Mit allen ins Gespräch kommen – nur nicht mit den Falschen

Auf dem Evangelischen Kirchentag übt man sich in der Quadratur des Kreises: Weltoffen und dialogbereit will man sein. Aber mit Menschen sprechen, die nicht der eigenen Meinung sind? Das wäre dann doch zu viel des Guten.

Screenprint: Youtube / Kirchentag

„Wie sollen wir denn mit denen ins Gespräch kommen, wenn wir uns gar nicht mit ihnen hinsetzen?“, fragt Bodo Ramelow am 1. Mai auf dem Evangelischen Kirchentag in Hannover. Anlass ist seine „Bibelarbeit“ zum Thema „Mut zum Widerspruch“. Nachdem er und seine Gesprächspartnerin, die Musikerin Nina Brunetto, zwanzig Minuten lang darüber gesprochen haben, dass man niemanden ausschließen solle, Menschen nicht in „nützlich“ und „weniger nützlich“ einteilen dürfe, und dass es eine „Insel der Vernunft“ brauche, erinnert er selbst daran, dass er sich auf einem früheren Kirchentag gegen die Teilnahme der AfD bzw. von AfD-Politikern ausgesprochen habe.

Selbstkritik? Aber nicht doch! Ramelow erweist sich vielmehr als Meister der Manipulation: In angenehm pastoraler Tonlage, ruhig und bedächtig Betroffenheit und echte Besorgnis mimend, dient die Frage lediglich als Finte. Die Selbstrechtfertigung folgt sogleich: Die andere Ebene sei schließlich, „dass der andere auch zuhören muss, zuhören will“.

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Ein ehrlicher Politiker würde weiterfragen, wie man sicherstellen könne, Willen oder Unwillen der Gegenpartei festzustellen, worauf die Antwort lauten würde: Sie auf das Podium einladen, und es herausfinden.

Ein Manipulator unterstellt ganz einfach der Gegenseite pauschal Unwillen, und kann darauf hoffen, dass beim ebenso selbstgerechten Publikum die pseudo-selbstkritische Frage ausreicht, um als inklusiv, ausgleichend und fair wahrgenommen zu werden. Eine Rechnung, die natürlich aufgeht, weil das Kirchentagspublikum von Ramelow genauso wahrgenommen werden möchte, wie dieser sich gibt: Man will offen und gerecht sein – oder besser gesagt: wirken –, aber nicht das tun, was tatsächlich Offenheit und Gerechtigkeit entspräche.

Besseren Anschauungsunterricht über die negativen praktischen Auswirkungen der protestantischen Theologie, die „allein den Glauben“ als notwendig, und „Werke“, also das Handeln, als unnötig betrachtet, kann es kaum geben: Der Glaube an die eigene „Gutheit“ reicht aus, gutes Handeln unterbleibt, und es unterbleibt natürlich vor allem dort, wo man es als unangenehm empfindet. Und mit „Rechten“ reden? Das ist unangenehm, schließlich verlässt man damit die eigene Komfortzone.

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In der Parallelveranstaltung in Halle 4 sagt derweil Angela Merkel übrigens genau dasselbe. Als hätten beide ihr Handwerk in demselben Rhetorikseminar gelernt, geht auch sie in die kommunikative Offensive, um im selben Atemzug die Ausgrenzung Andersdenkender zu rechtfertigen.

So gelingt die Quadratur des Kreises, sich als offen darzustellen, während man unter sich bleibt – ein Freundschaftsdienst der Politiker, die das Forum, das der Kirchentag bietet, nutzen, um sich medienwirksam zu inszenieren. Dabei könnten Christen auf 2000 Jahre Erfahrung zurückgreifen, die sie lehrt, dass immer Obacht geboten ist, sobald die Obrigkeit die Kirche nicht mehr als Korrektiv, sondern als Projektions- und Werbefläche betrachtet.

Doch die Prämisse, dass mit allen zu reden sei, bloß nicht mit den Falschen, ist gewissermaßen ganz offiziell Linie und Agenda des Kirchentags: Schon zum Auftakt des Kirchentags am Mittwochabend hatte Kirchentagspräsidentin Anja Siegesmund zum Engagement gegen den „wiedererstarkenden“ Rechtsextremismus aufgerufen, und in diesem Kontext betont, dass von Sätzen wie „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ eine Gefahr ausgehen könne; man dürfe ihnen nicht auf den Leim gehen.

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Selbstredend kommt man nicht ohne NS-Reminiszenzen aus, um solchen Aussagen Nachdruck zu verleihen: „Wo wart Ihr, warum habt Ihr das nicht verhindert?“, müsse man sich wieder fragen lassen. Vor dieser Drohkulisse verbietet sich Dialog mit jenen, die womöglich anderer Meinung sind. Man belässt es beim Sprechen über sie. Und das tut man ausgiebig. Auch Trump-Kritik darf dabei nicht fehlen. Denn schlimmer als der Deutsche, der sich nicht ob der Nazi-Vergangenheit seiner Vorfahren vom Klimaschutz überzeugen lassen will, ist der Amerikaner, der sich nicht durch moralisierende Deutsche, die es ja besser wissen müssen, siehe Nazi-Vergangenheit, belehren lässt.

Die Problematik dieser Haltung liegt freilich keineswegs darin, „Rechte“, Rechtsextreme oder Donald Trump zu kritisieren. Das Problem ist vielmehr, dass diese Art von Kritik wohlfeil ist, und vor allem die eigene Selbstgerechtigkeit zum Ziel hat. Man ist so wenig um die Sache an sich bemüht, dass regelmäßig gar nichts tatsächlich Kritikwürdiges zur Sprache kommt, sondern Plattitüden, Gemeinplätze und sogar Desinformation, die handfeste und notwendige Kritik ersetzen sollen.

