Steinmeier: Kritik am „Säbelrasseln“ der NATO

Frank-Walter Steinmeier warnt vor dem „Säbelrasseln“ der NATO an den Grenzen zu Putins Russland. Das ist angemessen. Das politische und mediale Establishment von Obama bis Merkel rotiert wiedermal in überkommener Putinphobie.

Steinmeiers Obama-Merkel-Nato-Kritik ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Nato will ihre Präsenz in Osteuropa mit dem erklärten Ziel der Abschreckung gegen Putins aggressive Politik in seinem geographischen Umfeld, Ostukraine, Krim usw. erhöhen. Das wird auch als Nachrüstung gegen eine verstärkte Aufrüstung Russlands verkauft. Müßig zu erwähnen, dass ein paar vergleichsweise aggressive Stimmen Steinmeiers Kritik an der NATO, an Merkel und selbstredend vorrangig auch an Obama auf eine großtuerische, aber abwegige Art geißeln.

Teil 1 unserer Serie zur Russlandpolitik
Steinmeier bewirbt sich als Kanzlerkandidat
Es lohnt eine souveräne historische Draufsicht, statt sich in wohlfeilen Tiraden zu ergehen. Putinphobie hat eben Konjunktur und da ist ein bisschen Anti-Putin-Populismus ein primitives, aber probates Mittel, sein dünnes Stimmchen auch mal wieder in den Medien erklingen zu lassen.

Groß bei Bild online zieht Julian Reichelt die Sache jetzt auf. Seine Steimeierkritik ist heftig und wirkt zu wütend, etwas überzogen und etwas zu sehr faktengewiss.

Zum Beispiel, dass Putin einfach so Zivilisten in Syrien und Krankenhäuser in Syrien vernichtet und dies und nichts anderes will, also das Bild eines Massenmörders zeichnet, müsste quellenkritisch wohl doch etwas hinterfragt werden. Aber das Entscheidende ist, dass man die Relationen im Auge behält. Sowohl in Bezug auf das, was Putin ist und macht als auch in Bezug darauf, was geostrategisch betrachtet ein kleines NATO-Manöverchen in Osteuropa zu bewirken vermag.

In der Weltpolitik kann moralisch sein, was realistisch, den tatsächlichen Machtverhältnissen geschuldet für die Mehrzahl der Menschen ein Vorteil ist. Moralische Prinzipienreiterei, kleinkariert verengt, kann dagegen eine sehr gefährliche Haltung sein. Putin stützt Assad in Syrien und die schizophrene Assadpolitik des Westens setzt oft genug ebenfalls auf die reale Existenz des ungeliebten Assad. Die Schwarz-Weiß-Denke in Sachen Putin ist vollkommen daneben. Auch angesichts aller anderen Bedrohungen zum Beispiel durch den IS und ähnliche Erscheinungen, die teilweise mitten in Europa agieren, ist realpolitisches  Augenmaß gefragt.

Moskau ist zurzeit regierungsamtlicher Lieblingsfeind im Westen

Zu Recht hat der Westen mit der menschenverachtenden Diktatur namens Sowjetunion den Dialog gesucht. Zu Unrecht übt Merkel einen enormen Druck aus, die undemokratisch-nichtrechtsstaatliche Erdogan-Türkei zum EU-Vollmitglied zu machen. Nicht nur Hitler hat mit Stalin paktiert, sondern auch die Westmächte haben mit Stalin paktiert und Stalin war ein Völkermörder eigener Art, eben kommunistischer Provenienz.

Ein paar geistige Lockerungsübungen scheinen nötig zu sein, um die starrsinnig fixierte Russlandpolitik des Westens auf ein realistisches Niveau herunter zu holen. Jawohl, Putin ist kein demokratischer Rechtsstaatler wie wir, die Verteidiger der westlichen Werte, an die sich allzu viele westliche Politiker zunehmend selbst zu wenig halten, es gern hätten.

In Russland einen vorbildlich demokratisch-sozialen Rechtsstaat zu haben, der die Menschenwürde bis in den letzten Winkel der Welt trägt, das hätte was, ganz klar. Mit wie vielen Diktaturen und Unrechtsstaaten hat der Westen in den letzten 100 Jahren paktiert und mit wie vielen solchen Staaten paktiert der Westen auch heute noch? Wie viele mörderische Regime oder Milizen oder Organisationen lässt der Westen weiter wüten, obschon er über einige Potenziale verfügt, Völkermord, Massenmord und Terror im Namen von Ideologien und Religionen und rassistischen Theoremen zurück zu drängen und auch zu beenden?

Eigene Rohstoffinteressen im Westen steigern auch nicht immer die Moral und so lässt sich vieles anfügen, wo Realpolitik im Westen versagt und dies oft in moralisch ziemlich verwerflicher Form. Aber Moral darf nicht zum geheuchelten Selbstzweck verkommen. Die Putinhasser und die Putinversteher haben beide gleichermaßen wenig politisch Positives zu bieten. Politik ist etwas mühsamer als populistische Fingerzeigerei.

