Bremen als Leuchtturm für Bildung?

Nein, es geht bei der Inklusion um das Kindeswohl. Gerade das aber wird durch die aktuelle Schulpolitik gefährdet. Ideologisch aufgeladen, beruft sie sich auf die UN-Konvention - allerdings zu Unrecht. Die Kinder sind die Opfer dieser Politik.

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Auf diese Statistik hat man lange gewartet: Bremen ist führend in Sachen Bildung! Man reibt sich die Augen. Ausgerechnet Bremen – das Bundesland, das seit Jahren bei allen Schulleistungsvergleichen Schlusslicht ist oder bestenfalls auf den Plätzen 14 oder 15 unter den 16 deutschen Ländern rangiert! Und nun die Jubelmeldung: Bremen führt bundesweit die Tabelle bei der schulischen Inklusion mit 88,9 Prozent an. Schlusslicht ist Hessen mit 26,8 Prozent, knapp hinter Bayern mit 27,4 und Sachsen mit 32,8 Prozent. Der Bundesdurchschnitt ist 42,1 Prozent, so vermeldet als erste deutsche Zeitung die „Rheinische Post“ eine Umfrage unter den Ländern. Dabei wurde erfasst, wie hoch der ins allgemeine Schulwesen inkludierte Anteil der sonst als Sonder- und Förderschüler geltenden jungen Leute ist.

Aber dem nicht genug: Wie nicht anders zu erwarten, wird der professorale Senf von Ghostwritern der Bertelsmann Stiftung gleich dazu geliefert. Es wird behauptet, die UN-Behindertenrechtskonvention verlange, dass Schülern mit und ohne Handicap der gemeinsame Unterricht ermöglicht werden soll. Und Deutschland tue sich nach wie vor mit einer hohen Exklusionsquote hervor.

Aber gemach, man müsste lesen können und wollen! Der rechtliche Hintergrund ist eindeutig. Im Jahr 2006 verabschiedete die UNO ihr „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“. Adressat dieser Konvention waren zunächst alle damals 192 UN-Mitglieder, vor allem aber die vermutlich 150, die zum Beispiel keinerlei schulische Förderung für behinderte Heranwachsende hatten.

In Deutschland aber – siehe oben! – taten und tun einige Ideologen so, als habe die UNO jetzt ausgerechnet Deutschland mit seinen Förder- und Sonderschulen aufs Korn genommen und deren Fortbestand untersagt. Die UN-Konvention enthält jedoch keinerlei Passus, mit dem die Beschulung in Förderschulen als Diskriminierung betrachtet würde. Im Gegenteil: Artikel 5 (4) der UN-Konvention spricht davon, dass „besondere Maßnahmen … zur Beschleunigung oder Herbeiführung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen“ nicht als Diskriminierung gelten. In Artikel 7 (2) heißt es: „Bei allen Maßnahmen, die Kinder mit Behinderungen betreffen, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“ Und auch Artikel 24 der Konvention spricht nicht von einem inklusiven einheitlichen Schulwesen.
Gottlob, denn das deutsche Förderschulwesen ist einmalig.

Deutschland hat weltweit eines der funktionsfähigsten Systeme der Sonder- und Förderpädagogik mit rund 3.000 Förderschulen, deren 300.000 Schülern und mehr als 40.000 hochprofessionellen Förderlehrern. Der Diskurs um „Inklusion“ ist gleichwohl typisch deutscher Manier nicht frei von ideologisch unterlegten Instrumentalisierungsabsichten. Vor allem ist es diskurs- und nervtötend, wenn in der Inklusionsdebatte verbal mit der Faschismus-Keule geschwungen wird. Wer jede skeptisch-realistische Betrachtung von Inklusion als Haltung des „Exkludierens“ „Aussortierens“, „Selektierens“ und „Aussonderns“ etikettiert, der will offenbar bewusst Assoziationen an schlimme zwölf Jahre deutscher Geschichte wecken; der muss sich aber auch fragen lassen, ob er mit dieser Semantik nicht ein millionenfaches Leid missbraucht.

