EU-Kommission erlaubt Verlängerung der Asylverfahren – Polen fordert deren Aussetzung

Ein Vorfall an der polnisch-weißrussischen Grenze führt erneut die organisierten Interessen vor. Kräfte von außen wie innen scheinen sich verbündet zu haben, um den polnischen Grenzschutz an der EU-Außengrenze zu schleifen. Doch Warschau hält stand – und will das weiterhin tun, auch wenn die EU dabei wenig unterstützt.

IMAGO / ZUMA Wire
EU-Kommissarin für Inneres Ylva Johansson

Mit dem neuen Monat endete der Ausnahmezustand an der polnisch-weißrussischen Grenze, doch am selben Tag begann die Wirksamkeit des neuen Grenzschutzgesetzes, das im Grunde dieselben Regelungen fortführte, vor allem das Aufenthaltsverbot für nicht Ortsansässige. Journalisten und andere öffentliche Personen sind zwar in das Informationszentrum der Regierung eingeladen, jedoch nur nach vorheriger Anmeldung und nicht „ad hoc“, wie nun auch die EU-Abgeordnete und Menschenrechtsaktivistin Janina Ochojska erfahren musste.

Am 1. Dezember setzte sie sich ins Auto und fuhr Richtung Grenze, wo sie allerdings erwartbarer Weise von Grenzbeamten aufgehalten wurde. Nach einem Telefonat mit der Leitung des Grenzschutzes gab sich Ochojska schließlich geschlagen. Allerdings tauchten zur gleichen Zeit, wie von Geisterhand geführt, drei „syrische“ Migranten – Ali, Hassan und Mido laut der linken Wyborcza – aus dem Wald bei Szudziałów auf. Sie waren warm angezogen und trugen Zettel vor ihrem Körper, sorgsam in Prospekthüllen verpackt. Darauf standen die Worte: „I ask for asylum in Poland.“ Das war immerhin neu, dass irgendein Migrant aus Weißrussland sich um Asyl in Polen bemühte.

— Róża Thun (@rozathun) December 2, 2021

Für die polnischen Grenzschützer sieht all das sehr nach Inszenierung aus. Neben Ochojska und den Migranten waren nämlich auch Anwälte, Medienvertreter und weitere Interessierte am Grenzposten erschienen. Die Grenzschützer heben auf Twitter hervor, dass die Kleidung der Migranten neu und sauber gewesen sei. Zudem hätten sie einen ausgeruhten Eindruck gemacht, allerdings hätten sie auch keine Papiere dabeigehabt, um ihre Identität zu beweisen. Dem widersprach die EU-Abgeordnete. Außerdem fragte sie, warum die „Syrer“ in eine bewachte Einrichtung gebracht wurden, da sie sich doch ausgewiesen hätten.

Fast 9.000 illegale Grenzübertrittsversuche im November

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Laut Grenzschutz verlangte Ochojska von den polnischen Grenzbeamten, die Identitätsfeststellung zu übernehmen. Die anderen Begleitpersonen erschwerten die Arbeit der Beamten angeblich durch verschiedene Aktionen. Der von Ochojska repräsentierte Verein, die „Polnische humanitäre Aktion“ (Polska Akcja Humanitarna, PAH), wird unter anderem von der EU-Kommission und vom deutschen Auswärtigen Amt unterstützt. Im offiziellen Polen haben wohl beide Institutionen bald jedes Prestige verloren.

Der Vorfall zeigt, dass es an der polnisch-weißrussischen Grenze weniger um irregeleitete Migranten geht als um organisierte Interessen, die dort von verschiedenen Seiten zusammenkommen. Es geht, wie an anderen Grenzen auch, um eine vielstimmige Allianz aus Migranten, Menschenrechts- und anderen Hilfsorganisationen sowie – zuletzt – einem zweifelhaften Machthaber, die nur ein Ziel eint: die rechtlichen Vorgaben der EU-Staaten in Bezug auf Asyl und Migration auszureizen, um möglichst vielen Migranten eine neue Heimat in der EU zu geben.

Polen, das machen die Aussagen der Warschauer Regierung immer wieder deutlich, ist nicht bereit, diesen Weg mitzugehen, und weiß Argumente und eine Mehrheit der Bürger auf seiner Seite. Laut einem Tweet des nationalen Grenzschutzes gab es im gesamten November noch 8.900 versuchte illegale Grenzübertritte nach 17.500 Versuchen im Oktober. Eindeutig darunter lagen die Zahlen im September (7.700) und August (3.500).

Aussetzung des Asylrechts wäre „Antwort auf hybriden Angriff“

Sendung 11.11.2021
Tichys Ausblick Talk: „Migrantenansturm auf Polens Grenze – lässt Deutschland Europa im Stich?“
Die EU-Kommission hat nun ein Maßnahmenpaket für die östlichen Grenzen der Union in Polen, Litauen und Lettland vorgeschlagen. Dadurch sollen die Asylverfahren verlängert und Abschiebungen angeblich einfacher werden. Die Grundrechte würden aber nicht angetastet, wie Innenkommissarin Ylva Johansson pflichtschuldig nachschob. In Polen stieß das nicht auf Gegenliebe. Die Verlängerung von Fristen sei „kontraproduktiv“, so der Botschafter des Landes bei der EU, Andrzej Sadoś. Die „Antwort auf einen hybriden Angriff“ müsse vielmehr die Aussetzung des Asylrechts sein, sagte der Botschafter. Dieses Mittel hatte etwa auch Griechenland im Jahr 2020 wegen der chaotischen Situation an der Evros-Grenze angewandt. Warum man es nun Polen nicht erlauben will, das ebenfalls eine „Überlastung“ seines Asylsystems befürchtet, bleibt unklar.

Daneben hat Sadoś weitere Sanktionen gegen Weißrussland angekündigt. Die nun beschlossenen Maßnahmen seien erst der Anfang. Die bereits verkündeten Strafmaßnahmen richten sich gegen Personen und Organisationen, vor allem gegen die weißrussische Fluglinie und die staatliche Reiseagentur, aber auch gegen Regierungsmitglieder, die mit der irregulären Migration verbunden sind.

Das polnische Innenministerium lud am 1. Dezember zu einer Pressekonferenz in Warschau ein, an der auch die Sprecherin des nationalen Grenzschutzes teilnahm. Dort wurden nochmals die „sichtbaren Aktivitäten“ der weißrussischen Truppen entlang der Grenze hervorgehoben, die bis zur Beschädigung von Überwachungstechnik gehen. Vizeminister Błażej Poboży sagte, dass die Situation an der Grenze weit entfernt von einer Normalisierung sei: „Die Art der Versuche, die Grenze illegal zu überqueren, hat sich verändert, aber es handelt sich immer noch um einen gefährlichen Bereich.“ Auch deshalb verteidigte er das neue Grenzschutzgesetz, das den freien Aufenthalt und das Reisen in der Grenzregion beschränkt.

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