Klimagerechter Abstieg

314 Abgeordnete schritten beim so genannten Hammelsprung im Bundestag durch die Tür mit der Kennzeichnung „dafür“, womit das Kohleausstiegsgesetz mehrheitlich beschlossen war. Ob allen von ihnen die Folgen klar waren, darf bezweifelt werden.

imago Images/C. Spicker

Das Kohleausstiegsgesetz ist nun beschlossen. Der 3. Juli 2020 ist ein historischer Tag, an den man sich später, in welcher Form auch immer, erinnern wird. Während im Gesetz analog zum Atomausstieg termingenau die Abschaltungen entsprechender Kohlekraftwerke aufgeführt sind, gibt es keinerlei Festlegungen zum Ersatz der dann fehlenden gesicherten Leistung.

Darstellung: Prof.-Dr.Ing.Schwarz, BTU Cottbus-Senftenberg

orange: Kernkraft, grau: Braunkohle, gelb: Steinkohle, blau: Gas
Rest: Photovoltaik, Wind, Biomasse, Hydro
Rote Linien: Bedarf. Die Fragezeichen betreffen die Jahre 2022, 2030 und 2038, die Defizite betragen dann etwa 20, 30 und 60 Gigawatt.

Die Aufhebung des Solardeckels und die Veränderung von Abstandsregeln für Windkraftanlagen helfen nicht. Abends geht die Sonne unter und im Winter ist fast jede Flaute auch eine Dunkelflaute. Dabei hätte es des Kohleausstiegsgesetzes eigentlich nicht bedurft. Der im EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) seit 20 Jahren verankerte Einspeisevorrang sollte dazu führen, dass konventionelle Anlagen durch Ökostromanlagen dauerhaft verdrängt werden. Das funktioniert aber nur temporär. Der gesicherte Anteil der Produktion liegt bei bei null Prozent (Solarstrom), bei einem Prozent (Wind onshore) und zwei Prozent (Wind offshore), mit anderen Worten – die Erneuerbaren können es nicht. Da dies inzwischen als nicht zielführend erkannt wurde, gibt es die Forderung nach mehr Stromspeichern.

In Kürze wird feierlich die „BigBattery“ in Schwarze Pumpe in der Lausitz in Betrieb gehen, Europas größter Batteriespeicher. Sie kann 53 Megawattstunden Strom aufnehmen, was der Produktion des gleichnamigen Kraftwerks von zwei Minuten entspricht und etwa auch dem Verbrauch Berlins in zwei Minuten. Oder anders gerechnet: Um nur eine Tagesproduktion des Kraftwerks für windarme Zeiten zu puffern, bräuchte es 725 solcher Geräte in einem Kostenumfang von etwa 18 Milliarden Euro.

Da dies inzwischen auch als nicht zielführend erkannt wurde, heißt es nun: „Wasserstoff“. Wasserstoff ist kein abbaubarer Energierohstoff, sondern ein Energieträger, der energieaufwändig hergestellt werden muss. Das teuerste Verfahren dazu ist die Elektrolyse mittels Ökostrom. Mehr als 40 Pilotanlagen Power-to-Gas (P2G) sind deutschlandweit in Betrieb, einige länger als zehn Jahre. In keiner der Anlagen ließ sich nachweisen, dass es möglich ist, Wasserstoff zu marktfähigen Preisen zu produzieren. Deshalb geben die Netzbetreiber in ihren Szenariorahmen an, dass P2G-Anlagen nicht vor 2035 leistungswirksam sein dürften. Dennoch sollen nun Anlagen hochskaliert und als Wasserstoffkraftwerke an bestehenden Kraftwerksstandorten gebaut werden. Um Ökostrom mittels Wasserstoff zu speichern, bedarf es der Prozesskette Power-to-Gas-to-Power mit einem Gesamtwirkungsgrad von etwa 25 Prozent im Vergleich zu 100 Prozent bei sofortiger Nutzung des Stroms. Dies ist keine Stromspeicherung, sondern Energieverschwendung, die zudem gigantische Überkapazitäten regenerativer Stromerzeugungsanlagen erfordern würde.

