Wer sein Stadtviertel verlässt, wird bestraft: Wie uns die Freiheit genommen werden soll

Die Hühner-Käfige werden größer, Freilauf ist angesagt. Beim Menschen ist es umgekehrt: Deren Bewegungsspielraum soll immer mehr eingeschränkt werden – in Paris, Berlin, Oxford und dann überall. Werden wir bald Hühner für ihren Aktionsradius beneiden? „Ich wollt’, ich wär’ ein Huhn“.

IMAGO / Geisser

Wir schreiben das Jahr 1936, längst ahnen die Menschen, dass Fürchterliches auf sie zukommt – und reagieren mit Übermut und Spott. Peter Kreuder komponiert und Hans Fritz Beckmann schreibt den Text für einen Schlager im Film „Glückskinder“:

Ich wollt’, ich wär’ ein Huhn
Ich hätt’ nicht viel zu tun
Ich legte vormittags ein Ei
Und abends wär’ ich frei

Während Hühner mit jeder Reform mehr Freilauf erhalten, soll künftig der Bewegungsraum der Menschen eingeschränkt werden. Sie wissen schon weswegen: Klima über alles. Wer sich bewegt, stößt CO2 aus, besonders viel mit dem Auto, durch heftiges Atmen allerdings auch beim Gehen und sogar, man glaubt es kaum, beim Radfahren. Deswegen sollen Menschen wieder in ihren Teil-Stadtvierteln eingegrenzt werden, wo sie glücklich und für sich leben.

Die 5-Minuten Stadt

Nun wäre ja nichts dagegen einzuwenden, wenn in Großstädten wieder mehr Leben wäre; das Unheil nahm 1933 mit der sogenannten „Charta von Athen“ seinen Lauf. Unter dem Thema Die funktionale Stadt hatten dort sozialistisch geprägte Stadtplaner und Architekten einen veränderten Städtebau gefordert und die Auflösung des klassischen Urbanismus durch große Freiflächen und die funktionale Trennung von bebauten Quartieren nach Wohnungen (zum Beispiel Großwohnsiedlungen in Trabantenstädten), in Büros, Einkaufsmöglichkeiten, Gewerbe und Industrie, sowie die „autogerechte Stadt“ konzipiert.

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Als mustergültige Kombination von Großsiedlungen ohne urbane Einbindung und gut organisierbarer Überwachung entwickelte der Architekt Le Corbussier seine „Wohnmaschinen“. Die Utopie von gesundem Wohnen an frischer Luft außerhalb der Industriezonen der Städte endete als reale Dystopie von seelenlosen Neubauvierteln. In Ost wie West wurden gigantische Wohnmaschinen in Berlin-Marzahn oder Hellersdorf gebaut, in Bremen die „Vahr“, in München das Hasenbergel und Neuperlach; buchstäblich jede größere deutsche Stadt leidet unter diesem Erbe. Selbst heute noch werden wie am Frankfurter Riedberg ähnlich abgefahrene Modelle entwickelt.

Schön wäre es, wenn statt Einkaufszentren auf der Grünen Wiese, statt der seit Jahrzehnten betriebenen Trennung von Wohnung und Gewerbe wieder reger Handel und Wandel in die Wohnstädte käme. Der „Return to a local Way of life“, zu einem Nachbarschaftsleben hat ja was. Es wird schwierig, weil wegen immer höherer beruflicher Spezialisierung Wohnen und Arbeit immer weiter auseinanderfallen. Es ist blankes Biedermeier zu hoffen, dass wir da, wo wir wohnen, auch gleich als Schuster und Schneider, Hausmädchen und Bäcker arbeiten und uns kaum mehr wegbewegen müssten; auch nicht am Sonntag: Für Freilauf der Stadtmenschen gibt es ja innerstädtische Grünflächen.

Industrie ist ohnehin passé in diesen Modellen. Das Ziel sind 15-Minuten-Städte, wobei der Alltag sich innerhalb eines Fußgängerradius von 5 Minuten abspielen soll: Wohnen und Arbeit, Schulen und Fabrik, Restaurant und medizinische Versorgung sowie Freizeit und Bildung in einem Mini-Viertel alles zusammengepackt. Aber kann es klappen? Wohl nur, wenn auf Spezialisierung und damit Wohlstand verzichtet wird. Aber auch das ist ja ein aktueller Traum, der Traum vom „De-Growth“, dem Schrumpfen von Wirtschaft und Wohlstand. 

