Paradox: Eine Partei von Sahra Wagenknecht hilft der Ampel

Die Grünen fühlen sich von Sahra Wagenknecht gekränkt, weil sie diese als gefährlichste Partei im Bundestag bezeichnet hat. Dabei würde kein anderer so von einer Wagenknecht-Partei profitieren wie die Grünen.

IMAGO / Rainer Unkel
Sahra Wagenknecht redet bei einer Wahlkampfkundgebung in Bonn , 23.09.2021

Die wichtigste Waffe des Kindes von Helikopter-Eltern ist der traurige Blick. Der lässt emotional unausgelastete Mütter zur Hochform auflaufen. Bei Grünen ist die wichtigste Waffe die eigene Opfer-Inszenierung. In keiner Rolle fühlt sich die 80er-Partei so wohl wie in der des einsamen, unverstandenen Weltverbesserers, der in einer Welt von Feinden ungerecht angegriffen wird. Der Spruch Sahra Wagenknechts (Linke, noch), sie seien die gefährlichste Partei im Bundestag, ließ sie die Maschine anwerfen – die übliche grün-rote Medienlandschaft übernahm in der Inszenierung die Rolle der Helikopter-Mutter.

Dabei müssten eigentlich die Vertreter der Ampelparteien an ihren Fingernägeln kauen und zitternd hoffen, dass Sahra Wagenknecht ihre Ankündigung wahr macht und eine eigene Partei gründet. Denn das könnte die Ampel stabilisieren. So wie Rot-Grün schon einmal von einer Schwäche der Linken, damals noch PDS, profitierte: 2002 schien die Wiederwahl aussichtslos und war so knapp, dass sich CSU-Kandidat Edmund Stoiber in der Wahlnacht zwischenzeitlich sogar als Sieger feiern ließ. Doch eine Verlängerung von Rot-Grün wurde möglich, weil die PDS von 5,1 auf 4,0 Prozent fiel und auch mit Hilfe der Direktmandate nicht in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen konnte.

Neugründung 1
Die Wagenknecht-Partei: Potenzial ja, gute Chancen nein
Die Linke könnte jetzt auch die entscheidende Rolle spielen, wenn es darum geht, die Ampel zu stabilisieren. Schon jetzt sitzt sie nur noch dank der umstrittenen Wahl in Berlin im Bundestag, von der TE exklusiv berichtete, dass sie aus rechtlicher Sicht wiederholt werden muss. Käme eine Wagenknecht-Partei, würde diese die Linken die wenigen Stimmen kosten, die sie heute noch über Wasser halten. Fallen sie aus den Parlamenten raus, muss die Ampel nur noch stärker als Union und AfD zusammen sein. Das ist schon eher machbar.

Zumal eine Wagenknecht-Partei auch ins Wählerlager der AfD einbrechen würde. Die hat in ihrer Geschichte meist davon profitiert, dass die anderen Parteien Themen nicht mehr besetzen, die den Bürgern durchaus wichtig sind: Wer verlangte, dass nur ins Land kommen darf, von dem wir wissen, wer er ist, galt als rechts. Wer innere Sicherheit forderte, etwa dass einem auf U-Bahnhöfen keine Angriffe drohen, galt als rechts. Wer eine harte Bestrafung der Täter solcher Angriffe forderte, galt als rechts. Wer sein Gehalt behalten und nicht damit die Welt retten wollte, galt als rechts. Wer fragte, ob es schlau sei, das E-Auto zu subventionieren, wenn ein Strommangel droht, galt als rechts. Die Liste ist lange nicht vollständig.

Die AfD bot den großen Mengen eine Heimat, die solche Positionen richtig finden. Auch wenn mit 8,5 Milliarden Euro Zwangsgebühren finanzierte Staatsmedien sie anderes zu lehren versuchten. Manche Wähler schreckte die innere Verfassung der AfD ab, noch mehr das völkische Lager, das sich um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke bildet. Andere nahmen das in Kauf, weil sie für sich die innere Sicherheit höher werteten. Für diese Wähler wäre die Wagenknecht-Partei eine echte Alternative.

