Midcat-Pipeline: Gas aus dem Maghreb für Deutschland?

Die 2019 aufgegebene Pipeline Midcat soll womöglich doch fertiggestellt werden, um Gas aus Nordafrika bis nach Deutschland fließen zu lassen. Spanien, das sich in der Energiekrise geschickt positioniert hat, wäre der große Gewinner.

IMAGO / ZUMA Press
Gas-Förderung im Süden Algeriens

Pedro Sánchez liebt diesen Moment, wenn er mit seinem perfekt sitzenden Anzug und seiner athletischen Figur vor die ausländische Presse treten kann. Besonders wenn deutsche Parteifreunde ihn einladen, kann er seinen Kritikern zuhause zeigen: „Schaut her, ich kann auch mit den schwierigen Deutschen.“

Sánchez, der fließend Englisch und Französisch spricht, hat bereits mehrfach bewiesen, dass er ein perfekter internationaler Gastgeber ist, genauso wie sein Vorgänger und interner Parteikritiker Felipe González, der Spanien in den 1970er und 80er Jahren in die EU geführt hat, aber am Ende in verschiedene Korruptionsskandale verwickelt war. Der inzwischen sehr behäbige González macht keinen Hehl daraus, dass er kein Fan von Sánchez ist. Beide Sozialdemokraten haben jedoch eines gemeinsam, glaubt der Spezialist für internationale Beziehungen an der spanischen Universidad Europea, Frederic Mertens de Wilmars: „Sie wissen, wie sie das meiste aus der EU für sich rausholen. Spanien hat dem deutschen Steuerzahler viel zu verdanken, unter anderem sechs LNG-Terminale, die das Land nun in die Lage versetzen, in Brüssel Vorschläge einzubringen, die auch für sie von enormem wirtschaftlichem Nutzen sind.“

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Sánchez, der als erster dem Aufruf der Deutschen folgte und sein Land per königlichem Dekret trotz vieler Proteste aus der Opposition zum Energiesparen zwang, profitiert davon, dass Spanien mit seinem ausgeglichenen Energie-Mix derzeit sogar zu viel Strom und Treibstoff auf Lager hat. „Wir haben 35 Prozent der LNG Terminals in Europa und bekommen Gas aus vielen verschiedenen Ländern, können derzeit aber nicht alles exportieren, weil die Verbindungen fehlen,“ klagte der Premier bei seinem letzten Besuch in Berlin, wo er als erster spanischer Politiker auf Schloss Meseberg zu einer deutschen Kabinettsitzung eingeladen war. Dort forderte er eine Reform des europäischen Energiemarktes. Das „Merit-Order-Prinzip“, nach dem die teuerste Stromquelle als Preisreferenz für andere Energien gilt, soll eventuell abgeschafft werden. Dafür soll das 2019 aufgegebene Midcat-Projekt, das aufgrund seiner hohen Kosten und des bisher niedrigen russischen Gaspreises bisher wenig rentabel schien, wieder auf den Tisch.

Midcat soll von der EU finanziert werden

Als Midcat wird die fehlende Gas-Verbindung zwischen Frankreich und Spanien bezeichnet. Vom katalanischen Hostalric bis ins französische Barbaira müssen noch 226 Kilometer an Rohren verlegt werden, um einen Transport vom Maghreb bzw. den spanischen Häfen nach Deutschland oder Frankreich zu ermöglichen. Auf jeder Seite sind das ungefähr 100 Kilometer. Eine Gas-Verbindung Frankreichs und Deutschlands nach Italien, das mit Algerien eine Erhöhung der Gaslieferungen aushandeln konnte, gibt es bereits. Sánchez will, dass das Projekt bis zur EU-Präsidentschaft Spaniens im Juli 2023 steht. „Die Kosten betragen jedoch sicherlich mehrere Milliarden Euro,“ sagt Mertens. Und die Deutschen hätten mit Nord Stream 2 schon ein solches mit öffentlichen Mitteln finanziertes Projekt in den Sand gesetzt. Der Maghreb sei ein ähnlich instabiler Partner wie Russland, warnt er.

