Immer weiter: Politik mit der Klarsicht eines Opium-Süchtigen

Vor der deutschen Wirtschaft liegen unglaublich schwere Probleme. Sie zu bewältigen kann nur mit der richtigen psychischen Grundeinstellung gelingen. Doch schon an der mangelt es den Regierenden und Journalisten im Berliner Politbetrieb.

picture alliance / Geisler-Fotopress | Bernd Elmenthaler/Geisler-Fotopr

Wie ein Verrückter läuft Oliver Kahn zur Außenlinie des Hamburger Volksparkstadions, wirft sich zu Boden, reißt die Eckfahne in die Höhe und brüllt “Immer weiter! Immer weiter!” Es ist Samstag, 19. Mai 2001, gegen 17.30 Uhr. Kahns FC Bayern München hat gerade etwas geschafft, was keiner mehr für möglich gehalten hat. Erst hinterher klärte der seinerzeit beste Torhüter der Welt auf, was dieser Erfolg mit dem Satz “Immer weiter! Immer weiter!” zu tun hatte. Es war die Einstellung, die nötig war, um das Unmögliche noch zu schaffen.

Ob ein Patient ums Leben kämpft oder ob er sich gehen lässt, wirkt sich massiv auf dessen Chancen zur Genesung aus. Die richtige psychische Einstellung kann nicht alles schaffen – aber sie ist eine wichtige Voraussetzung, um Großes zu leisten. 1945 standen die Deutschen vor einem Land, das so zerstört war wie selten ein Land in der Geschichte, doch sie waren willens, es wieder aufzubauen und schafften das in einer kaum für möglich gehaltenen kurzen Zeit. 80 Jahre später steht die Wirtschaft mit dem Rücken zur Wand wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Doch es ist genau diese Einstellung, die fehlt, um die Situation umzudrehen.

Das Statistische Bundesamt veröffentlichte am Donnerstag die neuen Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt. Die bestätigten, was kurz davor das ifo-Institut öffentlich analysiert hat: Der Geld-Umlauf stagniert in Deutschland, obwohl der Staat immer mehr Geld in diesen Umlauf pumpt. Mittlerweile finanziert durch eine nie gekannte Schuldenorgie. Erschreckend war an der Meldung nicht das Neue – sondern, dass diese Zahlen denen, die sie sehen wollen, mittlerweile eigentlich vertraut sind. Die eine Mehrheit aber achselzuckend zur Kenntnis nimmt. Auch eine Mehrheit derer, die sich eigentlich dafür verantwortlich fühlen sollten: die Politiker und die Journalisten in der Berliner Regierungsblase.

Die Wirtschaftsdaten waren dem Deutschlandfunk am Donnerstag nur eine kurze Meldung wert. Schon am frühen Abend kamen sie in den Nachrichten nicht mehr vor. Morgens um 9 Uhr – die wichtigste Sendezeit fürs Radio – war der Aufmacher eine Aussage von Ruprecht Polenz. Der Deutschlandfunk wollte wissen, wie die CDU erfolgreich Politik machen könne. Da sie keinen gefunden haben, der erfolgreich CDU-Politik machen kann, haben sie halt Ruprecht Polenz gefragt. Der war Generalsekretär der CDU. Dann ist er wegen Unfähigkeit gefeuert worden. Nach einem guten halben Jahr. Das ist 25 Jahre her. Wenn Polenz ein Experte für erfolgreiche CDU-Politik sein soll, dann ist der motzige Nachbar, der Falschparker anzeigt, der geborene Verkehrsplaner.

Ein ewig Gestriger als Top-Meldung. Stagnierendes Bruttoinlandsprodukt bei real schrumpfender Wirtschaft nur eine Randnotiz. Steigende Arbeitslosigkeit trotz immer wieder beklagten “Arbeitskräftemangel” kein Thema für eine Analyse. Eine Presseschau, in der es heißt, hierzulande werde das Geld knapp, ohne dabei die Schuldenorgie von 850 Milliarden Euro zu erwähnen. Der Deutschlandfunk webt mit seiner Berichterstattung einen gewaltigen Teppich, unter den alles gekehrt werden soll, was linke Regierungen seit Angela Merkel (CDU) an Fehlleistungen produziert haben.

