Salvinis Zockerei

Egal was morgen passiert, Salvini wird Italiens Premier. Entweder in drei Monaten oder in drei Jahren. Das langfristige Szenario könnte ihn sogar mächtiger machen als das kurzfristige.

imago/ZUMA Press
Italiens Innenminister Salvini, hier beim Wahlkampf in Bari am 20.2.2019
Salvini hat Ende letzter Woche Neuwahlen gefordert. Das ist eine optimale Situation: die Lega kratzt an den 40 Prozent, die Fratelli d’Italia liegen bei circa 7 Prozent. Aufgrund der Zersplitterung der Parteienlandschaft genügte das für ein Rechtsbündnis – auch ohne den Bremsklotz Berlusconi, der mittlerweile von den eigenen Leuten als Problem angesehen wird.Der Regierung aus Lega und M5S hatten die meisten sowieso keine lange Überlebensdauer bescheinigt: 12 Monate war die beste Wette; persönlich ging ich davon aus, dass die Bombe nach der EU-Wahl platzt. Kurze Regierungsphasen und Kabinette sind übrigens nichts Besonderes in Italien. Selbst in einer Legislatur kann die Regierung häufig wechseln: die Vorgängerregierung unter Führung des sozialdemokratischen PD hat mit Letta, Renzi und Gentiloni drei Ministerpräsidenten in fünf Jahren verschlissen. Und diese Legislatur galt noch als „stabil“.
Auf Personalien wie Andreotti, dem Urgestein der ehemaligen Christdemokraten, der achtmal Ministerpräsident mit wechselnden Koalitionen war, will ich hier gar nicht erst eingehen. Kurzlebigkeit hat in Italien rein gar nichts mit „Populismus“ zu tun; denn das italienische politische System ist auf Instabilität ausgelegt. Eine Alleinherrschaft wie beim Faschismus soll so um jeden Preis verhindert werden. Die Italiener haben also ganz andere Lehren aus ihrer Diktatur gezogen als die Deutschen. Ein Referendum, das Ende 2016 für „stabilere Verhältnisse“ deutscher Prägung sorgen sollte, wurde von den Italienern abgeschmettert. Alles nichts besonderes.
Zurück zur Ausgangssituation. Über Monate hat Salvini größtenteils seine Politiklinie durchgeboxt, weil die guten Umfrageergebnis der Lega das Messer im Rücken des parlamentarisch doppelt so starken M5S war. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik blieb dabei Streitfeld und ausgeklammert. Die Differenzen zwischen den Parteien waren zu groß. Die Lega ist an ihrer Basis immer eine Mittelstandspartei gewesen, vor allem für die kleinen und mittleren Unternehmer des Nordens. Dieses wirtschaftsliberale Profil drohte zugunsten des linken M5S-Kurses zu erodieren. Der Unmut an der Basis war groß. Salvini wusste daher, dass er den richtigen Zeitpunkt wählen musste, wo die Begeisterung für die Lega außerhalb des traditionellen Lagers möglichst groß war, bevor der Unmut an der Basis losbrach.
Die Crux ist daher auch nie die Sicherheitspolitik gewesen; vielmehr drohte der Bruch bei den Themen TAV (Schnellzug Lyon-Turin) und der „Flat-Tax“, welche weite Teile der Mitte entlasten soll. Wäre die Sache nicht beim TAV zerbrochen, dann bei der Flat-Tax. Der M5S hatte in der Vergangenheit sein Veto eingelegt. Und ohne Flat-Tax hätte Salvini ein Versprechen gebrochen, dass für viele Lega-Wähler mindestens so wichtig war wie die Migration. Salvini wusste das. Und er wusste, dass dann der Höhenflug der Lega mit einer Bruchlandung geendet hätte.
