Haldenwang erklärt, wie sich der Bundesverfassungsschutz zur Geheimpolizei wandeln will

"Unterhalb der Strafbarkeitsgrenze" und "Delegitimierung des Staates" sind die zentralen Begriffe, mit denen künftig das Bundesamt für Verfassungsschutz außerhalb geltender Gesetze tätig werden will - mit Zersetzungsmaßnahmen gegen jeden verdächtigen Bürger, der "falsche Meinungen" äußert.

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Am 1. April 2024 druckt die FAZ einen Gastbeitrag mit dem Titel „Die Meinungsfreiheit ist kein Freibrief für Verfassungsfeinde“ ab. Verfasser ist der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Thomas Haldenwang. Wir erlauben uns hier ausnahmsweise eine Etikettierung, die von der linken Presse sonst gerne allen möglichen „Nicht-Linken“ umgehängt wird: Verfasser des FAZ-Gastbeitrages ist der umstrittene Thomas Haldenwang (übrigens CDU-Mitglied, im November 2018 von der Regierung Merkel installiert anstelle des unter regierungsamtlich höchst umstrittenen Umständen geschassten BfV-Vorgängers Hans-Georg Maaßen. (Den Haldenwang nun „beobachten“ lässt.)

Warum die FAZ diesen Haldenwang-„Gastbeitrag“ abdruckt? Weil Haldenwang darum gebeten hat? Weil Haldenwangs Chefin und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) das so wollte? Weil die FAZ Haldenwang retten will? Oder weil die FAZ Haldenwang vorführen möchte? Denn Haldenwang führt sich selbst vor, besser als dies jeder Kritiker könnte.

Um es vorwegzunehmen: Dieser Gastbeitrag zeigt, dass Haldenwang sein Amt eklatant missversteht und dass er ein Bandwurmsatz-Schwurbler ist. Letzteres dokumentiert er in seinem insgesamt 642 Wörter umfassenden Text allein schon mit einem einzigen Satz, der für sich 88 Wörter ausmacht und mit 7 Kommata zu einer kaum noch lesbaren Satzkaskade wird.

Was ist der Aufmerksamkeit wert in diesem irrlichternden Gastbeitrag?

Erstens: Haldenwang verteidigt seine mediale Präsenz, aber es will ihm nicht gelingen. Wörtlich schreibt er im Pluralis Majestatis: „Ja, anlassbezogen sind wir oftmals in den Medien … um schon unterhalb von Verboten eine informierte politische Auseinandersetzung zu ermöglichen …“ Das sei „Bestandteil unseres gesetzlichen Auftrags als Frühwarnsystem.“ Im Klartext: Verdacht streuen will Haldenwang. Auf ein Wort der Selbstkritik wartet man hier vergeblich. Zum Beispiel dass er es im ZDF-„heute journal“ vom 20. Juni 2023 als seine Aufgabe sah, „die Umfragewerte der AfD zu senken“ und die „Bevölkerung wachzurütteln.“ Oder dass er eindeutig Partei ergreift für die „Letzte Generation“ mit Hunderten von Straßenblockaden. Wörtlich sagte Haldenwang in einer SWR-Sendung vom 16. November 2022: Die „Letzte Generation“ sei nicht extremistisch; sie begehe zwar Straftaten, aber keinen Extremismus: Für eine Beobachtung der „Letzten Generation“ sieht Haldenwang dementsprechend und „derzeit“ keinen Anlass.

Zweitens schreibt Haldenwang: „Auch die Meinungsfreiheit hat Grenzen. Die äußersten Grenzen zieht das Strafrecht, etwa in Hinsicht auf strafbare Propagandadelikte oder Volksverhetzung. Jedoch auch unterhalb der strafrechtlichen Grenzen und unbeschadet ihrer Legalität können Meinungsäußerungen verfassungsschutzrechtlich von Belang sein.“ In diesem Satz steckt Sprengstoff. Wenn der Verfassungsschutz „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ aktiv wird, heißt das nichts weniger, als dass jeder Rechtsweg ausgeschlossen ist, jede Überprüfung staatlichen Handelns. Wem Straftaten vorgeworfen werden, der kann sich vor Gericht verteidigen, und richterliche Entscheidungen sind wiederum an Gesetze gebunden; in den meisten Fällen gibt es sogar eine Überprüfungsinstanz. Unterhalb der Strafbarkeitsgrenze operiert der Verfassungsschutz geheim, also unkontrollierbar und verdeckt; Faeser nannte ja als Instrumente Kontensperrung, Anzeige beim Gewerbeaufsichtsamt, um schärfere Kontrolle auszulösen. Auch Anrufe beim Arbeitgeber, in der Schule, in den Behörden sind als geheime Maßnahmen benannt. Es ist ein Willkürbereich.

