Neue Peinlichkeiten in Sachen SPIEGEL-Skandal

Ein enttarnter Relotius macht noch keinen besseren Spiegel. Den pro-Petzold-Tweet hat der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen „geliket“, also für gut befunden. Jedes Medium kriegt halt die Politiker die es herbeischreibt.

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Eine Krähe pickt der anderen kein Auge aus. Das dürfte vermutlich das einzige sein, was einem neutralen Beobachter zu einem Twitter-Tweet einfällt, den Ex-Stern-Chefredakteur Andreas Petzold zur Affäre Relotius abgelassen hat. Es sei denn, man ist CDU-Vorstandsmitglied, zufällig Ministerpräsident des größten Bundeslandes, buhlt um positive Berichterstattung bei den linken/grünen Medien und heißt Armin Laschet. Dann retweetet man es selbstverständlich, wenn sich Petzold mit Datum 21. Dezember 1.24 PM gänzlich unkontrolliert auf dem Niveau Frühpubertierender vergaloppiert:

„dass sich ausgerechnet @Richard Grenell, Statthalter und Jünger des größten Lügenbarons der Nachkriegsgeschichte, via @BILD (kommentarlos) über Fälschungen echauffiert – da kommst du vor Lachen nicht in den Schlaf #Relotius @DerSPIEGEL“.

— Marc Felix Serrao (@MarcFelixSerrao) December 22, 2018

Ex-Stern-Chef auf dem Weg in die Lächerlichkeit

Was war es, das diesen Menschen derart in die Lächerlichkeit zwang? Nun, jener dort erwähnte Richard Grenell, US-Botschafter in Berlin, hatte über die Bild-Zeitung seine Kritik an der SPIEGEL-Erzählung „Fans des US-Präsidenten – Wo sie sonntags für Trump beten“ formuliert und eine Entschuldigung eingefordert. Grenell hat dafür mehr als guten Grund. Denn auch dieses SPIEGEL-Märchen aus der Feder des einst hochbepreisten Claas Relotius erwies sich längst als phantasievolles Wunschprodukt aus der Rubrik „Wie sich der kleine Claas die große weite Welt vorstellt“.

Tatsächlich hatte Relotius nach diesem für ihn und seine Redaktion unerhörten Vorfall, dass in der 13.000-Einwohner-Stadt Fergus Falls im US-Bundesstaat Minnesota bei der US-Präsidentschaftswahl eine Mehrheit Trump gewählt hatte, drei Wochen in dieser Gemeinde im nördlichen Bible-Belt verbracht. Dort, wo in den Köpfen der bundesmedialen Meinungsmacher der „white trash“ („Weißer Müll“) seine Heimat hat.

Zurück an der Elbe veröffentlichte Relotius dann jenes von Grenell kritisierte Märchen, welches DER SPIEGEL zwischenzeitlich aus seinem Archiv entfernt hat, weil, so der SPIEGEL, die Bewohner des Ortes darum gebeten hätten. Dem interessierten Leser ist es daher nicht mehr möglich, das SPIEGEL-Märchen selbst noch einmal im Original zu lesen. Das getan aber hatte längst eine Gruppe von Bürgern der betroffenen Kleinstadt. Mehrmals wendeten sie sich an den Twitter-Account des Unterhaltungsmagazins aus Hamburg mit entsprechenden Hinweisen – keine Reaktion. Angeblich, so heute der SPIEGEL, habe man diesen Account nicht ständig im Blick. Die Vermutung der Betroffenen, dass man ihre Einwände aus dem fernen Amerika einfach nicht hören wollte, dürfte den Tatsachen näher kommen.

Die Recherche zu einem nicht recherchierten Märchen

Am 19. Dezember nun veröffentlichten die Bürger aus Fergus Falls ihre Recherche dessen, was sie zu den Phantasien des Relotius herausgefunden hatten. Anlass für die Hamburger Redaktion des Märchenerzählers, sich nun doch mit Michele Anderson und Jake Krohn kurz zu schließen und sie im Zuge ihrer Selbstaufklärung in einem Interview zu Wort kommen zu lassen.

Ergebnis von Interview und Recherche: Wenn auf irgendetwas der Begriff „Fake News“ zutrifft, dann auf diese Geschichte. Außer dem Stadtnamen und der geografischen Verortung sowie den Namen einiger real existierender Personen stimmte an der SPIEGEL-“Reportage“ – nichts! Alles erfunden: Das fremdenfeindliche Schild am Ortseingang, der Schulausflug zum Trump-Tower, die sexuelle Verklemmtheit und Provinzialität des Verwaltungsleiters – alles nur Produkte aus dem Kopf des SPIEGEL-Mitarbeiters.

