EU-Kommission gönnt sich 8,5 Prozent Gehaltszuwachs als Inflationsausgleich

Seit 2013 gibt es eine jährliche „Aktualisierung“ der Löhne für EU-Beschäftigte, die an die Inflation gekoppelt ist. Im Vergleich zu 8,5 Prozent ist es glatt schon bescheiden, dass sich die Bundestagsabgeordneten nur einen Zuwachs von 3,1 Prozent im Jahr 2022 gönnen.

IMAGO/Michael Kneffel

Erinnern wir erst einmal an ein paar Dinge, die für die Bewertung des Nachfolgenden nicht ohne Belang sind: Eine Vollzeitkraft im deutschen Einzelhandel hat im Schnitt und ohne Zulagen im Monat ungefähr 1.890 Euro brutto auf ihrem Lohnzettel. 1,7 Prozent Lohnzuwachs bekam sie 2022. Von den 1.890 Euro geht dann je nach Steuerklasse erst einmal einiges an Lohnsteuer sowie einiges an Renten-, Kranken-, Pflegeversicherung usw. weg. 1,8 Prozent Gehaltszuwachs hatten im Jahr 2022 die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst. Die Renten wurden 2020 um 3,45 Prozent (West) bzw. 4,2 Prozent (Ost) erhöht; 2021 gab es 0 Prozent (West) beziehungsweise 0,72 Prozent (Ost); 2022 dann 5,35 Prozent (West) und 6,12 Prozent (Ost).

Dass diese Löhne, Gehälter und Zuwächse weit hinter dem zurückbleiben, was wir an Teuerungsrate jetzt haben und was im Winter an Verteuerung der Energiekosten kommt, wird damit nicht im Entferntesten aufgefangen. Da ein Grüner (Euroschein) oder drei Hunderter zusätzlich vom Staat – das ist fast schon eine Beleidigung.

Beleidigung ist es auch, was sich die EU-Kommission jetzt gönnt: Gehalts- und Lohnzuwächse von 8,5 Prozent. Da ist es glatt schon Bescheidenheit, dass sich die Bundestagsabgeordneten nur einen Zuwachs von 3,1 Prozent im Jahr 2022 gönnen.

Aber wie kommt das Plus an 8,5 Prozent für rund 60.000 (!) Bedienstete und Mitarbeiter der EU-Kommission zustande? Antwort: automatisch! Denn seit 2013 gibt es eine jährliche „Aktualisierung“ der Bezüge. Aktualisierung heißt: Die Lohnentwicklung der EU-Beschäftigten ist an die Inflation gekoppelt. Und zwar an die Inflationsraten in Belgien und Luxemburg. Diese liegen derzeit bei 9,4 bzw. 8,5 Prozent. Ob es dann 9,4 oder 8,5 Prozent werden, darüber wird in der EU-Kommission noch gestritten.

Beispiele: Ein EU-Direktor (Besoldungsstufe AD14) hatte zuletzt 15.590 Euro/Monat; zukünftig hat er rund 16.890 Euro. Das sind 1.300 Euro mehr! Ein EU-Kommissar hatte bislang 19.910 (ohne Aufwandsentschädigung), demnächst hat er dann 21.600 Euro, also ein Plus von 1.700 Euro. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hatte zuletzt (dazu 1.400 Euro Aufwandsentschädigung) 25.500 Euro im Monat, demnächst werden es 27.667 Euro sein, entsprechend einem Plus von 2.167 Euro. ALLES ÜBRIGENS STEUERFREI !!! Und: In all diesen Fällen ist allein der Zuwachs das, was eine Einzelhandelsverkäuferin insgesamt oder nicht einmal im Monat hat.

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Da muss man sich nicht wundern, wenn EU-Bürger „europamüde“ werden. Dabei sind sie nicht einmal „europamüde“, sondern EU-müde. Sie wissen zu unterscheiden zwischen Europa als Erbe, ja als Verpflichtung hier und dem Monsterapparat „EU“ dort.

Es ist jedenfalls – gelinde gesagt – völlige Abgehobenheit, es ist Instinktlosigkeit, was hier in Brüssel praktiziert wird. Es riecht nicht nur nach Selbstbedienungsladen, sondern es ist ein Selbstbedienungsladen. Mehr noch: Der Schluck aus der Pulle, den man sich in Brüssel gönnt, ist ein Hohn gegenüber allen, denen man im Winter angesichts kalter Wohnungen und zwangsweise abgedrehter Heizungen Aufwärmhallen in Aussicht stellt.

Es ist die Arroganz der Macht, die nicht einmal in Zeiten wachsender Armut in der Kategorie des Normalbürgers zu denken vermag. Protzen, sich europa- und weltweit herumchauffieren lassen, wichtigtuerisch in die Kameras schauen, pseudoroyale Hochzeiten feiern – das ist sie, die Arroganz der Macht, die dem Normalbürger dann auch noch ans Herz legt, den Gürtel enger zu schnallen, die Zimmertemperatur auf 19 Grad herunterzuregeln usw. Ja, letzterer Vorschlag kam vor knapp einer Woche tatsächlich aus der EU-Kommission.

