Friedrich Merz’ problematisches Verhältnis zur Meinungsfreiheit

Auch in Sachen Verteidigung der Meinungsfreiheit sollte niemanden überraschen, dass Merz sich dem grünen Zeitgeist andient. Schaut man sich Bayern, Berlin, Hessen und Meldestellen-NRW unter Führung von CDU und CSU an, wird deutlich, dass mit der Union keine Abkehr von Zensurbestrebungen ansteht.

picture alliance/dpa | Christoph Soeder

CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz schreibt regelmäßig eine „MerzMail“. Jeder kann sie beziehen: CDU-Fans, Merz-Follower, CDU-Pflichtabonnenten, CDU-Hasser, politische Gegner, Redaktionen … Bis Ende 2024 gab es insgesamt 234 MerzMails. Mit dem Jahr 2025 hat die CDU eine neue Zählung begonnen: #MerzMail 1/2025, #MerzMail 2/2025 usw.

Nun hat Merz am 12. Januar 2025 die #MerzMail“ Nummer 2/2025 verschickt. Sein Thema diesmal: Freiheit und soziale Medien. Klar, Merz blieb nichts anderes übrig, als auf dieses Thema aufzuspringen. Elon Musk (X) setzte zum großen Unmut Grüner und Linker auf „Community Notes“, und seitdem nun auch noch Mark Zuckerberg (Meta inkl. Facebook, Instagram usw.) angekündigt hat, zukünftig auf den Einsatz sogenannter „Faktenchecker“ verzichten zu wollen, kennt der Furor der „Guten“ kein Halten mehr. Dann plauderte Musk auf seinem X-Space-Kanal auch noch 70 Minuten mit AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel. 150 EU-Beamte haben das Gespräch beobachtet, um herauszufinden, ob es sich hier nicht um einen Verstoß gegen die EU-Richtlinie „Digital Services Act“ (DSA) und um illegale Wahlkampfhilfe handle. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages will zu dieser Frage seine Einschätzung beitragen. Was wohl alles nicht erfolgt wäre, hätte Musk Robert Habeck zum Gespräch gebeten.

Friedrich Merz hat nun also die Frage, ob „soziale Medien“ kontrolliert werden müssten, in seiner #MerzMail 2/2025 vermeintlich ausgewogen diskursiv, tatsächlich aber sehr einseitig und tendenziös behandelt. Der CDU-Vorsitzende holt ziemlich weit aus, anfangs auch sehr grundsätzlich. Er schreibt: „Demokratie ist Freiheit, nichts anderes.“ (Kursiv im Originaltext). Dann zählt Merz Freiheiten auf: Freiheit der Rede, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Wahlfreiheit, Bewegungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Berufsfreiheit, „ja selbst die Freiheit, nichts zu tun“. Die Freiheit von Lehre und Forschung hat er vergessen. Aber was soll’s – in Zeiten einer an den Universitäten inflationär um sich greifenden „Cancel-Culture“-Unkultur!

Merz‘ Vision: ein reglementierter Speakers‘ Corner

Schließlich muss in der MerzMail – idealisierend – der vor rund eineinhalb Jahrhunderten eingerichtete Speakers‘ Corner im Londoner Hyde Park herhalten. Vor allem, weil das britische Unterhaus im November 1955 Regeln aufgestellt hat, was man dort darf und was nicht. Zum Beispiel darf man dort keine Unruhe und keinen Bruch des allgemeinen Friedens auslösen, man darf auch keine Sprache benutzen, die obszön, beleidigend, blasphemisch oder gewaltandrohend ist. Verstöße dagegen würden strafrechtlich geahndet. Merz schreibt dazu: „Aufgeregt hat sich darüber bisher kaum jemand.“

