„Dramatischer Personalmangel“

Oberstaatsanwalt Ralph Knispel ist Chef der Vereinigung Berliner Staatsanwälte. Im Interview mit TE erklärt er, warum die Aufklärungsquote von Straftaten in der Bundeshauptstadt seit Jahren stark sinkt und die Taten krimineller Großfamilien dort so schwer geahndet werden können.

© Alexander Wallasch

Dringenden Handlungsbedarf mahnte der Berliner Oberstaatsanwalt Ralph Knispel 2017 an, wenn man der Kriminalität in der Hauptstadt noch etwas entgegensetzen wolle. Knispel attestierte Erschreckendes: Eine vollständig funktionierende Strafrechtspflege sei nicht mehr vorhanden. „Wir haben es nicht fünf vor, sondern mittlerweile fünf nach zwölf.“ Die wachsende Zuwanderungskriminalität ist 2018 kein wohlgehütetes Geheimnis mehr, die politisch Verantwortlichen gestehen Fehler ein. Ralph Knispel spricht in seiner Funktion als Vorsitzender der Vereinigung Berliner Staatsanwälte e. V. (VBS) über die aktuelle Lage.

Alexander Wallasch: Die Medien berichten aktuell, „Wie kriminelle Araber-Clans die Stadt beherrschen“. Gehören Sie auch zu jenen, von denen die Zeitung schreibt: „Es gibt intime Kenner dieser Dinge, die sagen: Berlin ist verloren, die Clans haben gewonnen“?

Ralph Knispel: Tatsächlich ereignen sich im Umfeld krimineller und vielfach arabischer Großfamilien zahlreiche – darunter schwerwiegende – Straftaten, die zur Verunsicherung der Bevölkerung führen und die Berliner Polizei vor teilweise nicht lösbare Probleme stellen. Ob diese kriminellen Kreise die Stadt „beherrschen“, ist eine Frage der Sichtweise. Jedenfalls beherrschen Straftäter aus diesen Kreisen weite und bestimmte Teile der Kriminalität: Namentlich gilt das insbesondere für den Betäubungsmittelhandel, das Rotlichtmilieusowie in großem Umfang die sonstige organisierte Kriminalität. Auffällig sind dabei die verschiedenen Ethnien. Als besonders problematisch erweist sich die Tatsache, dass die auf kriminellem Wege erlangten finanziellen Mittel in wenigstens vordergründig legale Projekte investiert werden, die zur Mehrung des jeweiligen Vermögens führen. Insbesondere im Bereich arabischer Großfamilien befindet sich nicht unerhebliches Immobilieneigentum, das zu lukrativen Vermietungen dient. Mithin haben sich diese Großfamilien in großem Maße sowohl im kriminellen als auch im öffentlichen Leben etabliert.

Gibt es einen Austausch der Polizei und Staatsanwaltschaften mit Fachleuten für solche soziokulturellen Hintergründe? So will beispielsweise der Rechts- und Islamwissenschaftler Mathias Rohe laut „Berliner Zeitung“ wissen, dass viele der festgenommenen jungen arabischen Männer mit Stolz ins Gefängnis gehen. „Die Jungs werden zu Löwen erzogen, wie man sagt. Stolz und Ehre spielen eine große Rolle.“ Wie abschreckend ist da noch das Sanktionsmittel Strafvollzug?

In einigen Teilen Berlins treten bestimmte Bevölkerungskreise mit Migrationshintergrund der Polizei gegenüber derart auf, dass vielfach nur in größerem Kräfteansatz aufgetreten werden kann.

Die Strafverfolgungsbehörden stehen in dem jeweils erforderlichen Maße im Austausch mit verschiedenen Wissenschaftlern, mithin auch Islamwissenschaftlern. Gleichwohl sei angemerkt, dass diese Fachleute in nur geringem Umfang zur Aufklärung von Straftaten oder Überführung von Beschuldigten beizutragen vermögen.

Dass viele der zur Untersuchungshaft gebrachten Beschuldigten arabischer Herkunft ob dieser Tatsache mit Stolz erfüllt sind, entspricht nicht unserem Erfahrungsschatz. Stolz ist ihnen zwar mannigfaltig zu eigen, drückt sich indes anderweitig aus. Ihre Erziehung und Vita lässt sie sowohl bei der Begehung der Straftaten als auch im anschließenden Verlauf der Strafverfolgung überaus selbstbewusst auftreten. So trägt es sich dann auch zu, dass sie im Vollzug gegenüber Bediensteten und Mitgefangenen sehr dominant auftreten. Zudem ist für die Strafverfolgungsbehörden wahrnehmbar, dass die justizielle Ahndung keineswegs zur Ächtung, sondern eher zu Anerkennung und Bewunderung führt.