Die Lega musste demnach über kurz oder lang die Regierung verlassen, wenn sie sich selbst treu bleiben wollte, bzw. um ihr Image aufrecht zu erhalten. Sonst hätten sich einige Italiener noch an die Berlusconi-Jahre erinnert, in denen die Lega als Koalitionspartner bereits einmal die Interessen ihrer Wähler verkauft hatte. Die Erinnerung an den Einbruch bei den Parlamentswahlen sitzt bis heute tief. Salvini musste daher irgendwann die Reißleine ziehen, wollte er nicht zulassen, dass sich die Geschichte wiederholte.
Mit Sicherheit hat Salvini darauf spekuliert, dass PD und M5S ein Bündnis gegen ihn schmieden könnten. Doch der derzeitige Kindermissbrauchsskandal in der PD-geführten Emilia-Romagna hat ihn wohl dazu verleitet anzunehmen, dass der M5S davor zurückschrecken würde. Noch letzte Woche hatte M5S-Chef Di Maio verkündet, er könne sich kein Bündnis mit einer Partei vorstellen, die mit „Bibbiano“ assoziiert sei. Das muss für Salvini ein Signal gewesen sein, dass er mit Neuwahlen durchkommt.
Die Sache kam anders. Es sieht so aus, als bereiteten PD und M5S eine „technische“ Übergangsregierung vor, in der beide Parteien die Lega rauswerfen und die Posten unter sich aufteilen. Spekulationen gehen sogar dahin, dass auch Berlusconis Forza Italia mitmachen könnte, um sich ein Stück vom Kuchen zu ergattern. Bereits 2018 hatte die FI auf eine „Große Koalition“ nach deutschem Vorbild geschielt.
Morgen findet zuerst das Misstrauensvotum gegen Conte, dann das gegen Salvini statt. Es könnte danach zu einer informellen PD-M5S-Regierung kommen. Salvini-Gegner sollten sich aber nicht zu früh die Hände reiben.
Denn obwohl es so aussieht, als ob Salvini sich „verzockt hat“, so ist er nicht weg vom Fenster. Im Gegenteil. Nicht wenige Italiener wollen Neuwahlen, weil die parlamentarischen Mehrheiten nach einem Jahr nicht mehr dem Meinungsbild entsprechen. Salvini könnte in die kommode Position kommen, dass die Lega in die Opposition gezwungen wird, mit der Botschaft: die Parteien haben euch wieder verraten, sie haben Neuwahlen verhindert, um an der Macht zu bleiben; und der ach so reine M5S hat sich mit der Kaste ins Bett gelegt. Es ist nahezu unmöglich, dass irgendein Nachfolger Salvinis im Innenministerium den „Mythos Salvini“ zerstören kann. Es wird das Bild bleiben: der einzige Mann, der Italien retten kann, ist der Capitano. Könnt ihr euch noch an seine Amtszeit erinnern?
Deswegen: auch der PD ist nicht von allen guten Geistern verlassen. Auch dort rechnet man damit, dass der Mythos Salvini durch die Niederlage noch größer werden könnte. Deshalb könnten auch einige PDler der Meinung sein, das eine erneute Regierungsbeteiligung – nach nur einem Jahr Pause – schädlich sein könnte. Man leckt die Wunden, hat sich etwas vom Desaster 2018 erholt. Die Erosion des M5S bringt verprellte PD-Wähler zurück ins alte Lager. Der PD muss auf die Schwächung des M5S abzielen, nur dort kann er auf Stimmen hoffen. Eine Unterstützung des M5S konterkariert das Ziel, den Intimfeind einzuhegen, kleinzuhalten, und alte Wähleranteile zurückzuerobern. Kommt der PD dagegen jetzt in die Regierung, verlieren beide Parteien massiv in der Wählergunst. Einem Premier Salvini mit absoluter Mehrheit steht dann in drei Jahren nichts mehr im Weg. Es gibt dann nur noch ihn.
Quintessenz: Egal was morgen passiert, Salvini wird Italiens Premier. Entweder in drei Monaten oder in drei Jahren. Das langfristige Szenario könnte ihn sogar mächtiger machen als das kurzfristige.

Marco F. Gallina schreibt vorwiegend auf seinem Löwenblog.


