Deutschland stellt Atomkraftwerke ab und muss dafür Kernkraftwerke in der EU finanzieren

Ironie der Geschichte: Ausgerechnet am Neujahrswochenende schaltet Deutschland voll funktionsfähige Kernkraftwerke ab - und wird zukünftig Kernkraftwerke um sich herum finanzieren müssen, so ein EU-Beschluss. Auch das "dreckige" Gas aus Russland soll abgedreht werden.

picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte

Pünktlich zur Jahreswende hat Deutschland die vergleichsweise modernen und leistungsfähigen Atomkraftwerke in Brokdorf (Schleswig-Holstein), Grohnde (Niedersachsen) und Gundremmingen (Bayern) stillgelegt. Am Abend des 31.12.2021 wurden die Kabel in die Netze gekappt. Und pünktlich am späten Abend des 31.12., und sage keiner, die Bürokratie würde irgendwann ruhen, hat die EU-Kommission ein Entschlusspapier verschickt, wonach Atom und Gas in die sogenannte Taxonomie aufgenommen werden sollen. Es geht um eine Art Öko-Siegel. Investoren wie Fonds-Gesellschaften können sich dann zukünftig damit rühmen, dass sie „grün“, „ökologisch“ und „nachhaltig“ investieren, wenn sie Gelder in den Bau von Atomkraftwerken investieren. Gleichzeitig ist die Taxonomie-Verordnung Voraussetzung dafür, dass Atomkraftwerke über den „Green Deal“ der EU und auch der Europäischen Zentralbank gefördert werden können. Dabei geht es um viel Geld. Rund 1.000 Milliarden Euro will die EU bis 2050 in den kohlenstofffreien Umbau der europäischen Wirtschaft investieren; Deutschland ist daran mit rund einem Viertel beteiligt.

Kernkraft hier aus – nebenan neu gebaut

Das bedeutet: Während Deutschland aus der Kernkraft aussteigt, wird Geld aus dem deutschen Haushalt und von Sparern und Investoren gezielt in den Ausbau der Kernkraftwerke in den Nachbarstaaten investiert.

Neue Kernkraftwerke werden in Frankreich gebaut, was diese Technologie aktiv vorwärts treibt und die Entscheidung zur Taxonomie massiv beeinflußt. In den Niederlanden hat die neue Regierungskoalition Mitte Dezember beschlossen, zwei neue Kernkraftwerke zu bauen, weil „die Niederlande  ein wohlhabendes Land sind , das sich zum Ziel gesetzt hat, beim Übergang zu einer grünen Wirtschaft eine führende Rolle in Europa einzunehmen.“: Erstmals will auch Polen ein Kernkraftwerk an der Ostsee nahe der deutschen Grenze errichten, ebenso wie Tschechien seinen Atomkraftwerkspark erweitern will. Selbst Italien erwägt den Einstieg, obwohl es wegen der Erdbebengefahr bislang kein Kernkraftwerk betreibt. Aber das soll sich ändern.

Am 1. Dezember haben Frankreich und Italien zudem einen Feundschaftpakt geschlossen. Solche Verträge sind innerhalb der EU eigentlich überflüssig, aber dieser Vertrag hat das Ziel, in der Energiepolitik gemeinsam zu investieren und sich den Zugriff auf EU-Mittel zu sichern. Über den „Green Deal“ und das „Recovery-Projekt“ im Zuge der Corona-Krise, verfügt die EU erstmals über massive Finanzmittel. „Frankreich und Italien machen sich Deutschland dienstbar“, kommentiert der Verfassungsjurist und Finanzwirtschaftler Markus C. Kerber das Bestreben, Deutschland noch stärker in die Finanzierung dieser Länder einzubeziehen, wobei Kernkraft dabei ein Zukunftsfeld für Wachstum und Investition sein wird: Es ist schon mehr als eine symbolische Ohrfeige für die rotgrüngelbe Ampelkoalition. Sie zeigt, dass sich viele europäische Nachbarn durch die deutsche Energiepolitik bedroht fühlen. 