Medien statt Wahlen
Wer auf Grün macht, gibt den Grünen alle Macht
Derzeit ist allerdings die AfD noch die Anlaufstelle für diejenigen, die mit der Ampel unzufrieden sind – und denen die Oppositionspolitik der CDU unter Friedrich Merz zu mutlos ist. Wähler, die das politische Chaos der Ampel abschreckt: Etwa die „Gas-Umlage“, die Robert Habeck über Nacht einführt, selbst in Frage stellt, wieder abschafft, aber als „hilfreich“ in Erinnerung behalten wissen will. Wähler, die sehen, dass die verträumte Weltverbesserungspolitik, erst von Angela Merkel (CDU) und jetzt von Olaf Scholz (SPD), in den wirtschaftlichen Ruin führt. Dass ein reiches Land seit 70 Jahren zum ersten Mal darüber diskutiert, ob es im Winter noch genug Strom haben wird. Und auch Wähler, die eine Politikerklasse satt sind, die Moral predigt und sich selbst unmoralisch verhält. Die „Europas strengste Corona-Regeln“ einführt, aber sich selbst im Regierungsflieger, im Bierzelt auf dem Oktoberfest oder als Staatsoberhaupt in der Bahn maskenlos inszeniert.

Die Linke hat bisher bundesweit ein Wählerpotenzial von 5 bis 9 Prozent. Bei der AfD waren es um die 10 Prozent. Eine Wagenknecht-Partei würde die Linken über die Klippe schubsen. Die AfD würde zumindest deutlich schwächer von der Protest-Stimmung profitieren als bisher. Je nachdem, wie gut sich eine Wagenknecht-Partei etablieren kann, könnte deren Stimmenzuwachs an die Substanz gehen. Zumal die AfD auch einen Schwung an Funktionären an Wagenknecht verlieren würde, die den Laden am Laufen halten. Wahrscheinlich wäre ein Verharren der AfD bei 10 Prozent oder etwas darunter. Es sei denn, die innerparteilichen Zustände kommen noch stärker ins Rutschen. Dann wäre auch ein haltloser Fall der AfD möglich.

Fällt die Linke aus dem Bundestag, muss die Wagenknecht-Partei über 5 Prozent kommen. Tut sie das nicht, verlängert sie die Regierung der Ampel. Die braucht dann nur mehr Stimmen als Union und geschwächte AfD zusammen. Das ist machbar. Eine Verlängerung der Ampel über 2025 würde dann deutlich wahrscheinlicher, als es jetzt scheint.

Neugründung 2
Eine Wagenknecht-Partei würde die Linke zerschmettern
Allerdings hat das Szenario aus Sicht der Ampel eine Schwachstelle: die FDP. Auch die droht 2025 an der Fünfprozenthürde zu scheitern. Statt liberale Politik zu machen, betreibt die FDP Opposition in der Ampel. Das heißt: Ihr Chef Christian Lindner erzählt auf Twitter und bei Maischberger, wie liberale Politik aussehen würde, macht sie aber nicht. In der Corona-Politik ist die FDP untergangen. Sie hat das Ende der Maßnahmen versprochen und „die strengsten Regeln in Europa“ geliefert. Bezeichnend ist die Sprachregelung, mit der die FDP versucht hat, diese Niederlage zu kaschieren: „Ohne uns wäre alles noch schlimmer gekommen.“

Das ist die Rolle der FDP in der Ampel: „Ohne uns wäre alles noch schlimmer gekommen.“ Der Wähler der Liberalen soll sich also auf den Deal einlassen: Hilf uns, die Ampel zu verlängern. Mit der wird zwar alles noch schlimmer, aber dank uns nicht noch schlimmer als noch schlimmer. Wie viele sich auf diesen Deal einlassen wollen, haben die Wahlen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und dem Saarland gezeigt. Immerhin hat Lindner seine Erfolgsbilanz verdoppelt: Zur Verhinderung des Tempolimits ist noch eine Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke gekommen. Um dreieinhalb Monate.

Fällt auch die FDP – angesichts dieser überschaubaren Erfolgsbilanz – 2025 aus dem Bundestag, müsste Rot-Grün mehr Stimmen als Union und AfD zusammen auf sich vereinen. Das wäre ein spannender Wettbewerb. Vor allem, wenn es der Wagenknecht-Partei überraschenderweise gelingen würde, sich zu etablieren und doch über 5 Prozent zu holen.

