Über den Ukraine-Krieg kommen sich die Türkei und Griechenland näher

Der Ukraine-Krieg könnte auch die uneinigen Nachbarn Griechenland und Türkei näher zueinander bringen. Die politischen Probleme sind damit freilich nicht gelöst, aber wirtschaftliche Fragen rücken nicht erst in diesem Jahr in den Vordergrund. Soll israelisches Erdgas über die Türkei nach Griechenland geleitet werden?

IMAGO / Xinhua

Es war gemutmaßt worden, dass die beiden Politiker zusammentreffen könnten. Der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis hatte sich am Sonntag zu einem Besuch im Phanar, dem Sitz des Ökumenischen Patriarchen am Goldenen Horn, angesagt. Zur gleichen Zeit wollte auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Istanbul sein. So kam es also zum ersten offiziellen Zweiertreffen der beiden Regierungschefs, das sozusagen unter konspirativen Bedingungen eingefädelt werden musste – mit Rücksicht auf die kritische Öffentlichkeit in wohl beiden Ländern.

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Es ist immer noch ziemlich ungewohnt, die beiden Flaggen nebeneinander zu sehen: die mit dem weiß-blauen Kreuz und jene mit Halbmond und Stern auf rotem Grund. Eigentlich war Mitsotakis zum Tag der Orthodoxie angereist. Doch da beginnen bereits die Konflikte, denn der türkische Staat hat bis heute nicht der Wiedereröffnung der Theologischen Schule von Chalki zugestimmt, die notwendig ist, um den Fortbestand des Patriarchats zu sichern.

Im Gespräch mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios kommentierte der griechische Premier seine Gespräche mit Erdogan. Man sei natürlich in gewissen Fragen uneins geblieben, einige Differenzen ließen sich nicht von jetzt auf gleich überbrücken. Zu denken ist hier sicher an die Konflikte um Einfluss und Wirtschaftszonen in der Ägäis.

Die griechische Seite verteidigt hier im Wesentlichen den Status quo, während die türkische Führung kein Geheimnis daraus macht, dass man den Vertrag von Lausanne revidieren will. Inzwischen beruft sich Erdogan aber doch wieder auf genau diesen Vertrag, wenn er eine Demilitarisierung der Inseln vor der kleinasiatischen Küste fordert – ein Vorwurf, den wiederum Griechenland nicht akzeptiert und auf zahlreiche Grenzverletzungen der Türken zu Wasser und in der Luft hinweist.

Erdogans „Grenzen des Herzens“ sind weit

Trotz dieser fortbestehenden Differenzen zeigte sich Mitsotakis zu einer Vertiefung des Dialogs bereit. Im April will man sich, soweit es bis dahin nicht zu neuen Spannungen kommt, zu weiteren vertrauensbildenden Gesprächen treffen. Wenn alles gut geht, hofft der Premier, im Herbst gemeinsame Wirtschaftsberatungen in Athen ausrichten zu können. Dieses Vorgehen konnte nicht ohne Kritik in Griechenland bleiben: Beobachter wenden ein, dass Mitsotakis mit dem Gesprächsangebot die revisionistische und expansionistische Agenda der heutigen Türkei belohne.

Erdogan glaubt laut der Nachrichtenagentur Anadolu an „Fortschritt bei Themen, die mit der Ägäis zusammenhängen, beim Kampf gegen Terrorismus und bei der illegalen Migration“. Zu dieser Aufzählung könnte man vieles sagen. Mit Zugeständnissen in der Ägäis soll Griechenland anscheinend für eine bessere Kontrolle der illegalen Migration bezahlen und zudem die türkische Definition von Terrorismus übernehmen, die in den letzten Jahren – nach dem angeblich gülenistischen Coup von 2016 nochmals – stark ausgeweitet wurde und dazu dient, die Herrschaft der Regierungspartei AKP zu festigen.

Erdogans „Grenzen des Herzens“ für die von ihm imaginierte Türkei sind wie bekannt relativ weit gefasst: 2016 hatte er diese Formulierung – direkt nach dem misslungenen oder inszenierten Coup gegen ihn – gebraucht, um vom irakischen Mossul oder vom nordmazedonischen Skopje zu sprechen. Später bekannte er sich halbherzig zu den aktuellen Staatsgrenzen.

Wird Zypern wieder einmal vergessen?

Das gemeinsame Mittagessen habe nun, so Mitsotakis, in einem „guten Klima“ mit prachtvollem Blick auf den Bosporus, nämlich im neo-osmanischen Vahdettin-Pavillon, stattgefunden. Die Gespräche selbst beschreibt Mitsotakis als „sehr offen und sehr ehrlich“. Man habe die Fundamente für eine bessere wirtschaftliche Zusammenarbeit legen können.