Moskau ist eben zurzeit regierungsamtlicher Lieblingsfeind im Westen.

So kommen auf die inzwischen schon ziemlich alt gewordene Krim-Annektion durch Russland jetzt etwas verzögert einstimmige NATO Beschlüsse zustande. Jetzt will man Russland endlich heldenhaft, gar abschreckend, mit einem NATO-Manöver und einer glücklicherweise moderat bleibenden NATO-Aufrüstung in Osteuropa unter kaltkriegerischem Geheul die Zähne zeigen. Und das alles unter dem Dach der überbordenden Moral westlicher Werte.

Die bis an die Zähne bewaffnete Sowjetunion hat den Kalten Krieg durch Selbstauflösung ganz wesentlich mit beendet, erstaunlich friedfertig. Und sie hat den Transformationsprozess ihres zentralistischen „Staatenbundes“ und ihrer inneren Machtstrukturen historisch betrachtet vergleichsweise unblutig hinbekommen. Daran ist Putin nicht ganz unbeteiligt. Seine Herrschaftsmethoden sind nicht die einer idealtypischen westlichen Vorzeigedemokratie. Aber bei allem darf man nicht vergessen: Die Spannungen, die der Auflösungsprozess der Sowjetunion erzeugt hat, hatten durchaus das Potenzial erhebliche globale Probleme zu erzeugen.

Obamas Weltpolitik ist eine einzige gigantische Katastrophe

Eine Konfrontation der beiden größten Atommächte der Welt, der USA und Russland, kann, darf und wird es nach derzeitigem Stand nicht geben. Kleine Kraftmeiereien und kleine Provokationen sollte man zwar nicht gedankenlos tolerieren, aber man sollte sie souverän einordnen und abwickeln. Etwas mehr Gelassenheit ist angesagt in der Russlandpolitik des Westens. Damit ist man dann auch schon automatisch bei der Person Barack Obama.

Die Autorin dieses Beitrages gesteht freimütig, dass sie eine immer wieder faszinierte Zuhörerin von Obamas schönen Reden ist. Obamas Weltpolitik ist dagegen eine einzige Katastrophe. Mit seiner „Change“ und „Yes, we can“-Rhetorik hat Obama in seinen fast acht Amtsjahren die Welt, politisch gesehen, mit viel mehr nachhaltigen und noch lange nachwirkenden Problemen beladen, als dass er Probleme gelöst hätte.

Obama trägt die Hauptverantwortung für die Politik des Westens und er trägt damit auch die Hauptverantwortung für die Zerstörung der alten, zugegeben wenig positiv zu beurteilenden Ordnung in den muslimischen Ländern von Nordafrika bis Malaysia – und er trägt die Hauptverantwortung dafür, dass keine (neue) bessere Ordnung entstanden ist.

Ein paar Bomben in Libyen, die bei einem gebotenen „Nein“ Obamas mit Sicherheit nicht gefallen wären, ein paar Bomben in Syrien und ein paar Bomben auf IS-Stellungen bei gleichzeitig ziemlich inkonsequenter Politik gegen IS und ähnlichen Erscheinungen, haben überhaupt nichts mit Politik zu tun, jedenfalls nichts mit irgendeiner sinnvollen oder gar irgendeiner moralischen Politik.

Die in Gang gesetzten Flüchtlingsströme, die den Westen jetzt vor unlösbare Probleme stellen, deren Ausmaß der fortschreitenden Zeit steigen werden, sind mit eine Folge der Weltpolitik Obamas. Die Bürgerkriege und die gesellschaftlichen Verwerfungen im Maghreb, im Nahen und Mittleren Osten haben viele Menschen in einen Wanderungs- oder Fluchtmodus versetzt, die sich in der alten Ordnung mehrheitlich eingerichtet hatten.

Das war der große politisch und übrigens eben auch moralische Unterschied zwischen Bush Senior und Bush Junior. Ersterer hat den mörderischen Tyrannen Saddam Hussein in seine Schranken gewiesen und ihn dann als kleineres Übel gegenüber chaotischer Selbstzerstörung am Leben und im Amt gelassen. Bush Junior hat Hussein beseitigt, ohne ein Konzept und ohne für eine neue tragfähige Ordnung im Irak Sorge zu tragen. Aber immerhin hat Bush Junior den Irak nicht seinem Schicksal überlassen und militärisch auf niedrigem Niveau zwangsstabilisiert.

Erst der gute Mensch Obama hat den Irak durch seinen ungekonnten Truppenabzug, den er als moralische Turboleistung verkauft hat, in ein heilloses Durcheinander gestürzt und de facto den IS entstehen lassen.

Die westliche Politik führt in die Sackgasse

Auch Obamas Erdogan-Politik ist in ihrer Stümperhaftigkeit mit verantwortlich für Merkels großes Versagen auf diesem Feld. Die rapide wachsende Weltbevölkerung, die auch aufgrund dieses demographischen Faktors eigene, qualitativ neue politische Herausforderungen generiert, ist von Obama und den Seinen im Westen in eine immer schlechtere Ausgangslage katapultiert worden. Davon sollte man sich nicht durch die in Wahrheit hochideologisierten, aber auch sehr egoistischen Wohlredereien aller westlichen Regierungen täuschen lassen.