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Kommentare ( 78 )

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Bad Sponzer
1 Jahr her

So sehr ich Sahra Wagenknecht schätze, aber wieviele Linke Parteien wollen wir noch in diesem lande, ausser der FDP, CDU, SPD, Grüne, Linke, KPD, DKP, die Partei? Hab ich welche vergessen? Diese land hängt so weit nach links, dass es schon abgestürzt ist, nach links. Wir brauchen mehr Gewicht nach rechts!

Mocha
1 Jahr her

Wenn Frau Wagenknecht die Frauke Petry und Herrn Bosbach dazu holen könnte, wäre das auf jeden Fall eine interessante Partei.

Klaus M.
1 Jahr her

So lange die meisten Wähler ihr politisches Weltbild aus ARD, ZDF, und grünenfreundlichen Konzernmedien (vom SPIEGEL und der „SZ“ bis zur Holtzbrinck- und Madsack-Presse) beziehen (und so lange die vielen Nichtwähler zu Hause bleiben) , hätte eine neue Partei mit Wagenknecht an der Spitze bei Wahlen keine echte Chance. Käme sie in die Parlamente, würde sie ebenso ausgegrenzt wie die blaue Oppositionspartei

LiKoDe
1 Jahr her

Aus der Erfahrung mit der Sammlungsbewegung Aufstehen können sowohl Sahra Wagenknecht als auch andere Linke nur den Schluss ziehen, dass es für eine linke Parteigründung kein Bedarf gibt. Der personelle, organisatorische und finanzielle Aufwand ist einfach zu gross. Da sich nun die künftige Wahlbeteiligung als auch die weltanschauliche Ausrichtung der dann wahlberechtigten Bürger nicht voraussehen lässt, täte man sich damit zusätzlich keinen Gefallen.

Horst Johnson
1 Jahr her

Die AfD würde kaum Stimmen verlieren, bei einer Wagenknecht Neugründungspartei. Der Großteil der Stimmenverluste würde SPD und Altparteien betreffen. Langfristig ergeben sich für die AfD damit aber mehr Chancen als Risiken. Die AfD hätte endlich einen unverbrauchten Koalitionspartner und könnte das Land somit erneuern. Wagenknecht und Weidel würden weite polit.Teile Deutschlands abdecken. Nichts wäre desolater für die AfD, als mit den verwesenden Altparteien auch nur den Gedanken zu verschwenden zu koalieren oder zusammenzuarbeiten. Die Partei sollte auch bei Parteimandaten eine Brandmauer aufbauen gegen alle ehemalg. Merkel und Scholz, Lindner und Grün Anhänger. Die Zerwürfnisse der letzten Jahre, das Spaltungsgerede, gehen… Mehr

H. Priess
1 Jahr her

Eine neue Partei gegen die nationale Einheitsfront der Parteien im Bundestag? Schon jetzt ist die Übermacht gegen die einzige Oppositionspartei AfD fast 10:1, was soll da noch eine Partei? Diese Prozentrechnerei ist sinnlos denn die Leute wählen nicht rational welches sich mit Prozentzahlen erfassen läßt. So kam die Schwesig in MV im letzten Jahr auf über 30 %, auf ihren Wahlplakaten stand nicht mal die Partei für die sie kandidierte. Aber sie ist ja so nett, so menschlich und hat ihre Krebserkrankung hinter sich gebracht. Leute wählten nicht die FDP, weil sie so toll fanden was die wollten sondern, weil… Mehr

Arndt Schuster
1 Jahr her

Sicher, Frau Wagenknecht spricht einige Wahrheiten aus, die sich sonst nur die Afd traut (Herr Merz hat soviel Rückgrat, um sofort zurückzurudern). Meines Erachtens hätte eine Wagenknecht-Partei im Osten wenig Chancen, denn hier wählen viele die AfD aus Überzeugung, mithin in weitreichender Übereinstimmung mit dem Programm der AfD. Die immer wieder betonten „Protestwähler“ sin zumindest im Osten in der Minderheit!

