Grundschüler in Niedersachsen sollen kein schriftliches Dividieren mehr lernen

Wie „moderne“ Schulpolitik bereits die Grundschule an die Wand fährt: Ab dem nächsten Schuljahr sollen Schüler in Niedersachsen bis hinauf in die 4. Klasse kein schriftliches Dividieren und Rechnen mit Kommazahlen mehr lernen. Ist politisch gewollt, sich unmündige Bürger heranzuzüchten?

picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod

„Bildungsnation“ Deutschland? Wenn man dezent sein will, schreibt man dieses Wort in „Gänsefüßchen“. Weniger dezent würde man schreiben: vormalige oder Ex-Bildungsnation. Oder: „Bildungsnation im freien Fall!“

Nun, seit Jahrzehnten machen sich schlaue Leute (meist nennen sie sich „Reformer“) Gedanken über die schulischen Leistungen der – deutschen und nicht-deutschen – Schüler in Deutschland. Zumeist geht es dabei um die weiterführenden Schulen Gymnasium, Gesamtschule, Mittelschule, Sekundarschule, Hauptschule etc. und die Qualität der dort vermittelten Schulabschlüsse. Weitaus seltener macht man sich Gedanken über die Grundschulen. Zu Unrecht und zu wenig! Denn die Grundschule ist – wie das Wort sagt – die Grundlage für die weiterführenden Schulen. Aber diese Grundlage ist längst kein festes Fundament mehr. Schulpolitisch und schulpädagogisch gewollt. Motto: Es sind doch Kinder! Spielerisch soll die Schule sein! Keine Noten, keine Prüfungen, keine Frustrationen! Von den Folgen von 80 bis 90 Prozent Schüleranteilen „nichtdeutscher Herkunftssprache“ (NdH) ganz zu schweigen.

Die Folgen sind bekannt: Die weiterführenden Schulen können in den Eingangsklassen nicht mehr das verlangen, was sie vor zwei oder drei Schülergenerationen verlangen konnten. Die Defizite ziehen sich dann bis zu den oft wertlos gewordenen Schulabschlüssen hinauf durch. Wobei sich die Wertlosigkeit in explodierenden Abiturientenquoten und immer noch besseren Spitzenzeugnissen abbildet.

Niedersachsens neuester kapitaler Bock

Nun hat das Bundesland Niedersachsen beim Abbau von Anforderungen an Grundschulen und Grundschüler einen besonders kapitalen Bock geschossen: Die Schüler sollen ab dem Schuljahr 2026/2027 bis hinauf in die 4. Klasse kein schriftliches Dividieren und kein Rechnen mit Kommazahlen (außer bei Geldbeträgen) mehr lernen. Falls überhaupt, sollen die weiterführenden Schulen das nachholen.

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Zugekleistert wird dieser Irrsinn mit folgender Begründung: Es gehe um „Verstehensorientierung und Fehlerreduktion“. Ist das nicht der Hammer? Die Zahl der Fehler wird reduziert, indem es keine fehleranfälligen Rechenoperationen mehr gibt. Geschwätzig heißt es im curricularen Begleittext auch noch: Der Mathematikunterricht solle sich „an den Lernergebnissen und Lernprozessen der Lernenden“ orientieren, „konstruktiv mit Fehlern und Präkonzepten“ umgehen und individuelle Lernwege ermöglichen, „damit mathematisches Wissen flexibel und mit Einsicht in vielfältigen kontextbezogenen Situationen angewendet werden kann“. Ein bloßes „Abrufen automatisierter Ergebnisse und die Ausführung vorgegebener Verfahren“ reiche dafür ausdrücklich nicht aus.

Und weiter liest man an ministeriellem Erguss: Das schriftliche Dividieren sei das komplexeste der schriftlichen Rechenverfahren (hört, hört!). Es erfordere das Zusammenspiel mehrerer Schritte – Teilen, Multiplizieren und Subtrahieren – und sei besonders fehleranfällig, etwa beim Schätzen von Ziffern oder beim Setzen von Nullen. Stattdessen soll der Fokus in der Grundschule darauf liegen, dass Kinder Division als Aufteilen und Verteilen verstehen und den Zusammenhang zur Multiplikation begreifen.

Auf eine solche (professorale?) Begründung, auf dass junge Leute mehr und mehr zu Dyskalkulikern/Mathasthenikern werden, muss man erst einmal kommen. Denn was hier geschieht, ist die politisch gewollte Förderung von Rechenschwäche und rechnerischer Unmündigkeit (fachchinesisch: Dyskalkulie; in Anlehnung an Legasthenie: Mathasthenie). So wie ja übrigens die „Rechtschreibreform“ der Kniefall vor der fortschreienden Legasthenisierung der Gesellschaft wurde.

Man fragt sich unwillkürlich: Wie haben unsere Ur- und Großeltern es geschafft, rechnen zu lernen – und das Ganze ohne „moderne“ Didaktik und ohne Taschenrechner?

Lernziel: der rechnerisch unmündige deutsche Michel?