Die aktuelle westliche Politik, an der Obama einen wesentlichen Anteil hat, führt in die Sackgasse. Obama ist auf den fatalen Trichter verfallen, altes Kaltkriegerressentiment auszubuddeln und der westlichen Welt einzureden, dass das real existierende Problem Putin eine Qualität und Dimension hätte, die den Westen und die ganze Welt existenziell gefährdeten. Das ist ganz ganz großer, aber eben auch gefährlicher Blödsinn.

Mit der reanimierten Gegnerschaft des Westens zur zweitgrößten Atommacht der Welt will Obama womöglich vom Versagen seiner Außenpolitik ablenken und den gigantischen Vorrat an neu kreierten Problemen, zum Beispiel im muslimischen Teil der Welt, klein reden. Der Herr Obama  Wichtigeres zu tun hat, muss er erstmal die Atommacht Russland, die gemeinsam mit Amerika über ein gigantisches Overkillpotenzial zur Auslöschung der Menschheit verfügt, nun endlich mal wirklich mit ein paar Nato-Manövern in die Schranken weisen. Wie armselig ist das denn?

Putins Russland hat zugesehen, wie die militärischen Fähigkeiten der USA im Vergleich zu jenen Russlands bei aller Abrüstung und Schönrederei relativ gewachsen sind. Der einzig übrig gebliebene militärisch basierte Weltpolizist sind die USA und das ist in der Welt, wie sie ist, auch gut so. Man mag sich den Schrecken nicht vorstellen, den es bedeuten würde, wenn die USA als Weltpolizist ausfielen.

Allerdings gibt die Weltpolizistenrolle der USA, die vom linken Lager seit Jahrzehnten, wenn nicht seit 100 Jahren teils hysterisch kritisiert wird, keinem US-Präsidenten das Recht, seine faktische Macht stümperhaft und zerstörerisch auszuüben und auf sein eigenes Schönsprech hereinzufallen.

Russland ist Teil Europas

Mit Putin aus einer Position der Stärke heraus verhandeln, das ist keine besonders intelligente politisch-militärstrategische Forderung. Eine alles andere überragende militärische Übermacht des Westens ist Fakt. Da müssen nicht ein paar 1.000 Soldaten provokativ an die russische Grenze verlegt werden. Die Provokation dieser Verlegung liegt nicht an dieser Verlegung selbst, die geostrategisch ganz unwichtig ist, sondern sie liegt darin, dass der Westen seinen provokanten Belehrungs- und moralischen Herabwürdigungswillen gegenüber Putin demonstriert. An einer solchen fehlgeleiteten Politik wirkt Obama maßgeblich mit.

Es hat sich eine in einem nie dagewesenen Ausmaß gruppendynamisierte Politikerkaste des Westens herausgebildet, die sich in eine sehr monochrome Denk-und Gefühlswelt hineingesteigert hat. Es ist eine politische Welt, in der die Individualisten fehlen oder keine Chance haben. Glücklicherweise zieht in den USA spätestens alle acht Jahre ein neuer Präsident ins Weiße Haus. Da gibt es dann wenigstens mal ein paar neue Köpfe. Ansonsten stünde zu befürchten, dass der aufgeblasene Nato-Russland-Konflikt, der viel mehr eine Folge einer etablierten fehlgeleiteten Denkkultur in der Führungskaste ist, als dass er der Realität geschuldet wäre, sich quasi voll automatisch immer weiter im Kreise drehen würde.

Russland ist Teil Europas und sollte nicht herablassend mit aufgehaltenen Türen bei Wohlverhalten im Regen stehen gelassen werden.

Steinmeiers richtiger Vorstoß, der ein recht zweifelhaftes Presseecho und auch ein recht zweifelhaftes Echo aus der CDU gefunden hat, ist nicht mit dem Hinweis auf Ähnlichkeiten mit Forderungen der Linkspartei diskreditierbar.

Und auch die verschwurbelten parteitaktischen Mutmaßungen bezüglich des Vorstoßes von Steinmeier sind nicht zielführend. Die Russlandsanktionen des Westens, ohne Obamas Zutun undenkbar, haben die Welt kein bisschen sicherer oder schöner gemacht, im Gegenteil. Insofern beweist Steinmeier mit seiner Russlandpolitik  – egal ob seine Motive nun göttlich oder ungöttlich sind, um es mal ironisch auszudrücken – einen kühlen Kopf.

Auf Russland mäßigend und rechtsstaatlich-demokratisch einwirken ohne Überschätzung der eigenen Möglichkeiten und ohne eine russische Weltbedrohung zu kreieren, die es so nicht gibt, machte Sinn.

Morgen hier: Tomas Spahn über Putins aggressive Außenpolitik

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