Der Deutschlandfunk ist damit nicht allein. Die Berichterstattung vieler staatlicher und staatsnaher Medien ist von dem Willen geprägt, die Fehler der Regierenden zu beschönigen. Sie tun es mit dem Argument, es würde “den Falschen nutzen”, die Probleme allzu deutlich beim Namen zu nennen. Weil sie sich auf der Seite der “Richtigen” wähnen – es aber nicht zusammenpasst, wenn die Richtigen immer das Falsche tun. Die Berichterstattung von Deutschlandfunk und Co ist nichts anderes als Verdrängung. Eine psychische Grundeinstellung. Keine gesunde. Keine, mit der sich Probleme angehen lassen, die auch mit einer guten psychischen Grundeinstellung schwer zu bewältigen sein werden.

Auch unter den Politikern herrscht diese Verdrängung vor. Es fehlt immer noch die Bereitschaft, den Herausforderungen der Wirtschaft ins Auge zu sehen. Ebenso wie die Bereitschaft dazu, die Folgen zu begreifen, die eintreffen, wenn dieses Land seine Wirtschaft nicht bald rettet. Dieser Tage ließe sich jedes Politikfeld auswählen, um diese Verdrängung zu demonstrieren – in dem Fall nehmen wir das Beispiel Außenpolitik.

Volkswagen hat jüngst mit einem Stopp der Produktion gedroht, falls die Lieferkette aus China reißt. Wie wichtig der Gigant aus dem Osten Asiens mittlerweile für die Weltwirtschaft ist, ist ebenfalls nichts Neues. Umso krasser ist es, was die Bundesregierung daraus macht. Kanzler Friedrich Merz (CDU) ist schon einmal um die ganze Welt gereist, aber nicht zur Weltmacht China. Sein Außenminister Johann Wadephul (CDU) hat jüngst eine Reise nach China abgesagt und besucht stattdessen Syrien und den Libanon. Wadephul ist für Anzüge bekannt, die ihm eine Nummer zu klein sind – und für ein Amt, das ihm mehr als eine Nummer zu groß ist.

Die Außenpolitik – wie jedes andere Politikfeld auch – ist unter den Regierungen Angela Merkel (CDU), Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (CDU) von einem moralischen Rausch geprägt gewesen. Moral ist das Opium der regierenden Parteien. Es lässt sie Entscheidungen treffen, die von der geistigen Klarheit eines Morphium-Süchtigen zeugen: Wegen fehlender Übereinstimmung in der Außenpolitik auf den Besuch beim Lieferanten von Seltenen Erden verzichten – um dann nach Syrien und in den Libanon zu fahren … Ein Zug zu viel aus der Opium-Pfeife.

Wie Drogensüchtige machen sich die Regierenden etwas vor. Mit dem Aufweichen der Schuldenbremse hat Kanzler Friedrich Merz (CDU) ein Versprechen gebrochen. Das ist zum einen schlimm, weil es den Kanzler unglaubwürdig wirken lässt. Und zum anderen, weil die Verschuldung der Staaten die Saat für die nächste große Wirtschaftskrise ist. Doch ab und an brechen Politiker ihr Wort und dann sollten sie es wenigstens konsequent tun. Doch wie Drogensüchtige ihre Sucht nicht zugeben wollen, will selbst ein offenkundig Wortbrüchiger wie Friedrich Merz nicht als offenkundig Wortbrüchiger dastehen. Deshalb hat seine Regierung das Aufweichen der Schuldenbremse mit Regeln versehen, die den Wortbruch kaschieren sollen – aber zu noch absurderen Ergebnissen führen.

Mit den 850 Milliarden Euro neuer Schulden ist jetzt genug Geld da, um allein im Saarland 120 Millionen Euro für Schwimmbäder auszugeben. Die Regeln des “Sondervermögens” geben das her. Gleichzeitig erneuerte Merz’ Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) seinen Hinweis – entgegen den Beteuerungen seines Kanzlers – dass eben nicht genug Geld für alle wünschenswerten Projekte da sei. Die Regeln des “Sondervermögens” setzen dem Fachminister Grenzen.

Die Regeln des “Sondervermögens” sind ein großer Selbstbetrug. Sie dienen nicht rational sinnvollen Ergebnissen, sondern der Lüge vor der Nation und vor sich selbst, nicht abhängig von Schuldengeld zu sein. Verdrängung ist typisch für Suchtkranke. Verdrängung ist keine psychische Einstellung, mit der die enormen wirtschaftlichen Probleme anzugehen sind.