Auch der Gashahn wird abgedreht

Die fortschreitende Krise der deutschen Energiewirtschaft bringt über die gemeinsamen Leitungsnetze alle Länder in Gefahr. Denn längst sind Europas Stromnetze, auch die von Nicht-EU-Staaten eng miteinander verbunden, erklärt der spanische Energieexperte Antonio Maria Turiel, wobei Deutschland im Zentrum auch der Schwachpunkt des Systems ist: „Die Kombination aus beidem – viele Erneuerbare auf einer sehr großen Fläche und ein großer Verbund von Hochspannungsnetzen – macht das System instabiler.“ 

Aber weil das nicht reicht, hat die EU noch eine zweite Ohrfeige für Deutschland parat: Gas, worauf Deutschland faktisch seine Energieversorgung künftig fast ausschließlich stützen will, soll nur noch dann in der Taxonomie bleiben, wenn es spätestens ab 2035 aus erneuerbaren Quellen stammt oder besonders niedrige Emissionen aufweist – was für russisches Erdgas angesichts der Produktionsbedingungen und langen Transportwege nicht zutrifft. Damit zerschlägt die EU auch die zweite Säule der geplanten deutschen Energieversorgung.

Bleibt die Frage: Hat die Ampel eine solche Entscheidung verschlafen? Denn von ihrer geplanten Strategie, Strom aus Wind und Solar zu gewinnen und Gas als Rückgrat einzusetzen, bleibt nichts mehr übrig. Klar ist: Sie wusste Bescheid. So polterte Sven Giegold, umstrittener grüner EU-Abgeordneter und neuerdings Staatssekretär im Wirtschafts- und Energeministerium schon im November, dass durch die Taxonomie-Regelung grüne Finanzprodukte entwertet werden würden, die doch eigentlich den grünen Deal in Europa voranbringen sollten. Investitionen würden dann nicht mehr in Windräder und Photovoltaikanlagen, sondern in neue Kernkraftwerke fließen. So würden die so schönen Green-Tech-Aktien an Wert verlieren.

Ist der Wählerbetrug geplant?

Nun soll es schnell gehen. Noch in diesem Monat will die EU-Kommission die ergänzende Rechtsverordnung im Januar 2022 förmlich annehmen. Parlament und der Rat der EU haben dann maximal sechs Monate Zeit, die Taxonomie zu analysieren und gegebenenfalls Einwände dagegen zu erheben. Der Rat kann mit mindestens 72 Prozent der Mitgliedstaaten, also mindestens 20 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, Einwände gegen den delegierten Rechtsakt erheben. Im EU-Parlament reicht eine einfache Mehrheit für Einwände. Falls keine eingehen, kann die Taxonomie in Kraft treten. Auf Deutschlands Seite stehen Spanien, Österreich, Dänemark und Luxemburg, die sich im Juli 2021 dagegen aussprachen, Atomkraft bei Investitionen zu begünstigen.  

Doch die von Deutschland angeführte Front der Nein-Sager ist zu schwach, sich gegen die Taxonomie-Regelung zu wehren.

Oder spielt die Ampel ein doppeltes Spiel: Längst weiß jeder halbwegs Vernünftige, dass mit Sonne und Wind keine Wirtschaft im modernen Sinne betrieben werden kann. Weil die Ampel aber nicht die Kraft hat, ihren Kurs zu ändern und dafür vor den Wählern geradezustehen, deren Heimat durch immer neue Windparks sinnlos und zwecklos zerstört wird, lagert sie die Kernkraft einfach in die Nachbarstaaten aus. 

Es wäre ein Wählerbetrug in allerhöchstem, geradezu historisch einmaligem Ausmaß. Denn die Wähler zahlen dreifach: Sie werden umstellt von neuen Kernkraftwerken, die sie über den deutschen Beitrag zum EU-Haushalt und über den Stromimport finanzieren müssen. Ihre eigenen Kraftwerke dagegen werden sinnlos zerstört und mit Milliardenbeträgen jahrelang abgebaut. Grüne Wirtschaft eben.


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Kommentare ( 151 )

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DeeJay
2 Jahre her

E-Cars für alle sind die Steilvorlage für neue Kernkraftwerke! Dies sage ich seit Jahren und es wird genauso kommen. Statt auf Wasserstoff zu setzen, den man speichern und transportierem kann und vor allem da produzieren kann wo Wind, Sonne und Wasserkraft im Überfluß herrscht (Küsten / Spanien / Norwegen) schafft man mit diesen sinnlosen E-Cars einen Zwang, der neue Kernkraftwerke unumgänglich machen wird. Und das alles mit der Gewissheit noch nicht mal ein Endlager zu besitzen und dann reden die Herrschaften in Brüssel von Nachhaltigkeit. Nein, das ist nur ein weiteres Verlagern der Probleme auf kommende Generationen.

tichyleser
2 Jahre her

Könnt ihr da mal bitte Zahlen bringen, liebe Redaktion ?
Wieviel zahlen die Länder für den Forschungsreaktor in China?
Wie lange? Ist der Betrag offen ?
Wenn der funktioniert , wer bekommt dann die Lizenzrechte zu welchen Anteilen auf die neuen Patente ? Oder zahlen wir den Bau und China meldet die auf sich an ?
Wo waren die Ursprünge/Erfinder der neuen Atomenergietechnik?