Dann springt Merz in die Jetztzeit: „Speakers Corner, das ist im digitalen Zeitalter Instagram, X, Facebook, TikTok und viele andere Plattformen mehr, auf denen jedermann und jedefrau sagen kann, was er und sie will, lautstark, provokant, skurril, dümmlich, richtig oder falsch über alles und jedes. Der Unterschied zur Hyde Park Corner liegt allein in der Zahl der Speaker und der Zuschauer, beides geht in die mehrstelligen Millionen. Mit der Quantität bekommen die Plattformen allerdings auch eine andere Qualität. Sie beeinflussen die Menschen wirklich, und zwar weltweit, und sie sind allein aufgrund ihrer Reichweite die idealen Plattformen für politische und kommerzielle Werbung, reichweitenstärker als jedes analoge Medium, mit den richtigen Algorithmen auch gezielt einsetzbar auf die Meinungen und Bedürfnisse jeder beliebigen Zielgruppe.“ Naja, die Geister, die man mit dem Digitalisierungs-Hype rief, wird man nun nicht los.

Sodann schlägt sich Merz auf die Seite der Kontrolleure und Zensoren. Er weist die Kritik an einem Rechtsrahmen für Plattformen zurück. Für Merz sind ein solcher Rechtsrahmen und die „Zusammenarbeit mit externen Faktencheck-Redaktionen“ kein Anschlag auf die Meinungsfreiheit. Hört, hört! Lest, lest!

Dann bemüht Merz das ganze Horrorgemälde, das er offenbar mit Musks und Zuckerbergs Entscheidungen heraufziehen sieht: „grobe Falschmeldungen, KI-generierte, täuschend echt aussehende, aber grob gefälschte Memes mit Aussagen, die der vermeintliche Verfasser nie gemacht hat … Einflussversuche ausländischer Regierungen und ganzer Trollarmeen, die beständig die Plattformen fluten mit Propaganda und Fake News …“

Merz schließt seine Mail mit den Worten: „Wer allerdings dafür plädiert, im digitalen Zeitalter einfach alles zu erlauben, oder wer angesichts der Wucht und Macht der Plattformbetreiber resigniert und alles hinzunehmen bereit ist, der liefert die Meinungsfreiheit binnen kürzester Zeit den Feinden der Meinungsfreiheit aus. Und dann ist es auch um den Rest unserer Demokratie nicht mehr gut bestellt.“

Real existierende Zensur, die Merz ignoriert

Nein, Merzens Plädoyer für Kontrolle in den sozialen, gewiss oft asozialen Medien, wäre glaubwürdiger, wenn sich Merz den längst enger gezogenen Meinungskorridor in diesem unserem Lande zur Brust genommen hätte, zum Beispiel

  • die wie Pilze aus dem Boden schießenden, staatlich geförderten privaten Melde- und Denunziationsstellen
  • die politische Einseitigkeit der zwangsgebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen,
  • die Fake-News- und Lügengeschichten eines staatlich geförderten „Recherchemagazins“ CORRECTIV,
  • das trickreiche von einer Innenministerin Faeser (SPD) inszenierte und höchstrichterlich gescheiterte Verbot des Magazins „COMPACT“,
  • die schräge und nach wie vor geltende Erfindung des Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Haldenwang eines „Phänomenbereiches verfassungsschutzrelevanter Delegitimierung des Staates“,
  • die vom CDU-geführten hessischen Innenministerium eingerichtete Einheit des Verfassungsschutzes, die gegen Desinformation und mutmaßliche Manipulationsversuche im Vorfeld der Bundestagswahl 2025 vorgehen soll,
  • die weit über tausend Strafanzeigen führender Politiker gegen Witzeleien harmloser Bürger.

Nach zahlreichen Rückruderaktionen und Wendemanövern des Friedrich Merz sollte es auch hier niemanden mehr überraschen oder wundern, dass er sich abermals dem grünen Zeitgeist andient. Schaut man sich Bayern, Berlin, Hessen, Meldestellen-NRW unter Führung von CDU und CSU an, kann man erahnen, dass die Union nicht für die Rückkehr zur Meinungsfreiheit einstehen wird – ganz im Gegenteil.


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Kommentare ( 53 )

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Skeptiker
26 Tage her

Naja – wenn das eine oder andere soziale Medum (was die Göter verhüten mögen) verboten wird, dann ist es ja nicht mehr „allgemein zugänglich“.