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Kommentare ( 28 )

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28 Comments
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Robert Haupt
4 Jahre her

Vielleicht bringt ihn irgendein linker Spinner vorher um. Mit Pim Fortyn hat es auch geklappt und dort steckten vermutlich mehrere Menschen mit ner detaillierten Planung dahinter.

Alexis de Tocqueville
4 Jahre her

„Salvini wird Italiens Premier. Entweder in drei Monaten oder in drei Jahren.“

Ich möchte gern kräftig auf Holz klopfen. Hat grad jemand einen Roten oder Grünen zur Hand?

AGHamburg
4 Jahre her

Noch dazu diese Merkel-Puppe Matteo Renzi

elly
4 Jahre her

deutsche Medien: „MISSION LIFELINE Seenotretter erringt juristischen Erfolg gegen Salvini“ und wer dann liest, erkennt es geht nur um ein Foto:
„Nachdem Italiens Innenminister ein Foto von ihm veröffentlicht hatte, zog ein Mitglied der Mission Lifeline vor Gericht. Mit Erfolg: Gegen Salvini wurde eine einstweilige Verfügung erlassen.“
und wer noch weiter liest, sieht wofür „überlastete“ deutsche Gerichte Zeit haben:
„Das Landgericht Frankfurt am Main habe am Montag auf Antrag des Mission-Lifeline-Besatzungsmitglieds Friedhold Ulonska eine einstweilige Verfügung gegen den italienischen Vize-Regierungschef Salvini erlassen, wie die Organisation in Dresden mitteilte. Demnach darf Salvini nicht mehr Fotos von Ulonska im Internet veröffentlichen.“
https://www.welt.de/politik/ausland/article198419891/Mission-Lifeline-Seenotretter-erringt-juristischen-Erfolg-gegen-Salvini.html

Sonny
4 Jahre her

Klingt mir ein bißchen nach deutschen Verhältnissen. Ein Bündnis der Verlierer, um den eigentlichen Gewinner auszutricksen. Ich bin allerdings nicht so sicher, ob dann auf lange Sicht tatsächlich der Gewinner der Gewinner sein wird.

Alexis de Tocqueville
4 Jahre her
Antworten an  Sonny

In Deutschland sicher nicht. Aber die Italiener sind anders als wir, sie hassen sich selbst und ihr Land nicht. Unvorstellbar, aber so isses tatsächlich. Alles Nazis.

Robert Haupt
4 Jahre her

Wir hassen uns nicht, haben aber unsere Schuld nach 45 nie selber gesellschaftlich verarbeitet. Die Nürnberger Prozesse haben die Allierten in’s Leben gerufen, nicht wir. Wir haben uns an’s Aufbauen gemacht und hübsch alles verdrängt, frei nach dem Motto, ich war’s nicht. Wenn man etwas tiefer in einige Berichte einsteigt, sieht es so aus, als waren wir fast alle feste mit dabei, quasi wie im Rausch. Das können sie Deutschen leider recht gut. Daher finden wir eben zu keiner echten Identität und daher müssen wir auch nichts verteidigen. An den Migranten versuchen wir, obwohl die heute Generation nicht dabei war,… Mehr

Marc Hofmann
4 Jahre her

Was haben die USA, England und Italien gemeinsam… sie leben die Demokratie, den Wettbewerb….man kann es auch zocken nennen. Was unterscheidet jetzt Deutschland von diesen Demokratien…wir Deutschen haben den Hang zum Gleichschritt…zum Diktat…zum Befehlsempfänger…zum Führerkult…zur stark propagierten Geschichte.

Alexis de Tocqueville
4 Jahre her
Antworten an  Marc Hofmann

Zum Sozialismus.

Robert Haupt
4 Jahre her
Antworten an  Marc Hofmann

Wir brauchen den Leitwolf, sonst funktionieren wir nicht. Einer, der die Richtung vorgibt. Genau das macht Merkel nicht, weil sie nicht kann oder will. Ne Zeitlang ging das gut, jetzt merken wir sehr klar die Nachteile.

