Migration: Die EU lässt sich von Lukaschenko unter Druck setzen

Weißrusslands Diktator Alexander Lukaschenko hat von Erdogan gelernt. Er will der EU offenbar Druck machen, indem er Migranten, die über sein Land in die EU wollen, nicht mehr bremst. Die Zahlen sind noch gering, aber sie steigen schnell.

IMAGO / ITAR-TASS
Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus

Der weißrussische Präsident ist die nächste Figur, die die EU-Spitzen das Fürchten lehren könnte. Der Postkommunist Alexander Lukaschenko hat es dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und dem marokkanischen Premierminister Saadeddine Othmani gleichgetan und seinen EU-Nachbarn bei der ersten sich bietenden Gelegenheit die Zusammenarbeit aufgekündigt. War er zuvor kooperativ bei der Verhinderung der irregulären Migration, so hat seine Regierung nun – nach dem Fall Protasewitsch – die Tore zum Baltikum geöffnet.

Ähnlich seinem türkischen Amtskollegen verkündete Lukaschenko ganz offen, dass er »undokumentierte Migranten« nicht mehr an den Westgrenzen des Landes aufhalten will: »Vorher haben wir scharenweise Migranten aufgehalten – jetzt könnt ihr sie alleine fangen.« Die Menschen seien auf dem Weg aus »Kriegszonen« ins »warme und bequeme Europa«, und Deutschland brauche Arbeiter, wird der Staatschef von Infomigrants weiter zitiert.

Außerdem will Lukaschenko Warenlieferungen aus China und Russland unterbinden. Er reagiert damit auf Sanktionen, die die EU gegen sein Land verhängte, nachdem ein Flugzeug mit dem Regimekritiker Roman Protasewitsch abgefangen wurde. Protasewitsch wurde inhaftiert, vermutlich gefoltert und gab anschließend in einem Video die in seinem Land illegale Organisation von Protesten zu.

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Die litauischen Behörden wissen laut Euronews, dass die Migrationsströme eng mit Flügen nach Weißrussland (auch Belarus genannt) zusammenhängen. Zum Beispiel kämen vermehrt irakische Staatsbürger an der litauischen Grenze an, nachdem ein Flug aus Bagdad in Minsk gelandet ist. Es fliegt die weißrussische Staatslinie. Auch Touristenpapiere und Visa würden von den weißrussischen Behörden ausgestellt. Sobald die Migranten in Litauen registriert sind, tauchen sie laut Innenministerium so schnell wie möglich unter. Man muss vermuten, dass sie das baltische Land nur als Zwischenstation begreifen. Viele der Ankommenden sprachen angeblich nur Kurdisch. Der kurdisch dominierte Norden des Irak dürfte aber zu den sichersten Teilen des Landes gehören, in dem jedenfalls kaum politische Verfolgung droht, wie das britische Innenministerium feststellt.

 Lukaschenko macht die EU für die Migration verantwortlich

Ein Sprecher des weißrussischen Staatsgrenzenkomitees bestätigte eine Zunahme der Migration, die er auf die Lockerung der Corona-Regeln in anderen Ländern zurückführte. Die weißrussischen Grenzschützer hätten die Ausreisen keineswegs unterstützt, wie von Litauen behauptet. Die litauischen Grenzschützer beklagen, dass ihre weißrussischen Kollegen nicht auf Anfragen reagiert hätten. Regierungschefin Ingrida Šimonytė sprach von einem »hybriden Angriff« auf ihr Land. Ihre Regierung gilt als eine der kritischsten gegen Lukaschenkos Regime.

Der Diktator von Minsk machte indessen die EU-Länder, in diesem Fall Litauen, für die Migrantenströme verantwortlich. Nachdem litauische Behörden ankündigten, das Asylverfahren auf zehn Tage zu verkürzen, erwiderte er laut der Belta News Agency: »Wenn ihr der ganzen Welt erklärt, dass diejenigen, die ihren Weg durch Belarus zu euch finden, noch schneller registriert werden, dann werden noch mehr von ihnen kommen. So öffnet ihr die Tore für diese Migranten nur noch weiter.«

