Merkel – die Retterin der freien Welt?

"Ich arbeite daran" ist Angela Merkels wiederkehrende Botschaft. Nun will sie noch vier weitere Jahre "daran" arbeiten. Hoffen wir, dass wir nach über einem Jahrzehnt einmal konkret erfahren werden, woran die Dame denn so unermüdlich arbeitet.

Screenshot: ARD/Anne Will

Die Floskeln, die Versatzstücke und gelegentlich offensichtliche Unwahrheiten der Koalitionspolitiker und ihrer Sympathisanten in der Opposition bleiben dieselben, auch wenn die Bürger sie längst durchschaut und die Wirklichkeit sie schon lange widerlegt hat. Die Floskelredner im Political-Correctness-Talk aber haben das anscheinend noch gar nicht bemerkt. Ihre eigenen Worte und Plattitüden klingen ihnen selber so angenehm in den Ohren, dass sie sie immer wieder hören möchten. Sie haben auch noch nicht bemerkt, dass einige sich längst von Deutschland verabschiedet haben und nun ihre nicht unerheblichen Steuern woanders zahlen. Oder dass andere schon lange nicht mehr den Nerv haben zuzuhören. Sprüche wie „Der Islam gehört zu Deutschland“, „Deutschland ist bunt“, „Wir sind eine offene Gesellschaft“ und „Die NATO ist eine Wertegemeinschaft“ erzeugen Wut im Bauch.

Dass die „Populisten“ nur „einfache Antworten“ auf komplexe Fragestellungen hätten, gehört zu den immer wieder geäußerten Anschuldigungen. Von Volksvertretern mit einem so hohen Anspruch kann man erwarten, dass sie ihrerseits mit komplexen Argumenten und Antworten aufwarten, um ihren eigenen hohen Standards zu entsprechen.

Sehen wir uns deshalb doch mal an, welche Antworten denn nun die Chefin der Sprücheklopfer, Frau Merkel, auf wichtige Fragen hat. Das erste Beispiel entstammt einem Interview, das die Kanzlerin dem Blogger LeFloid im Sommer 2015 gab. In einer seiner Fragen ging es um ihre Meinung zu Whistleblowern, zur Digitalisierung und zur NSA.

NSA, Digitalisierung – Antwort auf LeFloid

Frau Merkel; Ich finde, dass man da nach einem Modus vorgeht, als wenn der Zweck sozusagen alle Mittel heiligt. Ich finde im Übrigen, dass das, was man an Informationen aus so was rauskriegt, echt nicht der Sache wert ist, dass man dafür so viel abhört. Da gibt es gravierende Unterschiede zwischen uns und den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich weiß auf der anderen Seite als Bundeskanzlerin: Wir sind auf die Zusammenarbeit mit anderen angewiesen, und ich weiß theoretisch, ohne dass ich’s beweisen kann, dass sicherlich die Amerikaner nicht die Einzigen sind, die mal gucken, was so gesprochen wird auf der Welt. Aber ich sag‘ noch mal, die Bundesrepublik ist auch ein großes Land, und ich glaube, dass wir mit unseren Freunden gut verhandeln können, ohne dass wir vorher haufenweise Informationen abhören.

Für manche scheint sich das sogar ganz nett anzuhören, auf andere wirken die Erklärungen der Kanzlerin wie ein – zurückhaltend ausgedrückt – unbeholfener Gesprächsbeitrag bei einem Familientreff. So schreibt denn auch ein Kommentator unter das Youtube-Video: „Irgendwie war die Merkel in dem Interview richtig knuffig. Wie so eine Großmutter.“

Weitere Beispiele stammen aus dem halbstündigen Anne-Will-Interview vom 20. 11. Das war der Tag, an dem die Kanzlerin ihre erneute Kandidatur für eine vierte Amtszeit bekannt gab. Vielleicht hat die verwirrende Antwort auf das NSA-Digitalisierung-Problem noch nicht so ganz überzeugt, aber bei dem Anne-Will-Gespräch geht es nun darum, was sie uns für ihre neue Amtszeit anbieten will. Frau Will fragt sie nach ihrem Wahlprogramm.

Wahlprogramm – „Maß und Mitte“

Frau Merkel: Wir arbeiten daran und werden dann ja auch mit der CSU gemeinsam ein Wahlprogramm machen. Das wird sich in Veränderungen der sozialen Sicherungssysteme, z.B. bei der Rente abspielen. Das wird sich mit der Frage abspielen, wie können wir lebenslanges Lernen besser absichern. Das wird für Familien die Frage beinhalten, wie kann ich z.B. Wohneigentum erwerben, damit ich auch in Städten, wo das schwierig ist, besser klar komme. Das spielt sich in der Frage ab, wie kann ich betriebliche Renten und private Vorsorge besser fürs Alter garantieren, damit wir hier nicht in Altersarmut gehen. Das ist die Frage, wie kann ich alleinerziehenden Familien helfen im Zeitmanagement. Und auf all diese Fragen haben wir schon Antworten oder erarbeiten welche. Da mach‘ ich mir keine Sorgen. Es geht doch mehr im Augenblick auch in unserer Gesellschaft neben den Sachfragen, die wir alle behandeln müssen, auch um die Frage, ob Politik es hinbekommt – das, was wir Zusammenhalt der Gesellschaft nennen. Also Stadt und Land. Ältere und Jüngere. Die, die vor kurzem gekommen sind mit denen, die schon länger bei uns leben. Die Fragen der Religionsfreiheit, die Fragen der Sicherheit, der inneren Sicherheit. Kann ich hier sicher leben und frei leben – diese Fragen zu beantworten. Und das glaube ich, da haben wir gute Angebote.