Dass diese Überkapazitäten mit geringer Energiedichte und riesigem Flächenbedarf in unseren Gefilden nicht installierbar sind, ist auch das inzwischen als nicht zielführend erkannt. Nun heißt es: “Wasserstoff aus Afrika“. Dazu existiert bereits die „Hydrogen Partnership“ mit der WASCAL, einem Wissenschaftszentrum elf westafrikanischer Länder, die einen durchschnittlichen Korruptionsindex von 96 aufweisen. Im Rahmen unserer nationalen Wasserstoffstrategie wurde besonders Marokko als potenzielles Lieferland für grünen Wasserstoff erkannt. Marokko selbst importiert jährlich etwa 10 Millionen Tonnen Steinkohle aus Russland und Südafrika und nahm 2018 sein 1,4-GW-Kohlekraftwerk Safi in Betrieb. Vielleicht sollte der dort gewonnene Wasserstoff, wenn es wirtschaftlich ist, vor Ort zur Emissionssenkung verwendet werden? Die moralische Frage, ob es angemessen ist, Energie aus armen Ländern abzusaugen und sie nicht in den Herkunftsländern mit ihrem wachsenden Bedarf als emissionsarme Energieträger zu belassen, wäre einer dafür noch zu gründenden Ethikkommission zu überstellen.
„Deutschland ist heute ein großer Importeur von Energie und wird dies auch in Zukunft bleiben“, heißt es beim BMWi, was in der Sache ungenau ist. Primärenergie in Form von Öl, Gas und Steinkohle haben wir früher importiert und werden es weiter tun. Den Strom jedoch konnten wir selbst erzeugen und zum Teil sogar noch exportieren. Dies wird sich ändern.

Fassen wir zusammen: Wir schalten termingenau versorgungssichernde Anlagen ab, erzeugen Energiemangel und beheben diesen durch Wasserstoff aus Afrika – für den es allerdings keinen Termin gibt. Verlierer wird unsere Kinder- und Enkelgeneration sein, die neben der demografischen Last hohe Energiepreise aufgebürdet bekommt und den Niedergang der Industrie wird erleben müssen. Nicht nur Strom, jegliche Energie wird im Preis weiter steigen. Die CO2-Steuer belastet alle Produkte und viele Dienstleistungen. Jede Tüte Mehl, die in den Supermarkt gefahren wird, jeder Rettungswageneinsatz, jeder Schulbus, mit dem die Kinder in die Stadt fahren, wird teurer. Dadurch werde das Klima gerettet, heißt es.

Das Oberziel ist die Dekarbonisierung Deutschlands bis 2050. Die dann eingesparten Emissionen werden bis dahin durch das globale Bevölkerungswachstum um ein Mehrfaches übertroffen sein. Man wird dann feststellen, dass der Klimawandel weitergeht, aber gleichzeitig durch die Deindustrialisierung keine Mittel mehr zur Hand sind, sich auf den Klimawandel einzustellen.

Die staatliche Plankommission der DDR beschloss Fünfjahrespläne, mehr traute man sich nicht. Das Kohleausstiegsgesetz ist ein 18-Jahres-Staatsplan, in dem Markt nicht mehr wirkt. Das Energiesystem muss kleinteilig staatlich reguliert werden. Das sollen Politiker tun, die schon mit dem Bau eines Flughafens überfordert sind. Das Scheitern ist absehbar. Die wenigsten der 314 Abgeordneten, die dem Kohleausstiegsgesetz zustimmten, werden noch Abgeordnete sein, wenn die Folgen ihrer Entscheidung deutlich werden.

Die nächsten Politikergenerationen werden das tun, was sie üblicherweise am besten können: Schuldige suchen. Sie können dann in den Bundestagsprotokollen vom 3. Juli 2020 nachlesen.

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Kommentare ( 115 )

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Silverager
3 Jahre her

Gibt es Bilder vom Hammelsprung? Schritten die Abgeordneten in großem Abstand und mit Masken durch die entsprechenden Türen? Nein?
Die Maskenpflicht gilt nur für das Pack.

MartinLa
3 Jahre her

Leider fehlt in diesem Artikel wie in vielen anderen zum Thema eine Faktenberichterstattung: Wie ciel Abgeordnete haben dagegen gestimmt? Wie vierhielten sich die Fraktionen? Haben alle Grünen und Linke dagegen gestimmt? Wie viele Unions-MdB waren dagegen?
In dr Sache sicher gut dargestellt. Die Stromversorgungslücke wird keineswegs voll vom Ausland aufgefangen. Und der massenhafte Bau fon Gaskraftwerken wird auch nichts bringen, im Besonderen, weil es die Abhängigkeit von Gaslieferungen auf die Spitze treibt und natürlich viel zu teuer ist. Ebenso ist die Hoffnung auf Wasserstoff-Technologie eine Luftnummer.