Das Ziel jeder behindertenpädagogischen Maßnahme ist unumstritten: Es geht um Zugehörigkeit und Teilhabe, es geht um die berufliche und soziale Eingliederung dieser jungen Menschen. In vielen Einzelfällen aber kann Inklusion der falsche Weg dorthin sein. Es muss vermieden werden, dass Schüler mit Anforderungen konfrontiert werden, denen sie nie und nimmer gewachsen sind.

Entsprechend der Art der Beeinträchtigung muss denn auch das Förderkonzept ausgerichtet werden: Wenn eine Behinderung bzw. Beeinträchtigung mit Hilfe technischer oder baulicher Mittel (Digitalisierung des Unterrichtsgeschehens, Aufzüge in Schulgebäuden, zusätzliche Räume usw.) bzw. mit Hilfe zusätzlicher Fachkräfte kompensiert werden kann, steht einer Inklusion nichts im Wege. Anders stellen sich die Möglichkeiten der Inklusion bei verhaltensauffälligen oder kognitiv beeinträchtigten Schülern dar.

Bedenken sollte man auch: Bei allen Maßnahmen der Inklusion muss das Wohl aller Kinder mitreflektiert werden. Auch Kinder ohne Behinderung haben ein Recht auf bestmögliche Förderung. Es ist durchaus richtig, dass Nichtbehinderte einen Gewinn haben von der Begegnung mit Behinderten. Ein Mehr an Gemeinsamkeit von behinderten und nicht behinderten Menschen ist in allen gesellschaftlichen Bereichen denkbar, im Bildungsbereich sehr wohl wünschenswert. Dieses Mehr ist aber nur möglich, wenn die Wege der Inklusion vom Kindeswohl ausgehen sowie realistisch und frei von Egalisierungsabsichten sind. Es sollte der Grundsatz gelten: So viel Inklusion wie möglich – so viel Differenzierung wie nötig!

Und dann noch einmal zurück zum vermeintlichen Inklusionsleuchtturm Bremen: Die miserablen Schulleistungen des kleinen Bundeslandes passen nur unter einer Voraussetzung mit der hohen Inklusionsquote zusammen: Bremen hat in den Regelschulen die Ansprüche so weiter heruntergenommen, dass Inklusion planwirtschaftlich zum Erfolg verurteilt ist. Ein Witzbold könnte aber auch fragen, wer hier wo inkludiert wurde und ob nicht die sog. Regelschüler ins Förderschulwesen inkludiert wurden? Aber für solchen Zynismus ist das Thema Inklusion zu ernst.

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Kommentare ( 22 )

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The Saint
6 Jahre her

Regierungen in Deutschland haben ebenfalls Inklusionsraten von deutlich über 90%.

Teufelskralle
6 Jahre her

Als ich nach drei Jahren Arbeit in der Praxis und Militärdienst mein Studium begann, waren inzwischen die Anteile Einser-Abiture explosionsartig angestiegen. In meiner Klassenstufe hatten ca. 10% der Schüler eine Eins als Abiturgesamtnote, bei den frisch von der Schule gekommenen waren es oft über 50 %. Ich habe dann vier Jungstudenten Nachhilfeunterricht in dem Fach gegeben, das sie studieren wollten. Sie hatten alle das entsprechende Unterrichtsfach mit einer Eins abgeschlossen, aber darin so viel Wissen wie ein Neugeborenes. Ich hatte dieses Unterrichtsfach „nur“ mit einer Zwei abgeschlossen. Jetzt darf geraten werden, wann und wo das war. Es war 1971 in… Mehr

Medley63
6 Jahre her

In dem Stadt-Staat regiert seit 1945 ununterbrochen(!) die „EssPeeDee“. Was erwartet man da also? Es heißt ja, ein jeder ist seines Glückes Schmied. Insofern haben die Bremer ihr Elend selbst erschaffen. No mercy at all.