Last edited 2 Jahre her by tichyleser
Hambo
2 Jahre her

Herr Habeck ist Kinderbuchautor, also Experte für Märchen. Bis 2030 muß alle 4 Stunden in Deutschland ein Windrad gebaut werden!!!! So viel Phantasie hatte nicht mal Mao mit dem großen Sprung nach vorn. Wie kommen solche Phantasten in einer realen Welt in ein Ministerim? Und so läuft das Tricksen, Lügen, Betrügen nur noch in diesem fallenden, zerbrechenden, sich selbst zerstörenden Staat. Ob Klima, Flüchtlinge, Corona…keinen Bezug mehr zur Realität.

drnikon
2 Jahre her

Ich sehe keinen Wahlbetrug. Ausser bei der FDP.
Seit Jahrzehnten ist jedem klar Denkenden offensichtlich, dass weder anthropogener Klimagau, noch „China-Syndrom“ ( Titel eines Films) etwas mit der Realität zu tun haben. Aber eine Mehrheit denkt nicht und wählt entsprechend, nach Gefühlsduseleilage.

Axel Fachtan
2 Jahre her

Hallo Mister November, hab ich das nicht gerade auch als Film mit Pierce Brosnan gesehen ? Es nützt nichts,die Grünen loszuwerden. Die schauen nur einfach zu, wie das vollendet wird, was Merkel eingerührt hat. 2011 – CSU FDP und CDU regieren gemeinsam. Dort und von denen wurde der Atomausstieg bis 31.12.2022 beschlossen. Gegen jede wirtschaftliche Vernunft. Es ist das Unsinnsprojekt der „bürgerlichen“ Penner. Nicht das Unsinnsprojekt der grünen . CSU FDP und CDU haben 2011 den Grundstein für den Niedergang der Industriegesellschaft in Deutschland und für die Verarmung der Mittelschicht gelegt. Auf diesem soliden Fundament kann die Ampel jetzt aufsetzen.… Mehr

Umkehr
2 Jahre her

Bei der Absicht der EU Kommission die Atomkraft als umweltfreundlich zu fördern wird es zu interessanten Konfrontationen kommen. Wenn hierfür Einstimmigkeit erforderlich ist, hätte das Mitglied Deutschland ein Veto-Recht. Das wollen die Grünen und wie ich höre auch die FDP juristisch geltend machen. Gleichzeitig ist klar, dass gerade Deutschland nach Abschalten der Kernkraftwerke und dem Ende der Kohleverstromung dringend auf die Abdeckung von Bedarfsspitzen aus den Nachbarländern angewiesen ist. Eigentlich einfach aus dieser Ausgangsposition die richtige Entscheidung abzuleiten. Überall nur nicht in diesem unserem Land.

Paul Brusselmans
2 Jahre her
Antworten an  Umkehr

qualifizierte Mehrheit reicht. Nun will sich Deutschland enthalten. Gaskraftwerke nur bis 2035 als Brückentechnologie anzuerkennen und Kernenergie als klimaneutral, kommt und gibt dem aberwitzigen Hampelkoalitionsplan den Todesstoss. Die Herstellung von Windkraftanlagen und Solarzellen produziert übrigens auch Co2; Deutschland war immer für Mehrheitsabstimmungen. Also nicht meckern. Aber es geht weiter: laut Bild ist jetzt die Waffenproduktion dran. Aber wie bestellt, so geliefert. Seit 2018 ist der gesamte Warenkatalog NACE von auch deutschen Experten bzgl Klima durchgeforstet worden. Wer hat denn den EU-Greendeal und Mehrheitsabstimmungen gewollt? Der Co2-Wahn boostet die Inflation. Es wäre ehrlicher, die Bevölkerungsexplosion anzugehen, denn darin liegt das grundlegende… Mehr

drnikon
2 Jahre her
Antworten an  Paul Brusselmans

Welche Bevölkerungsexplosion? Europa kann es nicht sein. Aber dafür wird in Europa kräftig „geimpft“. In Afrika dagegen kaum.