Keines dieser Probleme ist unbekannt. Für jedes ließen sich in kritischen Medien wie diesem zahllose Beiträge finden, in denen sie beschrieben sind: das rückläufige Niveau von Schulabgängern. Die Einwanderung von Hilfs- statt Fachkräften. Bestenfalls. Die Alterung der Gesellschaft. Die absurde Bürokratie. Verschärft durch ein Bürokratiemonster in Brüssel, das gruseliger ist als alles, was an Halloween auf der Straße zu sehen ist. Der Abzug von Kapital. Die fehlende Fähigkeit, Erfindungen in Produktion zu verwandeln. Alles und noch viel mehr bekannt. Die Erkenntnisse sind da. Wer sehen will, kann sehen. Doch eben die Bereitschaft zu sehen, fehlt im Berliner Politikbetrieb. Bei Regierenden ebenso wie bei den Vertretern staatlicher und staatsnaher Medien.

Am 19. Mai 2001 brauchte Bayern München nur einen Punkt in Hamburg, um dort am 34. Spieltag die Deutsche Meisterschaft einzufahren. Schon am 32. und am 33. Spieltag benötigten sie Tore in den letzten Minuten, um die Chance auf den Titel am Leben zu halten. Da lag Schalke 04 noch vor den Bayern. In dieser ausweglosen Situation impfte deren Trainer Ottmar Hitzfeld den Spielern um Kahn die Parole ein: “Immer weiter! Immer weiter!” Nicht aufgeben, auch wenn es zwecklos erscheint.

Am 34. Spieltag scheitern die Bayern immer wieder an der bärenstarken Abwehr der Hamburger. Also verlegen sie sich darauf, das Unentschieden und somit den einen nötigen Punkt zu halten. Doch in der 90. Minute trifft der Hamburger Torjäger Sergej Barbarez zum 1:0. Schalke ist Meister. Wie soll Bayern jetzt noch ein Tor gelingen? Doch Kahn hat nur einen Satz im Kopf: “Immer weiter! Immer weiter!” Also puscht er die anderen nach vorne, die erzwingen einen Freistoß und eine Ewigkeit nach Ablauf der regulären Spielzeit verwandelt Patrick Anderson diesen Freistoß zum 1:1. Bayern ist Meister. Immer weiter! Immer weiter!

Die Probleme der deutschen Wirtschaft sind gewaltig. Egal, wie groß der Deutschlandfunk seinen Teppich noch webt. Es ist kein Platz darunter, sie zu verstecken. Und auch mit der richtigen Grundeinstellung wird es schwer, diese Probleme zu lösen. Doch ohne sie wird es unmöglich. Wenn die Regierenden das Opium der Moral nicht zur Seite legen und die damit verbundene Verleugnung beenden, werden die Folgen dramatisch. Wer das abwenden will, darf auch in der dunkelsten Stunde einen Satz nicht vergessen: Immer weiter! Immer weiter!

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Kommentare ( 26 )

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Theophil
14 Tage her

Als die Männer der Wehrmacht aus den Kriegsgefangenenlagern heimkehrten, waren ihre Frauen schon dabei, die noch brauchbaren Ziegel aus dem Schutt zu bergen. Sie hatten keine Wahl. Als ich jetzt im Urlaub war, sah ich viele junge Ukrainer und Ukrainerinnen. Sie haben eine Wahl: in Deutschland zu bleiben und Bürgergeld zu beziehen oder ihr Land wieder aufzubauen. Muss ich mich anstrengen und einschränken, um ihnen diese Wahl zu ermöglichen?

Ohanse
15 Tage her

Das „Immer weiter“ gilt natürlich nicht für Friedrich Merz. Der muss raus.

Jerry
15 Tage her

Ich muss sagen, dass mir das mittlerweile alles am Allerwertesten vorbei geht. Ich zucke auch nur noch mit den Achseln und denke mir: „Na und?“. Einerseits weil ich mir denke, dass das deutsche Volk es größtenteils verdient hat, diese Regierung und die damit verbundenen Probleme zu haben. Es fehlt offenbar die nötige Intelligenz um zu erkennen, wem sie diese Probleme zu verdanken haben. Andererseits ist es mir auch deshalb egal, weil ich als ungeimpfter „Schädling“ sowieso nicht mehr dazu gehöre. Denn anders als die meisten Mitbürger, habe ich mir sowas gemerkt. Mir geht es jedoch gut. Gesundheitlich und finanziell! Die… Mehr

DDRforever
15 Tage her
Antworten an  Jerry

Wie recht Sie haben. Die Masse der BRD Bürger hat uns beschimpft und wie Aussätzige behandelt. Solidarität mit diesen Leuten kann und darf es nicht geben. Die BRD geht unter und ich freu mich darauf.