Wie der SPIEGEL seine Klientel bedient

Produkte aber, die perfekt jenes Weltbild bedienten, das in den Köpfen der Macher von SPIEGEL und – wie wir seit dem Petzold-Tweet wissen – auch „Stern“ und „Capital“ als gefühlte Wahrheit das Denken verstopfen. Denn Relotius war Perfektionist in der Umsetzung jener Kopfblasen aus den Echokammern der von der Welt abgeschlossenen Redaktionsstuben. Er beschrieb das ländliche Amerika genau so, wie es sich der kleine, grüne Fritz im ach so weltoffenen Multi-Kulti-Deutschland vorstellte. Lauter dumme Hinterwäldler ohne Durchblick und Wissen, die in ihrer braunen „America-first“Sauce schmoren und deren geistiger und tatsächlicher Horizont am Fence vor der Viehweide endet.

Da passt es eben nicht, wenn dort doch kluge Menschen leben, die keine Lust dazu hatten, sich im fernen Deutschland als Berufsdeppen und Nazis karikieren zu lassen. Und die – anders als der SPIEGEL – die Fergus-Falls-Geschichte aus „Relotius‘ Märchen“ Position für Position nachrecherchierten.

Anderson stellt dazu fest: „This is just a hunch, but it seems to me that Relotius’ overseas readers might appreciate knowing that small American towns are more complex than they imagine …“ – Wie recht sie hat. Aber es passt nun einmal einfach nicht ins gewünschte Weltbild.

Rufmord und Wiedergutmachung

Ergebnis: Das, was DER SPIEGEL mit dieser Geschichte getan hat, ist nichts anderes als gezielter Rufmord. Ein Rufmord, der im Kopf der Täter längst schon geschehen war, bevor jemand auf die Idee kam, in Fergus Falls eine angebliche Recherche durchzuführen für das führende Deutsche Nachrichtenmagazin, welches vermutlich zutreffender als das führende deutsche Märchenbuch zu bezeichnen wäre. Ein Rufmord, für den weitaus mehr angesagt wäre als eine einfache Entschuldigung.

Das zumindest scheint in den Chefetagen an der Ericusspitze angekommen zu sein. Sie schickte nun mit Christoph Scheuermann jemanden in den Ort, der nicht nur erstaunt feststellte, dass die verleumdeten Bewohner die ganze Geschichte mit gelassenem Humor nehmen – er kommt auch zu einem Schluss, der geeignet sein könnte, die linksgrünen Echokammern zu erschüttern:

„Drei Tage im echten Fergus Falls, nicht im erfundenen, sind eine Lektion in Demut. Natürlich hat auch diese Stadt ihre Probleme, aber die Leute strengen sich an, sie sind freundlich, sie arbeiten hart. Die Mehrheit hat für Donald Trump gestimmt, ja, und die Menschen sind wesentlich interessanter, vielschichtiger als die Karikaturen, die Relotius aus ihnen gemacht hat.“ – Wie, um Himmels Willen, passt diese Botschaft in das jahrelang gepflegte Klischee des tumben, Trump-verliebten Amis? Ob die Message ankommt und die Herrschaften vielleicht tatsächlich beginnen, sich aus ihrer Traumwelt zu bewegen und sich der Wirklichkeit zu stellen? Scheuermanns Bericht könnte ein erster Einstieg sein.

Die Hysterie des Petzold

Bei jenem Petzold und seinen Likern allerdings scheint Hopfen und Malz verloren. Denn auch dann, wenn die Menschen aus Fergus Falls nun den Journalisten aus dem guten alten Deutschland, aus dem so mancher Vorfahr der dort heute lebenden Amerikaner kam, trotz Verleumdungsstory mit offenen Armen und freundschaftlich empfangen haben – US-Repräsentant Grenell hat mehr als guten Grund, sich über diese FakeNews-Produktion deutscher Medien zu beklagen. Und sicherlich wird bei ihm auch ein wenig Genugtuung mitschwingen darüber, dass jene, die seit nunmehr zwei Jahren Ami-Bashing als Dauerfeuer betreiben, sich nun selbst ganz tief in den Fangeisen ihrer eigenen Hybris verfangen haben.

