„Gerade DAS zeigt doch, dass ich Recht habe!“

Auch das exakte Gegenteil dessen, was bislang als Argument genutzt wurde, wird kackendreist als Trumpfkarte auf den Tisch gelegt. Zeigt Ludger Kusenberg aus dem Leben gegriffen.

Es gibt einen interessanten Kniff, den sich jeder mit ein bisschen Hinterfotzigkeit beim Diskutieren zunutze machen kann: Alles lässt sich mit allem begründen, alles lässt sich als alles interpretieren, und alles, wirklich ALLES kann ins Mauerwerk der eigenen Argumentation verbaut werden – wenn man’s nur will. Folge: Jede noch so wirklichkeitsferne Entblödung in der Politik ist für deren Vertreter unerschütterbar wahr. Ein erschütternder Erlebnisbericht …

Als vor knapp 10 Jahren die Sommer in Mitteleuropa überbordend heiß waren (endlich mal hatte der ARD-Brennpunkt zumindest eine namentliche Berechtigung), war die Schlussfolgerung naheliegend: eindeutiges Indiz für den weltweiten Klimawandel! Logisch? Zumindest kann dem sogar der Skeptiker was kurzfristig Nachvollziehbares abgewinnen. Bald jedoch folgte eine Phase mit eher niedrigen Temperaturen, die nun in einen deutschen „Sommer“ gemündet ist, dessen wochenlange Usseligkeit jeden deutschen Kleingartenbesitzer spätestens zum Public Grilling in den Carrell-Appell getrieben hat. (Für die Jüngeren: suche „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“ bei wikipedia.) Kurz bevor es jüngst auf dem Thermometer endlich ein bisschen nach oben ging, erreichte mich als Mailanhang ein Bild: zwei Gummistiefel mit der Unterzeile „German Flip Flops 2016“. (Da musste ich echt mal schmunzeln, und das passiert mir bei unerbetenen Dateigeschenkchen eher selten.) Im Grunde wurde damit bloß der reale Status Quo ein bisschen überhöht. Wenn nun also bereits über Jahre hinweg unsere Sommergarderobe kaum noch ohne Stiefel, Knirps und Poncho auskommt, dann bleibt ja wohl nicht mehr viel von „Wetter beweist Klimawandel“, oder? Denkste!

Die „richtige“ Meinung bestätigt jedes falsche Argument

Auch das exakte Gegenteil dessen, was bislang als Argument genutzt wurde, wird kackendreist als Trumpfkarte auf den Tisch gelegt: „Gerade das Schmuddelwetter zeigt, wie weit der Klimawandel fortgeschritten ist, denn die Hitze sorgte für Schmelze, und die dadurch entstandenen Gase sorgen nun für Abkühlung und Niederschlag!“ Also: Hitze und Trockenheit? Beweisen den Klimawandel! Kälte und Nässe? Beweisen auch den Klimawandel! Dann lanciert der diensthabende Panorama-Pappkopp noch den passenden lateinischen Fachausdruck, und fertig ist der nächste Eintrag im Gebetbuch. Wen juckt’s? Niemand muss eine Theorie aufgeben, wenn alles für deren Beleg herangezogen werden darf, und je widersprüchlicher die Lage ist („Kälte beweist die Erwärmung“), als umso dämlicher werden diejenigen hingestellt, die das alles nicht so nachplappern wollen.

Nur um’s klar zu stellen: Mir geht es hier nicht speziell um das Klimading und die immer währende Hein-Blöd-Kinderfernsehfrage „Wahr oder gelogen?“ (ich halte beides für denkbar), sondern das Gerade-Das-Prinzip als solches lässt mir keine Ruhe, denn auch im Privaten hat es sich als gefragter Bodyguard eine staatliche Größe angepumpt:

Eine Freundin von mir wurde kürzlich von ihrem Gatten verlassen, nach sehr langer Zeit des Zusammenseins. Fairerweise beantwortete er weiterhin ihre whatsapp-Nachrichten, ging brav ans Telefon, zeigte sich bei Begegnungen höflich und gesprächsbereit. Ihre Schlussfolgerung: „Ihm liegt eindeutig noch was an mir, sonst würde er sich ja nicht so verhalten!“ Ach so. Irgendwann wurden ihm die Annäherungen der Ex zu viel, er sperrte sie bei whatsapp, ging nicht mehr ans Telefon, verweigerte den Blickkontakt. Na, wie hat die junge Frau das dann wohl zu interpretieren gewusst? Richtig: Er leidet und liebt sie noch immer so sehr, dass er nicht mehr zu normalem Kontakt fähig ist. (Ich hab mir das jetzt nicht ausgedacht!)

Das Gerade-Das-Prinzip

Ein Schulkind mit besten Zeugnisnoten? Ist hochbegabt! Ein Schulkind mit miserablen Noten? Ist auch hochbegabt! Wer letzteres bestreitet, grenzt aus, verbaut Chancen oder ist selbst einfach doof. In Berlin soll es mal eine Initiative gegeben haben, die Leidtragende von Rassismus dazu aufrief, sich unbedingt bei einer eigenes dafür geschaffenen Dienststelle zu melden. Als sich auch nach Monaten niemand gemeldet hatte, wurde verkündet: Gerade das zeige doch, wie weit der Rassismus bereits fortgeschritten sei. Ich gebe zu, diese Info wurde mir mal (von äußerst glaubhafter Seite) zugespielt, ich hab’s nicht nachgeprüft – das Folgende hingegen gehört zur aktuellen Agenda: Beim Überführen von Rechtsradikalen dient gerade das FEHLEN von klaren Belegstücken und das AUSBLEIBEN bestimmter Verhaltensweisen gern als Nachweis (!) für eine besonders gerissene rechte Gesinnung. Also aufgepasst: Wer kein Hitlerbärtchen hat, macht sich schon verdächtig!

Darf ich Ihnen, liebe Einblicker, etwas ganz Schlimmes anvertrauen? Also nur unter uns jetzt? Ich war letztes Jahr (auf einer feuchtfröhlichen Feier in Hannover gegen Mitternacht) mal drauf und dran, einem Paradeexemplar besagter Gattung nach einem nicht enden wollenden Bullshit-Bingo mal so richtig eins in die Fresse zu paffen. Was mir für solch eine Tat polizeilich geblüht hätte, weiß ich nicht, doch ich bin mir ziemlich sicher, was der Typ mit der polierten Visage auf dem Revier als persönliches Fazit gezogen hätte: „Gerade DAS zeigt doch jetzt, dass ich Recht habe!“

LudgerK_CD

Mehr zu Ludger K. unter www.ludger-k.de

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