Thorsten
4 Jahre her

Wer sich Salvani in den Weg stellt, der muss damit rechnen niedergewalzt zu werden. Das dürfte vielen italienischen Politikern klar sein.

Wenn er jetzt durch Ränke entmachtet wird, dann wird er zu einer „Legende“ und die nächsten Wahlen gewinnen.

Ich stelle mir langsam die Frage nach einem deutschen Salvini…

Gerda Hesse
4 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Ein deutscher Salvini…wer von den Politdarstellern sollte das denn sein?

Harry W
4 Jahre her
Antworten an  Gerda Hesse

Ich habe zwar meine Zweifel , aber mit entsprechend ausgestatteter Macht könnte der geschasste Maaßen es werden . Mit seiner Erfahrung und seinem gewaltigen internen Wissen ( Geheimdiesnst ) könnte der hier aufräumen .
Aber , man darf ja mal träumen .
Die AfD mit ihrem profiliertem Personal dürfte wohl die nächsten 5 -10 Jahre nicht an die Macht kommen im Bund . LEIDER !

Alexis de Tocqueville
4 Jahre her
Antworten an  Gerda Hesse

Meuthen ist klug und redegewandt genug. Aber wir sind nicht Italien. Hier ist jeder Nazi, der auch nur im Entferntesten für das eigene Volk eintritt.

kasimir
4 Jahre her

Es wäre, besser gleich als in 3 Jahren! Die Luft brennt in Europa und bis auf 2-3 Staatschefs tun alle anderen so, als ob sich das „Migrations-Modell“ noch ewig halten könnte. Italien als Schlüsselland muß jetzt handeln, es bleibt keine Zeit mehr. In 3 Jahren? Ist alles zu spät…..

Alexis de Tocqueville
4 Jahre her
Antworten an  kasimir

Italien muss gar nix, außer sich selbst retten. Ob der Rest der EU – speziell Deutschland – im selbstgewählten Dreck umkommt, interessiert doch den Italiener zurecht nicht die Bohne.

Edu
4 Jahre her

Die wirtschaftliche Lage sollte nicht außer Acht gelassen werden – das Umfeld trübt sich zusehens und die Regierung muß die Verantwortung übernehmen – könnte neben der Migrationsfrage eine raschere Ablösung als erst in 3 Jahren bringen.
Mit der PD wird die Hafensperrung für deutschen Gutmenschen schwierig – wegen des dann fehlenden Drucks auf EU-Länder, bleiben die in bella Italia.
Salvinis Rechnung könnte aufgehen.

U.S.
4 Jahre her

Frankreich und Italien haben ihre einschlägigen extrem schmerzhaften Erfahrungen mit Afrikanern gemacht, insbesonders mit „NAFRIs“ (Nordafrikanischen Intensivtätern aus dem Maghreb Ländern Marollo, Tunesien, Libyen, Algerien) und mit der in ganz Afrika für äußerste Brutalität berüchtigten NIGERIA CONNECTION“! In Nigeria kann man von einer Sekunde zur anderen getötet werden, wegen ein paar $$ oder wegen eines Handies, insbesonders in den Multi- Millionen Moloch- Städten wie LAGOS (Hauptstadt Nigerias) stecken die Menschen zuerst Messer und Pistole/ Revolver ein, dann erst ihre Schlüssel. Jeder Tag eines Nigerianers ist ein Kampf ums tägliche Überleben; und keiner weiß, ob er/ sie abends lebend und möglichst… Mehr

Karl Martell74
4 Jahre her
Antworten an  U.S.

Der kleine 8 jährige Junge hieß Oskar

Endstadium0815
4 Jahre her
Antworten an  U.S.

Und dann ist es eine Meldung wert, wenn so ein abgehalfteter Schauspieler wie Lohmeyer großartig verkündet, das er jetzt kein Schalke 04 Mitglied mehr ist wegen Tönnies.