„Wasser predigen – Wein trinken“ heißt die Devise. Das ist nicht weit entfernt von dem zynischen Gerede, das der französischen Königsgemahlin Antoinette als Empfehlung an das hungernde Volk zugeschrieben wird: „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie halt Kuchen essen!“


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Kommentare ( 27 )

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Alf
1 Jahr her

Deutschland zahlt an die EU und freut sich, wenn es ein paar Euro „von der EU“ zurückbekommt.
Man freut sich, wenn man Geld bekommt, das man vorher einbezahlt hat?
Wie blöd muß man eigentlich sein?
Was sind schon 8,5 % für die Kommission.
Die Schuldenunion wird auch dieses abdecken.

Innere Unruhe
1 Jahr her

Na dann müssten die Gewerkschaften ein leichtes Spiel haben.
Mit welchem Argument will man jetzt den ÖD-Beschäftigten den Inflationsausgleich verweigern?

WandererX
1 Jahr her

Wo kein Widerstand, da wird genommen – in Selbstbedienung. In anderen Medien war das Thema zuletzt nicht im Vordergrund, was bezeichnend ist.

Helfen.heilen.80
1 Jahr her

Wow, nicht schlecht. Wenn ein durchschnittlicher Arbeitnehmer dieser Tage ins Büro seines Chef geht, um 8,5% mehr Lohn zu fordern, wird er aufgefordert die Tür von aussen zuzumachen.

Gerner
1 Jahr her

An alle Empörten und an alle Anderen: Hat irgend jemand was anderes erwartet? Es sind nun mal die Feudalherren und Feudaldamen. Wäre ich ein Brite, ich würde vornehm grinsen und den Hut lüften… well done!

Seemann
1 Jahr her

Na bravo, die bekommen pro Monat mehr Geld fürs NICHT TUN als ich im ganzen Jahr an Rente nach 45 Jahren harter Arbeit bekomme. Im nächsten Leben werde ich Politiker !

Kraken
1 Jahr her

Unsere momentane Regierung wollte ich nie haben. Nicht nur deswegen, weil sie sinnfrei bürger- und völlig realitätsfern ist, sondern weil sie im Zusammenspiel mit EU-Eskapaden Wegbereiter für eine Regierung sein könnte, die wohl die Meisten nie wieder haben wollten. Dann heißts: Er ist wieder da.

Pumpernickel
1 Jahr her

Oh, hat nicht der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz die deutschen Gewerkschaften zur Zurückhaltung bei Lohnverhandlungen aufgefordert, um die Lohn-Preis-Spirale nicht weiter anzuheizen??? Und eine Einmalzahlung ins Gespräch gebracht?

Hab ich das falsch verstanden oder war das ein Alptraum?

Boris G
1 Jahr her

Die gigantischen staatlichen Geldumverteilungsmaschinen laden auf allen Ebenen zur Selbstbedienung ein, weshalb sich manche kluge Völker gegen eine gefrässig immer größer werdende Maschine entschieden haben. Die Messskala für die Größe der Maschine ist die Staatsquote und da marschiert Deutschland locker demnächst über eine kritische 50%-Marke, Frankreich eilt auf die 60% zu, wohingegen die klugen Schweizer es mit einer ganz kleinen Maschine bei 33% bewenden lassen – und bestens damit fahren!

Christa Wallau
1 Jahr her

Wenn die Verantwortlichen in Brüssel einen Funken von Anstand besäßen, hätten sie auf diese Gehaltserhöhung verzichtet, angesichts der großen Probleme, welche alle EU-Länder zur Zeit haben. Den Bürgern wurde allein durch Corona sehr viel abverlangt, und jetzt duch den Ukraine-Krieg trifft es sie noch härter im Geldbeutel. Aber genau dieser ANSTAND fehlt! In Brüssel sind die Politiker, Beamten und Angestellten noch viel weiter vom „einfachen“ Volk entfernt als daheim schon in den Hauptstädten. Daher haben dort alle den Bezug zur Wirklichkeit der Durchschnittsbürger verloren. Entsprechend unrealistisch sind die meisten Entscheidungen, die in Brüssel gefällt und die „Programme“, die dort aufgelegt… Mehr

Helfen.heilen.80
1 Jahr her
Antworten an  Christa Wallau

Diese einfach zu erkennenden Defizite in der Kommunikationspsychologie zwischen „bessergestellten Verantwortungsträgern“ einerseits und „ökonomisch abrutschenden Bevölkerungsmassen“ andererseits überrascht mich wirklich. Das ist doch nicht so schwer zu verstehen, dass man mit Zusammenhalt und Geschlossenheit weiter kommt. Statt dessen erhöhen die Verantwortungsträger ihre, sowieso schon beträchtliche Grundbesoldung, während man der Bevölkerung empfielt „nur noch bestimmte Körperstellen“ zu waschen, da eine komplette Dusche nicht dringend nötig sei. Das ist schon ein Spruch für die Korkpinnwand. Das französiche Beispiel um 1789 ff. hatte deutschen Politikern damals vor Augen geführt, dass es erheblich weitblickender bzw. weiser ist, einen Ausgleich und Verständigung mit der Bevölkerung… Mehr