Deutscher Knast als komfortabler Aufenthalt unter Freunden und Gleichgesinnten – gar ein Familienausflug mit Vollverpflegung? Wird der Staat, wenn er das Problem lösen will, wenn Strafe wieder gefürchtet sein soll, hierzulande eine empfindliche Verschärfung der Haftbedingungen vornehmen müssen, nach dem Vorbild des Strafvollzugs in den Vereinigten Staaten?

WIE KAPUTT IST DER RECHTSSTAAT?
Berlin: Oberstaatsanwalt will Taten
Die Strafvollstreckung muss aus unserer Sicht nicht US-amerikanischen Vorbildern angeglichen, sondern es muss dem bestehenden Recht uneingeschränkt zur Geltung verholfen werden. Dazu gehört unabdingbar die angemessene personelle sowie technische Ausstattung der Vollzugsanstalten, damit die dort Beschäftigten ihrer Tätigkeit in der vorgesehenen Form nachkommen können. Personelle Defizite dürfen dort nicht herrschen und schon gar nicht zu Einbußen für die Sicherheit führen. Wenn den bestehenden Gesetzen Rechnung getragen und nicht ob des jedenfalls in Berlin dramatischen Personalmangels schwerlich vertretbare Entscheidungen getroffen würden, entspräche die Strafe auch wieder ihrem eigentlichen Sinne.

Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass die unzureichende Ausstattung bei der Justiz und den Haftanstalten nicht erst ein Phänomen der aktuellen Regierung Berlins ist; gleichwohl trägt die derzeit die politische Verantwortung und muss sich deshalb an ihrem Handeln messen lassen.

Warum ist es für die Polizei so schwer, Einblick in die Clans zu bekommen?

Die überaus klandestin agierenden Personen verfügen in großem Maße über nichtdeutsche Wurzeln und bewegen sich in Kreisen, die deutschen Strafverfolgungsbehörden schwer oder überhaupt nicht zugänglich sind; dies gilt gleichermaßen für religiöse wie sonstige Lebensformen. In den Groß­familien bestehen zudem so starke persönliche Verbindungen, dass es Fremden und insbesondere Polizeibe­amten oder Vertrauenspersonen schier unmöglich ist, sich in diese Kreise zu begeben oder sich in ihnen auf legale Weise zu bewegen.

Organisierte Kriminalität ist wohl selten auf eine Stadt beschränkt, so groß diese auch sein mag. Was weiß man über die Strukturen, wie weit reichen die Einflussbereiche dieser Gruppen über Berlins Stadtgrenzen hinaus?

Wegen der Größe der Familien, aber auch der im Lauf der Jahre entstande­nen Verbindungen beschränken sich die Aktivitäten der sogenannten Clans nicht etwa auf das Stadtgebiet, sondern erstrecken sich auf sowohl das übrige Bundesgebiet als auch das Ausland. Die der Polizei und den Strafverfolgungsbe­hörden vorliegenden Erkenntnisse zu den kriminellen Gruppierungen sind – aus unterschiedlichen Quellen ge­speist – durchaus weitreichend. Gleich­wohl ist die Justiz gehalten, strafbare Handlungen in einem der Strafprozess­ordnung und dem Grundgesetz entsprechenden Verfahren nachzuweisen. Insbesondere daran werden trotz der nicht gerichtsverwertbaren Erkennt­nisse Verurteilungen scheitern.

Inwieweit ist das alles überhaupt statistisch ausgewertet, was den Anteil an der Berliner Gesamtkriminalität und so weiter angeht? Was sind da zum Beispiel die auffälligsten Spitzen?

Statistische Erhebungen vermag die Vereinigung Berliner Staatsanwälte nicht aufzubieten; insoweit müsste auf Material entweder der Senatsverwal­tung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung oder für Inneres und Sport zurückgegriffen werden.

Nun scheint sogar eine Schwelle hin zu einer Form der allgemeinen Akzeptanz solcher kriminellen Strukturen überschritten: Eine eigene Subkultur von der Shisha-Bar bis hin zur bei Jugendlichen jeder Herkunft enorm einflussreichen Hip-Hop-Kultur mit deutsch-arabischen Wurzeln samt Verherrlichung der Berliner Clan- und Gangkultur. Vergleiche bieten sich an mit den Problemen der US-amerikanischen Großstädte und der dortigen „Kultivierung“ einer organisierten afroamerikanischen Kriminalität. Droht in Berlin ebenso eine Etablierung, bis hinein in die bürgerlichen deutschen Kinder- und Jugendzimmer?