Interview Dietrich Murswiek
„Der Verfassungsschutz ist keine Polizei“
Will Haldenwangs Verfassungsschutz außerhalb des Gesetzes in diesem Bereich geheimdienstlicher Zersetzungsmaßnahmen tätig werden? Mit seiner verquasten Erfindung des „Phänomenbereiches verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ ist er ja im Mai 2021 (also noch zu Merkels Zeiten) schon mal schier legislativ vorgeprescht und hat damit seiner nachfolgenden Chefin Faeser eine Handhabe gegeben, das Staatswohl über das Demokratiewohl, das Regierungswohl über das Wohl des Volkes zu stellen.

Drittens schreibt Haldenwang: „In der Nachkriegsgeschichte war die Demokratie in unserem Land selten so in Gefahr wie heute. Die Zahl der Extremisten und das Extremismuspotential steigen seit Jahren.“ Wir lassen mal den zeitgeschichtlichen Analphabetismus Haldenwangs beiseite und fragen nur rhetorisch: Und was war in Zeiten des Kalten Krieges, was war mit den Aktionen der DDR-Stasi im Westen? Konkretisieren bzw. aktualisieren will Haldenwang seine Aussage ohnehin nicht. Dabei hätte er nur die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) zu Rate ziehen sollen: Für das Jahr 2022 berichtet die PKS am 21. April 2023 von 13.542 linksextremen und von 10.788 rechtextremen Gewalttaten (insbesondere Körperverletzungen, Tötungsdelikte usw.). Über islamistisch motivierten Extremismus schweigt sich Haldenwang auch aus, ebenso über den importierten Antisemitismus. Kein öffentliches Wort Haldenwangs auch zum Versagen seines „Dienstes“ beim Tesla-Anschlag vom 7. März 2024. Oder dass die „taz“ am 11. März schreibt: „Natürlich ist der Anschlag auf Tesla zu verurteilen. Aber man kann ihm auch Positives abgewinnen.“ Positives!

Viertens schreibt Haldenwang: „Die zu Jahresbeginn bekannt gewordenen Vernetzungstreffen zwischen Rechtsextremisten und Teilen der gesellschaftlichen Mitte belegen Entgrenzungsprozesse, vor denen das BfV zuvor schon gewarnt hatte.“ Klar, Haldenwang meint das „Potsdamer Geheimtreffen“, das sich längst als eine Operetteninszenierung von Politik und Medien herausgestellt hat. Wobei wir nicht ausschließen wollen, dass bei dieser Inszenierung, zumindest der medialen, das BfV die Finger im Spiel hatte. Für Haldenwang scheint „Potsdam“ ein letzter Strohhalm zu sein. Jedenfalls wusste Haldenwang schon vor „Potsdam“ Bescheid.

Überfällig: Dossiers zu den Verdachtsfällen Faeser, Paus und Haldenwang

Das Trio Faeser, Paus (Grün) und Haldenwang gibt vor, die Demokratie schützen zu wollen. Das Trio tut das aber in einer erschreckend übergriffigen Weise. Alle drei unterminieren Artikel 5 des Grundgesetzes (Meinungsfreiheit). Sie verschieben die Grenzen des Sagbaren, und sie „delegitimieren“ Andersdenkende. Am 13. Februar 2024 etwa hatte Faeser- den „starken Staat“ beschworen und Haldenwang von „Denk- und Sprachmustern“ schwadroniert, die sich in der „Sprache einnisten.“ Hineinschnüffeln in Denkmuster? Und Paus betreibt ein „Demokratiefördergesetz“, das nichts anderes ist als ein mit einer dreistelligen Euro-Millionen-Summe ausgestatteter Futtertrog für linke NGOs und deren Denunziationsstellen.