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Dennoch will Spanien daran festhalten und bittet erneut die EU, die Kosten zu übernehmen. „Die Iberische Halbinsel würde aus der energetischen Isolation mit dem Rest Europas gerissen und hätte die Chance, eine komplett neue Industrie aufzubauen. Allerdings nur, wenn über die Pipeline auch grüner Wasserstoff transportiert wird,“ sagt Mertens. Neben der Finanzierung ist unklar, bis wann Midcat operativ sein könnte. Frankreich, das schon 2019 das Projekt wegen der Instabilität Algeriens abgelehnt hatte, spricht von Jahren. Spaniens Regierung glaubt, es könnte in acht Monaten stehen.

Spanien hat nicht ideologisch, sondern pragmatisch gehandelt

Sánchez hat derzeit gegenüber Frankreich und Deutschland einige Asse in der Hand. Die Strom- und Spritpreise dort sind vergleichsweise moderat dank einer durchgeboxten preislichen Trennung des iberischen Strom- und Gasmarktes, was Brüssel nur genehmigt hatte, weil Portugal und Spanien bisher wenig Energie exportieren. Am spanischen Großhandelsmarkt wurde die Megawattstunde im August 2022 für durchschnittlich 154,89 Euro gehandelt, 67 Prozent unter dem Niveau des deutschen Marktes und 69 Prozent niedriger als in Frankreich. Auch einschließlich der Kosten der „iberischen Lösung“, steht Spanien derzeit wesentlich besser da als Deutschland, das immer mehr industrielle Investitionen verliert wegen der hohen Energiepreise. Zudem ist Spaniens Energiemix seit 20 Jahren nachhaltiger als der deutsche: Kohle spielt de facto keine Rolle mehr, Nuklearenergie wurde zurückgefahren. Erneuerbare Energien, hier vor allem Hydraulik, machen dagegen fast bereits 50 Prozent des Stromverbrauchs aus, weswegen Spanien auch einer der EU-Hauptproduzenten von grünem Wasserstoff ist.

Die Übergewinnsteuer macht Sinn

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Sánchez hat den Deutschen auch gezeigt, wie Energieunternehmen vom Spekulieren abgehalten werden können. Seine Regierung führte trotz Protesten der Betroffenen die Übergewinnsteuer ein. Denn für Spaniens Wirtschaft ist die Transformation auf Grün unternehmerisch sehr verlockend, alle Konzerne profitieren von dem Hype um Wasserstoff und Elektroautos. „Viel ist klar undurchdachtes Greenwashing,“ sagt Mertens. Konzerne wie Acciona, Enagás, Iberdrola, Repsol und Naturgy bilden den Kreis der Hauptbegünstigten von Sánchez‘ Politik, die in Teilen durch 70 Milliarden Euro Direkthilfen aus Brüssel im Rahmen der Next Generation Fonds finanziert wird. Der auch in Deutschland sehr aktive Windenergieriese Iberdrola unterhält 2,5 Stunden von Madrid entfernt, in Puertollano, die größte grüne Wasserstoffanlage für industrielle Zwecke in Europa, deren Investition sich auf 150 Millionen Euro belaufen. Die Fabrik besteht aus einer 100 Megawatt starken Photovoltaik-Solaranlage und einem Lithium-Ionen-Batteriespeichersystem. Schon im vergangenen Jahr sollte der Betrieb beginnen, aber noch fehlen die Gelder aus Brüssel. Jetzt wurde der Oktober als Start angepeilt.

Fraglich ist aber noch, wie das Gas aus der Mitte Spaniens dann nach Deutschland kommt, per Midcat oder per Schiff? Nachfragen beim spanischen Gasnetzbetreiber Enagás oder bei Iberdrola können keine Klarheit bringen. Auch geopolitisch könnte der Midcat-Plan nach hinten los gehen. Derzeit gibt es von Algerien zwei Pipelines nach Spanien, eine direkt und eine, die über Marokko führt, derzeit aber kein Gas nach Europa exportiert, weil Algerien nicht will, dass der wegen Gebietsstreitigkeiten in der Westsahara verhasste Nachbar wirtschaftlich davon profitiert. Hier ist noch einige Überzeugungsarbeit notwendig, damit diese dauerhaft Frieden miteinander schlieβen und die EU nicht mehr mit wilden Drohungen unter Druck setzen. Nur wenn diese Länder sich demokratisieren, dürfte gesichert sein, dass weniger Menschen über den Strom von Gibraltar nach Europa kommen und die radikale Islamisierung Afrikas gestoppt werden kann. „Am Midcat hängt viel mehr als nur Gas und das wissen alle, die mit der Idee spielen,“ sagt Mertens.