Imre
3 Jahre her
Antworten an  MartinLa

Die hier kritisierten Defizite (pro, contra, Fraktionen) halte ich auch für ganz wesentlich!
Sonst weiß der Leser womöglich garnicht, welchen ahnungs- und gewissenlosen MdB er den Stuss verdankt.
Ist außerdem für die kommende Inregressnahme äußerst wichtig!
Dito für den Betrieb großer Farmen von Kleinstromerzeugern (stationäre Pedelecs mit 60-300W-Generatoren) bei Stromflaute durch Ökostromverfechter zu betreiben….

mlw_reloaded
3 Jahre her

Das Schlimmste ist dass es null Komma null Einfluss auf das Klima haben wird. Das menschliche CO2 in der Atmosphäre wird hunderte Jahre dort verbleiben, es wird also auch dann langsam wärmer wenn die Menschheit heute verschwinden würde. Und wir sprechen von wenigen Prozenten an Einsparungen eines Landes das wenige Prozente beiträgt?!

Eberhard
3 Jahre her

Nicht nur die Energie wird knapp. Aber die kann man ja zur Not noch von denen zu kaufen, die heute schon über uns lachen. Wenn wir die Preise dann auch noch bezahlen können und die Netze das noch zulassen. Viel schlimmer wird unsere wissenschaftliche, technische und wirtschaftliche Verdrängung vom Zukunftsmarkt. Nur mit billiger gebündelter und riesiger Energie lässt sich Klima, Trinkwasser, zunehmender Energie und echter Hunger dieser Welt und der bereits notwendige Sprung in die Weiten des Weltraums in den Griff bekommen. Allein schon die Digitalisierung wird gewaltige Energie fressen. Wasserstoff ist nur solange ein sinnvoller Energieträger, wie er kostengünstig… Mehr

moorwald
3 Jahre her

Die wegfallenden Arbeitsplätze sollen nicht durch neue produktive, wertschöpfende Unternehmen ersetzt werden sondern – natürlich – durch allerlei steuerfinanzierte Institute , Behörden usw. – Die Batterie-Produktion von Tesla in Brandenburg kommt schon mal nicht. 500 000 Elektro-Autos sollen dort jährlich gebaut werden. Wer soll die kaufen?
Mal sehen, wann Elon Musk keine Lust mehr auf Deutschland hat…

Gottfried
3 Jahre her

Was soll man sich wundern, wenn man solche helle Leuchten wie die Schulze als Umweltministerin hat.

StefanB
3 Jahre her

„Die staatliche Plankommission der DDR beschloss Fünfjahrespläne, mehr traute man sich nicht.“ ––> In der zu kurzfristigen Planung lag der Fehler! Das machen die Linksgrünen unter Führung von Merkel im dritten deutschen Sozialismus mit 18-Jahresplänen nun alles besser. Man muss den Plan nämlich nur lang genug strecken, dann bekommt niemand mit, dass er nicht funktioniert. 😉

GNBOCA
3 Jahre her

Ich bete jeden Tag, dass ich eines Morgens wieder aufwache, und ich die letzten 15 Jahre das alles nur geträumt habe.

Andreas aus Heidelberg
3 Jahre her

Lasst uns alle fleißig beten, dass ein Blackout kommen möge. Möge er bald kommen. Möge er Berlin treffen. Möge er ein paar Wochen andauern. Dann wird auch der letzte aus der Riege dieser überlebenden Gehirnspender in der Regierung merken, dass Wunschdenken keine Strategie ist.

Heinrich Wolter
3 Jahre her

Der Autor ist viel zu optimistisch in seiner Zeitangabe. Spätestens mit Abschalten der AKWs haben die Versorger (die Schuldigen) ausgerechnet, daß nicht mehr genügend Strom da ist. Ich bezweifele, ob der sich so einfach importieren läßt. Es sollen zwar die Übertragungspunkte aus dem Ausland zu einer Kapazität ausgebaut werden, die dem halben Strombedarf der BRD entspricht., aber die Nachbarländer haben alle an diesen Stellen Phasenschieber eingebaut, mit dem sie den Stromfluss kontrollieren können. Wenn die Nachbarländer also nicht ihre Stromerzeugungskapazitäten so ausbauen, daß sie Deutschland in der Dunkelflaute mit versorgen können, gehen hier die Lichter aus. Dann bleiben nur die… Mehr

Kassandra
3 Jahre her
Antworten an  Heinrich Wolter

Das heißt auch, wenn beispielsweise Polen dicht machen müsste, um den das eigenen Stromnetz sprengenden überzähligen Ökostrom aus Deutschland „abzuwehren“, würde bei uns die Lichter ausgehen?

mlw_reloaded
3 Jahre her
Antworten an  Kassandra

Natürlich. Theoretisch. Praktisch nimmt man in dem Fall auch Wind und Sonne vom Netz, muss den Betreibern aber weiter zahlen als würde ihr Strom benötigt.