Tichys Einblick
"Grenze überschritten"

Bauern, die Verfassungsfeinde? – Die seltsame Ansprache von Robert Habeck

In einem 11-Minuten-Video spricht Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sichtlich nervös zu den Bauernprotesten: über „Demokratiefeinde“, „Rechtradikale“, gar „Umsturzversuche“. Obwohl er behauptet, den Bauern ihr Protestrecht zuzubilligen, stellt er es so in einen rechtsradikalen Kontext.

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Die deutschen Bauern sind wieder da. Und das punktgenau 500 Jahre nach dem Ausbruch des Deutschen Bauernkrieges, der 1524 in Südwestdeutschland seinen Ausgang nahm. Vielleicht ist es dieser sonderbare Zufall, der so manchen Politiker bereits zusammenzucken lässt. Die CSU-Landesgruppe und die Niedersachsen-SPD haben sich bereits auf die Seite der Landwirte gestellt. Bekanntlich stellte sich auch der erzreaktionäre König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 1848 auf die Seite der Revolutionäre und versprach das Aufgehen seines Königreichs im Nationalstaat, gegen dessen liberale und demokratische Konzeption er sich sein Leben lang gewehrt hatte.

Doch auch hier geht die Ampel in der Form von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) neue Wege. In einer elfminütigen Ansprache spricht er sich zu den Bauernprotesten aus. Wie schon bei Israel mimt der Minister den Ersatzkanzler. Dabei geht es ihm – trotz Ankündigung – eigentlich mehrheitlich nicht um die Geschehnisse des heutigen Tages. Habecks Ansatz ist prinzipieller.

Es geht die Anekdote, dass Kaiser Ferdinand seinen wichtigsten Berater Metternich beim Blick auf das protestierende Volk auf dem Vorplatz gefragt haben soll, was dort vor sich ginge. Auf Metternichs Antwort „Die machen Revolution“ soll der Kaiser gesagt haben: „Ja, dürfen die das denn?“ Habecks Worte dagegen lassen darauf schließen, dass er nicht einmal vom Balkon gesehen hat. Nach einer kurzen Vorrede fasst Habeck zusammen: Der Bauernverband wolle heute seinem „Ärger“ Luft verschaffen, andere Gruppen schlössen sich an. „Das ist ihr Recht“, sagt der Minister.

Den Schwarzen Peter für die Unruhen schiebt Habeck jedoch der Union zu: Diese hatte schließlich beim Bundesverfassungsgericht gegen den Haushalt geklagt und damit Einsparungen erzwungen. Dass es letztendlich aber Sache der Bundesregierung und nicht der Opposition ist, einen gesetzeskonformen Haushalt vorzulegen, klammert Habeck aus; ebenso wie den Umstand, dass es ebenfalls Sache der Bundesregierung ist, wo und wie sie einspart. Sie muss erklären, warum Milliarden für die „Transformation“, internationalen Klimaschutz und andere ideologische Eigenprojekte wichtiger sind als das Wohl und Wehe der Bauern. Das erklärt Habeck trotz Sendung-mit-der-Maus-Ton nicht.

Dann die Wende. Habeck erklärt, dass es ihm heute um „etwas anderes“ ginge. Hinter den Protesten stünde mehr als die jetzigen Regierungsentscheidungen. Damit hat Habeck nicht einmal Unrecht – ganz ähnlich, wie es auch bei den Corona-Demonstrationen vor zwei Jahren häufig nicht nur um die Maßnahmen ging, sondern um einen damit zusammenhängenden Politikstil und die großen Linien der Regierungspolitik als solcher. Proteste, Rebellionen und Revolutionen brechen aus Anlässen aus, haben aber stets tiefere und breitere Ursachen als ein Einzelereignis. Die Wut der Bauern ist nicht neu: Schon unter Schwarz-Rot rollten die Traktoren durch die Hauptstadt. Man hat nur gedacht, man könne sie weiterhin ignorieren, weil man sie schon zuvor jahrelang ignoriert hat.

Habeck spannt einen größeren Bogen: Die Inflation, der Ukraine-Krieg und die Krisen der letzten zwei Jahre hätten zu Wut und Sorge geführt. Extremisten versuchten nun, diese „Verunsicherung“ zu kapern. Habeck suggeriert Umsturzphantasien, den Versuch, den demokratischen Staat zerstören zu wollen. Der verhinderte grüne Spitzenkandidat baut den Vergleich zu Weimar selbst auf, indem er die erste deutsche Republik als Gegensatz darstellt – schließlich sei die Demokratie der Bundesrepublik über Jahrzehnte gewachsen.