Ich wollt’, ich wär’ ein Huhn
Ich hätt’ nicht viel zu tun
Mich lockte auf der Welt
Kein Ruhm mehr und kein Geld
Ich brauchte nie mehr ins Büro
Und du wärst dämlich, aber froh

Für Paris jedenfalls wurde von der Bürgermeisterin Anne Hidalgo und dem kolumbianischen Stadtökonomen Carlos Moreno das Konzept der 5-Minuten-Stadt entwickelt. 

Aber wozu nachdenken über Machbarkeiten und Kosten, wenn Zwang auch geht, und wegen Klima neuerdings jeder Zwang gerechtfertigt erscheint? Kurz ist der Weg vom Angebot zum Verbot.

Vom Angebot zum Verbot

Am weitesten ist die britische Universitätsstadt Oxford, die in kleine Viertel aufgeteilt wird, die möglichst nicht mehr verlassen werden dürfen. Dazu werden nach einem Beschluss in den kommenden beiden Jahren „Verkehrsfilter“ an allen Straßen und Zugängen zu den jeweiligen Zonen oder Viertel eingerichtet, die Nummernschilder lesen können und automatisch einen Bußgeldbescheid per Post verschicken – außer, man zählt zu den Privilegierten, die ihr jeweiliges Viertel noch verlassen dürfen.

Busse und Taxis können die Verkehrsfilter ungehindert passieren, Menschen dürfen die Stadt nur noch zu Fuß oder mit dem Fahrrad durchqueren oder verlassen. In Ausnahmefällen werden Genehmigungen erteilt, etwa für Rettungsdienste, medizinisches Personal und Krankenpfleger. Auch Personen, die häufig im Krankenhaus behandelt werden, dürfen durch die Filter fahren.

Einwohner von Oxford (und einiger umliegender Dörfer) können eine Genehmigung beantragen, um an bis zu 100 Tagen im Jahr ihr Stadtviertel verlassen zu dürfen. Das Stadttor als Zugangsbarriere erwacht wieder. Einwohner der übrigen Regionen von Oxfordshire können eine Genehmigung für das Durchfahren des Filters an bis zu 25 Tagen im Jahr beantragen. Während der Bewegungsraum für Hühner ausgedehnt wird, nähert man sich einer Beschränkung für Menschen; die Käfighaltung ist der logisch nächste Schritt.

Berlin will klimagerecht werden

Berlin will folgen. Der Berliner Senat hat einen Plan für den klimabewussten Stadtumbau vorgelegt: Es soll weniger Mobilität geben. Die Berliner sollen sich künftig weniger zwischen den Vierteln hin- und herbewegen dürfen, so der „Stadtentwicklungsplan Klima 2.0“. Den hat der Berliner Senat beschlossen und damit einen Vorschlag des Stadtentwicklungssenators Andreas Geisel (SPD) angenommen. Andreas Geisel ist bekannt. Er hat 2021 als Innensenator die Berliner Wahlen organisatorisch so derartig vermasselt und anschließend Manipulationen hingenommen, dass die Wahlen jetzt wiederholt werden müssen. Man sieht, der Mann hat Qualitäten. Politisch stammt er noch aus Zeiten der DDR und SED, insofern hat er größte Erfahrung damit, die Stadt in zwei Hälften zu spalten und den Übergang lebensgefährlich zu gestalten. 

Es ist die Vorstellung vom gemütlichen Leben in einem Viertel, ganz auf sich gestellt und wohlversorgt. Der Stress hat ein Ende schon wegen der eng gezogenen Grenzen. In der DDR soll es ja auch durchaus gemütlich gewesen sein.

Ich setz’ mich in den Mist hinein
Und sing für mich allein

Ich ginge nie mehr ins Büro
Denn was ich brauchte, kriegt ich so

Autofahrern soll es deswegen schwer gemacht werden: Parkplätze entfallen, verrostete Fahrradwracks sollen künftig auf Parkplätzen abgestellt werden, um so Autofahrer zu verschrecken, Holzgestelle blockieren Parkstreifen, und die Stadt soll verdichtet werden – die Käfige werden kleiner. Laut Geisels Stadtentwicklungsverwaltung verbrauchen Bewohner von dichten Siedlungsgebieten nur halb so viel CO2 durch Mobilität wie Bewohner von Randbezirken. Deshalb wurde erstmals definiert, in welchen Bezirken die „Stadt der kurzen Wege“ gilt.