Privat
26 Tage her

Auch die irre Ankündigung von dem Merz, der Ukraine deutsche Taurus Raketen gegen Russland zu liefern, ist nach Ansicht Russlands ein deutscher selbstmörderischer Akt !
Russland wird diese völlig -unverantwortliche- Kriegserklärung durch den Merz und seine CDU/CSU angemessen beantworten.

Privat
27 Tage her

Wer eine andere demokratische Partei beschimpft und die demokratische Zusammenarbeit mit der anderen demokratischen Partei kategorisch ablehnt – solch einer ist in meinen Augen ein waschechter Anti-Demokrat ebenso wie seine ihm dafür zustimmenden Parteiklatscher.

Landgraf Hermann
27 Tage her

Niemals eine Partei wählen, die den Denunziantenstadel gut findet.

Wilhelm Mueller
27 Tage her

Ich glaube, die CDU hat sich bei der Auswahl ihres Leaders wieder einmal vertan. Er will offenbar unter allen Umständen Kanzler werden, hat aber weniger Sympathiepunkte im bürgerlichen Lager als zuletzt Armin Laschet. Die CDU-Basis und die bürgerlichen Wähler lernen ihn immer genauer kennen und kommen mit dem Typ, der zuweilen wie Hampelmann wirkt, eigentlich emotional nicht zurecht. Es könnte noch Überraschungen geben!

Ernst K.
28 Tage her

„Schaut man sich Bayern, Berlin, Hessen und Meldestellen-NRW unter Führung von CDU und CSU an, wird deutlich, dass mit der Union keine Abkehr von Zensurbestrebungen ansteht.“

Wie sollte es auch. Die Union ist im festen Verbund der Kartellparteien, mit dem Ziel, die einzige Oppositionspartei, die AfD, zu zerschlagen. Gelänge das, wäre die deutsche Demokratie Geschichte.

HarryDax
28 Tage her

Wer die Union wählt, bekommt ganz Linksextrem (SPD, Grüne usw.) eingeschänkt!
Wenn die Union wirklich eine Wende will, dann sollte die Koalitionen mit der AfD eingehen! Da sitzen gute Leute aus allen gesellschaftlichen Schichten.

Rob Roy
27 Tage her
Antworten an  HarryDax

Dazu müssten die ganzen Grünlinge und Merkelianer in CDU und CSU entfernt werden. Um dies zu erreichen, müsste sich die komplette Union auflösen und neu gründen.
Es wäre aber einfacher, diejenigen in der Union, die noch für konservative Werte stehen, würden sich der AfD anschließen.
Dies würde ein Umdenken bedeuten. Und für viele auch ein Wagnis mit Risiko. Aber so könnte man die Selbstdenker von den Mitläufern unterscheiden.

Bronstein
28 Tage her

Es ist nicht so , dass der Bankräuber die Gesetze nicht versteht. Er weiß ganz genau, dass der Überfall auf eine Bank nicht erlaubt ist. Deutschlands Politiker haben darüber hinaus die Macht, das zu tun, was sie derzeit tun

lauterbachleugner
28 Tage her

(Soziale Medien) ‚beeinflussen die Menschen wirklich, und zwar weltweit.‘
Das tun auch Zeitungen, Staatsfernsehen, Radio und Politiker. Die Rente ist sischer, der EUR wird so stabil wie die DM, no bail-out, die Impfung ist nebenwirkungsfrei, bei 60 bis 70 Prozent Impfquote gibt es Herdenimmunität, keine Corona Impfpflicht – alles faked news. Das Merz, Habeck, Scholz, Faser und Lindner von Meinungfreiheit nichts halten stellen ständig sie unter Beweis. Ihr Demokratieverständnis erinnert an üble Diktatoren dieser Welt.

murphy
26 Tage her
Antworten an  lauterbachleugner

Der heutige Vergleich der AfD mit einer „Natter am Hals“ von Merz zeigt sein echtes Lager. Es kann eine Zusammenarbeit mit der „nicht-Merkel-CDU“ geben, aber nur ohne Merz.

Buck Fiden
28 Tage her

Und sowas soll Kanzler in einer Demokratie (oder das, was noch von ihr übrig ist) werden?
Nein!