Umkehr
2 Jahre her

Die Betreiber der deutschen Kernkraftwerke haben Entschädigungen in Millionenhöhe für die Zwangsschließung ihrer Anlagen erhalten. Deutschland als größter und fast einziger Nettozahler in der EU zahlt den Löwenanteil an der Förderung der neuen Kernkraftwerke in den anderen EU Staaten. Die Insassen des Irrenhauses BRD applaudieren dazu und belohnen die dafür verantworlichen durch Zustimmung bei den Wahlen. D hat fertig.

Endlich Frei
2 Jahre her

Wenn ideologische Verbrämung und die Unfähigkeit bzw. der Unwille zur Einsicht zu sehr teuren (….und dummen – Stichwort „Klimanationalismus“) Entscheidungen für die – man muss es leider sagen – Wähler führt. Neben Milliarden für teuren Importstrom geht auch erhebliches Wertschöpfungspotential verloren. Ich selbst habe einst für einen Kraftwerksbauer gearbeitet und weiß, wie ungeheuer lang die Kette von beteiligten Unternehmen und Zuliefererern an der Errichtung/Unterhaltung eines Kraftwerks ist. Mit der Kompetenz bricht gleichzeitig auch ein ganzer Exportsektor und etliche Arbeitsplätze weg. Und das für nichts – denn produziert wird stattdessen wenige Kilometer jenseits der Grenze.

Endlich Frei
2 Jahre her

Wenn ideologische Verbrämung und die Unfähigkeit bzw. der Unwille zur Einsicht zu sehr teuren (….und dummen – Stichwort „Klimanationalismus“) Entscheidungen für die – man muss es leider sagen – Wähler führt. Neben Milliarden für teuren Importstrom geht auch erhebliches Wertschöpfungspotential verloren, ich selbst habe einst für einen Kraftwerksbauer gearbeitet und weiß, wie ungeheuer lang die Kette von beteiligten Unternehmen und Zuliefererern ist an der Unterrichtung/Unterhaltung eines Kraftwerks ist. Mit der Kompetenz bricht gleichzeitig auch ein ganzer Exportsektor und etliche Arbeitsplätze weg. Und das für nichts – den produziert wird stattdessen wenige Kilometer jenseits der Grenze.

Werner Geiselhart
2 Jahre her

Deutschland vertraut halt einer zuverlässigen Energie
https://www.wn.de/muensterland/kreis-borken/gronau/flugel-von-windrad-abgebrochen-2511390
Es handelt sich um ein neues Windrad von 240m Höhe. Vermutlich wird jetzt die ganze Baureihe stillgelegt.
Die Chance ist groß, dass das ein durchgängiger Materialfehler ist, lebensgefährlich, diese unsere Zukunftsenergie.
Wenn in einem KKW ein Wassereimer umgeflogen wäre, wäre das in den Gazetten der Aufhänger auf Seite 1 gewesen.

Robert Tiel
2 Jahre her
Antworten an  Werner Geiselhart

Die Bundeswehr hat ein Handbuch herausgegeben
„Einsatzstellen mit Faserverbundwerkstoffen
Eine Handreichung zur Gefahrenabwehr“

Die für Windräder verwendeten Carbonfasern können sehr fein zerbröseln, sie sind dann lungengängig.
„Was sie dort verursachen können, weiß der hoch spezialisierte Pneumologe Dr. Christoph Schäper, seines Zeichens Chefarzt der Warener Lungenklinik (…) „Werden die Partikel eingeatmet, können „in den Atemwegen akute Entzündungsreaktionen“ entstehen, erklärt der Lungenfacharzt. Bei chronischer Ablagerung können laut Schäper unter anderem bösartige Erkrankungen hervorgerufen werden.“nordkurier.de
Bleiben sie größer, sind sie sehr scharfkantig und können Tiere verletzen, die die Fasern versehentlich mitfressen.

Paul Brusselmans
2 Jahre her
Antworten an  Werner Geiselhart

Ganz klar ein Rotmilan! Die kacken nicht nur die Windräder voll, was zu Unwuchten führt (AfD-Mitglieder sollen ja diese Viecher züchten), sondern an dem Rotmilanschädel zerbersten auch die Carbonflügel. Scheissviecher, zu nix zu gebrauchen, nichtmals als Energiespeicher wie die Tiefkühlhähnchen. Artenschutz heisst doch nicht, jedes dieser Mistviecher zu hätscheln, sondern ein paar Stück im Museum und im Zoo zu erhalten. Auch für diese Mistviecher gilt wie für alle Deutschen „Du bist nichts, Dein Volk ist alles“. Das sagte schon damals ein Migrant, der vor Verfolgung in seiner Heimat nach Bayern floh. Mein Windrad dreht LINKS!

Last edited 2 Jahre her by Paul Brusselmans