DER SPIEGEL Nr. 19 – Die Falle

Der SPIEGEL macht jetzt BILD Konkurrenz. Der Titel hätte auch lauten können „Das Böse lauert überall“. Solche Themen will ich im SPIEGEL nicht lesen.

Darüber hinaus fand ich die aktuelle Ausgabe langweilig und widersprüchlich. Nach der Lektüre von „Wir sind keine Handelsware“ von Dinah Deckstein, Simone Salden und Michaela Schießl war für mich das Thema TTIP gerade endgültig beerdigt, wenn da nicht noch der Leitartikel „Der Westen – oder nichts“ von Michael Sauga gewesen wäre. Sauga, noch immer überzeugter Neoliberaler, malt inbrünstig die schlimmen Folgen eines möglichen Scheiterns bei den TTIP-Verhandlungen aus. Die Globalisierung kann keiner mehr stoppen, auch wenn er wollte – mit und ohne TTIP und Ceta. Das kommt eben davon, wenn die eine Schreibtischtruppe alles zusammenkehrt, was auf der Straße los ist, und der Leitartikler von der hohen Warte aus schreibt. Kriegt man das nicht mehr zusammen?

Ach. Die Normales stürzen ab und ihr jammert?

In „Absturz der Normalos“ beschreiben Julia Klaus und Alexander Neubacher die Verängstigung in der Mitte der Gesellschaft. Jetzt, wo das DIW eine Studie dazu vorlegt, ist es mit einem Mal ein Thema für den SPIEGEL, der über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte jeden Politikvorstoß, diese gesellschaftlich so wichtige Basis zu stärken, journalistisch bekämpft hat – jene wahlentscheidende Zielgruppe, die von der SPD nach dem Rückzug von Gerhard Schröder ignoriert wird. Jetzt, wo die Angst vor dem Abstieg so groß ist, dass die Mittelschicht zunehmend der AfD ihre Stimmen gibt, wird es für die Hamburger ein Thema, wo ein Blick auf die Bestsellerliste Sachbuch im eigenen Magazin reicht, um zu ahnen, was die Befindlichkeiten im Land anbetrifft, wenn die in Buchdeckel gepackten Tiraden Thilo Sarrazin wieder einmal zum Bestsellerautor machen. Da wünschen sich viele der Normalos den rheinischen Kapitalismus und die Deutschland AG zurück und pfeifen auf die skrupellos über Unternehmensleichen schreitenden Shareholder-Optimierer.

Das Wochenende der rollenden Köpfe

Was gibt es Neues aus der Parteienlandschaft? Zwischen CDU und CSU fingerhakelt es weiter über den Kurs der Schwesterparteien angesichts der Wahlerfolge der AfD, die CSU kokettiert weiter mit einem eigenen Wahlprogramm und Kanzlerkandidat. Christiane Hoffmann erklärt in ihrem Kommentar „Merkels Zaubertrick“, das Kommunikationswunder der Kanzlerin und beschreibt sie als „begnadete Illusionskünstlerin“, deren Erfolgsrezept in der Bereitschaft des Publikums liege, sich täuschen zu lassen. Das ist gut beobachtet. Die Kritik an der Kanzlerin nimmt zu. Aber der Spiegel bildet nicht die Spitze.

Markus Feldenkirchen glaubt an die Macht seiner Worte und will Frank-Walter Steinmeier zum nächsten Kanzlerkandidaten der SPD herbeischreiben. Die Krise der Köpfe spitzt sich zu an diesem Wochenende. Der Spiegel hat seine Ohren aber nicht mehr am Geschehen, sondern wohl nur an der eigenen Tür.

Was bietet der Spiegel in dieser Woche zum Thema Europa? Das Thema Griechenland kommt als Randnotiz vor. Das Thema 500-Euro-Schein fehlt gänzlich. Das Vertrauen der Spiegel-Redakteure in Staat und Zentralbank ist eben grenzenlos. Giuliano Ferraras Essay „Einer wie Berlusconi“ ist eine Eloge auf Italiens Premier Matteo Renzi. Wo ist die echte Bilanz?

Zum Schluss: In „Draußen wartet der Tod“ von Bartholomäus Grill lese ich, dass Äthiopien sich in eine „erfolgreiche Entwicklungsdiktatur“ verwandelt habe. Ich erfahre, dass die Wirtschaft Äthiopiens derzeit zu den am schnellsten wachsenden der Welt zählt. Wenn ich aber gleichzeitig lese, dass ein Drittel der Bevölkerung unterernährt ist, dann wird für mich die Bezeichnung „erfolgreiche Entwicklungsdiktatur“ zum Unwort. Erst kommt das Fressen. Dann alles Andere.

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