Gottlob gibt es noch Verfassungsrechtler, die hier hellhörig sind und dies auch öffentlich kundtun. Der Oldenburger Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler apostrophiert Faesers Ansinnen als „erschreckend“, ja als „übergriffig“. Er sieht Faeser auf einer „Mission“, mit der alles, was im Weg stehe, weggeräumt werde. Haldenwang attestiert er verbale und mentale Grenzverschiebungen. Zum Beispiel wenn beide eine Art Straftatbestand einer angeblichen „Verächtlichmachung des Staates“ erfinden. Gemeint ist doch tatsächlich Kritik an den Maßnahmen des Staates gegen das Corona-Virus und Kritik an den Maßnahmen des Staates zur Bekämpfung des Klimawandels.

Ähnlich kritisch der Augsburger Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner. Dieser hält all die Faeser- und Haldenwang-Begriffe für „unbestimmt“, ja für „schwammig“. Er sieht die Gefahr, dass zukünftig pointierte Meinungsäußerungen bereits als „Delegitimierung“ des Staates gewertet werden könnten. Lindner sagt dezidiert: Der Staat habe in Fragen der Meinungsfreiheit keine Deutungshoheit. Lindern postete übrigens einen Kommentar aus einer aktuellen NJW (Neue Juristische Wochenschrift). Dort hatte der bekannte Strafverteidiger Gerhard Strate über Faeser/Paus aktuell geschrieben: „Tabubrüche zweier Amtsträger … treiben jedem Anhänger des Rechtsstaates die Schweißperlen auf die Stirn.“ Lindner hat dazu gepostet: „Recht hat er.“

— Josef Franz Lindner (@JosefFLindner) March 10, 2024

Zwei Lektüreempfehlungen:

1. Stasi-Chef Mielke lesen! 2. Bundesverfassungsgericht konsultieren!

DDR-Stasi-Chef Erich Mielke hatte am 26. Juni 1971 die folgende 44-Seiten-Dienstanweisung“ erlassen: „Dienstanweisung 2/71 zur Leitung und Organisierung der politisch-operativen Bekämpfung der staatsfeindlichen Hetze.“ Dort warnt Mielke: „Besonders die staatsfeindliche Hetze, aber auch andere damit im Zusammenhang stehende Formen, Methoden und Erscheinungen der Untergrundtätigkeit im Inneren der DDR stellen sowohl eine spezifische Erscheinungsform als auch ein Ergebnis der politisch-ideologischen Diversion des Gegners dar … Die weitere Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR erfordert die planmäßige und vorbeugende Ausschaltung jeglicher störender Einflüsse auf die Bewußtseinsentwicklung der Werktätigen, um ihre in der Verfassung der DDR festgelegte notwendige bewußte und aktive Mitwirkung bei der Vollendung des sozialistischen Aufbaus und ihre politische Standhaftigkeit und Wachsamkeit auch in komplizierten politischen Situationen zu garantieren … Diskriminierung, Verächtlichmachung oder Verleumdung von Repräsentanten oder anderen Bürgern der DDR, der staatlichen Organe, Einrichtungen oder gesellschaftlichen Organisationen oder deren Tätigkeit oder Maßnahmen und das Vorgehen gegen Bürger wegen ihrer staatlichen oder gesellschaftlichen Tätigkeit mit Tätlichkeiten oder das Androhen solcher.“

Nie wieder ist jetzt! Oder doch nicht? Doch, es ist im besten Deutschland, das wir je hatten, (fast) wie 1971 in der DDR. Wie sich doch die Formeln gleichen. Von „agitatorischer Verächtlichmachung des Staates und seiner Repräsentanten“ redet Faeser. Aber vermutlich weiß weder sie, noch weiß es Haldenwang, auf welch gefährlichen Pfaden sie dahintrampeln. L’Etat, c’est moi – Das scheinen sich Faeser und Haldenwang einzubilden.

Nein, die Faesers, Haldenwangs und Co. sollten sich dringend ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. November 2011 zu Gemüte führen. Es war übrigens ein einstimmiger Beschluss: „Vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind zum einen Meinungen, das heißt durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen. Sie fallen stets in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, oder ob sie als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden …. Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden …. Der Meinungsäußernde ist insbesondere auch nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen zu teilen, da das Grundgesetz zwar auf die Werteloyalität baut, diese aber nicht erzwingt.“

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