Sanktionen, die wen nochmal treffen?

Wir dürfen uns nicht länger an großen Worten berauschen, sondern haben auf dem glasklaren Pathos des Konkreten zu bestehen, also: Wer wird konkret wie und mit welchen Folgen sanktioniert?

IMAGO / TheYachtPhoto.com

Die großen Worte, die das Herz erreichen sollen, vernebeln als gewünschter Kollateralschaden allzu oft den Verstand, statt erhabener Gefühle und überquellender Emotionalität ist kritische Rationalität vonnöten. Schaut man etwas näher hin, stellt sich die Frage, wen die Sanktionen wirklich treffen und wen kaum und wen gar nicht. Mit voller Härte treffen die Sanktionen russische Studenten in Deutschland, die wegen des Swift-Bans und der Sanktionen gegen einige Banken von ihrem eher wenigen, aber lebensnotwenigen Geld, ihren Stipendien abgeschnitten sind, auch russische Wissenschaftler, kleine Geschäftsleute, wie in Russland auch den sprichwörtlich kleinen Mann.

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Die Oligarchen scheinen sie nicht zu treffen, weil sie über genügend Geld verfügen, um sich Konstruktionen zu leisten, sodass ihr Besitz ihnen nicht zugeordnet werden kann. So schreibt die Berliner Zeitung über den Milliardär Alischer Usmanow: „Dem 68-jährigen Russen kann bislang aber nicht mal zweifelsfrei der Besitz seiner drei Villen nachgewiesen werden. Eigentlich gehören die Immobilien einer Firma namens Tegernsee (IOM) Ltd, die sich wiederum einer Firma auf der Isle of Man zuordnen lässt, deren Spuren dann auf den Cayman Inseln verschwindet. Ein typisches Geschäftsmodell.“ Die Berliner Zeitung fragte das Finanzministerium, warum Usmanows Yacht im Hamburger Hafen nicht in die Sanktionen einbezogen wird. Das Finanzministerium verwies auf den Senat von Hamburg, der wiederum auf das Bundeswirtschaftsministerium, das für die Umsetzung der Sanktionen zuständig wäre. Doch das Ministerium des grünen Kämpen, der sich gern als eine Art Robin Hood sieht, erklärte: „die Bundesregierung sei „jetzt intensiv dabei, Maßnahmen zu treffen, um diese Sanktionen effizient und effektiv umzusetzen“. Mit anderen Worten, man lässt den Oligarchen genügend Zeit, ihre Vermögenswerte dem Zugriff der Sanktionen zu entziehen.

So lautet auch der Vorwurf der Wirtschaftswoche an die britische Regierung, dass die Sanktionen die Oligarchen gar nicht treffen. Zuvor hatte die Wirtschaftswoche getitelt: „Die Oligarchen lachen über Deutschland“. Allerdings wartet man vergeblich auf eine Debatte im Bundestag, wie sie im britischen Unterhaus tatsächlich geführt wurde – und sicherlich nicht die letzte ihrer Art war. So berichtet der Londoner Korrespondent der FAZ: „In der Debatte über Sanktionen gegen russische Oligarchen sind Londoner Kanzleien ins Visier geraten. Der konservative Abgeordnete Bob Seely knöpfte sich im Unterhaus am Mittwoch die ‚amoralischen‘ Juristen vor, die im Namen von ‚Putins Schergen‘ handelten, und nannte vier von ihnen mit Namen.“ Laut seinem Bericht versucht Roman Abramovitsch, womöglich gerade seine Londoner Immobilien zu verkaufen. Seinen Fußballklub Chelsea hat er schon abgestoßen. Angeblich soll der Nettogewinn des Verkaufs in eine Stiftung fließen, die den Opfern des Krieges helfen will. Im gewissen Sinne könnte man natürlich auch die Oligarchen als Opfer des Krieges betrachten. Vielleicht aber auch nicht.

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Betrug und Selbstbetrug der Sanktionen gegen Russland
Während in Deutschland weder die Regierung über die praktische Umsetzung der Sanktionen abseits der hehren Worte spricht, noch die Opposition – wer war das gleich nochmal? – danach im Plenum fragt, ist in Großbritannien eine heftige Debatte über dieses Thema entbrannt – und zwar über ein Kernproblem der Umsetzung. Großbritanniens Außenministerin Liz Truss informierte vor Kurzem über sehr viele präemptive Schriftsätze, womit renommierte Londoner Kanzleien versuchen, ihre Mandanten vor den Sanktionen zu bewahren – was ihnen in schon fast bewunderungswürdiger Art und Weise zu gelingen scheint.