Vor allem aber hat ein Grenell es alles andere als nötig, sich für seine Kritik von einem ausrangierten Stern-Macher namens Petzold beleidigen zu lassen, wenn der sich, um seine Formulierungen zu nutzen, für die vermeintliche Ehre eines der größten Lügenbarone der deutschen Mediengeschichte in die Bresche schlägt.
Doch offenbar schwant Petzold, dass auch seine Redaktion nicht davor zurückschreckte, eine gewünschte Scheinwirklichkeit an die Stelle der Wahrheit zu schreiben. Da läuft dieser hasserfüllte Ausfall gegen den Repräsentanten der Vereinigten Staaten dann wohl unter „Angriff ist die beste Verteidigung“ auch um den Preis, sich damit der absoluten Lächerlichkeit preiszugeben. Und dieses umso mehr, als ihm nun auch noch das geliebte Schwestermedium die Füße unter den Beinen wegzieht.

Leser um Spenden geprellt?

Wie sehr dieses Märchenerfinden zum Bedienen der kleinen grünen Welt bei SPIEGEL und Relotius Standardmuster gewesen ist, wird auch an dem Märchen „Königskinder“ deutlich. Dort schilderte Relotius im Juli 2016 tränenschwanger das bittere Schickal zweier Waisengeschwister aus Syrien, die in der Türkei in Sklaverei-ähnlichen Verhältnissen leben und des Nachts von der großen Merkel als Retterin träumen.

Relotius, der gute Mensch aus dem fernen Hamburg, soll, so teilte DER SPIEGEL mittlerweile mit, sogar auf seinen Namen ein privates Spendenkonto für die offenbar erdachten Geschwister angelegt haben – und zu Tränen gerührte Märchenfreunde ließen sich demnach nicht lumpen, des Relotius‘ Nebenverdienst ungewollt ein wenig aufzubessern. Strafanzeige habe der SPIEGEL am vergangenen Sonnabend erstattet. Sollte es so sein, wie es der SPIEGEL nun schreibt, dann wird Relotius ein erhebliches Maß nicht nur an Hardcore-Mogelei, sondern krimineller Energie zuzuweisen sein. Ein strafrechtliches Verfahren dürfte ihm kaum erspart bleiben.

Auch bei Karl May geklaut

Dabei hätte seine Redaktion, allen voran Ressortchef und Relotius-Bewunderer Ulrich Fichtner, doch sich und sein Protegé vor all dem bewahren können, hätte er in seinem antirechten Dauermodus nicht darauf verzichtet, auch den einen oder anderen Kollegen schreiben zu lassen, der sich ein wenig in der ach so bösen „deutsch-nationalen“ Trivialliteratur auskennt. Einem solchen nämlich wäre sofort aufgefallen, dass das Sujet der „Königskinder“ bereits vor über 120 Jahren veröffentlicht worden war.

Damals waren die geschundenen Geschwister nur keine Syrer, sondern kamen aus dem Sudan, von arabischen und türkischen Sklavenhändlern geraubt und in Kairo zur Arbeit gezwungen und misshandelt. Auch die Opferbereitschaft der großen Schwester für den im Steinbruch schuftenden, kleinen Bruder hatte der damalige Autor namens Karl May bereits im Konzept. Nur war es bei ihm der ältere Bruder, der seiner kleinen Schwester half. Die schuftete nicht im Steinbruch, sondern musste Feigen verkaufen und wurde gefoltert, wenn die Einnahmen den Ansprüchen des Sklaventreibers nicht reichten. Da hatte Relotius also in Geschlechterrollenumkehr den Feministinnen ein Leckerli zukommen lassen.

In der Sache unterscheiden sich die Geschichten kaum. Nur wollte May die von ihm geretteten Kinder nicht nach Deutschland entführen, sondern brachte sie zurück in ihre Heimat. Und von dem Rettungsengel Angela Merkel träumten die beiden jungen Sudanesen auch nicht. Wie auch. Engel Angela trat schließlich erst ein Jahrhundert nach Mays Tod auf den Plan. Wobei – ich werde noch einmal nachschauen müssen – vielleicht träumten die Geschundenen bei May ja doch vom Deutschen Kaiser. Wahrscheinlicher allerdings ist, das wir das Copyright an den Herrscherträumen dem SPIEGEL als kreative Ergänzung zubilligen müssen. Immer noch besser, als alles geklaut zu haben …

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