Auf den Brexit schauen die Medien recht unterschiedlich, auf den Fußball eher gleich und die eigentlichen Themen finden sich garf nicht oder am Rande. Ein paar Sonntagszeitungen, für Sie gelesen von Roland Tichy und Fritz Goergen.
„Europameister? Jetzt geht`s los“. Wussten Sie schon? „Türkischstämmige Parlamentarier werden massiv bedroht“. Wussten Sie auch schon? „Der Brexit macht den Börsen Angst“. Das Gegenteil wäre die Nachricht. Willkommen bei der Seite 1 der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Von der Wochenendzeitung zur Endzeitung?
Dieser Kalenderblattjournalismus vermittelt beim Morgenkaffee das gute Gefühl: Alles gewusst, alles im Griff. Ein wohliges Gefühl, das nach erneutem Rückzug unter die Bettdecke ruft. Auch in der vergangenen Nacht ist nichts passiert; so wünscht man sich die Wochenend-Nächte. Aber auch die Wochenend-Zeitungen? Oder sind es dann End-Zeitungen?
Im Innenteil stellt Lydia Rosenfelder richtigerweise fest: „Vorher waren sie einfach deutsche Volksvertreter. Jetzt sind sie „türkischstämmig.“ Leider bleibt ihre Story bei der Beschreibung der abscheulichen Bedrohung stehen und greift nicht tiefer: Woher kommt es denn, dass plötzlich die Abstammung so in den Vordergrund rückt? Was ist passiert mit einer Gesellschaft, die Abgeordnete vor ihrem türkisch-stämmigen Umfeld, den Nachbarn, den Taxifahrern schützen muss, denn die Bedrohung kommt ja nicht von den bösen „Bio-Deutschen“, wie heute viele sagen, sondern von den lieben Mustafas mit dem lustigen Schnauzbart?
Könnte es sein, dass da Integration vieler Menschen nicht gelungen ist, so dass die Polizei Volksvertreter vor ihrem Volk schützen muss? Dass Integration nicht bedeutet, die Herkunft abzuschütteln wie Hundekot am Schuh, weil die Herkunft von anderen in Anspruch genommen wird für bestimmte Verhaltensweisen und Loyalitäten eingefordert werden, die die Betroffenen zerreisst? Diese Analyse würde man gerne studieren, nicht den Polizeibericht nachlesen. Aber das wäre ja ein kritischer Blick. Bitte nicht am Sonntag.
Warum nachdenken?
Dafür lesen wir mit Vergnügen eine lange Geschichte über jene Broschüre, in der Frauen einer deutschen Wirtschaftsdelegation anlässlich einer Iran-Reise mit Schleier gezeigt werden. Darüber haben sich viele Menschen aufgeregt; sie sehen darin einen vorauseilenden Gehorsam, ja geradezu eine Unterwerfung. Nun erklärt uns die FAS, dass die Verantwortlichen sich nichts dabei gedacht haben: „Warum auch“? Ja genau, liebe FAS, warum sollte man nachdenken? Wird man dafür bezahlt, wenn man in einem Ministerium oder der IHK arbeitet oder darüber schreibt? Warum nachdenken? Und die für die Pässe angefertigten Bilder gelangten nur in die Broschüre, weil am Nachmittag der Drucklegung – das steht da wirklich – die Fotostudios schon geschlossen hatten. Ignoranz und Unfähigkeit sind also Entschuldigungen? Für die FAS schon. Nur diese bösen Fragesteller, die seien von „Ideologie statt Verstand“ getrieben. Aha. Mich stimmt das allerdings etwas nachdenklich, die Herangehensweise der FAS betreffend.
Es ist ja nicht so, dass sie sich nicht entschuldigen könnte, was an dieser Stelle schon mal eingefordert worden war. Doch, das kann die FAS. Eine Hebamme darf über „regretting motherhood“, also dem chicen Aufschrei von Müttern, die ihren Kindern hinterherrufen, ich will Euch nicht, ihr ruiniert mein Leben und meine Figur“ folgendes schreiben: „unverantwortlich“, wie Medien diesem „Luxusproblem“ einen solchen Platz einräumen.
Regretting Zeitung
Die bereute Mutterschaft ist ein Kniff der FAS, die dieses Thema geradezu verzweifelt versucht hat zu spielen. Unverantwortlich? Danke. Klappe zu. Mal schauen, was zu einem anderen G-Spot demnächst in diesem Blatt steht. Das sich redlich müht. Im Ressort „Leben“ quält man sich durch eine Story, in der es um Spielerfrauen der Fußballstars geht. Irgendwie sollen sie als dumme Püppis dargestellt werden; es ist vermutlich ein Stück frauenfeindlicher Rassismus, der aber von einer frauenbewegten Frau geschrieben wird, die über andere Frauen urteilt, wie Mann es sich nie mehr zu denken wagt. Vor allem aber, das schlimmste Urteil im Journalismus: Es langweilt.