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Kommentare ( 19 )

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Stefferl
2 Jahre her

Na, ein paar Infos lässt der Autor aber auch weg. So investieren deutsche Konzerne – z.B. die Stadtwerke München – gewaltig in spanische Solarparks. Darunter z.B. Photovoltaikparks, als auch Anlagen, bei denen Spiegel das Sonnenlicht bündeln und über thermische Verfahren dann Strom gewonnen wird. Dafür kann der Konzern dann in Deutschland Greenwashing betreiben und behauptet, daß der deutsche Strom ökologisch verträglich gewonnen werde. In Wirklichkeit hat sich dadurch der deutsche Strommix natürlich überhaupt nicht geändert. Kurz: Der dumme deutsche Kunde finanziert den Spaniern mit seinen Zusatzabgaben tolle umweltfreundliche Solarparks. Leider ist diese Art des Greeenwashings erlaubt. Dabei ist es nichts… Mehr

Mausi
2 Jahre her

Von welchen Ländern werden wir denn eigentlich für den Weiterbetrieb von AKWs abhängig? Woher kommt z. B. der „Brennstoff“? Ist Personal ein Problem? Oder Ersatzteile? Mich würde mal eine Landkarte der Gaspipelines interessieren. Mitsamt der Fliessrichtung des Gases. Kann die so einfach geändert werden? Es muss ja wohl Pipelines von F nach D geben. Denn was sollte D sonst ein Midcap bis nach F nützen. Und bisher ist die Fliessrichtung wohl von Russland über D nach F. Oder sind diese Vermutungen falsch? Ich stelle nur fest, kein normal arbeitender Mensch mit Freizeitwünschen hat Zeit und Lust, sich in diese Dinge… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Mausi
Orlando M.
2 Jahre her

Das hat Spanien aber süß ausgeklügelt, erst stellen wir deren Pipelines mit unserem Geld fertig und dann zahlen wir dafür satte Durchleitungsgebühren an Spanien.
Das Beste daran ist, unsere Politiker sind derart dumm, dass die sich glatt darauf einlassen.
Nach dem Motto: „Ich liefere dir gern ein Auto aber zuerst hast du meine Blechpressen, Drehmaschinen, Fräsen, Schweißgeräte, Büroausstattungen etc. zu finanzieren, das Auto wird dadurch für dich auch nicht günstiger.“

hoho
2 Jahre her
Antworten an  Orlando M.

Na ja der Russe hat selbst gebaut und schauen wir was damit passiert ist: das Geld ist weg, die Anlage verfault am Meeresboden und Gas lassen die Deutschen dadurch nicht fließen auch wenn da andere Parteien dabei Gas haben wollten.
Wer den gesunden menschen Verstand hat lässt den Deutschen bluten nicht weil sie reich sind, sondern weil sie dermaßen verblödet sind, die Grundlage des westlichen Zivilisation: die Rechtssicherheit zu zerstören und auch sehr laut zu verkünden, wie stolz sie sind, das getan zu haben.

Malte
2 Jahre her
Antworten an  Orlando M.

Nein, die lassen sich nicht darauf bzw. werden sie den tatsächlichen Anschluss (also den „letzten Meter“) soweit wie möglich herauszögern. Man wird es nicht zulassen, dass die Zerstörungsagenda von so einer Pipeline ausgehebelt wird.

H. Priess
2 Jahre her

Kohle spielt de facto keine Rolle mehr, Nuklearenergie wurde zurückgefahren. Erneuerbare Energien, hier vor allem Hydraulik, machen dagegen fast bereits 50 Prozent des Stromverbrauchs aus, Da mußte ich erstmal google bemühen was unter Hydraulik bei der Energiegewinnung zu verstehen ist und siehe da, Wasserkraft! Warum schreibt Frau Müller das nicht einfach? Ähnliches ist mir mal bei einem Artikel über die Energieproduktion Schwedens aufgefallen, da war von 90% regenerative Energien gesprochen dabei einfach Atomstrom mit Wasserstrom zusammen adddiert. Da uns das Wasser bald bis Oberkante Unterlippe stehen wird sind wir auf jeden Kubikmeter Gas angewiesen und wir zahlen jeden Preis. In… Mehr

Bambu
2 Jahre her

Spanien verbraucht aus den unterschiedlichsten Gründen weniger als die Hälte von dem was in Deutschland verbraucht wird.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/348345/umfrage/primaerenergieverbrauch-in-europa-nach-laendern/
Hinzu kommt, dass Spanien die Sonnenenergie wesentlich verlässlicher nutzen kann. Der Satz aus dem Artikel ist insofern ein klassisches Beispiel dafür, wie man Äpfel mit Birnen vergleicht.