Geschlechtergerechtigkeit auf der Toilette

Berlin ist kreativ auf diesem Weg: Derzeit werden Fahrrad-Stützen getestet, damit Fahrradfahrer bei Rot nicht mehr absteigen müssen. In den Vierteln der Stadt soll nichts so bleiben wie es ist. Ein „neues, gerechteres Toiletten-Zeitalter“ soll anbrechen.  

Darauf ist man stolz. „Bääm, da ist das Ding“, so teasert die Berliner Bürgermeisterin Clara Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen) den Schritt zur Toilettengerechtigkeit in ihrem Bezirk an: Eine öffentliche Toilette mitten auf dem Kottbusser Tor, das in Berlin bekannt und berüchtigt für Drogen und Kriminalität ist. Allerdings brauchte die Bürgermeisterin fünf Jahre, um eine schon nach zwei Tagen versiffte Holzbox inmitten einer Schlammwiese aufstellen zu lassen. Sie ist weithin wegen ihres Gestanks auffindbar. Frauen sollen im Hocken ihr Geschäft verrichten; so soll „Geschlechtergerechtigkeit“ hergestellt werden, und keiner lacht. Aber klappt es hockend im Stinkeklo, oder haben Männer immer noch Vorteile?

Ich wollt’, ich wär’ ein Hahn
Dann würde nichts getan
Ich legte überhaupt kein Ei
Und wär’ die ganze Woche frei

Haben es Hühner nicht wirklich besser?

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Kommentare ( 114 )

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Axel Fachtan
1 Jahr her

Nicht der Krieg hat Deutschland zerstört, sondern wir Architekten.
N.N. vor circa 45 Jahren.(Interview für eine Monatszeitschrift)
Das bleibt auch leider so.
Wobei das ärgste Viertel in Bremen nicht die Neue Vahr, sondern Osterholz-Tenever ist, gut sichtbar von der Autobahn.
Eine der Grundproblematiken rührt vom Bauhaus her.
Hässliche schmucklose Funktionsbauten zerstören die Städte.
Waschbeton ist halt billiger.
Ein Problem ist immer , dass irgendwelche drittklassigen Supermärkte in die Städte hingerotzt werden. Und die Fläche oberhalb fehlt dann für Wohnbauten.
Für Berlins Westen nicht das Märkische Viertel vergessen und die Gropiusstadt.
Vorzeigeviertel für grauen Waschbeton.

Rudolf Steinmetz
1 Jahr her

Eingesperrte Hühner bleiben bis zur Schlachtreife im Käfig. Bis dahin betrachten sie ihren Halter als ihren Wohltäter.

peter keller
1 Jahr her

Lieber Herr Tichy, bezüglich Oxfort schiessen Sie aber weit über die Wahrheit hinaus: Gemäss City Council dürfen RESIDENTS jederzeit rein und rausfahren. Was diese traffic filter in Wahrheit sind: Ein automatisch kontrollierter Zubringerdienst. Gibt es in deutschen Städten meines Wissen zuhauf.

H.H.
1 Jahr her

Statt Hochhäuser mit Tiefgaragen bauen zu lassen, sollte man, peu à peu, die Nebenstraßen zwecks Garagenplätze untertunneln. Man kann den Platzgewinn wunderbar in München beobachten: oberhalb des Richard-Strauss-Tunnels oder bei den Tunnels um den Luise-Kisselbach-Platz. Nur so werden die Großstädte auch noch im nächsten Jahrhundert attraktiv sein. Mit der aktuellen autofeindlichen Verkehrspolitik werden sie dagegen veröden.

Fred Katz
1 Jahr her

1936 starb auch der antidemokratische Autor Oswald Spengler!
Der bekannteste Spenglerist ist aktuell Max Otte, für dessen erfolglosen Aktienfonds hier Werbung eingeblendet wird….
Viele glauben, sie würden zu besseren Menschen, nur weil sie bei Herrn Otte ihr Geld anlegen.
Also eher eine Verdummung des Abendlandes, wo viele betteln, andere sollten bitte für sie denken.