Wenigstens im Wirtschaftsressort ein Lichtblick; eine allerdings auch nicht mehr ganz frische Story über den Linken-Politiker Ulrich Schneider, der seine Hetze gegen den Sozialstaat nicht mehr nur im Namen von Arbeitswohlfahrt und Samariterbund absetzen darf (den Trägern des von ihm irgendwie vertretenen Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes), sondern neuerdings ganz offiziell als Mitglied der „Linken“. Auch hier etwas zu kurz gesprungen: Was sagen Mitgliedsverbände wie Krebshilfe, SOS-Kinderdörfer, Kinderhilfswerk und andere scheinbar menschenfreundliche Werke wie das Jugendherbergswerk, dazu, dass sie die beschämend verlogenen Werke des Herrn Schneider unterstützen? Sollte man mal in seine Spendenbelege schauen, ob man Kindern und Krebskranken helfen will oder der politischen Karriere dieses Herrn? Im Feuilleton noch die pflichtgemäße Hinrichtung des Kollegen Alexander Kissler vom Cicero, der sich eine abweichende Meinung erlaubt und auch noch twittert; eine in Medienkritik abgepackte persönliche Peinlichkeit, geschenkt. Weit hinter dem Sportteil sorgfältig versteckt, damit ihn nur hartnäckige Leser finden: Ein insgesamt guter Geldteil mit der exzellenten Kolumne von Thomas Mayer. Er beschreibt, wie Professoren mit ihren Modellen bestätigen, dass die EZB genau das tut, was ihre Modelle aussagen; die EZB liegt also modellhaft richtig. Leider schert sich die Wirklichkeit nicht um Modelle.
Es regnet. Die Decke ruft, die FAS hat müde gemacht.
Thomas de Maizière darf wieder reden
Dafür bringt Bild am Sonntag ein langes Interview mit Innenminister Thomas de Maizière, der ein Comeback versucht: Während der Merkel-Flüchtlingskrise von Kanzleramtsminister Peter Altmaier buchstäblich an die Wand gedrückt und seiner Aufgaben beraubt, rückt er zäh wieder in den Vordergrund. Er steht ja für eine etwas entschiedenere Politik der Inneren Sicherheit und Begrenzung; so weit das in der Union heute noch erlaubt ist. Das ist die eigentliche Botschaft.
Eine längere Strecke über die Selbstdarsteller-Queen Gina-Lisa Lohfink, die nach einer angeblichen Vergewaltigung jetzt wegen angeblicher Falschbeschuldigung vor Gericht steht: Was bedeutet ein Nein während des Geschlechtsverkehrs – generell oder nur im speziellen? Eine Kampagne benutzt sie, um das Nein der Frau in den Vordergrund rechtsstaatlichen Handelns zu stellen. Der Fortschritt geht wunderliche Wege: Viele Frauen, die auf der Kölner Domplatte und anderswo Opfer sexueller Nötigung waren leiden darunter, dass die Täter grinsend wie unbelangt davon spazieren. Vielleicht hilft das unsäglich peinliche Verfahren gegen Gina-Lisa Lohfink und die politische Wirkung, dass Sexualstraftaten härter bestraft werden.
Brexit – Beginn der Auflösung der EU
„Wir erleben momentan einen Schlag gegen die Globalisierung“, sagt Niall Ferguson – „Es wäre der Beginn der Auflösung“ – im Interview mit der NZZ: „Die Wirtschaft und mit ihr die meisten Leute profitieren zwar gesamthaft … Es gibt aber auch Leute, die obejektiv gesehen auf der Verliererseite stehen.“ Auf der Insel ginge es aber in der Abstimmung nicht nur um die EU, sondern „auch um das innerbritische Verhältnis. Neben London werden Schottland, Nordirland und vielleicht auch Wales gegen den Austritt stimmen.“
„Europas Jugend tickt rechts“, berichtet die NZZ aus einer Studie, die in dieser Wohe in Brüssel vorgestellt werden wird. Die von der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Fondation Jean-Jaurès und weiteren der Foundation for European Progressive Studies (Feps) wurde erhoben: „Unter den Jungwählern in elf europäischen Ländern würden „rechtspopulistische beziehungsweise rechtsextreme Parteien“ in vier stärkste Kraft, in Frankreich der Front National mit 19 Prozent, in Österreich die FPÖ mit 21, in Italien Cinque Steele mit 31 und in Ungarn Jobbik mit 53%.
Von der anderen Art der Migration weiß Matthias Knecht für die NZZ aus Genf zu berichten: „Geschäft mit Staatsbürgerschaften boomt“. Millionäre kaufen Pässe in Malta für 650.000 Euro, in Portugal bahnen Investitionen den Weg, in Karibik-Staaten ab einer Investitionssumme von 200.000 Dollar. Ähnliches verlautet von Guinea-Bissau, den Marhsall-Inseln, Vanuatu, Gambia und den Komoren. Lettland gibt Aufenthaltsbewilligungen ab 70.000 Euro (populär bei Russen).
Der Standpunkt von Beat Kappeler – „Überwindung des Kapitalismus scheitert an den selbstbezogenen Motiven der Menschen“ – liest sich wie das ordnungspolitische Wort zum Sonntag: Weil weder Philosophenkönige noch „selbstlose Funktionäre“, weder im Sowjetsystem noch in Priesterherrschaften Güter und Arbeit zuteilen, „bleibt uns Sterblichen wohl nur eines – ein wirtschaftliches Verfahren unteeinander, das es erlaubt, einen Deal auszuschlagen, das Märkte duldet und Anstrengungen belohnt, also Einkommen und Besitz.“ Dass dem geholfen wird, der „zu schwach, zu krank oder zu alt für den Wettbewerb ist … darf Markt und Eigentum nicht aushebeln, und … kann es auch nicht.“ Und fallen uns nicht gleich ganz Bestimmte ein, wenn Kappeler folgert: „Denn sonst rechnen die Menschen einfach andersherum, sie werden Funktionäre, Militärs, Oberpriester, um sich ihren Anteil etwas zu vergrößern. Alle rechnen. Des Menschen Motive sind das System hinter allem – willentlich nicht abzuschaffen.“
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