Hippiemädchen
6 Jahre her

Ein perfektes Schulsystem in die Tonne zu klopfen kann nur den Deutschen gelingen.
Genauso wie der Abiturwahn zu einem eklatanten Leistungsabfall und verringerten Studierfähigkeit führte und gleichzeitig die einzigartige duale Berufsausbildung an die Wand fährt ist es nur ideologisch zu erklären, Kinder dermaßen zu verheizen wie mit der Schließungsabsicht der angepasst auf die Behinderung einzelner Kinder ausgestatteten Förder- und Sonderschulen.
Genauso irrig ist die Vorstellung Analphabeten in Regelklassen zu beschulen wie jetzt zu Tausenden geschieht.
Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass unsere Kinder bildungsärmer aus den Schulen und Ausbildungsstätten kommen sollen, auf dass endlich Deutschlands Humankapital verschwindet.

Uwe
6 Jahre her

„Die miserablen Schulleitungen des kleinen Bundeslandes passen nur unter
einer Voraussetzung mit der hohen Inklusionsquote zusammen…“
Sind denn an der Stelle nicht viel mehr die SchulleiStungen gemeint? Die Schulleitungen geben sich sicher alle Mühe, im Rahmen der politischen Vorgaben beste Arbeit zu leisten… 😉

jboese
6 Jahre her

Alz Bremer Shüler mus ich schimpfen, Bremen hat eine Suberbieldungspolytik. Ales geht, niemand bleibt sitzen. Mein Lieblingsfach ist Keschichte, wo die Röhmer die Diposaurir gekillt haben, dann aber von Napoloni besiegt wurden. Bremen wa tamals schon roht-grün regiert und machte daher bei den bösen Nazis nicht mit. Bremen ist heute das reichste Land der Welt und alle Bürger fahren mit 100% Ökostrom. Der größte Feind ist Bayern, wo man zum Bier zermanschten Käse isst, Opatzer oder so. Werder Bremen ist der beste Fusballklub der Welt. Ich wünshe mir die ganze Welt wär Bremen……

Alditol
6 Jahre her
Antworten an  jboese

Vielen Dank für den Lacher am Morgen (der einem aber natürlich dann doch im Hals steckenbleibt).

Harry James mit Armbrust
6 Jahre her

Bei der Inklusion von verhaltensauffälligen Kindern bleibt das normale Kind auf der Strecke. Es wird dann 95% der Kinder die Chance genommen eine gute Bildung zu erhalten.

Karol Ulvehund
6 Jahre her

Nein, das ist nicht wahr!
ALLE bleiben auf der Strecke, auch die mit Behinderung. Die werden eben nicht gefoerdert. Alles was die lernen ist, dass sie nicht dazugehoeren.
Allen wird ein Schaden zugefuegt, nicht nur 95%.

Robert Bauer
6 Jahre her

Es täte den kognitiv tiefergelegten Bremer Schulpolitikern sicherlich gut, für einige Zeit in`s bayerische Kultusministerium inkludiert zu werden.

Alditol
6 Jahre her

Danke, Herr Kraus, für diese differenzierte Sicht auf Inklusion, mit der ich (als Vater einer geistig behinderten Kindes) durchaus konform gehe.

In letzten Absatz ist Ihnen übrigens ein (sehr hübscher) Verschreiber durchgerutscht (der die Wirklichkeit aber vermutlich ebenfalls zutreffend beschreibt): „Die miserablen Schulleitungen des kleinen Bundeslandes“ (ich gehe derzeit davon aus, daß Sie eigentlich auf „Schulleistungen“ abstellen wollten, lasse mich aber gerne korrigieren 😉 ).

Nachdenkerin X
6 Jahre her

Ich fürchte, daß das, was Sie im letzten Absatz schreiben, der Wahrheit durchaus ein bißchen nahe kommt.