Timur Andre
1 Jahr her

Ziel des WEF: die Landschaft wieder renaturieren (verwildern), dazu muss verdichtet werden in Städten, die Menschen müssen höher und dichter bebauen, aber auch den Wohnraum teilen! Ja, die Idee ist das Bettchen zu teilen (Nachtsicht, du gehst und jemand anderes nimmt das Bett).
Die Pläne und Ziele sind klar kommuniziert!
90% werden Knechte (Sklaven), 9% Aufsicht (Kapos) und 1% leben wie die Fürsten.
Wer heute noch verleugnet, wird in weniger als 10 Jahren die Ereignisse nicht mehr aufhalten.

Last edited 1 Jahr her by Timur Andre
Peter Mueller
1 Jahr her

Der Vergleich mit der DDR zeugt von qualitätsmedialer Indoktrinierung. Die hinterläßt natürlich Spuren in der Persönlichkeit. Tatsächlich haben so etwas sich auch die Kommunisten nicht getraut – nicht mal ansatzweise. Dort durfte man auch auf der Parkbank Bücher lesen, im öffentlichen Raum Eis essen, Kindergeburtstage feiern, und man wurde nicht für 20 Tage inhaftiert, weil man eine Deppenmaske nicht getragen hat.

Bitte übernehmen Sie selber die Verantwortung für Ihren originär bundesrepublikanischen Faschismus und wälzen Sie sie nicht auf andere ab! Danke.

Turnvater
1 Jahr her
Antworten an  Peter Mueller

Ich bin zwar ein klassisches Kind der alten Bundesrepublik, stimme Ihnen jedoch vollständig zu.

Die vielbeweinte alte BRD war ein Operettenstaat, der nur bei schönem Wetter, vollen Kassen und im Windschatten des Ost-West-Konfliktes funktionierte.

Nibelung
1 Jahr her

Wer ein Huhn ist wird vom Fuchs gefressen, beim wehrhaften Hahn könnte es für ihn schon bedenklicher werden und wenn sie das nicht lernen, werden sie in der Käfighaltung enden, das ist nun mal so. wenn man seinen Kopf nicht benützt um zu denken, sondern nur den profanen Dingen zu fröhnen, während Despoten Fakten schaffen und schon dabei sind das neue Behältnis für die Zukunft zu planen Mich stört das nicht mehr, denn das Alter hat mir die schönsten Zeiten beschert und was danach für andere kommt ist mir egal, jeder ist seines eigenen Glückes Schmid und wenn man auf… Mehr

Hendo Renka
1 Jahr her
Antworten an  Nibelung

Ich stimme in Vielem Ihnen zu. Aber egal sollte es einen nicht sein, was mit unserem Land und auch mit unserem Volk passiert. Ich habe leider keine Enkelkinder und trotzdem denke ich in diesem Punkt nicht so wie Sie

ktgund
1 Jahr her

Man wundert sich, weshalb immer auf die Großwohnsiedlungen wie Neuperlach eingedroschen wird. Die können, im Gegensatz zu den endlosen Vorortöden, nämlich urban sein. Dort lohnen sich auch Geschäfte und Freizeiteinrichtungen und – bis man in den 90er Jahren alles auf die Grüne Wiese verlegte – die hatten auch mal ein lebendiges Geschäftsleben. Der radikale Gegenentwurf dazu ist die amerikanische Einfamilienhausmanie. Kilometerweite Vorortstädte ohne jede Seele, ohne Nachbarschaft, ohne Identität. Statt fußläufig durch die Nachbarschaft, fährt man lieber kilometerweit mit dem Auto in die nächste Mall, die das Stadtzentrum ersetzt. Gegen diese Dystopie sind Hochhaussiedlungen lebendige Nachbarschaften. Man könnte auch die… Mehr

WandererX
1 Jahr her

Das ist das Gegenteil der Barockstadterfindung mit seinen Achsen, die erst Grosstadt mit Orientierung und Verkehr miteinander ermöglichte, also das Gegenteil der orientalischen Stadt. Nun wird alles orientalisiert:alles wird unübersichtlich und hat keinen Gesamtzusammenhang mehr. Man lebt nur in seiner kleinen Welt, in seinem Sackweg. Das ist Sozialismus oder Orientalismus durch die Hintertür. Eine Repräsentation der Bürger über Visuelles (Boulevard…) wird gar nicht mehr verstanden! Stupide hoch Zehn! Die Parteien verblöden nun endgültig.