In Litauen sind seit Jahresbeginn über 1.300 illegale Migranten angekommen, mit steigender Tendenz. Im ganz Jahr 2020 waren es nur 81. Die irregulären Einreisen waren schon im April und Mai erhöht (70 und 77), stiegen aber im Juni rapide an. Eine Beraterin des Innenministeriums sagte: »Man kann nie wissen, wann das chronische Problem akut wird. Litauens Nachbar wird von einem Diktator regiert, dessen Handlungen unvorhersehbar sind.«

Die Regierung hat nun den Notstand ausgerufen, der laut Innenminister Agle Bilotaite einen »robusten« Umgang mit der Migrationskrise erlaubt: »Es ist sehr wichtig, ein legales System und Werkzeuge zu haben, die schnelle Entscheidungen bei sich stellenden Herausforderungen ermöglichen.« Im Juni wurde ein Zeltdorf errichtet, das laut Infomigrants Platz für 1000 Migranten bietet und auf mehrere tausend Plätze erweitert werden soll.

Der »Diktator im Osten« und die Frage nach dem Grenzschutz

Laut dem stellvertretenden Außenminister Mantas Adomenas ist das hauptsächliche Problem die Identifikation von Migranten, die ohne Papiere ankommen. Man versuche, ihnen »Dokumente zu geben, so dass Wirtschaftsmigranten in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden können«. Ob das angesichts der Tendenz zum Untertauchen mehr als schöne Theorien sind, kann man aus der Ferne nicht beurteilen. Die litauische Regierung der Parteilosen Ingrida Šimonytė will aber technische Maßnahmen ergreifen, um die illegale Immigration zu verhindern. Der Kommunikationschef der litauischen Grenzschützer hält einen Zaun, Elektrokabel und Kameras für denkbar. Auch Tränengas und Warnschüsse seien zum Einsatz gekommen, um einzelne Gruppen festzunehmen.

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Ursula von der Leyen war, wie stets wenn illegale Immigration eine außenpolitische Komponente hat, sogleich zur Stelle und bekundete, dass die Sorgen der litauischen Regierung »europäische Sorgen« seien. Man stehe »in dieser schwierigen Zeit« an der Seite der Litauer. Damit ist freilich nicht gesagt, was mit den ankommenden Migranten geschieht. Jedenfalls sollen vermehrt Frontex-Beamte nach Litauen und Lettland entsandt werden. Nächste Woche will Charles Michel mit dem irakischen Präsidenten sprechen, um eine Repatriierung der irakischen Staatsbürger zu erreichen: »Wir werden auch mit anderen Herkunftsländern in Kontakt sein, um zu sehen, wie die Zusammenarbeit mit diesen Ländern verbessert werden könnte, indem man ein Signal sendet, dass es unmöglich ist, dorthin [in die EU] auf illegalem Wege zu gelangen.«

Es fällt übrigens auf, dass gerade US-amerikanische Medien von dem Geschehen berichten (neben Politico  auch ABC News ) – vielleicht aber auch mit einem Gedanken an die eigene Südgrenze. 

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Kommentare ( 46 )

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Sabine W.
2 Jahre her

Ich sehe das Problem der Litauer nicht. Die Leute, die dort ankommen, sind doch schon am nächsten Tag auf dem Durchmarsch nach Almanya. Insofern verstehe ich nicht, worüber Litauen sich jetzt genau beschweren sollte. Dort wird niemand bleiben, es dient schlimmstenfalls als Transitgebiet. Da braucht’s eigentlich nur ein Brötchen mit Schinken, Hausmacher Mett oder Leberwurst für die Wegzehrung der Karawane von Ost nach West. Eins pro Nase – und schon ist man weg in Richtung Land der Goldenen Kacheln. Und DAS wird man doch selbst in Litauen noch hinkriegen, oder?! Sagte ich übrigens bereits, dass ich unter Einfluss des ‚Polemik-Virus“… Mehr

Theadoro
2 Jahre her

Wie kann sich ein Staat von etwas unter Druck setzen lassen, was er schon seit langem selbst praktiziert und fördert? Es wäre doch nur ein Bruchteil mehr Einwanderung als wir jetzt schon in Deutschland haben! Für uns Deutsche doch nur peanuts, oder? Das schaffen wir in der Zwischenzeit auf einer Arschbacke. Also Lukaschenko, nur zu!