Kommen wir in eine Situation, in der Anwälte das Recht benutzen, um Unrecht zu ermöglichen? Werden westliche Anwälte zu Feinden des Westens? Zu Dienstlingen Putins? Noch gut in Erinnerung ist, dass Anwälte Londoner Kanzleien unter anderem für Abramovitsch gegen den Verlag Harper Collins und die Autorin Catherine Bolten mit einer Verleumdungsklage vor Gericht gingen, weil die Autorin unter anderem behauptet hatte, dass Abramovitsch den Fußballklub Chelsea auf Putins Anordnung gekauft hätte. Der Abgeordnete der Konservativen, Bob Seely, geißelte die Zusammenarbeit der Kanzleien mit den Oligarchen als eine „Koalition der Elenden“. Seely fragte: „Wie konnte unsere Gesellschaft in eine Position geraten, in der Kleptokraten, Kriminelle und Oligarchen die freie Presse einschüchtern?“ Keir Starmer (Labour) forderte den Premierminister im Unterhaus auf, alle Oligarchen zu sanktionieren und deren Vermögen einzufrieren. Das ist zunächst erstmal wohlfeil gesprochen, denn das Problem besteht darin, dass hochbezahlte Anwälte genau das mit dem Einlegen von Rechtsmitteln zu verhindern suchen. Bob Seely sprach im Unterhaus von amoralischen Juristen, der Gesundheitsminister von Kollaborateuren mit weißen Kragen.

Ökonomische Auswirkungen
Die Sanktionen schaden Russland – aber zwingen es nicht in die Knie
Die Debatte um den Schutz der Oligarchen vor Sanktionen durch willige Anwälte ist in Großbritannien im vollen Gange. Hinter dem steht natürlich ein sehr viel tiefer gehendes Problem. Dürfen wir unsere Rechtsordnung in Frage stellen, weil es zum Fallstrick für die Gerechtigkeit wird? Jeder Bürger hat das Recht auf anwaltliche Vertretung. Die Ständevertretung argumentierte erwartungsgemäß, dass es Aufgabe der Kanzleien sei, „ihre Mandanten“ zu vertreten, „wer immer sie sein mögen, sodass die Gerichte fair entscheiden“ können. Das bedeutet im Klartext, dass die Oligarchen sich der Wirkung der Sanktionen entziehen können, anders als die russischen Studenten, nur, weil sie sehr viel Geld besitzen.

Ist es so, wird das Rechtssystem käuflich. Was die Ständevertretung in ihrer Argumentation übersieht, ist, dass auch die Anwälte zur Rechtspflege gehören – und es geht in diesem Fall darum, ob sie sich bereit erklären, das Recht gegen das Recht zu wenden oder eben nicht. Sie haben dem Recht zu dienen, nicht es auszunutzen. Boris Johnson stellte klar, dass die Kanzleien verpflichtet sind, das Ansehen des britischen Rechtssystems zu verteidigen. Er drohte ihnen mit Sanktionen, wenn sie den Sanktionen zuwiderhandelten. Johnson versprach: „Wir werden die Besitzverhältnisse in London und im ganzen Königreich offenlegen in einer Weise, wie es vorher nicht möglich war.“ Ob es dann allerdings nicht schon zu spät ist, lässt sich schwer beantworten. In Großbritannien wächst jedenfalls der politische und öffentliche Druck auf die „amoralischen“ Juristen. Denn einem Rechtssystem, dass die schützt, gegen die eigentlich die Sanktionen beschlossen wurden, stellt sich aus diesem Grund auch selbst in Frage.

Und in Deutschland? Wird über die Problematik brüllend laut geschwiegen. Es steht zu hoffen, dass dem Oppositionsführer nicht die eigene berufliche Vergangenheit den Mund verschließt, wo er laut die Regierung im Plenum zur Rede stellen müsste. Wir dürfen uns nicht länger an großen Worten berauschen, sondern haben auf dem glasklaren Pathos des Konkreten zu bestehen, also: Wer wird konkret wie und mit welchen Folgen sanktioniert?


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Kommentare ( 75 )

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Sonny
2 Jahre her

Sanktionen treffen bei der Vernetzung der Welt doch nie nur diejenigen, die es verdient hätten. Deshalb halte ich Sanktionen für nicht besonders wirkmächtig. Aber Regierungen scheuen sich aus gutem Grund, bei einem offenen Konflikt wirkliche Taten gegen Aggressoren folgen zu lassen, sprich „Mann gegen Mann“. Wer will schon dafür verantwortlich sein, einen Weltkrieg zu starten? Denn das würde einer bei den heutigen, gegenseitigen Verpflichtungen der Länder der Welt. Das ist die Zwickmühle. Dafür die Verteidigung von angeklagten Menschen ganz infrage zu stellen, halte ich für absolut falsch – genügend Fehlurteile und Verleumdungen zeigen auf, wie mittelprächtig die westliche Justiz nach… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Sonny
hase4
2 Jahre her

Also die Sanktionen in den Werften treffen die Industrie und die Arbeiter etc.. Die können zumachen. Wer will bitte in einem Land noch ein Schiff bauen lassen wo man nach Haltung willkürlich enteignet wird

Last edited 2 Jahre her by hase4
Deutschmichel
2 Jahre her

Was hat eigentlich Europa wirtschaftlich noch zu bieten, außer einem zunehmend wertloseren Euro? Die USA ist wenigstens noch führend bei Hochtechnologie, IT und Computer ohne die in der Welt alles stillstehen würde, aber was ist/hat Europa? Jeden Sch…, den man in die Hand nimmt, da steht drauf „Made in China“ oder „Made in PRC“, ist das Gleiche.