So ist der Evangelische Kirchentag im Grunde ein „Safe Space“ für alle: Wer der politischen Agenda und den ideologischen Vorgaben der Kirchentagscommunity nicht entspricht, darf zwar nicht mitmischen, muss sich aber auch keiner womöglich berechtigten Kritik stellen: Er kann mit Fug und Recht im Glauben bleiben, alles richtig zu machen, da ihn die „links-grün versifften Gutmenschen“ ausgrenzen. Und jene wiederum können sich wohlfühlen in der Gewissheit, gerade in der Ausgrenzung Andersdenkender die eigene Dialogbereitschaft zu beweisen.

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Kommentare ( 47 )

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Chris Friedrich
2 Monate her

Da kann man mal sehen, wie fahl der Ramelow ist. Pfui Deibel.

Braunkohle
2 Monate her

Hier lohnt es sich mal wieder an die NDR Moderatorin Eva Herman zuu erinnern, die der Wahrheit zu nahe gekommen war und geschasst wurde. Ihre damalige Aussage ist für die heutige Generation zum besseren Geschichtsverständnis zu aktualisieren in: nicht alles was schlecht ist, stammt aus der Nazizeit.

Dr. Rehmstack
2 Monate her

Seid alle herzlich begrüßt zum Kirchentag der Deutschen Christen in Hannover 2025.

teanopos
2 Monate her

früher haben die Linken die Kirchen bekämpft, heute versuchen sie die Reichweite und das Geld für sich zu nutzen, die Kirchen sind längst unterwandert.
Die Linken sind auch hier mal wieder so maximal ekelhaft unangenhem, widerlich und opportunistisch.

haqus b.
2 Monate her

Mit dem gebundenen roten Schal sieht er aus wie ein gealterter Thälmann-Pionier.
Ein Teil der westdeutsch Zivilisierten hätte möglicherweise die besseren DDR-Bürger abgegeben.

Cimice
2 Monate her

Dass die Evangelische Kirche links ist, wurde mir schon mit 14 klar. Ich bin jetzt 73. Als ich mit 21 aus dem Wehrdienst entlassen wurde, vorher Abitur, kam genau einen Tag(!) später der Kirchgeldbescheid. Ich sollte von meinen kargen Wehrsold und Entlassungsgeld an den Verein zahlen. Unnötig zu erwähnen, dass während der gesamten Wehrdienstzeit sich zu keiner Zeit einer der linken Pfaffen blicken hatte lassen. Weder bei der Vereidigung, noch bei der Entlassung. Auch nicht, als sich einer unserer Kameraden mit G3 und P1 zugleich erschossen hatte, durch den Kopf. Kein Feldgottesdienst oder dergleichen. Aber beim Abkassieren, da wussten sie,… Mehr

alter weisser Mann
2 Monate her

„Offen und gerecht“ übersetzt sich bei solchen Figuren in „nicht ganz dicht und selbstgerecht“, das gilt für linkssozialistisch/kommunistisch gefärbte Christen erst recht. Da hilft auch das Geschwäsch vom geistigen Spagat zwischen Linkssein und Gottesfurcht des Ramelow nicht.

LiKoDe
2 Monate her

Nicht wenige Personen aus Parteien/Parlamenten/Länderregierungen üben insbesondere für die evangelische Amtskirche Funktionen aus.

Von diesen Personen, die in der Regel weder Theologen noch Pfarrer sind, kann man gar nichts anderes als Politsprech erwarten. So ist es auch mit Fr. Siegesmund.

Andererseits gibt es auch Theologen oder Pfarrer, die mit ebensolchem Politsprech hausieren gehen.

Da kann man nur noch aus der Kirche austreten.

Brauer
2 Monate her

Und immer sind es die Linken.
Die Nazis haben sich untereinander Genossen (Parteigenossen / Volksgenossen) genannt.

Cimice
2 Monate her
Antworten an  Brauer

Und sie hatten eine überwiegend rote Fahne. Für das sozialistische, für jedermann erkennbar. Der weisse Kreis mit dem schwarzen Kreuz sollte die national-konservativen Teile der Bevölkerung „überzeugen“.
Nur *ein* Zitat von Goebbels (es gibt derlei zahlreiche):
„Gegen das politische Bürgertum: für den echten Nationalismus! Gegen den Marxismus: für den wahren Sozialismus! Für den ersten deutschen Nationalstaat sozialistischer Prägung!”
(Joseph Goebbels, in: Der Angriff vom 16. Juli 1928)

teanopos
2 Monate her

„Die andere Ebene sei schließlich, „dass der andere auch zuhören muss, zuhören will“.“ Genau Herr Ramelow, und ich weiß, Sie meinen das anders, ich soll Ihnen „zuhören“, aber eigentlich läuft das anders, Sie sind mein Angestellter und ich hätte Ihnen da ganz viel zu sagen was Sie zu tun und zu lassen haben. Komisch nur, dass Sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehren. Müssen wir(das Volk, gibt es das in Ihren Augen eigentlich noch?) wieder die Mistgabeln auspacken um Ihrem Hirn und Ihrer widerlichen, selbstgerechten Eitelkeit und Arroganz(die sich in mittlerweile über alle politischen Parteien der selbsternannten demokraten ausgebreitet… Mehr

Last edited 2 Monate her by teanopos