Von Südfrankreich über Brüssel bis Griechenland: Bauern blockieren Straßen und Verkehrsachsen

Von Südfrankreich über Spanien bis nach Griechenland stehen Traktoren quer, in Brüssel muss die Polizei das EU-Viertel abriegeln. Während die Bauern gegen die EU, gegen Mercosur, neue Lasten und blockierte Zahlungen aufbegehren, gerät eine ohnehin stark angezählte Ursula von der Leyen an immer mehr Fronten immer stärker unter Druck.

picture alliance / ZUMAPRESS.com | Giannis Papanikos

Europa erlebt wieder einen Bauernaufstand; nur ohne Pathos, dafür mit Straßensperren, Mautblockaden und abgeriegelten Regierungsvierteln. In Brüssel zünden die Lichter im EU-Gebäude, davor reihen sich Traktoren, während Hunderte Polizisten den Zugang zum politischen Schaltzentrum der Union kontrollieren. Auslöser ist nicht ein einzelnes Gesetz, sondern ein ganzes Bündel: das geplante Freihandelsabkommen zwischen EU und Mercosur, neue Eingriffe in die Gemeinsame Agrarpolitik und eine zusätzliche Düngemittelsteuer. Dazu kommt in Frankreich der Ausbruch der Lumpy-Skin-Krankheit bei Rindern – die Keulung ganzer Herden ist für viele Bauern zum Symbol geworden, wie tief die Schere zwischen Bürokratenpapieren und Hofrealität inzwischen klafft.

Bauernproteste
Während tausende Landwirte aus Frankreich nach Brüssel fahren, versucht die Kommissionspräsidentin ihren eigenen Fahrplan durchzuziehen. Ursula von der Leyen wollte das Mercosur-Abkommen am liebsten schon am Samstag beim Gipfel in Brasilien unterschreiben lassen. Benötigt hätte sie dafür eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten – die sie nicht bekam, weil Frankreich, Polen und Italien auf die Bremse traten. Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni bat den brasilianischen Präsidenten ausdrücklich, die Unterzeichnung zu verschieben. Die Atempause ist also kein Entgegenkommen der Kommission an die Bauern, sondern das Ergebnis politischen Widerstands in den Hauptstädten.

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Von der Leyen kündigte den Staats- und Regierungschefs an, das Thema im Januar erneut auf den Tisch zu legen. Dass die Wut auf den Straßen deshalb verschwinden würde, ist illusorisch. Mercosur ist nur Teil des Problems. In ganz Frankreich und in Brüssel protestieren Bauern, weil sie sich zwischen Seuchenbekämpfung, Freihandel und neuen Auflagen eingeklemmt sehen. Die Lumpy-Skin-Krankheit unter Rindern – in den Amtsstuben als „noduläre Dermatitis“ geführt – bedeutet für die Höfe, dass Herden getötet werden, während auf EU-Ebene über zusätzlichen Importdruck aus Südamerika verhandelt wird.

Die belgischen Behörden reagierten entsprechend nervös. Die Demonstration von Copa-Cogeca, der Lobbyorganisation, die sich selbst als „vereinte Stimme der Landwirte und Agrargenossenschaften in der EU“ bezeichnet, legte das Europaviertel faktisch lahm. Der Bereich, der bei Gipfeltreffen normalerweise abgesperrt wird, wurde deutlich ausgeweitet, der Innenstadtverkehr per Auto weitgehend unmöglich gemacht, Bereitschaftspolizei in Stärke von Hunderten Beamten aufgefahren. Erst am Ende griff die Polizei ein. Bis dahin blieb der Protest mit 7.300 bis 10.000 Teilnehmern offiziell „friedlich“. Auch Taxifahrer und Transporter unterstützten die Landwirte bei ihren Protesten.

In Madrid demonstrierten rund hundert Landwirte und Viehhalter aus Extremadura, Katalonien, Kastilien-La Mancha und Asturien vor der Vertretung der EU-Kommission gegen die geplanten Kürzungen der Gemeinsamen Agrarpolitik und das Mercosur-Abkommen. Aufgerufen von der Bauernorganisation Unión de Uniones kündigten sie für den 11. Februar bereits die nächste Eskalationsstufe an: eine große „Tractorada“ mit bis zu 1.500 Traktoren in der Stadt, sollte Brüssel an einem um 22 Prozent zusammengestrichenen Agrarbudget und dem Freihandelsdeal festhalten.

Noch deutlicher zeigt sich der Bruch zwischen EU-Politik und Agrarrealität in Griechenland. Dort blockieren Bauern und Viehzüchter nicht nur symbolisch Ortsausfahrten, sondern seit Tagen und Wochen zentrale Verkehrsadern. Auf der Ionia-Odos-Autobahn bei Aggelokastro steht der Verkehr am 16. Tag in Folge still, in Achaia ist der große Ring von Patras – Teil der Olympia-Odos – seit 14 Tagen dicht. In Nordgriechenland ist die Nationalstraße Athen–Thessaloniki an den Mautstellen bei Nea Malgara in beide Richtungen gesperrt, der Zugang zum Flughafen „Makedonia“ wird für eine ganze Woche gekappt und auf Umleitungen verlagert.