chino15
1 Jahr her
Antworten an  Arndt Schuster

Ich wäre mir da nicht so sicher. Viele im Osten (ich stamme selbst aus Sachsen) sind von der Linkspartei zur AfD gewechselt. Sie können mit Klima- und Gender-Gaga nicht viel anfangen und sehen es auch nicht ein, dass deutsche Steuergelder an die ganze Welt verteilt werden. Aber im Herzen halten sie nicht viel von Freiheit und Eigenverantwortung und sind immer noch Anhänger von Umverteilung und Planwirtschaft. Für sie wäre eine Wagenknecht-Partei eine echte Alternative zur AfD, wie ich in persönlichen Gesprächen heraushören konnte. Das größte Potential für Wagenknecht sehe ich allerdings bei denen, die enttäuscht von CDU, CSU, SPD und… Mehr

Arndt Schuster
1 Jahr her
Antworten an  chino15

Ich stamme übrigens ebenfalls aus Sachsen, lebe jetzt allerdings in Thüringen. Es sind doch gerade die Fehlentwicklungen der DDR, vor allem die desaströse Planwirtschaft, die die Ex-DDR-Bürger noch in unguter Erinnerung haben. Sie war verantwortlich für die katastrophale Wirtschaftslage, den Verfall der Innenstädte, die Schleifung der Umwelt usw. Es ist also, betrachtet man z.B. die Energiewende und die einseitige Förderung der E-Mobilität, eine Wiederkehr der Planwirtschaft im neuen Gewand, was uns im Osten aufmerken lässt und auf großen Widerstand stößt.

Thomas Hellerberger
1 Jahr her

Ich habe hier schon mal geschrieben, daß ich eine „Wagenknecht-Partei“ für überflüssig halte. Ja, sie hätte – theoretisch – ein Potential in der Größe des Sockels der AfD, also 6 bis 10 Prozent, im Osten wiederum deutlich mehr, als im Westen. Das entscheidende Problem bleibt die mangelnde Anschlußfähigkeit. Wo wollte die WP – nennen wir sie mal so, andocken? Welche Medien würden sie unterstützen? Das Reservoir aus Sozialpatrioten ist nicht endlos, denn sehr schnell hätte sie die gleiche interne Debatte, die schon die AfD seit 2015 lähmt: wie sozial (also links) und wie patriotisch (also völkisch im Sinne von Mario… Mehr

Babylon
1 Jahr her
Antworten an  Thomas Hellerberger

In der Tat wäre die Anschlußfähigkeit einer Wagenknechtpartei als linkspatriotische Kraft an das übrige Spektrum der Parteien in Hinblick auf mögliche Koalitionen sehr gegrenzt, genau wie das bei der AfD der Fall ist. Die Merz-CDU ist genau so fixiert auf die grüne Partei, wie die Merkel – CDU, da Merz mit Günther und dessen Genossen wie Wüst u.s.w. die grün-schwarze Koalitionen bevorzugen zurecht kommen muß. Alternativ ist immer eine große Koalition CDU/SPD. Die Wagenknecht-Partei genau wie die AfD bleiben solange isoliert, wie sie nicht die 20% Marke, wie die Grünen momentan, überschreiten. Dann würden allerdings die Karten neu gemischt, wie… Mehr

Rasio Brelugi
1 Jahr her

Ja, ja, das „völkische Lager“ in der AfD. Immer wenn vom deutschen Volk die Rede ist, wird das als „völkisch“ diffamiert. Das habe ich, wenn von anderen Völkern dieser Welt gesprochen wird, noch nicht erlebt.
Wann wird eigentlich das Grundgesetz völlig über Bord geworfen? Da ist nämlich auch (insgesamt sieben Mal !) vom Volk bzw. vom deutschen Volk die Rede.

Aqvamare
1 Jahr her

Eine Parteineugründung steht und fällt mit dem ÖRR; lädt der ÖRR in die Talkrunden, wird diese Partei auch über 5% kommen.

Tut der ÖRR dies nicht, dann droht das Schicksal aller anderen Sonstigen, die bei 1-2% festhängen, ohne Aufmerksamkeit von Wähler in der Breite zu bekommen, da schlicht unsichtbar für diese.