Nein, was hier herangezüchtet wird, sind rechnerisch unmündige Menschen. Sollen sie rechnerisch unmündig sein, um der Politik, etwa einem Finanzminister, nicht mehr auf die Finger schauen zu können? Sollen sie nicht mehr verstehen, was die Hälfte, ein Drittel, ein Viertel, ein Zehntel, ein Hundertstel ist, was Prozentzahlen sind?

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Und dann melden sich auch noch besonders linientreue „moderne“ Pädagogen zu Wort und sagen: „Schule entwickelt sich ständig weiter, Inhalte verändern sich, neue kommen hinzu – das ist ein fortlaufender Prozess.“ Fällt das Einmaleins also demnächst auch einer Veränderungs-Kommission zum Opfer? Wie sich eine solche „Veränderung“ darstellt, schaut dann so aus: Statt des schriftlichen Dividierens wird künftig ausschließlich halbschriftlich gerechnet. Größere Zahlen werden in überschaubare Teilaufgaben zerlegt, etwa bei 126 : 6 zunächst 120 : 6 und anschließend 6 : 6. Dieses Vorgehen soll, so das Ministerium, das Zahlenverständnis fördern und Fehler reduzieren. „Forschungsergebnisse“ (sic!) würden zeigen, dass Kinder so sicherer rechnen. Alles klar?

Nein, nix ist klar: Klar ist nur, dass deutsche Grundschüler in der Mathematik bestenfalls noch Durchschnitt im EU- und im OECD-Vergleich sind. So das Ergebnis der TIMS-Studie 2023 unter Viertklässlern. Ein Viertel von ihnen erreicht hier nur rudimentäres Niveau (TIMSS = Third International Mathematics and Science Study).

Noch erschreckender sind die Ergebnisse der IQB-Studie von 2021 zu Viertklässlern (IQB = Institut für Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen). Diese Studie wird seit 2011 alle fünf Jahre durchgeführt. 2021 lautete das Ergebnis: Deutschland insgesamt erzielt hier nur einen Wert von 462, Niedersachen übrigens 455. 500 wäre Durchschnitt. Exakt 500 waren im Jahr 2011 noch erreicht worden.

Wer sich den unsäglichen Zustand der Grundschulmathematik mal auf durchaus erfreulich polemische Art zu Gemüte führen möchte, der kann sich ein 18-Minuten-Video des Paderborner Mathematik-Professors Bernhard Krötz vom 3. Juni 2023 zu Gemüte führen.

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Kommentare ( 5 )

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5 Comments
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Karl Renschu
1 Stunde her

Und hier wird der Grundstein für die „Erfolge“ des vierten Kabinetts Weidel in der Bildungspolitik der späten 2030er Jahre gelegt.

Bis dahin lautet die Devise: „ChatGPT, wie bitte bediene ich einen Taschenrechner?!“

Peter Pascht
1 Stunde her

„Grundschüler in Niedersachsen sollen kein schriftliches Dividieren mehr lernen“ ???? – glaube ich nicht, das kann nur eine Falschmeldung sein. Was sollen sie den sonst lernen, den Koran? Dann braucht man ja schriftliches Summieren und Multiplikation auch nicht mehr. Überhaupt sollte man diese gesamte Kinder-Quälerei 😉 mit „in die Schule gehen und lernen“ abschaffen – Schulzwang abschaffen 😉 = verfassungswidrig 😉 Es ist doch ein Grundrecht dumm bleiben zu dürfen 😉 Wer kann denn heute noch schriftlich per Hand Quadratwurzel oder gar Kubuswurzel ziehen ? (habe ich „lter weißer Mann“ in der Grundschule gelernt) Wer weiß den heute noch worauf… Mehr

Sonny
1 Stunde her

Gebildete Bürger sind doch überhaupt nicht erwünscht.
Die würden ja erkennen, wie sich die Elite immer mehr absondert und alle anderen nach unten tritt.
KI als Wunderwaffe wird dann manipuliert werden nach Politwünschen.
Wer verlernt, richtig nachzudenken, akzeptiert dann irgendwann alles, was ihm das Internet als „richtig“ vorgaukelt.
Das Ziel des Untertanen-Schafes und in jeder Richtung verfügbarer Masse Mensch rückt näher. Freiheit und Individualität werden Fremdwörter.

Last edited 1 Stunde her by Sonny
Steuernzahlende Kartoffel
1 Stunde her

Die leistungsorientierten Asiaten fragen nicht nach „moderner“ Pädagogik in deutschen Ländern, und werden für (vermeintliche) Moral weder eine Öffnungsklausel in die von ihnen entwickelten Algorithmen etc. einbauen noch bei ihren weltweiten Geschäften dafür Rabatt anbieten. Das Problem ist: langwierige politische Kärrnerarbeit zur Verbesserung der Bildungssituation bringt nicht die noch in der Wahlperiode der Kultus-Mädels notwendigen Erfolgsmeldungen. Also muss beschönigt werden, müssen die Standards (weiter) abgesenkt werden etc. und das erreicht man recht „billig“, indem Leistung neu definiert wird. Es ist ein bißchen wie mit der Meinungsfreiheit. Die „richtige“ Meinung ist weiterhin hausdurchsuchungsfrei…

Cethegus
1 Stunde her

und danach dann wahrscheinlich „Rechnen nach Gefühl“!

Es ist vorbei, diese Gesellschaft ist komplett am Ende.