Bauernproteste
Die Bauern in Aetolien-Akarnanien planen einstündige Vollsperrungen am Abend, in Ilia blockieren sie Knotenpunkte wie Pyrgos und gleich mehrere Abschnitte der alten Nationalstraßen. In Larissa beschließen Versammlungen der Bauern, den Tempe-Tunnel für Lastwagen zu schließen und nur noch Autos und Busse durchzulassen. Dadurch wird der Lkw-Verkehr direkt in den Protest einbezogen – lange Kolonnen vor den Sperren gehören inzwischen zum gewohnten Bild. Das ist keine Randnotiz, sondern die kontrollierte Stilllegung eines ganzen Landesverkehrsnetzes.

Trotzdem demonstrieren die Bauern, dass sie Rücksicht nehmen. Nicht, weil Brüssel darum bittet, sondern ihren eigenen Leuten zuliebe. In Griechenland sollen zu Weihnachten einzelne Fahrspuren geöffnet werden, Bauernverbände kündigen an, von Dienstag bis Freitag Autobahnen zeitweise frei zu geben, um den Feiertagsverkehr nicht völlig zum Erliegen zu bringen. Der Rückhalt der Menschen und der Zuspruch für die Bauern ist immens wichtig, das wissen auch die Landwirte. In Patras, Patras–Tripoli, Korinth–Patras, an der Selinounta-Brücke, an Mautstellen wie Klokova oder Oraiokastro: Überall wird blockiert, geöffnet, wieder blockiert.

Der Hintergrund ist nüchtern: In Griechenland setzen Bauern seit Wochen Traktoren ein, um Autobahnen zu sperren, weil Entschädigungen und Subventionszahlungen nicht fließen. Die Verzögerungen hängen an einer Untersuchung der Agrarbehörde OPEKEPE, die prüfen soll, ob Flächen- und Viehbestandsmeldungen gefälscht wurden, um EU-Gelder zu kassieren. Während also Brüssel unter dem Banner „Rechtsstaatlichkeit“ die eigene Zahlstelle durchforstet, warten die Betriebe auf Geld, das sie längst eingeplant haben – und fahren ihre Traktoren auf die Autobahn statt aufs Feld.

So treffen sich zwei Welten: Drinnen die Kommission, die trotz offenkundigem Widerstand einen Freihandelsvertrag mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay durchpeitschen will, draußen die Bauern, deren Realität aus gekeulten Herden, blockierten Straßen, eingefrorenen Zahlungen und neuen Abgaben wie einer geplanten Düngemittelsteuer und erstickender Bürokratie besteht. Die eine Seite spricht von „Handelschancen“ und „Modernisierung der Agrarpolitik“, die andere quittiert diese Worte mit Konvois und Straßensperren.

Wer jetzt noch behauptet, es handele sich um ein paar „lokale Unmutsbekundungen“, hat die Landkarte nicht verstanden. Wenn von Südfrankreich über Brüssel bis zu den Brücken, Tunneln und Mautstellen Griechenlands dieselbe Gruppe rebelliert, dann steht nicht ein Einzelgesetz zur Debatte, sondern das gesamte Verhältnis der EU zu denen, die ihre Felder bestellen. Und Ursula von der Leyen muss sich fragen lassen, ob sie diesen Aufstand der Höfe als Störgeräusch auf dem Weg zum nächsten Freihandelsvertrag betrachtet oder als letzte Warnlampe eines Systems, das seine eigenen Grundlagen unterspült.

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Kommentare ( 3 )

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Haba Orwell
1 Stunde her

> Und Ursula von der Leyen muss sich fragen lassen, ob sie diesen Aufstand der Höfe als Störgeräusch auf dem Weg zum nächsten Freihandelsvertrag betrachtet oder als letzte Warnlampe eines Systems, das seine eigenen Grundlagen unterspült.

Ihr ist egal, was die Untertanen denken. Bei Bedarf erklärt sie alle zu „Putins Agenten“ mit dem administrativen Entzug sämtlicher Rechte, Ersparnisse und Einkünfte – wie beim Oberst Baud.

Steuernzahlende Kartoffel
1 Stunde her

Für eine seit Jahren miese Politik ist das alles noch viel zu billig. Zensursula machts letztlich wie Lügen-Merzel, erkauft mit Geld das sie nicht hat ihre(n) Macht(erhalt). Wenn ich als Otto-normal-EU-Bürger einen Traktor hätte, ich hätte mich schon dazu gesellt.

prague
1 Stunde her

Gut so, die Bauern sind nicht so feige, wie wir es sind. Die machen was gegen die Zerstörer, diese EU Zerstörer wissen schon gar nicht, was sie noch zerstören können, aber Menschen, die Lebensmittel produzieren zu zerstören ist Gipel der Unmoral und Bösheit. Waffen können wir nicht esen und das ist das einzige was diese Monster fördern.