da musste den renommierten Direktor dann sein Konkurrent Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts, mal auf den Boden der Wirklichkeit zurückholen: „die Angst vor dem Virus dämmt immerhin die weitere Verbreitung ein.“

Wer Fratzschers öffentliche Äußerungen verfolgt, der weiß um seine Nähe zur Bundesregierung, vor allem zur SPD. Auch seine Corona-Tweets sind im Interesse der Bundesregierung. Die hat nämlich Grund, sich vor den Auswirkungen eines durch Angst vor dem Coronavirus ausgelösten „Herdenverhaltens“ sorgen. Nicht nur, aber auch, weil dieses das Zeug hat, die wirtschaftliche Entwicklung stark negativ zu beeinflussen.   

Eine einmal in Panik geratene Menschenmasse reagiert nicht mehr rational und kann zerstörerisch und gefährlich sein. Auf Märkten „vernichtet“ sie „Werte“ (korrekter wäre es zu sagen: sie ruiniert Preise). Aber wenn Panik existentiell wird, also von echter Angst der Menschen, möglicherweise sogar Todesangst, angetrieben ist, dann geht es nicht mehr nur um ein paar Prozent materielle Verluste an der Börse.

„Ruhe ist jetzt erste Bürgerpflicht!“ forderte der Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. 1813 in seinem berühmten Aufruf „An mein Volk“, als er fürchten musste, dass ihm angesichts der kriegerischen Ereignisse und der nationalen Leidenschaften seiner Untertanen die Kontrolle entgleite. Dank seiner klugen Berater, der Tüchtigkeit seiner Beamten und der Disziplin seiner Soldaten blieb es im damaligen Preußen ruhig. 

Politik und Staat überfordert
Zwei Krisen auf einmal
Historische Erfahrungen zeigen, dass die Stabilität von Regierungen, ja sogar von politischen Systemen langfristig davon abhängig ist, dass sie ihren Bürgern Schutz bieten können. Wenn die Bürger den Eindruck bekommen, dass die Regierenden beziehungsweise der Staat sie hätte besser schützen können, ist diese Stabilität gefährdet. Panik ist das, was die Regierenden immer am meisten fürchten müssen, denn sie zerstört Ordnungen und löst die Normalität von Machtverhältnissen auf. Menschenmengen in Panik tun nicht mehr, was Autoritäten wollen. Panik ist der Albtraum jeder Macht. Dass Regierungen, Behörden und staatsnahe Institutionen wie das DIW zum Bewahren der Ruhe aufrufen, ist also erwartbar. Es sagt aber an sich nichts darüber aus, ob tatsächlich kein Grund zur Besorgnis bestehe. 

Wenn den Aufrufen keine wirklich überzeugenden Argumente folgen, so kann der nicht ganz naive Bürger durchaus auf die Idee kommen, dass es sehr wohl Grund zur Beunruhigung gibt. Wenn die renommierte Universitätsklinik der Hauptstadt, die Charité, noch am 28. Januar verkünden ließ, dass man nicht mit einer Ausbreitung des Coronavirus nach Europa rechne, dann aber der Chef-Virologe ebenjener Charité am 1. März sagt, dass er davon ausgehe, dass etwa 70 Prozent der Deutschen mit dem Virus infiziert werden, kann man wohl davon ausgehen, dass die Anti-Panik-Beschwörungen von Politikern und Ökonomen wenig mehr sind als fromme Wünsche. 

Dass sich niemand eine offene Panik wünschen kann, ist eine Binse. Die Verantwortung der Regierenden besteht aber darin, nicht nur zur Ruhe aufzurufen, sondern den Gründen und Ursachen der Ängste der Bürger und damit auch der Panik Einhalt zu gebieten. Bislang haben die deutschen Behörden und vor allem die Bundesregierung nicht den Eindruck vermittelt, dass sie zu konsequenten Maßnahmen, wie sie schließlich in China ergriffen wurden und vermutlich eine noch katastrophalere Entwicklung verhindert haben, gewillt sind. 

Die Bürger dieses Landes sollen also, so erwartet man von ihnen, alle Ängste ablegen und mutig das fallende Messer auffangen – während die Regierenden, die Kanzlerin mit auffälligem Schweigen vorneweg, aus lauter Angst das Falsche zu tun, letztlich gar nichts tun. 

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