Johann Thiel
2 Jahre her

Jedenfalls habe ich immer meine helle Freude, wenn jeder dahergelaufene Westentaschendiktator mit den feigen und hinterhältigen EU-Schranzen die Molli macht. Diese verlogene Heuchlerbande weigert sich aus lauter Selbstgefälligkeit und pseudomoralischer Überheblichkeit die eigenen Grenzen und damit ihre Bürger zu schützen. Lassen sich lieber erpressen und setzen ihre Bürger Gewalttätern aus aller Welt aus. Klar macht Lukaschenko das aus seiner Sicht einzig Richtige, diesen EU-BlödmännerInnen zu zeigen wo der Hammer hängt. Und das muss offenbar solange geschehen bis sich die Europäer dazu entschließen sich von dieser Schmarozer-Organisation EU zu befreien. Dann werden auch die Grenzen wieder geschützt.

Korner
2 Jahre her

Erdogan baut sein Kalifat mit deutschen Steuergeldern auf. Genaugenommen gehört die Türkei schon lange dem deutschen Steuerzahler. Die Türken dürfen sie nur nutzen. Einen Kriminellen, der sich das Land als Clanchef zu eigen gemacht hat, wird mit unseren Steuergeldern bei Laune gehalten, anstatt ihm den Finger zu zeigen und die Grenze anständig zu sichern. Merkel ist eine einzige Versagerin, eine Pleite für unser Land.

Michael Theren
2 Jahre her

Mich wundert, daß es jemand wundert, daß sich US-Medien damit beschäftigen….
Ryan Air scheint die neue „Air America“ zu sein und nach Polen, Litauen, (wenn Merkel weg ist demnächst) Ukraine und Georgien muß in anbetracht der direkten und unmittelbaren Bedrohung der Nato durch Rußland (1,2 Billionen gegen 70 Milliarden Rüstungsetat ist schon frech) unbedingt auch Weißrußland der Nato beitreten und durch die Finanzindustrie demokratisiert werden….
Der Lebensstandard der „normalen“ Menschen ist in Weißrußland jedenfalls (noch) eher höher als in Litauen, was ja nun gar nicht geht….

Michael Theren
2 Jahre her

An Lukaschenko gibt es vieles zu kritisieren….aber die Ryan Air Maschine wurde definitiv nicht abgefangen….ich hoffe derAutor hört und sieht sich einmal den Original- (und unwidersprochenen) Funkverkehr an….

Enigma
2 Jahre her

Diktator? Er wird seit 25 Jahren mit 70-80% der Stimmen (unter OSZE-Beobachtung) demokratisch gewählt und auch die eurokratische Thot-Regebogenrevolution 2020 gegen ihn schlug fehl, eben weil er einen Großteil des Volkes hinter sich hat.

giesemann
2 Jahre her

Menschen werden ein immer besseres Druckmittel, horribile dictu. Sie sind eben auch zu leicht gemacht und überleben allzu häufig, daher wertloser denn je. Sollte sich jede/r überlegen, wenn er/sie/es selber welche macht. TE zu „Migration …“ vom 8-7-21
 

199 Luftballon
2 Jahre her

Es ist schon ein komischer Diktator, der seine eigene Bevölkerung in „Pandemiezeiten“ NICHT zwingt, Maske zu tragen, sich überall unaufgefordert registrieren zu lassen, keinen psychischen Zwang zur Impfung auszuüben. Das scheint neuerdings das Kriterium einer Demokratie zu sein, was man Diktatoren immer unterstellt: Zwang auszuüben. Das nennt man im Übrigen Orwell’schen Neusprech. Nun ja, Weißrussland ist sicher nicht die lupenreine Demokratie, und Wahlfälschung in gewissem Maße wird es auch gegeben haben. Das hätte der Westen ja gerne feststellen können, hätte er die OECD zur Wahlüberwachung nach Weißrussland geschickt. Wohl wissentlich, dass man nicht gar so viel davon werde finden können,… Mehr

AlexR
2 Jahre her

Und die EU knickt wie immer wieder ein. Weil sie eine rein bürokratische Organisation ist und nur auf dem Papier besteht. UvdL wird wichtig tun und nichts erreichen.