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Die Frage ist nun: Wofür eigentlich genau? Welche große, gemeinsame Investition planen Griechenland und die Türkei? Es könnte um die Neuauflage einer Gaspipeline aus Israel gehen. Eigentlich hatten sich Israel, Ägypten, Griechenland und Zypern zusammengetan, um die zuletzt entdeckten Erdgasvorkommen im südöstlichen Mittelmeer auf ihren Weg nach Europa zu bringen. Geplant war eine unterseeische Verbindung, die die türkischen Gewässer umgangen hätte.

Das ließ, so heißt es in griechischen und internationalen Medien, letztlich Washington nicht zu, argumentierte mit der Ökologie und den Kosten (vielleicht an anderes als nur das Geld denkend), und das Projekt wurde am Ende auf Eis gelegt. Stattdessen schlug die Biden-Administration eine Stromleitung zwischen Ägypten und Griechenland vor, durch die auch „grüne Energie“ nach Europa fließen könnte. Doch das war vor dem Ukraine-Krieg.

Nun zeigte ein Besuch des israelischen Präsidenten Isaac Herzog eine Annäherung zwischen Israel und der Türkei, die man auch als Vorboten eines neuen Pipeline-Projekts sehen kann, obwohl man in Jerusalem durchaus trotzig am EastMed-Projekt festhält und sich noch nicht in Erdogans Hände begeben will.

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Am meisten Probleme könnte mittel- bis langfristig Zypern mit dieser neuen Einigung haben. Nicht nur wird die Insel durch den neuen Pipeline-Plan umgangen. Auch ihre politische Zukunft wird so erneut fragwürdig. Seit 1974 ist die Insel zur Hälfte von türkischen Truppen besetzt, und in diesen Tagen vergleicht man sich nicht ganz zu Unrecht mit der aktuellen Situation der Ukraine. Die eigentlich souveräne Insel ist seit 38 Jahren das Opfer des türkischen Expansionismus. Auch rund um Zypern stellt die Türkei maßlose Forderungen nach Einfluss- und Wirtschaftszonen, während sie auf der Insel selbst die illegale Migration über die grüne Grenze ermöglicht, die derzeit auf einem Allzeithoch ist. Zypern ist, gemessen an der Bevölkerung, das am meisten durch illegale Migration belastete EU-Land.

Erdogan: Wir werden das regionale und globale Gleichgewicht stützen

Nicht umsonst war Herzog vor seinem Besuch in Ankara in Athen und Nikosia gewesen, um den Partnern zu versichern, dass die neue Annäherung an die Türkei sich natürlich nicht gegen die auch militärischen Verbündeten Griechenland und Zypern richtet. Aber eine Pipeline-Lösung unter Einbeziehung Ankaras wirkt immer wahrscheinlicher. Das liegt freilich noch etwas in der Zukunft, auch wenn der Ukraine-Krieg dem Thema schnell Beine machen könnte.

Unterdessen hofft Erdogan im kommenden Jahr 2023 auf seine Wiederwahl, die derzeit angesichts der wirtschaftlich schwierigen Lage in der Türkei unsicher geworden ist. Er kann also jede vorteilhafte Abmachung mit dem Nachbarn gut gebrauchen. Aber man sollte sich auch nicht täuschen lassen: Aus dem russischen Kriegseinsatz hat Erdogan keineswegs den Schluss gezogen, sich endgültig von dem großen Nachbarn im Norden abzuwenden. Vielmehr versucht er sich als Makler des Konflikts mit gleichem Abstand zu beiden Parteien zu verkaufen.

Ende Februar sagte er: „Die Türkei wird ihre nationalen Interessen nicht aufgeben, aber auch nicht das regionale und globale Gleichgewicht vernachlässigen. Wir werden uns weder von Russland noch von der Ukraine abwenden.“ Diese Worte zeigen, dass es in dem neuen globalen Spiel um Einflusszonen zumindest einen neuen Spieler gibt: den noch demokratisch gewählten Herrscher der Türkei, dessen Arme weit in die islamische Umma ausgreifen und der sich so als weitere Stimme im internationalen Konzert zu etablieren sucht. Die direkten Nachbarn stören dabei manchmal, was auch niemanden verwundern kann.

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Kommentare ( 2 )

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Tacitus
2 Jahre her

Das Verhältnis zwischen der Türkei und Griechenland ist komplex und traditionell sehr angespannt. Umso mehr freue ich mich, dass sich beide Parteien über persönliche Gespräche ihrer höchsten Politiker annähern.
Es wären nicht die ersten Probleme, die durch Gespräche und persönlichen Austausch, z.B. bei einem Essen, gelöst würden.

EinBuerger
2 Jahre her

Das ist die ganz normale Interessenpolitik von Staaten. Erdogan möchte mit der Türkei eine dominante Regionalmacht sein. Er möchte in verschiedenen Regionen in seiner Umgebung mitspielen. Im islamisch-türkischen Zentralasien. Im Kaukasus. Im islamisch-arabischen Nahen Osten und Nordafrika. Auf dem Balkan. Nördlich des Schwarzen Meeres in Südrussland. Über seine Türken auch in Zentraleuropa….
Seine Wortwahl mag ideologisch sein. Seine Realpolitik orientiert sich pragmatisch daran, was geht.