Es folgt ein historischer Abriss, ein Bilderbuch der deutschen Geschichte der letzten 75 Jahre, in der man „streitbar“, aber stets „Hand in Hand“ und auf den Fundamenten des Grundgesetzes die Politik durchgesetzt habe. Dass gerade die Grünen diesen Konsens immer wieder aufgebrochen haben, immer wieder Gewalt sowie der Bruch von Konvention und Gesetz zu den Methoden der Partei gehörte, bleibt dabei sorgsam ausgespart.

Doch diese Republik sei bedroht, es gebe „keine Garantie“, dass der liberale Rechtsstaat erhalten bleibe. Ressentiments und Populismus, die Entgrenzung und Verrohung der Debatte bedrohten die Demokratie. Die Frage bleibt: Wen meint der Minister eigentlich? Wen spricht er an? Der Gegner, den Habeck angreift, bleibt Phantom. Er kann einer Gruppierung von außen Umsturzversuche, Finanzierung durch Russland und einen Hass auf den Staat unterstellen, bleibt aber merkwürdig vage, wenn es um Ross und Reiter geht. Noch einmal zitiert Habeck den Bauernverband, der zu gewaltfreien und friedlichen Demonstrationen aufruft.

„Die Erfahrungen der letzten Demonstrationen zeigt allerdings, dass das nicht bei allen ankommt.“ Wenn Galgen an Traktoren hingen, dann sei eine Grenze überschritten. „Von der Verrohung in den sozialen Medien gar nicht zu sprechen“, fährt Habeck beunruhigt fort, der über die Straßenschlachten nach der quasi Freisprechung von Lina E. dazumal dagegen verdächtig leise war. Das Grundgesetz setze Verfassungsfeinden Grenzen. Sie müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Man inszeniere sich als Opfer, um Gewalt gegen Opfer und Gegenstände zu rechtfertigen – neuerlich fragt sich der Zuschauer, ob Habeck von den Bauern oder der Letzten Generation spricht.

Nun flackert einmal das Wort „Umvolkung“, dann das Wort „Rechtsradikale“ auf. Neuerlich beschwört Habeck die Zivilgesellschaft, Zivilcourage und ein Eintreten für den „besten Staat, den Deutschland je hatte“. Die große schweigende Mehrheit müsse sich einbringen. Man müsse sich gegen die Anti-Demokraten unterhaken, sie seien der Hauptfeind. Als „Demokratinnen und Demokraten“ müsse man patriotisch sein.

Die Stimme des Ministers wirkt nervös, als er de facto eine Neuauflage des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold fordert. Doch dadurch, dass Habeck die Assoziationen zu Weimar weckt, bekräftigt er selbst: Dieses angeblich beste Deutschland aller Zeiten kann so gut nicht sein, wenn es derart am Abgrund zu stehen scheint – und dem Vizekanzler die Stimme angesichts einiger Traktoren vor dem Brandenburger Tor zittert. Und man fragt sich irritiert: Was hat das alles mit dem Anlass des heutigen Tages zu tun?

Der Wirtschaftsminister darf so etwas sagen. Das ist sein Recht. Indem er aber diese Worte in den Zusammenhang der Bauernproteste stellt, spricht er ihnen implizit doch das Recht des Protestes ab. Wenn eine Regierung in der Krise die Not der Bevölkerung nicht lindert, sondern verschlimmert, kann sie nicht darauf vertrauen, dass „Wut und Sorge“ reine Emotionslage sind. Die deutschen Bauern sind im 16. Jahrhundert nicht aus einer Gefühlslage aufgestanden, weil sie aufgewiegelt wurden – sie suchten sich ihre Anführer, weil sie sich in einer Krise befanden. Die SPD, die CSU und Cem Özdemir, die sich wie Friedrich Wilhelm von Preußen nun an die „Spitze der Bewegung“ stellen, um dem Zorn der Bewegung zu entgehen, scheinen das zu wissen. Der Wirtschaftsminister, der jahrelang Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein war, reagiert mit persönlicher Beleidigung. Es ist eine innovative Strategie, auf die selbst die Fürsten zu Luthers Zeiten nicht gekommen wären.

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