Die Staatsanwaltschaft beobachtet mit außerordentlicher Sorge die insbeson­dere in den Kreisen junger, aber auch durchaus bürgerlicher Menschen ge­wachsene Akzeptanz von strafrecht­lich relevanten Verhaltensweisen be­stimmter Personenkreise gerade aus dem künstlerischen Bereich. Neben der justiziellen Unnachgiebigkeit bei Straf­taten bedarf es auch der gesellschaft­lichen Ächtung nicht hinnehmbaren gesetzeswidrigen Verhaltens.

Wenngleich die VBS derzeit nicht behaupten wird, Berlin sei verloren, so müssen wir dennoch feststellen, dass die Aufklärung und Strafverfolgung in erschreckendem Umfang nicht mehr sichergestellt ist. Die über viele Jahre rückläufige und im Vergleich zu ande­ren Bundesländern deutlich abfallen­de Aufklärungsquote in Berlin spiegelt dies deutlich wider. Die über einen langen Zeitraum in Berlin vollzogenen Einsparungen haben dazu geführt, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte nicht mehr in der Lage sind, ihrem verfassungsmäßigen Auftrag zu entsprechen.


Das Interview ist in Ausgabe Tichys Einblick 05/2018 erschienen >>

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Kommentare ( 94 )

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Harry Charles
5 Jahre her

TOLLES INTERVIEW, danke dafür. So sieht seriöser Enthüllungsjournalismus aus. Die Mainstreammedien versuchen die Probleme zu verschleiern, TE deckt auf. Gut, dass es noch solche Leute wie Herrn Knispel gibt!

GUMBACH
5 Jahre her

Ich sage nur Kirsten Heisig. Der Mann ist schon jetzt stark gefährdet, das kann man mit großer Sicherheit sagen. So einfach spricht man Fakten in diesem Land nicht mehr aus.

mmn
5 Jahre her

Nicht nur Berlin ist bereits verloren (bzw. jedenfalls kurz davor), sondern ganz Deutschland. Zumindest unsere politischen Entscheidungsträger (aber auch ihre Unterstützer) wollen es nur nicht wahrhaben. Um mit gewissen Erfolgsaussichten gegenzusteuern, bräuchte man neben dem politische Willen (der leider fehlt) wohl auch zweistellige Milliardenbeträge (die leider auch fehlen, da die fast schon ironischerweise ursächliche Zuwanderung finanzielle Priorität genießt, ebenso der ebenfalls ursächliche weitere Ausbau des Sozialstaats). Was soll man da noch sagen …

Doris d kl R N-satt
6 Jahre her

Der Personalmangel wird doch eher größer als kleiner werden. Die Babyboomergeneration geht in Rente/Pension – dann fehlt doch noch viel mehr Personal. Welches dann sicherlich aus den Reihen der „noch -nicht-so-lange-hier-Lebenden“ aufgefüllt werden wird. Damit dauert es nicht allzu lange (ein paar Jahre noch) dann werden diese Clans auch das Sagen im Strafvollzug und bei der Polizei haben.

Freunde, uns stehen „lustige“ Zeiten bevor

Wolfgang Wegener
6 Jahre her

Es ist meinem Eindruck nach selten geworden, dass Beamte den Mut aufbringen, Klartext zu sprechen, der dem vorhandenen Mainstream widerspricht. Insofern danke für dieses Interview, es wird auch all denjenigen gut tun, die diesen Mut nicht aufbringen, sondern nur die Faust in der Tasche ballen. Denn wer wird schon Polizist? Die Hauptmotivation dürfte sein, die Bevölkerung zu schützen, oder?

Fred Müller
6 Jahre her

Sagen wir mal so: Das mit dem Personalmangel stimmt. Dieser ist aber auch gewollt um gewisse politische Zielsetzungen zu fördern. Für die viele „Arbeit“ sind jedoch auch die Gerichte und Staatsanwaltschaften selbst verantwortlich, weil sie lieber in der Traumwelt der „Resozialisierung“ leben, statt zu bestrafen

Marcel Börger
6 Jahre her
Antworten an  Fred Müller

Es gibt keinen Plan B
Das Ziel Reso steht im StrafvollzugG, Kurswechsel nicht in Sicht, egal wie erschütternd mies die Rückfallquoten sind, zeitnah wieder im Strafvollzug zu laden.
Sie sind sehr hoch.