hase4
2 Jahre her
Antworten an  Deutschmichel

Wir heizen mit Haltung..

bfwied
2 Jahre her

Diese Oligarchen, die Reichen, die es verstanden haben, nach dem Zusammenbruch die wertvollen Stücke zu übernehmen und auszubauen, sind genauso wie Gates oder der Facebook-Gründer. Es ließe sich endlos, also ohne Fazit, darüber diskutieren, ob eine Gesellschaft einen solchen Reichtum dulden kann oder nicht. Es wäre eine Diskussion um Kommunismus und Freiheit, wobei durchaus eine gesellschaftliche freie Übereinkunft getroffen werden kann, was man tunlichst mit sehr viel Geld anfangen sollte! Als der Irakkrieg verlogen vom Zaun gebrochen wurde von den USA, hat da jemand daran gedacht, Gates zu sperren, zu bestrafen? Haben diese russischen Reichen den Einmarsch veranlasst, unterstützen sie… Mehr

Maikmayer
2 Jahre her

Klar gleiche Nationalität wie der Übeltäter, dann Sippenhaft, Aussperren und Moneten wegverwalten…Chaos produzieren… was ist eigentlich mit solchen Figuren wie Biden jun. oder Soros und Andere, die ihre Finger ganz tief in dem Morast haben ….den Schaden hat die europäische Bevölkerung und die Auguren lachen hinter vorgehaltener Hand, die gezielte und geplanten Verarmung und damit Abhängigkeit von der Staatsmacht wird zielgerichtet voran getrieben..

Silverager
2 Jahre her

Anwälte vertreten ihren Mandanten vor Gericht. Und jeder hat das Recht, sich durch Anwälte vertreten zu lassen.
Wenn sie reiche Leute vertreten, selbst Oligarchen, wieso sind sie dann plötzlich „amoralische“ Juristen?
Die Anwälte entscheiden doch nicht, sondern Richter gemäß Gesetz, soweit ich weiß.
Oder sind das dann „amoralische“ Richter?
Oder sind die Gesetze „amoralisch“?
Ich bin ganz verwirrt ob des Artikels.

N. Niklas
2 Jahre her

Also wenn man sich schon widerrechtlich das Eigentum der Oligarchen aneignen oder „konfiszieren“ will, na dann doch einfach gleich wie vor 89 Jahren: „Wir brauchen kein Recht, wir brauchen kein Gesetz.“ Wenn es den Falschen trifft, hat er eben Pech gehabt. Nur nicht im Detail noch zimperlich sein, denn wenn der deutsche Knüppel zuschlägt, geht es eben nicht zu, wie bei der Heilsarmee, die Suppe an die Armen verteilt. Braunhemden lassen grüßen.

Monika
2 Jahre her

Mal ganz blöd gefragt, was haben die Oligarchen mit der Kriegsentscheidung Putins zu tun? Superreiche zu enteignen oder an der Verwendung ihres Eigentums zu hindern, nur weil der Diktator ihrer Heimatnation einen Krieg anfängt, halte ich für juristisch und auch moralisch sehr bedenklich. Wenn man damit erstmal anfängt, sind wir ganz schnell bei ganz anderen Anwendungsfällen. Ganz ketzerisch gefragt, warum sollte dann ein als rechtsextrem (wir wissen, wie schnell man heutzutage in der Schublade landet!) bekannter Mensch ein eigenes EFH haben dürfen, oder ein Bankkonto? Oder, wenn sich der politische Wind mal dreht, nehmen wir dann dem Alt-Maoisten sein Luxusauto… Mehr

Konservativer2
2 Jahre her

Jetzt haben die Grünen doch, was sie wollten: moralische Überlegenheit und mörderische Preise für böse Produkte. Läuft.

Moses
2 Jahre her

Es scheint, dass unsere Oberen, nachdem sie ein paar Schritte in die richtige Richtung gegangen waren, selbst Angst vor eigenem Mut haben und möchten gern ein Schrittchen zurücktraten. All dieses heuchlerische Schweigen wird mit einer kategorischen Weigerung kombiniert, der Ukraine Mittel zum Schutz gegen Raketen und insbesondere gegen die bombardierenden Flugzeuge zur Verfügung zu stellen. All dies wird damit begründet, dass sie in den Augen Putins nicht in den Krieg hineingezogen werden wollen. ABER: 1. Das denkt er sowieso schon. 2. Die Angst vor seinem Atomknopf ist ja stark übertrieben: a) Putin ist als Feigling bekannt b) Nachdem er den… Mehr

Michael M.
2 Jahre her
Antworten an  Moses

Einen Sieger wird dieser Krieg niemals haben und je länger der Wahnsinn dauert, umso höher werden die Opferzahlen und die materiellen Schäden auf beiden Seiten sein. Anstatt den Konflikt mit Waffenlieferungen (die hätten vielleicht im Vorfeld noch eine Abschreckung bewirkt und damit möglicherweise sogar den Einmarsch verhindert) weiter anzuheizen, ist es zwingend erforderlich möglichst zeitnah zu verhandeln und zu einem Waffenstillstand zu kommen.