Mayor Quimby
2 Jahre her

Interessante Zahlen:

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/182175/umfrage/struktur-der-bruttostromerzeugung-in-spanien/

Mich würde mal interessieren, wo die 13% Wasserkraft herkommen im „trockenen“ Spanien bei „nur“ 10% solar. Kernenergie: 22%!

Zum Vergleich in Deutschland 2021 (aus destatis)

Windkraft 19,3%, Wasserkraft 3,2% ! Biomasse 7,6%, Photovoltaik 8,5%

https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Energie/Erzeugung/Tabellen/bruttostromerzeugung.html

In den 7,6% aus Biomasse ist wohl auch Biogas mit etwa 6% vertreten, das größtenteils direkt aus Nahrung (Mais) gewonnen wird und uns noch auf die Füße fallen wird wie Biosprit, sobald die Konkurrenzsituation eskaliert ist.

Last edited 2 Jahre her by Mayor Quimby
RMPetersen
2 Jahre her

„Pipeline Midcat soll womöglich doch fertiggestellt werden“ Ja, womöglich. Meine persönliche Prognose wäre allerdings, dass wir Deutschen in spätestens 3 Jahren die Northstream 2 in Betrieb haben und russisches Gas zu akzeptablen Preisen kaufen. Nach jedem Krieg gibt es wieder geschäft zwischen den vorigen Gegnern. Auch zwischen dem kommunsitsichen Vietnam und den Amis kamen nach wenigen Jahren die Geshäfte in Gang. (Zu NS2: Es kann natürlich auch sein, dass diese 10-Mrd-€-Investition dmonstrativ in die Luft gejagt wird, „with little help from our friends“ aus Übersee. Grün-Roten wird das gefallen, sie freuen sich ja auch über jedes emissionsrme AKW, das unwiederbringlich… Mehr

Kassandra
2 Jahre her

„Und die Deutschen hätten mit Nord Stream 2 schon ein solches mit öffentlichen Mitteln finanziertes Projekt in den Sand gesetzt.“ Tja. Wobei das, liest man wiki, so nicht stimmt. Dort findet man: „Wintershall Dea (Deutschland), Engie (Frankreich), OMV (Österreich), Shell plc (Grossbritannien/Niederlande) und Uniper (Finnland) hatten sich als Darlehensgeber an der Finanzierung des Pipeline-Projekts beteiligt. Nach dem Ende von Nord Stream 2 mussten die fünf Konzerne mehrere Milliarden Euro abschreiben.“ Und: „Bundeskanzler Olaf Scholz hat aufgrund eines zu diesem Zeitpunkt zu erwartenden russischen Überfalls auf die Ukraine entschieden, das Zertifizierungsverfahren zur Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zu stoppen. Dies kündigte Scholz… Mehr

Autour
2 Jahre her

Schön immer mal wieder was von anderen Ländern zu hören. Die Spanier sollten höllisch aufpassen was sie sich da antun! Die Kohle haben sie schon fast komplett abgeschafft Atomstrom gibt es auch nicht mehr und wenn in Deutschland die Lichter ausgehen dann kann Spanien auch einpacken, denn dann finanziert keiner mehr diese Grünen Luftschlösser und Spanien steht wieder mal dumm da!

bkkopp
2 Jahre her

An den EU-Fördermitteln, auch für Spanien, ist Deutschland erheblich beteiligt. Ich glaube nicht, dass man deshalb sagen kann, dass Spanien die LNG-Terminals dem deutschen Steuerzahler verdankt. Es kann wohl auch nicht stimmen, dass NS-2 aus öffentlichen Mitteln bezahlt worden sein soll, auch wenn die beteiligten europäischen Unternehmen ihre Beteiligung wegen Nichtinbetriebnahme steuermindernd abschreiben mußten. Den größten Schaden hat aber wohl Gazprom. Wie der Hinweis auf die Politisierung des Gastransit von Algerien über Marokko zeigt, kann auch Algerien ein unsicherer Kantonist sein. Auf eine Demokratisierung von Algerien und Marokko würde ich nicht warten wollen. Wir brauchen trotzdem Gas aus Niedersachsen, auch… Mehr