Welche, bekommen wir nicht mitgeteilt. – Man muss aus dem Gesagten schließen: Die „Populisten“ haben wenigstens „einfache Antworten“. Die Kanzlerin hat anscheinend gar keine. Aber vielleicht wären die Antworten so komplex, dass man sie „denen, die schon lange hier leben“ besser gar nicht erst zumutet. –  Weiter geht’s mit dem von Anne Will angesprochenen Verdruss der Bevölkerung am Establishment.

„Dem Deutschen Volke“?

Frau Merkel: Ich hab‘ eine Stimme unter allen Wahlberechtigten, und ich bin mit Mehrheiten gewählt worden, die mir politische Gestaltung ermöglicht haben. Deshalb finde ich, jeder kann sich einbringen. Aber dass nur die, die „nein“ sagen und die kritisieren, jetzt plötzlich das Volk sind. Und alle anderen, die jeden Tag zur Arbeit gehen und nicht ganz so viel kritisieren – oder kritisieren und Lösungen einbringen, dass die plötzlich nicht mehr das Volk sind, und dass irgendwo dazwischen die Elite beginnt, das will ich für mich nicht annehmen.

Im Zweifrontenkampf
Merkels Populismus der Mitte - Kurze Bilanz zum langen Abschied
Die, die kritisieren und „nein“ sagen, wollten (unverschämterweise) plötzlich das Volk sein, sagt sie also. Und sie kann nicht hinnehmen, dass die, die „jeden Tag zur Arbeit gehen“ und „nicht ganz so viel kritisieren“, nicht mehr das Volk sein sollen. So muss man ihr Urteil wohl interpretieren. Dabei hatte sie am Anfang des Interviews gesagt, sie trete auch wieder an, weil sie sich die Frage gestellt habe: Kann ich etwas tun für den Zusammenhalt in einer polarisierten Gesellschaft. Und da glaube ich, dass ich sowohl von der Tonalität etwas tun kann. Wir wollen nicht hassen uns gegenseitig, sondern wir wollen miteinander diskutieren wie Demokraten diskutieren. Und ich glaube, dass ich in der Sache gute Argumente habe. Und Wahlkämpfe sind ja auch Möglichkeiten, mehr mit den Menschen zu diskutieren als in anderen Zeiten.

Dass sie die Polarisierung selber verursacht hat und ihr das Diskutieren „wie Demokraten miteinander diskutieren“ erst jetzt – nach 11 Jahren – in den Sinn kommt, fällt Frau Will vielleicht auch auf. Als sie fragt; „Warum sollte Ihnen in den nächsten Jahren gelingen, was Ihnen bislang nicht gelungen ist?“ da kommt die Kanzlerin plötzlich auf die AfD zu sprechen, die ja doch sehr stark polarisiere. Ablenken, nicht antworten, Merkel.

Was ist Merkels Subtext?

Was läuft da in ihr ab? Wo ist der rote Faden? Bei gutem Zuhören schimmert da etwas durch, was sie nicht raus lässt, nicht raus lassen darf. Ein Subtext. Anders kann man die vielen Widersprüche und Gedankensprünge nicht erklären. In der Psychologie nennt man das eine Fragmentierung von Sinnzusammenhängen, eine Narration mit Lücken. Und da Frau Merkel dazu auch noch derart unbeholfen im freien Ausdruck ist, fällt das noch mehr auf.

Die Frau, die sich als Kanzlerkandidatin alternativlos gemacht hat, die in Europa immer isolierter da steht, steht als Verteidigerin der „Werte“ nun ohne den amerikanischen Freund da, der nach den letzten Lobhudeleien und einem letzten Briefing über den großen Teich entschwunden ist und bald von dem Mann abgelöst wird, der erst noch (von ihr) lernen muss, was Demokratie überhaupt bedeutet. Ihr, die Europa und die deutsche Gesellschaft gespalten hat wie niemand zuvor, wird nun eine Schlüsselrolle als Widerstandskämpferin zugemessen? „Merkel als Trump-Bändigerin?“ fragt denn auch Georg Löwitz, Chefredakteur der taz. Und die New York Times titelt: „As Obama Exits World Stage, Angela Merkel May Be the Liberal West’s Last Defender“.

Merkel hat diese ihr zugeteilte Rolle angenommen und muss nun hart „dran arbeiten“, das alles zu „schaffen“. Aber sie hat mächtige Unterstützer in Politik und Wirtschaft, die auf sie setzen. Und sie freut sich auf die Aufgabe, wie sie Anne Will erzählt. Nur ganz zum Schluss konzediert Merkel: Es gibt vielleicht auch Menschen, die haben sich gefreut, dass ich nicht wieder antrete. Das kann ich mir auch vorstellen.

Die Kanzlerwürde ist ihr zum Glück nicht als Erbe zugefallen. Die Bürger – also die, „die schon lange hier leben“, haben jetzt das Wort.

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