Man kann diese Form des Strafvollzugs seit vielen Jahren als „gescheitert“ betrachten, juckt nur niemanden in der Politik.
Reso klingt gut u human, also bleibt man dabei, egal wie mies der „Erfolg“ des Reso ist

Maskenball
6 Jahre her

Ja ja sehr nett gesprochen Herr Staatsanwalt, hilft leider niemandem. Was der Justiz fehlt, sind effektive Waffen für dieses Problem und der politische Wille zu Sicherung und effektiven verteidigung des Rechtstaats auch unschöne Bilder zu akzeptieren. Solange bei uns in Politik und vielen Behörden, die spätrömische Dekadenz vorherrscht, wird das alles nichts mehr. Die Tollwut läßt sich nund mal nicht mit gesundbeten bekämpfen. begreift das endlich.

Stefan Lanz
6 Jahre her

Herr Wallasch, danke für das Interview. Nur, die Ist-beschreibung ist jedem bewusst, wir kennen die Verhältnisse. Die viel wichtigere Frage fehlt in diesem Interview ganz: Wie will man dem entgegnen? Hierzu wäre zB ein (neues) Gesetz, ähnlich dem italienischen Mafia-Gesetz, unerlässlich. Von einem nötigem Sinneswandel in der Justiz möchte ich erst gar nicht sprechen, auch dieser wäre ebenso unverzichtbar. Darüber spricht man aber nicht, stattdessen holt man sich noch mehr dieser Leute ins Land… Irgendwann werden diese Gesetze kommen müssen, irgendwann wird es dann wieder in deren Ausführungen extrem, die Grauzonen werden unter den Tisch fallen, Differenzierung wird dann nicht… Mehr

Oblongfitzoblong
6 Jahre her
Antworten an  Stefan Lanz

Was verstehen Sie unter dem „Sinneswandel in der Justiz“? Soll eine Richterin oder ein Richter den Boden der vorgegebenen Rechtsgrundlagen verlassen, um die staatsrechtlichen und politischen kapitalen Fehler und die daraus resultierenden Fehlentwicklungen unserer Regierung zu korrigieren?

Marcel Börger
6 Jahre her

Solange „Staat“ als sozialpädagogische „Umerziehungsmassnahme“ oder „Kuschelveranstaltung“ für bunte oder vielfältige Ethnoträumereien veranstaltet und gedacht wird, wird weiter staatliche Dysfunktion gefördert. Die primäre staatliche Aufgabe ist zweifelsfrei die Gewährleistung von Sicherheit u Ordnung. Dafür reklamiert er das Gewaltmonopol für sich und erhebt Steuern, um diese Rahmenbedingungen zu gewährleisten und mit Personal und Material auszustatten. Seitdem Linksextreme über die Grünen und DieLinke „mitreden“ können, erodiert die Garantie verläßlicher Rahmenbedingungen, nimmt die Chaotisierung des Staatswesen stetig zu, bis zu dessen Funktionskolaps. Insbesondere Rotgrüne oder Rotrotgrüne Länder dürften bei der Erosion der öffentlichen Sicherheit u Ordnung Spitzenreiter sein. Gerade diese Länder betreiben lieber… Mehr

AssaModis
6 Jahre her

//Die über einen langen Zeitraum in Berlin vollzogenen Einsparungen haben dazu geführt, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte nicht mehr in der Lage sind, ihrem verfassungsmäßigen Auftrag zu entsprechen// Dem stimme ich nur zum Teil zu. Kann man es den Menschen verübeln, nicht mehr ihr Leben und ihre Gesundheit opfern zu wollen, ohne eine entsprechende politische Unterstützung? (Polizei). Kann man es Menschen verübeln, nicht mehr einer „Rechtsprechung“ folgen zu wollen, die dem eigenen Glauben und Gewissen widerspricht? (Justiz) Polizei, Staatsanwälte und Richter hatten noch nie einen besonderen Ruf, genossen aber wegen ihrer gesellschaftlichen Position noch die Achtung in der Bevölkerung. Dies… Mehr

Maskenball
6 Jahre her
Antworten an  AssaModis

Es ist das altbekannte Problem, bei Menschen die sich nur schlecht wehren könne, nutzt man schon mal gerne die ganze Härte des Gesetzes . Bei Leuten, die in der Lage sind mal eben per Handy eine 200 Mann starke Privatarmee zu mobiliesieren zieht man lieber mal den Schwanz ein. Wem solche Arbeitsbedingungen zu hart sind, der soll was anderes machen.