Privat
15 Tage her

80 % der dummen Wähler wollten sie haben – diese Figuren.
Jetzt ärgert euch doch und bezahlt auch noch für deren irren Blödsinn.

Silverager
8 Tage her
Antworten an  Privat

Leider müssen die 20% Vernünftigen diesen Irrsinn ebenfalls bezahlen.

Legolas
15 Tage her

„1945 standen die Deutschen vor einem Land, das so zerstört war wie selten ein Land in der Geschichte, doch sie waren willens, es wieder aufzubauen und schafften das in einer kaum für möglich gehaltenen kurzen Zeit.“ – und die Sieger des Weltkrieges vertrieben zudem noch 14 Millionen Deutsche aus den von ihnen okkupierten deutschen Gebieten in das total zerstörte Restdeutschland. Und heute hält es eine lächerliche deutsche Regierung für unmöglich, auch nur 1 Million uns hier auf der Tasche liegende Syrer zum Wiederaufbau in ihre Heimat zurückzuführen. Und nun sage mir Verschwörungstheoretiker noch jemand, dass dahinter kein Plan und keine… Mehr

Silverager
8 Tage her
Antworten an  Legolas

Es ist Absicht. Pure bösartige Absicht. Anders ist der Wahnsinn nicht zu erklären.

Dundee
15 Tage her

„Politik mit der Klarsicht eines Opium-Süchtigen“
Kokain ist es – nicht Opium. Der Rest stimmt.

Ohanse
15 Tage her
Antworten an  Dundee

Och, schauen Sie sich doch einfach mal die bekannten politischen Morphinisten der Geschichte an, dann ist der Vergleich sehr schön böse.

ShaundasSchaf
15 Tage her

Ich gehe bei der jetzigen und den vorhergehenden BRD-Führungen unter Merkel und Scholz nicht davon aus, daß sie unwissentlich und aus Dummheit so handeln bzw. handelten. Zu auffällig ist für mich die Tatsache, daß in jedem Politikfeld die für Deutschland jeweils schlechteste Möglichkeit, zu handeln, ausgewählt wird. Diese Zerstörung muß aus irgendeinem Grund nachhaltig sein: -Bildung -Energie -Migration -Gesundheit -Umwelt -usw. Alles dies wurde und wird, wo noch nicht vollständig geschehen, voll vor die Wand gefahren. Und zwar so gründlich, daß ein wirklich erfolgreicher Wiederaufbau immer mehr verunmöglicht wird, je länger dieses Regime seine zerstörerische Agenda weiter vorantreibt. Eine Umkehr… Mehr

tane
15 Tage her

Für unsere Grünen Sozialisten läuft doch alles wie geplant: Degrowth, kann man von Ulrike Hermann TAZ bei Interesse erklärt bekommen.

Freigeistiger
15 Tage her

Die AfD weiß wie jeder halbwegs vernünftige Mensch was zu tun wäre, um Deutschland wieder in die Spur zu bringen. Dem aber verweigert sich das globalistische Parteienkartell, weil es eben von der „Schwefelpartei“ verlangt wird.
Man müßte ja die vielen Irrtümer und Fehler seit Merkel eingestehen. Das geht gar nicht, lieber lassen sie das Land den Bach runtergehen.
Das ist natürlich völlig unverantwortlich und die Frage ist, wie lange eine Mehrheit unserer Bürger dabei noch mitmacht.

Jerry
15 Tage her
Antworten an  Freigeistiger

Die Bürger werden das immer und immer wieder mitmachen, die sind schlicht zu doof. Denen erzählt man was von Brandmauer, Wannseekonferenz, Remigration, Nazis, Spionage für Onkel Putin, dringend benötigte Fachkräfte verlassen Deutschland usw. und dann wählen sie so wie schon immer. Das kommt davon wenn man zuviel ÖRR schaut.

Bronstein
15 Tage her

Wir haben nicht 1945, sondern eher 1941. Damals hieß es auch „weiter so!“. An ein Umkehren war nicht zu denken. Weihnachten gab es Pearl Harbour mit Kriegserklärung an die USA.
Es gibt auch viele Ähnlichkeiten mit 1933.

Last edited 15 Tage her by Bronstein